7. März 2019
"Ich will meine Freunde nicht bei schlechtem Bier anschreien"
Interview geführt von Manuel BergerIn Flames haben eine neue Arbeitsweise für sich entdeckt: Bei "I, The Mask" vertrauten sie zum zweiten Mal auf einen aktiv involvierten Produzenten. Gitarrist Björn Gelotte schildert im Gespräch, wie Howard Benson die Band seit "Battles" beeinflusst hat – und warum sie im Kern trotzdem noch funktioniert wie in den Neunzigern.
"Magst du auch ein Weißbier?", begrüßt Björn Gelotte zum Interview. Erfahrung im Bewirten hat der In Flames-Gitarrist, immerhin führt er seit Jahren gemeinsam mit seinem ehemaligen Bass-Kollegen Peter Iwers in Göteborg das Restaurant "2112". Warum es ihm dabei aber weniger um Speis und Trank, sondern um Atmosphäre und Ausklinken geht, erklärt er wenige Minuten später. Weder Besetzungswechsel noch anhaltender Unmut alter Fans ob der deutlich poppiger gewordenen Musik noch das fast ständige Tragen einer sozialen Maske bringen den Schweden aus der Ruhe.
An einer Stelle des Lyric-Videos zu "I, The Mask" tauchen versteckt einige eurer Albumcover auf: "The Jester Race", "Clayman", "Soundtrack To Your Escape" und "Colony". Warum diese vier?
Björn Gelotte: Um das zu beantworten, müsste ich das Video zuerst sehen. (lacht) Jemand in den USA hat das für uns gemacht. Keine Ahnung, ob dahinter eine tiefere Bedeutung steckt.
Welches Album hättest du denn reingepackt? Welche ist für dich die In Flames-Platte, die die prägendste Rolle dabei spielte, dass du heute hier mit "I, The Mask" bist?
Ehrlich gesagt jede. Aber dann natürlich: "The Jester Race". Das ist das erste Album, auf dem ich mitgespielt habe und damit für mich persönlich das wohl definierendste. Ich war 20 Jahre alt damals und hatte vorher noch nie ein Album gemacht. Ich hatte zwar Demo-Erfahrung, aber keine Ahnung, was für ein Album nötig ist. Das war schon sehr prägend – und frustrierend! Einerseits liebte ich es zwar, weil hey: Ich mache ein Album! Andererseits spielte ich Schlagzeug. Und ich bin nun mal kein Schlagzeuger. Eine bittersüße Erfahrung für mich. Der ganze Prozess mit Aufnahmen und Mix dauerte nur etwa elf Tage, also nicht besonders lang. Ich erinnere mich daran, dass wir in Glenn Ljungströms (In Flames-Gitarrist bis 1998; Anm. d. Red.) Auto die Kassette hörten – damals gabs noch Kassetten! "Wow, cool! Bin das ich? Sind das wir?" Man hörte, was aus all der Arbeit, die wir hineingesteckt hatten, geworden war. Es klang toll! Da wurde mir klar, dass ich das für immer tun möchte. Klar, jedes Kind spielt lieber Gitarre als in einem Büro zu hocken. Aber in diesem Moment wusste ich, dass es eine Leidenschaft fürs Leben wird.
Fühlt sich In Flames für dich immer noch wie eine Band an? Inzwischen veranstaltet ihr auch eigene Festivals, alles wurde so viel größer.
