laut.de-Biographie
Heinz Rudolf Kunze
1980: Marius Müller-Westernhagen verweist bereits auf kleinere Erfolge als Musiker, seine Leinwand-Karriere in Gestalt des Underdogs Theo im Kampf gegen den Rest der Welt steht kurz vor dem Durchbruch. Zeitgleich betritt ein junger Germanist namens Heinz Rudolf Kunze die Bühne des Würzburger Pop-Nachwuchs-Festivals, um, mit seiner Klampfe auf einem Barhocker sitzend und vom Piano begleitet, um die Gunst der Jury zu ringen.
Geistesgegenwärtig drängt sich nach dem Gig ein Wea-Mitarbeiter in Kunzes unmittelbare Nähe und offeriert dem Jungtalent einen Fünfjahres-Vertrag. Verkehrte Welt oder der Riecher des Jahrzehnts? Tatsächlich darf man den in der Niederlausitz geborenen und in Osnabrück aufgewachsenen Kunze (* 30.11.1956) getrost Professor Deutschrock nennen. In Gesellschaft des genannten Westernhagen, Grönemeyer, Klaus Lage oder Udo Lindenberg stehen auch seine Alben rasch ganz vorne im Deutschrock-Regal.
Von Anfang an sieht HRK keinen Sinn darin, seine Texte auf Englisch zu verfassen. Seine Ambition liegt im Umgang mit seiner Muttersprache, der Dehnung und Verbiegung von Worten, dem Aufknacken und Nachsehen, was sich hinter bestimmten Begriffen verbirgt.
Bis zum Jahr 2000 nimmt Kunze mehr als 200 Songs auf und erlebt das komplette Auf und Ab des Showgeschäfts. Seine ersten Alben präsentieren einen wortgewandten, schnörkellosen Texter, den seine Plattenfirma zunächst mit der Plakette "Der Niedermacher" anpreist. 1984 schleicht der Ruhm auf Zehenspitzen mit dem Kunze-Cover des Kinks-Klassikers "Lola" heran, natürlich auf Deutsch. Dennoch assoziieren mit Kunze die meisten bis heute seine großen Radio-Hits "Dein Ist Mein Ganzes Herz" und "Finden Sie Mabel".
1987 erhält Kunze den RTL Sonderlöwe-Preis in der Sparte "Neues Deutsches Lied". Im selben Jahr spielt er mit seiner Band Verstärkung in der DDR 70 Konzerte, davon drei vor 40.000 Zuschauern, während der Erfolg im Westen spürbar zurückgeht. Versucht man diesem Phänomen auf die Schliche zu kommen, muss man beachten, dass deutschsprachige Rockmusik vor der Wende im Osten einen völlig anderen Stellenwert besaß als in Westdeutschland. Kunze selbst spricht als geborener Ostdeutscher gerne von der Mentalitätsgemeinsamkeit.
Nebenbei ist der Dylan-Fan auch literarisch tätig: Bereits 1978 mit dem Literatur-Förderpreis seiner Heimatstadt Osnabrück ausgezeichnet, veröffentlicht er regelmäßig Prosatexte und Gedichte. Außerdem übersetzt er erfolgreiche Musicals wie "Les Miserables" (1987), "Miss Saigon" (1994) und "Rent" (1999), die ihm ebenfalls Preise einbringen.
Den größten kommerziellen Erfolg feiert HRK 1991: Das Album "Brille" steigt von null auf vier in die deutschen Charts ein. Damit scheint auch der Karriereknick, den er mit "Einer Für Alle" (1988) erlitt, überwunden. 1996 reformiert Kunze seine Verstärker für das Album "Richter-Skala", das mit seinem 70s-Rock-Style allerdings auch wieder an der öffentlichen Gunst vorbei schrammt.
Nach 19 Jahren Showbiz veröffentlicht der Songwriter 1999 mit "Nonstop" seine erste Best-Of, die das reichhaltige Programm seiner Schaffenszeit einer neuen Generation vorstellt.
