laut.de-Kritik
Hamburg, es gibt kein Entkommen: Man wünscht sich sogar die grässlichen Pur zurück.
Review von Sven KabelitzFalls der ein oder andere Musikkritiker nach einem perfekten Argument für mehr Alkohol am Arbeitsplatz sucht, kann ich ihm nur wärmstens Helene Fischers "Farbenspiel Live – Die Tournee"-DVD ans Herz legen. Was habe ich meinen Kollegen genau angetan, damit ich das Jahr mit dem Genuss dieses Machwerks beenden muss? Aber: Ist der Zirkus noch so klein, einer muss der August sein.
Die Frau, die seit 2006 nicht etwa Platten, sondern eine Plattitüde nach der anderen heraus haut, war 2014 überall. Mit ihrem Album "Farbenspiel", veröffentlichte sie Ende 2013, der Krise der Musikbranche trotzend, einen der meistverkauften Longplayer in Deutschland. Mit über zwei Millionen Verkäufen reiht sie sich mittlerweile in eine Reihe mit Pink Floyds "The Wall", Michael Jacksons "Bad" und "1962-1966" von den Beatles. Sie ruiniert die Weltmeister-Party, macht Werbung für Meggle, Garnier, VW und Tschibo und spielt 2015 sogar an der Seite vom Nuschel-König Til Schweiger im Tatort mit. Vor Helene Fischer gibt es kein Entkommen.
Conrad Lerchenfeldt schreibt in seinem nicht autorisiertem Buch "Helene Fischer - die exklusive Biografie", dass die Sängerin in ihren Anfangstagen "sogar bei dem Gedanken an eine Zukunft in der Welt des Schlagers in Tränen ausgebrochen war." Mit solchen Werken soll man bekanntlich vorsichtig sein, aber das in Hamburg mitgeschnittene Konzert lässt zumindest die Vermutung zu, dass Lerchenfeldt nicht ganz daneben liegt. Den puren Schlager ihrer Studio-Schandtaten bietet die im sibirischen Krasnojarsk geborene Fischer nicht. Als wolle sie aus ihrem zu engen Korsett ausbrechen, öffnet sie ihre Musik in alle erdenkliche Richtungen. Dabei wirft sie alles, das sie gerade findet, in einen Topf. Zurück bleibt von Kitsch durchsiffter Klumpatsch aus "Stars in der Manege", einem gescheitertem Andrew Lloyd Webber-Musical und ein Kessel Untotes, der immer zu viel will und nie weiß, was er eigentlich darstellen möchte.
Dabei gelingt Helene Fischer und ihrer vielköpfigen Band mehrfach die Flucht aus der Discofox-Hölle der trivialen Studio-Versionen. Jeder noch so kleine Schritt, mit dem sie sich von den Vorlagen entfernen, lässt die Stücke spürbar aufatmen. Handwerklich fehlerfrei, aber fischblütig und seelenlos sitzt jeder Augenaufschlag und jede große Schlager-Geste perfekt. Die theatralische Bühnenshow hat in ihrer Funktionalität viel mit dem Coldplay-Spätwerk gemeinsam.
Der ganze Fasching und das viele bunte Konfetti können jedoch nicht über die dämlichen Texte, die sich allesamt in Allgemeinplätzen des Romantikschunds verlieren, hinweg täuschen. Um es nochmal klar zu stellen: Es gibt durchaus Schlager mit guten Texten! Schlager, der Geschichten erzählt. Hier wünscht man sich stattdessen sogar die grässlichen Pur zurück. Die hatten wenigstens noch Indianer und ein Abenteuerland zu bieten.
Das "Farbenspiel"-Programm teilt sich in Herbst, Winter, Frühling und Sommer auf. Vivaldi-Zitate auf Rondo Venezianos Klassik-Ramsch-Niveau unterbrechen die einzelnen vier Jahreszeiten. "Lasst euch von uns verzaubern mit der mystischen und dunklen Jahreszeit: dem Winter", erklärt Helene salbungsvoll, um kurz darauf in "Feuerwerk" zu singen: "Heut' fliegt die Erde aus der Bahn / Da will kein Mensch nach Hause fahr'n / Lass' uns das Leben feiern / Und das pure Glück / Kommt als Feuerwerk zurück." So habe ich mir Mystik und Finsternis schon immer vorgestellt. "In zerrissenen Jeans um die Häuser zieh'n, das kann ich mit keinem ander'n." Mir fröstelt.