Ja, natürlich ist es eine Band. Ich lebe, schlafe, kacke, esse, trinke, stehe auf der Bühne und reise mit diesen Typen. Sie sind Familie. Das Gefühl hatten wir damals auch. Und wer jetzt nicht mehr in der Band spielt, verließ sie aus eigenen Gründen. Es wurde nie jemand gefeuert. Einige konnten einfach das Touren nicht ausstehen. Einige hatten persönliche Probleme. Einige verletzten sich und konnten nicht mehr richtig spielen. Es ist immer traurig, wenn jemand geht. Man hat so viele gemeinsame Erfahrungen und Erinnerungen. Aber du kannst dich nicht mit jemandem streiten, der mehr Zeit mit seiner Familie verbringen möchte. Das muss man respektieren. Darum gehts. Du musst lieben, was wir tun. Wir müssen eine großartige Liveband sein oder zumindest versuchen, eine zu sein, und wir müssen Spaß dabei haben. Wenn du das nicht fühlst, und merkst, dass es nicht das ist, was du tun möchtest, solltest du woanders sein. Wir haben es immer geschafft, die Positionen mit jemandem zu besetzen, der uns mehr Stärke als vorher gibt. Bislang war das Resultat immer positiv. Ich meine, es ist niemals positiv, wenn jemand aufhören möchte – aber du weißt schon was ich meine. Also ja: Es fühlt sich absolut noch wie eine Band an! Andernfalls würde ich es verdammt nochmal nicht machen. Ein Job interessiert mich nicht. (lacht)
Peter Iwers und Daniel Svensson sind inzwischen beide in der Gastronomie tätig und auch du betreibst seit einer Weile zusammen mit Peter ein Restaurant. Warum zieht es euch alle in diese Richtung?
Haha, darüber habe ich noch gar nie nachgedacht. Als Peter und ich das angefangen haben, wollten wir einfach nur einen Platz zum Rumhängen haben. Dort spielte kein lauter, harter Rock und Metal. Mit über dreißig wollten wir nicht mehr in laute Rockbars gehen. On the road höre ich dauernd Musik und viel zu oft laute Musik. Ich will nicht dahocken und meine Freunde bei einem schlechten Bier anschreien müssen, während alle um einen herum rauchen. Ich wollte was Ruhigeres – etwas, über das wir uns auf Tour freuen würden, wo man vor der Show entspannen oder nach der Show runterkommen kann. Dieser Ort existierte nicht, also haben wir versucht, ihn selbst zu bauen. Das hat echt gut funktioniert. Die Jungs von Clutch kommen immer vorbei, wenn sie in der Stadt sind, all die Göteborger Bands hängen hier ab, wenn sie spielen – sogar Slayer waren schon dort. Genau so wollten wir es haben. Es ging nicht ums Essen, es ging um den Vibe.
Als eine Art safe space?
Safe space und Jugendzentrum für Bands, genau. (lacht) Aber jeder ist willkommen. Auch darum gehts. Fühl dich willkommen egal ob du Metalhead mit Bandshirt oder Anzugträger oder eine Familie mit zwei Kindern bist. Iss, genieß die Musik, hab' Spaß. Göteborg ist nicht so weit weg, nur ein kurzer Flug – du solltest mal rumkommen.
Darauf komme ich gern mal zurück.
"Wir beschlossen, auf Howard Benson zu hören"
Reden wir ein bisschen übers Songwriting: Was ist in dieser Hinsicht das wichtigste, was du im Lauf der Jahre gelernt hast und das jetzt im Speziellen auch eine Rolle für "I, The Mask" spielte?
Beim Songwriting sehe ich zwei Aspekte. Der eine ist die kreative Seite: Die Inspiration, Melodien, die dir im Kopf rumschwirren und die du einfangen möchtest. Du greifst etwas aus der Luft und plötzlich wird es zu etwas – aus dem Nichts. Arrangieren und den ganzen Song zusammenzusetzen, ist dagegen mehr ein Handwerk. Das lernt man. Wir haben viel von Bands, mit denen wir auf Tour waren, gelernt. Slayer zum Beispiel. Wir haben ihren Arbeitsethos verinnerlicht. Du bist live präsent, also denk auch an die Liveshow. Zu Anfang haben wir kaum daran gedacht, weil wir noch nicht so viel unterwegs waren. Dann standen eben acht Gitarren in einem Track. Das ist auf der Bühne schlicht nicht umsetzbar. Du lernst, was umsetzbar und effektiv ist. Du lernst, wie Dynamik funktioniert. Alles bleibt Geschmackssache, du kannst dich nicht hinstellen und sagen: So wirds gemacht. Aber für uns funktioniert das. Das Ziel ist, alle Songs irgendwann live spielen zu können. Und das muss eben klappen. Ich möchte nicht Umarrangieren oder einen Song ausklammern, nur weil er blöd aufgenommen wurde. Das ist die handwerkliche Seite und sie spielt inzwischen definitiv eine große Rolle, jedesmal wenn wir ein Album machen. Sie tat es nicht so sehr in den Anfangstagen. Wirklich angefangen zu touren haben mir mit "Colony", richtig durchgestartet sind wir mit "Reroute To Remain". Ab "Reroute To Remain" haben wir über die Livesituation nachgedacht.