Größere Aufmerksamkeit zieht Kunze in den Endneunzigern jedoch weniger mit seiner Musik auf sich. Zusammen mit anderen deutschen Alt-Rockern plädiert er lautstark für das Deutsche Rock Radio-Projekt. Dem vordergründigen Ziel, deutschen Musikernachwuchs zu fördern und sämtlichen Schlager- und Mainstream-Formaten eine Alternative entgegenzuhalten, heftet der eher fragwürdige Wunsch an, mal wieder ein "simples Gitarrensolo" (Scorpions-Sänger Klaus Meine) im Radio zu hören. Am besten natürlich von einem deutschen Rocker ...
Zum 25-jährigen Bühnenjubiläum 2005 produziert Heinz Rudolf Kunze im heimischen Studio "Das Original", das 14 Deutschrockvariationen zwischen purem Rock, anschmiegsamen Balladen, etwas Singer/Songwriter-Flair, georgelten Blues-Adaptionen und leicht trashigen Punk-Attitüden bereit hält. Kurz davor verleiht ihm das Land Niedersachsen den Praetorius-Musikpreis für sein Lebenswerk.
Das 2003 mit dem Komponisten Heiner Lürig geschriebene Musical "Sommernachtstraum" (nach William Shakespeare) geht 2007 auf Deutschlandtour, wie auch der Musiker selbst, der im Januar 2007 - ohne Schnurrbart - sein neues Album "Klare Verhältnisse" vorstellt.
Beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest im März 2007 herrschten die allerdings zu seinen Ungunsten: Roger Cicero besiegte den Osnabrücker sowie die favorisierten Monrose, so dass Deutschland mit einem Swing-Titel in Helsinki vertreten ist.
2012 interpretiert Kunze seine Hits auf "Ich Bin" mit bekannten Duett-Partnern wie Reinhard Mey, Joachim Witt und Pe Werner neu. Zur selben Zeit gerät er aufgrund eines Auftritts in der ARD-Talkshow von Günther Jauch in die Kritik, in der er Partei für seinen Freund, den gerade über verschiedene Skandale gestolperten Bundespräsidenten Christian Wulff, ergreift.
Die nächsten Jahre gerät Kunze zunehmend in einen regelrechten Veröffentlichungswahn, der sich nicht selten auf die Qualität der Alben auswirkt. Fast stündlich muss man mit einem neuen HRK-Album rechnen. Neben seinen Solo-Werken wie dem im Februar 2016 erscheinenden "Deutschland" steht zunehmend die Band Räuberzivil ("Hier Rein Da Raus", "Tiefenschärfe") im Mittelpunkt, mit der sich der Sänger ein zweites, weniger auf das Massenpublikum gerichtetes Standbein aufbaut.
Gleichwohl veröffentlicht er im Oktober 2016 auch ein Coveralbum. Zuvor arbeitet er noch mit dem Prinzen Tobias Künzel ("Uns Fragt Ja Keiner Live") oder Jan Drees ("Kaprizen", 2014) zusammen und ersinnt das Kinderbuch und Hörspiel "Quentin Qualle". Ebenfalls 2016 erscheint mit "Schwebebalken: Tagebuchtage" ein literarisches Werk, das sich zwischen Roman, Tagebuch, Gedichtsammlung, Traumjournal und Lyrik nicht so recht entscheiden kann.
Für die Compilation "Manfred Krug- Seine Lieder" steuert Kunze 2017 eine Neuinterpretation des Stückes "Früh War Der Tag Erwacht" bei. Im Februar 2018 unterzeichnet er einen Plattenvertrag bei Universal. "Schöne Grüße Vom Schicksal" kommt im Mai des selben Jahres auf den Markt. Für "Der Wahrheit Die Ehre" wechselt Kunze zum Indie-Label Meadow Lake Music. Das Album, auf dem er so politisch und erdig wie lange nicht mehr klingt, erscheint Anfang 2020.
Längst besitzt Kunze einen unverrückbaren Status in der Deutschrock-Szene. Herausragenden Lyrics stehen oft schablonenhaft produzierte Arrangements gegenüber, bei denen sich mitunter die Grenzen zwischen Rock und schlagerhaften Attitüden verwischen.
1 Kommentar
Nachdem ihr in den letzten Jahren jedes noch so mittelmäßige Album von HRK rezensiert habt, habe ich mich gewundert, dass es keine Review zu "Können vor Lachen" gab. Hätte hierzu gern was von Sven Kabelitz oder Toni Hennig gelesen!