Um Nähe zu den Fans herzustellen und damit diese auch nie vergessen, wo sie sich gerade aufhalten und wo sie ihr Auto geparkt haben, ist es wichtig, selbst in den unpassendsten Momenten kurz den Ort des Geschehens heraus zu brüllen. In diesem Fall: "HAMBURG!" Während "Und Morgen Früh Küss Ich Dich Wach" wagt sich die Band auf den Laufsteg zu den Fans. Die Bläser wackeln munter mit dem Po und pusten fleißig in ihre Instrumente. Hören kann man sie freilich nicht.
Immer wieder versuchen sich die Songs in anderen Genres. "Fehlerfrei" unterbricht ein kurzer Ausflug in den Disco-Funk. "Nur Wer Den Wahnsinn Liebt" versucht sich am Weichspül-Blues. Im Einstieg von "Ich Will Immer Wieder… Dieses Fieber Spür'n", der über den Cooley und Davenport-Klassiker "Fever" geschieht, versucht sie sich, bevor der Avicii-Bumms-Beat loslegt, an einer Starbucks-Variante des Jazz. Während das Deutsche Fernsehballett ein Revival nach dem anderen erlebt und munter hupfdohlt, zeigt "Vergeben, Vergessen Und Wieder Vertrau'n" mehr Parallelen zu Lacrimosa, als manch einem Goth lieb wäre. Aber keine Angst! Spätestens mit dem Refrain kehren die Lieder wieder zum üblichen Schlager-Schlonz zurück. Selbst in diesem Umfeld, "HAMBURG!", schafft es das vom unheiligen Grafen geschriebene "Ein kleines Glück" in seiner Substanzlosigkeit negativ aufzufallen. Chapeau!
Die Klischee-Parade durch die Genres geht fröhlich weiter. Mopsfidel zitiert die Fischer Michael Jackson, die Black Eyed Peas und macht selbst vor The Verves "Bitter Sweet Symphony" nicht Halt. Während die Windmaschine auf Hochtouren läuft, versetzt sie Evanescences "Bring Me To Life" den längst fälligen und endgültigen Todesstoß. Dies alles toppt sie aber mit ihrem "Rock-Medley", in dem sie mit flammenschlagender Weste und Kiss-Shirt munter John Farnhams "You're The Voice", Joan Jetts "I Love Rock 'N' Roll", Van Halens "Jump" und Bon Jovis "Livin' On A Prayer" vergenusswurzelt. "Hamburg, die Achtziger sind zurück, also springt!" Hamburg, das ist fast so schlimm wie 1962, aber diesmal gibt es keinen Helmut Schmidt, der euch noch retten kann.
Den Berggipfel des Mount Firlefanz erreicht "Farbenspiel Live – Die Tournee" mit "Fly", in dem Silbereisens Holde ein riesengroßes güldenes Grillhähnchen namens "Birdy" anschmachtet. Mit den letzten Tönen des Tracks steigt sie auf ihren gefiederten Freund, beginnt, Celine Dions "My Heart Will Go On" zu schmettern und über die Köpfe des Publikums zu fliegen. Das ist endgültig zu viel. My brain hurts!
Natürlich darf am Ende "Atemlos Durch Die Nacht" nicht fehlen. Im gelben "I Love Hamburg"-Shirt, das sie wie Big Bird aus der Sesamstraße aussehen lässt, gibt es den Song dann auch gleich akustisch und in seiner üblichen Remmidemmi-Fassung. Und jetzt alle: "Ich und Du / Müllers Kuh / Müllers Esel / Das Bist Du / HAMBURG!" Nein, hier hilft auch kein Alkohol mehr. Ich sauf' keinen Schnaps, ich sauf' einen Pistolenlauf!
32 Kommentare mit 228 Antworten
Granitmette over here!
Allah, was ist das denn für ne Review? Wie kann man bei Helene nur über Musik schreiben und nicht im Ansatz auf die sicherlich 12 Outfit-Wechsel eingehen? Wünsche mir eine Alternativ-Review dahingehend.
Werd doch selbst mal aktiv... gibt sicher keinen der ne objektivere Rezionisierung auf die Reihe bringt, als dich!