Ein Kollege schrieb mir, dass er sehr beeindruckt war von eurer Show beim Taubertal Festival letztes Jahr – besonders wegen des kristallklaren Sounds. Fängt auch das vielleicht schon beim Songwriting an, indem ihr nicht nur überlegt, was sich rein instrumental umsetzen lässt, sondern auch, was gut im Livemix funktioniert?
Naja, das sind nicht nur wir, sondern vor allem unser Soundmann. Deswegen haben wir seit 20 Jahren denselben. Er wuchs mit uns. Er versteht unser Songwriting. Er versteht, was wir erreichen möchten. Er ist bei der Entstehung der Alben beteiligt und versteht, was alles dranhängt. Tom Kubik heißt er, ein Österreicher. Ich kenne ihn schon mein halbes Leben. Toller Soundmann! Er übersetzt uns, macht und noch besser – denn immerhin hat er eine PA! Du hast damit all die Kraft der Welt, um es wirklich massiv klingen zu lassen. Das ist sein Job. Wir versuchen einfach, okay zu spielen.
Apropos Soundmänner: Im Studio habt ihr erneut mit Howard Benson gearbeitet und deshalb wieder in Los Angeles aufgenommen. Auch fürs Songwriting seid ihr dorthin geflogen. Lief der Prozess für "I, The Mask" also mehr oder weniger genauso wie bei "Battles" oder habt ihr bewusst etwas in der Herangehensweise verändert?
Ich glaube, wir selbst haben uns ein wenig verändert. Fangen wir mal von ganz vorne an: "Siren Charms" haben wir in Berlin aufgenommen.
In den Hansa Studios oder?
Richtig. Das war ein großartiges Erlebnis! Aber auch ein sehr dunkles und kaltes – immerhin waren wir in Berlin, im November und Dezember. (lacht) Dieser Mood tröpfelte ins Album, es hatte einen düsteren, melancholischen Vibe, obwohl wir darauf überhaupt nicht hingearbeitet hatten. Es ist einfach passiert – wegen der Umgebung. Das wollten wir nicht nochmal machen. Aber würden wir an anderer Location vielleicht einen ähnlichen Effekt erzielen können? Wir telefonierten daraufhin mit ungefähr zehn unserer liebsten Produzenten und fragten, ob sie mit uns arbeiten würden. Wir hatten echt Glück – alle sagten ja, also konnten wir frei auswählen. Howard sagte: "So arbeite ich. Ich werde euch nicht ändern und in etwas verwandeln, das ihr nicht seid. Ich hoffe, ich kann euch helfen, zu fokussieren und sicherstellen, dass ihr das Richtige tut und zusammen das bestmögliche In Flames-Album macht." Wir mochten diesen Ansatz, wir mochten seine Produktionen. Dann sagte er: "Ich sitze in Los Angeles." Okay, L.A. – das ist ein Unterschied zu Berlin!
