laut.de-Kritik
Zahme Rockschlager mit teilweise gelungenen Texten.
Review von Tobias LitterstNach der deutschen Sprache sieht Heinz Rudolf Kunze nun den antiquierten Begriff "Protest" auf der Liste der gefährdeten Arten. "Viele Menschen sind enttäuscht, dass die Generation der Protestliedersänger die Welt nicht retten konnte. Es gibt aber so viele gute Gründe sich zu empören, dass man diesen Begriff wieder entstauben sollte", schreibt der Liedermacher auf seiner Website.
Wer nun aber aggressiv revolutionäres Liedgut erwartet, liegt völlig falsch. "Auch mit Liebesliedern kann man protestieren gegen das Ausmaß von Lieblosigkeit um uns herum", meint Kunze. In eben diese Richtung zielt das aktuelle Werk des Niedersachsen.
Schon der Opener wünscht sich harmoniebewusst längere Tage mit mehr Licht. Verpackt ist dieses Gesuch in einen durchschnittlichen Popschlager mit Synthie-Streichern, akustischen Gitarren, Klavier und warmen Background-Gesängen - auf jeden Fall Supermarkt- und Tankstellen-kompatibel. Gleich darauf schlägt "Einmal Noch Und Immer Wieder" in dieselbe Kerbe. Schon wünscht man sich Kunzes Protest in die Mottenkiste zurück.
Das angerockte "Astronaut in Bagdad" stimmt anschließend etwas versöhnlicher. Der Song beschreibt die Erfahrungen eines amerikanischen Soldaten während des Irakkrieges und zeigt, dass Kunze durchaus kein schlechter Texter ist. Leider raubt die glatte Produktion gepaart mit überstrapaziertem Refrain-Gebrauch dem Werk sämtliche Eindrücklichkeit. Die Nummer fliegt einfach am Hörer vorbei und ist bald wieder vergessen.
Mit "Sha La La"-Gesängen und Herzschmerz-Lyrik plätschert das Popliedchen "Sie Geht Vorbei" aus den Boxen. In der Ballade "Auf Einem Anderen Stern" protestiert Kunze leise weiter und philosophiert über den Soll- und Ist-Zustand der Welt.
Der abschließende Lovesong "Elixier" überrascht dann doch noch: erfreulicherweise sehr spartanisch gehalten und kommt ganz nach alter Liedermacher-Tradition ohne Chorus. Stattdessen zieht sich eine schöne Melodie durch das Stück - solcherlei Dinge hätte es gerne mehr geben dürfen. Insgesamt ist Kunzes Protest einfach zu zahm geraten. Außer ein paar schnell vergessenen Radio-Ohrwürmern bleibt nichts davon übrig. Und die zumindest teilgelungenen Texte gehen darin völlig verloren.
11 Kommentare
Ich kann den Vorzeigelehrer Kunze ja wirklich nicht ab, aber er hält sich wacker.
Und in seinen Texten steckt viel Tacheles.
Protest? Respekt!
„Außer ein paar schnell vergessenen Radio-Ohrwürmern bleibt nichts davon übrig“, schreibt Herr Litterst. Protest! Was soll denn so ein Satz eigentlich aussagen? Dass das Album trotz (oder gerade wegen?) der darauf enthaltenen „Radio-Ohrwürmer“ nichts Substanzielles bietet? Warum „schnell vergessen“? Ein „Ohrwurm“ zeichnet sich dadurch aus, dass man ihn - ob man will oder nicht - nicht mehr aus dem Kopf kriegt! Kunze gelingen auf diesem Album tatsächlich gleich mehrere (gute) eingängige Songs : Längere Tage, Einmal noch und immer wieder, Aber Menschen, Ein besondrer Tag. Auch das „Popliedchen“ (Litterst) „Sie geht vorbei“ gehört dazu. Zudem enthält „Protest“ mit „Regen in meinem Gesicht“ eine der schönsten Kunze-Balladen seit Jahren! Die als Rocksongs gedachten Stücke („Dagegen“, „Selbst ist die Zerstörung“) kommen dagegen etwas bemüht daher und wären am ehesten verzichtbar. Insgesamt jedoch ein starkes, berührendes, ungewohnt optimistisches Album mit guten Texten. Und diese Stimme! Von „durchschnittlichen Popschlagern“ (Litterst) kann keine Rede sein. Wenn alle Schlagersänger solche Platten aufnehmen würden, wäre ich Schlagerfan! Man muss Kunze als Person nicht mögen, auch den typischen Sound („Synthie-Streicher, akustische Gitarren, Klavier und warme Background-Gesänge“, Litterst) nicht. Dennoch sollte es möglich sein, ein Kunze-Album fair und ohne die üblichen Ressentiments zu bewerten.
das von dir angesprochene "bemühte der rocksongs" empfinde ich schon seit jeher bei kunze als nervig.
wie kann ein mann, der oft und gern seine philosophische nähe zu kreativgeistern wie neil young, tom waits, lou reed oder bowie beschwört, der also weiß, wie es zu klingen hat, wenn es rocken soll,
wie kann so jemand seit 20 jahren mit derartig mutlosen formatproduktionen aufwarten.
mir absolut unverständlich.
Kunze hat ja seit einigen Jahren auf seiner Website die Rubrik "Satelliten" (seine momentan angesagten Lieblinge aus Musik, Literatur, Film etc.). Da war Ende 2004 das Album "Over the Counter Culture" von "The Ordinary Boys" ganz oben. Zur gleichen Zeit hat VT dieses - doch nicht so übermäßig populäre Album - so dermaßen gehyped, dass ich - kurzzeitig auf die Wahnidee kam, beide Personen könnten identisch sein oder zumindest was miteinander zu tun haben ...
Der VT?
jepp