Ich als Ressesionist? Naja.. wenn mir wer die DVD zuschickt würde ich die komplett gucken, ohne Ton und ne Optik-Review schreiben, auf jeden. laut.de will die DVD doch sicher nicht behalten, oder?
Wem's gefällt, ich werd keinen verurteilen.
Ich würde sie durch-fischern!
Sparstrumpf und dann ab ins Industrieviertel. Da hat es stets eine von ihrem Schlag(er).
In einem hat unser Kabelblitz wohl recht : der Fischer entkommt man nicht! Aber nicht weil man (so man eh keine Schlager ab kann) zuviel VON ihr hört sonder eher zuviel ÜBER sie!
Wer in Hergottsnamen verflichtet unseren Kabelblitz denn die gute Helen hören und dann noch kritisieren zu müssen?
Schuster bleib bei deinen Leisten und höre&kritisiere doch deinen "Black Messiah" - wenn dich das weniger angreift...
Es ist eben wie in der bildenden Kunst , es gibt Skulpturen und Gartenzwerge, und nein werter Kabelblitz es gibt keine "guten Schlager" (das wären ja Songs , Lieder...) wie es keine "guten" Gartenzwerge gibt - basta!
Ich höre weder Fischer noch mag ich Gartenzwerge, aber warum sollte ich meine wertvolle Zeit damit vergeuden dann das zu rezensieren?
Sind es wirklich die Platitüden und die "schlechte Musik" die die Kabelblitze dieser Welt dieses Mega-bashing gegen das Helenchen betreiben lassen oder ist es der Neid wegen dem großen Erfolg der Fischer? Jedes noch so platte Schlagersternchen kann den friede-freude-Herzschmerz so ziemlich unbehelligt trällern, tut sie es in halbvollen Dorfkneipen in Meck-Vorpommern - aber wehe man streut mal auf die schnelle 2 Millionen Tonträger unters Volk - schon stürzen sich tausende vorpubertäre Bettnässer - die natürlich "wissen" welche Musi gut/schlecht ist - bashend auf den Erfolgreichen - egal Ob selbsternannte "Kritiker" oder Comedians der zweiten Reihe - "Fischer geht ja gar nicht". Egal ob nun die Vorwürfe begründet sind oder nicht, man ist ja derart von Neid zerfressen weil seine D`Angelos vielleicht nicht die hälfte an Platten verkaufen.
Soll doch jeder seins hören und glücklich sein und nicht uns hier dauernd nerven wie beschissen die Musi sei die er nicht abkann...und womöglich allein im Auto, im Chor der Bundesdeutschen Hausfrauen atemlos durch die Nacht Pfeifen )
Nun die einfachste Antwort wäre wohl, dass er Geld dafür bekommt, wa
Da der Beitrag aber anscheinend nach den hier üblichen Gepflogenheiten erstellt wurde, habe ich das natürlich so niemals gesagt.
Oder man meidet als Schlagerfan einfach entsprechende Rezensionsseiten. Sollte nämlich nicht eine allzu grosse Überraschung darstellen, dass auf derartigen Kritikportalen Kritik geübt wird.
Kabelitz ist das halt auch völlig falsch angegangen, habe ich ja schon drölfzig mal erklärt. So eine Review schreibt man mit errigierter Mette und nicht mit dem Ohr. Aight.
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
Achtung, Achtung: Plagiatsvorwürfe gegen Helene Fischer:
http://www.tagesspiegel.de/berlin/atemlos-…
Aber eine so große Künstlerin darf halt auch mal die Grenzen geistigen Eigentums sprengen (und außerdem klingt im Schlager ja eh alles gleich).
Oh es gibt zwei Jack Whites... o.O
"Und auch das nachfolgende „oho oho“, sei „kompositorisch ebenfalls identisch mit ,oho aha’ "
Ich liebe Schlager
"I've been looking for freedom", "Hände zum Himmel", "Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben"... Was wäre das für eine Welt heute wenn der Typ nie geboren wäre.
zumindest stände dann die mauer noch
Schlagerproduzent Jack White? Hat sich Lazaretto so schlecht verkauft?
Ding.
259, Fischer ist genau so relevant wie die Böhsen Onkelz. Uwe, deine alte ist ein besorgter Bürger. Sei stark, geh deinen Weg, niemals im knien Leben!