Wir vertrauten seiner Erfahrung und seinen Fähigkeiten und beschlossen, mal auf einen Produzenten zu hören. Wir hatten schon in der Vergangenheit mit Produzenten gearbeitet, aber nie einen wirklich reingelassen, da wir sehr beschützerisch sein können. In der Regel wurden die Produzenten deshalb zu Ingenieuren degradiert. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, aber sie haben eben auch mehr drauf. Jetzt beschlossen wir, auf Howard Benson zu hören. Wir hatten schon so viele Alben gemacht, da konnte man das auch mal ausprobieren. Und es war augenöffnend. Howard kann sehr direkt sein. "Nee, gefällt mir nicht. Das ist nicht In Flames. Was macht ihr da?" Aber es gibt immer einen Grund dafür. Er kann immer erklären, warum er das sagt. Er hat schon mit so vielen Künstlern gearbeitet, also hört man ihm zu, wenn er meint: "Ich weiß wie das endet. Ihr verschwendet eure Zeit." Er ist auch ein guter Filter. Wenn du zehn Ideen hast, aber keinen Platz, um alle unterzubringen, hilft er dir, das Wesentliche zu destillieren. Wenn du nicht weißt, wie es mit einem Riff weitergehen soll, hockst du dich mit ihm hin, sprichst darüber und er schlägt dir eine Richtung vor. Das half Anders und mir auch, uns gegenüber uns gegenseitig zu öffnen. Plötzlich ging es nicht mehr nur um Musik, Vocals und Lyrics, sondern darum, dass wir beide zusammenarbeiteten. Ich hatte zum ersten Mal die Möglichkeit, mit ihm zusammen an den Gesangsmelodien zu feilen, Chorus-Harmonien zu arbeiten und so weiter. Genauso mischte er sich bei mir ein, schlug Änderungen an Riffs vor oder Tempoanpassungen. Mehr denn je arbeiteten wir als Team.
Trotzdem kamen wir damals mit einem Haufen Riffs an, weil wir nicht mit leeren Händen dastehen wollten. Denn wäre die Arbeit mit Howard schief gegangen, hätten wir ja am Ende ohne Album dagestanden. Aber es hat funktioniert, wir gingen auf Tour. Nach der Tour waren wir sehr inspiriert und schauten, ob er wieder Zeit hätte, um die nächste Platte zu machen. Wirklich verändert hat sich dabei nur, dass wir diesmal unvorbereitet zu ihm kamen. Denn wir kannten das System, wir kannten das Setup, wir kannten den Studio-Ingenieur, mit dem Howard meistens arbeitet – Mike Plotnikoff. Sein Prozedere ist ziemlich effizient. An der Wand stehen 20 Amps, alle miteinander verbunden, dazu drei bereits mikrofonierte 4x12-Boxen. Du probierst kurz rum, ganz schnell. Also verbringst du sechs Stunden im Studio, sechs Stunden zuhause beim Songwriting. So konnten wir bis zur letzten Woche weiterschreiben. Für den Mix engagierten wir dann Chris Lord-Alge. Er und Howard kennen sich sehr gut, das war ein perfect match. Soweit zu den Unterschieden. Wir fühlten uns einfach sehr wohl, weshalb wir uns schon früh dazu entschieden hatten, es wieder so durchzuziehen.
Du hast mal erzählt, dass du früher Alben nur wegen eines bestimmten beteiligten Produzenten gekauft hast – Scott Burns zum Beispiel.
Absolut, Scott Burns! Die halbe Florida-Death Metal-Szene ging zu ihm. Sogar Sepultura gingen zu ihm. Es war ein Qualitätssiegel.
Hast du zu seinen Alben gegriffen, weil du auf seinen Instinkt vertrautest, gute Bands auszuwählen oder weil du der Meinung warst, dass er in der Lage war, Bands zu etwas Großartigen zu formen?
Ich mag einfach seinen Sound sehr, sehr gern. Und genau wie bei Howard ist das Coole an ihm, dass er nie die Bands verändert hat. Er hat sie nur dazu gebracht, so zu klingen, wie sie klingen sollten – meiner Meinung nach. Er fand das Beste in ihnen und stellte sicher, dass sie dem nachgingen. Denn all diese Bands klingen anders. Sepultura klingen nicht wie Morbid Angel oder Death. Das ist eine wirklich einzigartige Fähigkeit. So sahen wir Howard ebenfalls. Er kann alles produzieren – von Country zu Death Metal zu Motörhead zu In Flames. Alles klingt anders.
Sollten sich deiner Meinung nach mehr Metalbands öffnen und auf Produzentenmeinung vertrauen oder hältst du es an sich für eine gute Sache, dass viele sehr beschützerisch mit ihrem Material umgehen?
Naja, wir waren selbst lange sehr beschützerisch – und es hat für uns funktioniert. Vielleicht liegt es an meinem Alter oder daran, dass ich ein wenig Stolz und Egoismus abgelegt habe, aber für uns war es wie gesagt ein Augenöffner. Es ist eine neue Art zu schreiben und sehr kreativ. Du brauchst nicht auf irgendjemandes Einverständnis warten, du machst es einfach hier und jetzt. Für uns funktioniert das jetzt. Aber ich kann nicht für andere sprechen. Ich will niemandem vorschreiben, was er zu tun hat. Ich kann nur sagen: Versucht es! Wenn es nichts für euch ist, ist es eben nichts für euch. So einfach ist das. Das ist das Coole an Metal: Es gibt keine Regeln. Niemand kann dir irgendwas vorschreiben. Darum gehts bei der ganzen Attitüde. Deswegen hören wir auch nicht drauf, ob es den Leuten gefällt oder nicht. Es ist super, wenn ihr es mögt, denn dann sehen wir euch, wenn wir live spielen. Wenn ihr es nicht mögt, hört was anderes. Da draußen gibt es Millionen Bands. Wir machen, was wir machen möchten. Das ist die Quintessenz und deswegen will ich niemand anderem reinreden. Ich ermutige, zu probieren – und wenn es euch taugt, werdet ihr viel davon lernen. Aber wenn es euch nicht taugt, lernt ihr auch nichts davon.
"Meine Schwester hörte Depeche Mode – ich drehte Metallica lauter"
Da wir schon bei Geschmacksfragen sind: Seit "Reroute To Remain" verfolgen euch Stimmen, die sich an eurem Stilwandel stören...
Nee, das ging schon viel früher los, bei "Whoracle". Wenn ich es mir recht überlege sogar schon bei "The Jester Race". Verglichen mit "Lunar Strain" war "The Jester Race" schon sehr anders.
Also eigentlich schon immer.
Immer! Und es ist keineswegs so, dass das nicht passieren darf. Denn letztlich zeigt das, dass die Leute sich genug dafür interessieren, um sich eine Meinung zu bilden. Wenn jeder nur mit den Schultern zucken würde – das wäre hart! Wenn sie es nicht mögen, ist das fein. Der Grund, warum die Stimmen seit "Reroute To Remain" lauter wurden, ist, dass es vorher kein Social Media gab. Und teils verantwortlich ist wohl auch, dass wir von für "Reroute To Remain" Produzent und Studio gewechselt haben. Der Vorgänger "Clayman" ist ein klanglich sehr sauberes Hi-Fi-Album. "Reroute To Remain" ist garagiger, dreckiger, ein bisschen verzerrt. Ich verstehe, wenn man das nicht mag. Das ist nur die Produktion. Wir haben nicht unseren Stil zu schreiben geändert, wir hatten nur jemand anderen am Sound, der eben gemacht hat, was er für das Beste für die Band hielt. Viele Leute fanden, wir hatten uns total verändert, aber das haben wir nicht. Es waren dieselben Mitglieder, dasselbe Songwriting – nur ein anderes Studio.
All das knüpft auf gewisse Weise an das Konzept der "Maske" für das neue Album an. Fans haben eine gewisse Vorstellung davon, was ihr sein solltet. Wenn ihr diese Maske abnehmt oder modifiziert, gibts einen Aufschrei.
Ja, genau.
Und wie du schon sagtest: Social Media verstärkt das noch. Fühlst du dich manchmal dazu gezwungen, eine Maske zu tragen?
Nein, wenn es um Musik geht niemals. Ich muss die Songs ja live spielen. Wenn ich die Songs nicht mögen würde, sondern nur mache, was ein Kerl dort draußen mag ... ich meine: Es ist ja schon schwer genug, uns innerhalb der Band zu einigen! Bei der Musik geht es immer um Ehrlichkeit. Wir tun einige Dinge ohne zu denken, andere denken wir bis zum Ende durch – das besonders, wenn es um Arrangements und die Reihenfolge der Songs geht. Aber die Musik, die Melodien passieren einfach. So sollte es sein. Aber schau: Jetzt gerade sage ich dir auch nur, was ich dir sagen möchte.
Was ja eine Maske sein könnte.
Genau das meine ich – es ist eine. Ich trage eine. Wir alle tragen eine – und zwar meistens. Wir sind echt selten absolut offen und verletzlich. Ich bin mir sicher, dass die Leute eine Menge Zeug über mich überhaupt nicht interessieren würde. Warum sollte ich diese Seite zeigen? Das hätte keinen Sinn. Genauso bestehst du aus vielen Schichten – jetzt gerade sehe ich dich aber in erster Linie als Journalist, der Fragen zu unserem aktuellen Album, Besetzungswechseln und Tourplänen hat. Du musst diese Maske genauso tragen wie ich. Und wie gesagt: Ich glaube wir alle tragen die meiste Zeit über eine.
Ein weiteres Thema des Albums ist Umweltbewusstsein. Zumindest bei "(This Is Our) House"...
Wir sind keine religiöse Band, wir sind keine politische Band, wir sind keine umweltaktivistische Band. Aber wir kriegen natürlich mit, was um in der Welt passiert. Und wenn du als Mensch heutzutage auf diesem Planeten lebst, ist es eigentlich unmöglich zu übersehen, was los ist. Dafür müsstest du schon im Wald wohnen, ohne Radio und alles. Was wir tun ist ganz selbstverständlich eine Reaktion auf das, was um uns herum geschieht. Ich glaube, eine Menge Probleme könnten schon dadurch gelöst werden, wenn sich die Leute einfach nur zusammentun würden, um etwas zu lösen. Das trifft auf vieles zu – und die Umweltsache ist definitiv etwas, wofür sich die Menschen zusammenschließen müssen.
Als Band durch die ganze Welt zu fliegen, ist nicht gerade umweltfreundlich. Wie vereint ihr das?
Absolut richtig, darauf wäre ich gleich gekommen. Wir sind definitiv keine umweltfreundliche Band – denn dann wäre es logistisch für uns unmöglich zu tun, was wir tun. Aber wir haben eine Plattform. Wir können eine Botschaft verbreiten. Und falls wir eine Message haben, dann diese: Nehmt euch die Auszeit aus eurem Tag und seid beim Hören einfach entweder ihr selbst oder wenigstens irgendwas anderes – für die Stunde, die es eben dauert, die Platte zu hören, oder anderthalb Stunden, wenn ihr uns live seht. Denkt einfach nicht über all die Scheiße nach. So genieße ich Musik. Wenn ich einen Song höre, höre ich nicht darauf, wie die Hi-Hat klingt – es geht um das Ganze. Völlig egal ob gut oder schlecht – man kommt in eine bestimmte Stimmung und denkt eben nicht daran, später noch das Geschirr abspülen oder einen Tag lang Interviews geben zu müssen. Das einzige woran ich in dem Moment denke ist der Song. Er trägt mich fort. Wenn das möglich ist und wir daran teilhaben können, ist das fantastisch.
Lösen auch deine eigenen Songs bei dir so ein Gefühl aus oder achtest du dabei zu stark auf Details?
Naja, da hängen natürlich viele Erinnerungen dran, weswegen ich zuerst die Gitarre wahrnehme und mir Gedanken darüber mache. Bei eigenem Zeug ist das schwieriger. Was mich aber wegtragen kann, sind zum Beispiel tolle Erinnerungen daran, wie wir den Song bei einem bestimmten Festival gespielt haben – oder bei einer Clubshow total verhunzt haben. Aber mit etwas, mit dem du nicht so eng verbunden bist, funktioniert das besser.
Nenn doch mal ein Beispiel.
Ich bin sehr konservativ was das angeht. (lacht) Slayer höre ich zum Beispiel immer. Und viel Van Halen, Death, Malevolent Creation, Dream Theater, Deep Purple, Rainbow... Nach neuem Zeug suche ich nicht wirklich. Ich höre es ja sowieso dauernd unterwegs. Manches davon bleibt auch hängen. Ich liebe zum Beispiel Papa Roach. Tolle Band!
Sie haben gestern ihr neues Album veröffentlicht.
Gestern, echt? Ich habs noch nicht gehört. Wir konnten damals die erste Promo von "Infest" schon vor Veröffentlichung hören. Fuckin' blew me away! Damals hat in den USA niemand melodische Musik gespielt, alles war rhythmusorientiert, klobig, Hardcore-basiert. Sie waren anders – und sind es immer noch. Meiner Meinung nach eine der besten Livebands da draußen.
Ich würde gern noch kurz auf eine andere Band zu sprechen kommen: Depeche Mode. Anlässlich eures Covers von "It's No Good" habt ihr mit ihnen einen Facebook-Takeover organisiert. Wie kam das denn zustande? Kennt ihr sie?
Nee, wir sind einfach nur große Fans. Sie sind sehr beschützerisch, was ihre Musik angeht, und wenn du offiziell ein Cover aufnehmen willst, musst du sie direkt fragen. Das ist cool, denn so muss man in Kontakt mit ihnen stehen. Besonders Anders ist riesiger Fan. Meine ältere Schwester hörte früher auch dauernd Depeche Mode – ich hab’ dann immer meine Metallica-Scheiben lauter gedreht. (lacht) Ein paar Songs mochte ich aber schon immer. Als ich das erste Mal "Ultra" und damit "It's No Good" gehört habe, dachte ich mir: "Das ist so heavy! Es gibt zwar keine Gitarren, aber ich kann sie quasi schon hören." Es hat mich schon lange gejuckt, ein Cover davon zu basteln – wenigstens das Riff.
Dann spielten wir mal irgendwann ein Festival in Japan und sollten eine Woche später in den USA touren. Wir wollten dazwischen nicht zurück nach Schweden fliegen, um den Jetlag zu umgehen. Also flogen wir direkt in die Staaten und hatten eine Woche frei in L.A. Howard Benson sitzt in L.A. Wir schauten einfach, ob wir was zustande bekämen. Wir nahmen das Cover auf und weil es so Spaß machte noch zwei weitere. Das sind Songs, die wir echt mögen. Alice In Chains ist eine von Anders' Lieblingsbands, ich mag sie auch sehr und besonders das Album, auf dem "Down In A Hole" steht, ist verdammt gut. Das war eine Herausforderung und es kam etwas komplett anderes dabei heraus. Und dann noch Chris Isaak. Wer bitte mag Chris Isaak nicht? (lacht) Ein guter Song ist nun mal ein guter Song, haha. Obendrauf kam noch unsere Liveversion von "Hurt" – eine Mischung aus Nine Inch Nails' Original und Johnny Cashs Version. Das machte uns auf der damaligen Tour einfach Spaß und kam sehr spontan. Plötzlich hatten wir vier Songs. Jemand meinte dann: "Lasst uns das veröffentlichen." Okay, dann machten wir das eben (herausgekommen ist die EP "Down, Wicked & No Good"; Anm. d. Red.).
Ich danke für das Gespräch.
War mir eine Freude. Trink dein Bier aus.
1 Kommentar mit einer Antwort
tolles interview!!
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.