10. November 2016

"Metallica haben ihr Prinzip, wir haben unseres"

Interview geführt von

Mehr als eine Dekade ist vergangenen, seit In Flames dem melodischen Death Metal Lebewohl sagten. Am 11. November erscheint mit "Battles" das mittlerweile 12. Studioalbum – eine Platte, die zunehmend Abstand von traditionellen Metal-Mustern nimmt und die Kluft zwischen alten und neuen Fangenerationen abermals vergrößern dürfte.

Warum die Schweden nichts auf polierten Sound geben, man ihre Promotexte nicht allzu ernst nehmen sollte und was In Flames von Metallica unterscheidet, verrieten uns Sänger Anders Fridén und Gitarrist Björn Gelotte im Interview.

Euer neues Studioalbum heißt "Battles". Welche Kämpfe hattet ihr in letzter Zeit selbst auszutragen?

Anders: Ich hatte heute Morgen einen. Soll ich jetzt pünktlich vor dem ersten Interview aufstehen oder noch etwas länger im Bett liegen bleiben? Ich bin noch etwas liegen geblieben, war dann aber doch gerade noch pünktlich.

Björn: Sei froh, dass es nur das war, haha! Es gibt natürlich immer Kämpfe, so viele Entscheidungen, die man treffen muss. Von so kleinen Dingen wie frühem Aufstehen bis hin zu den großen philosophischen oder ethischen Fragen. Solche Kämpfe müssen wir alle austragen.

Und von welcher Art Kämpfen handelt das Album?

Anders: Das übergeordnete Thema sind nun einmal diese inneren Kämpfe, die wir alle haben. Es geht darum, die Vergangenheit zu reflektieren, um in Zukunft richtige Entscheidungen treffen zu können. Sonst verpasst du im Leben ziemlich viel. Es sind solche Dinge, groß oder klein, mit denen wir uns beschäftigen. Und ich denke, unsere Fans können das nachempfinden. Wir schreiben ja keine festen Storys, die sich um eine Person drehen, sondern verarbeiten persönliche Dinge eher auf höheren Ebenen. Unsicherheit, Hass, das Bekämpfen der inneren Dämonen – darum geht es auf "Battles".

Die Promotexte zum Album versprechen "erprobten, klassischen Sound mit neuen Herangehensweisen". Wie kann man sich das vorstellen?

Björn: Eigentlich ist die Herangehensweise bei jeder Platte gleich, ich weiß also nicht, ob man das wirklich so sagen kann.

Anders: Dir ist schon klar, dass diese Texte nicht von der Band geschrieben werden, ja?

Klar, aber euer Label wird sich ja etwas dabei gedacht haben.

Björn: Wie gesagt, eigentlich läuft es immer gleich. Es beginnt mit ein paar groben Melodien und Riffs. Neu war vielleicht, dass wir schon in der Demophase an den Vocals gearbeitet haben. Früher haben wir das erst gemacht, als die Musik schon fertig aufgenommen war.

Anders: Wir waren auf jeden Fall wesentlich offener untereinander. Wir waren schon vor den Recordings in Los Angeles, Niclas (Engelin, Gitarre) kam dann irgendwann nach, als schon viele Ideen standen. Wir beide haben natürlich unsere musikalische Mitte, genau das definiert ja In Flames. Am Ende ist es einfach In Flames, ob neu, alt, gut oder schlecht, das ist nicht unsere Angelegenheit.

Trotzdem verspricht der Promotext, dass ihr mit der Platte sowohl alte als auch neue In Flames-Fans zufriedenstellen werdet.

Björn: Oh, ich hoffe, das tun wir immer. Aber wir sind nicht hier, um irgendjemanden zufriedenzustellen. Wir versuchen einfach nur das abzuliefern, was wir gerade am besten können. Unsere Entscheidung. Alles andere ist nicht unser Problem. Wir sind es, die die Songs am Ende live spielen, darum müssen sie uns und nur uns gefallen.

Anders: Wir denken überhaupt nicht in diesen "Alt"- und "Neu"-Kategorien. Wir merken natürlich, dass wir älter werden und ich weiß auch, dass meine Organe nicht jünger werden. Aber hey, wir wollten einfach nur ein neues In Flames-Album schreiben. Wenn ich das so entscheiden könnte, würde ich dafür sorgen, dass dieses Album jedem gefällt, egal ob alt oder jung oder sonst etwas.

Eure aktuelle Live-Platte heißt wiederum "Sounds From The Heart Of Gothenburg". Spielt der Titel auf eure Wurzeln im klassisch schwedischen Melodic Death Metal an?

Anders: Ähm, wir kommen aus Göteborg.

Björn: Ich lebe dort, Anders kommt von dort. Und da wurde das Album eben aufgenommen, im Herzen Göteborgs. Wir haben dort mittlerweile in jeder Location gespielt, aber das Scandinavium ist für uns die allerwichtigste. Dort haben wir früher selbst alle großen Bands gesehen. Die Gelegenheit wollten wir einfach nutzen.

Also hat es nichts mit dem sogenannten "Gothenburg Death Metal" zu tun?

Anders: Nein. Es ist relativ simpel. Wir machen "Sounds" und kommen aus Göteborg.

Der größte stilistische Umbruch in eurer musikalischen Ausrichtung ist ja nun auch schon 14 Jahre her. Wie nervig ist es denn eigentlich, immer wieder dieselben derartigen Fragen zu beantworten?

Björn: Ein stilistischer Umbruch? Den einzigen wirklichen Umbruch, den ich erkennen kann, gab es, als Anders und ich 1995 einstiegen – der Moment, in dem In Flames zu einer wirklichen Band wurde. Vorher war es für Jesper (Strömblad, Gitarrist und Bandgründer) eher ein Nebenprojekt, dann wurde es zu einer fixen Sache mit Tourneen und ausgefeilterem Songwriting etc. Alles andere waren eher kleinere Schritte, anderer Produzent, anderes Studio, anderer Sound.

Anders: Ich kann das auch nicht nachvollziehen. Du bist natürlich nicht der erste, der das fragt. Aber es ist ja nicht so, dass wir uns von einer Metal-Band in eine Rap-Rock-Band verwandelt hätten. Es ist ein sehr natürlicher Flow, die Attitüde bleibt dieselbe.

"Eine verzerrte Gitarre hat für mich nichts mit poliertem Sound zu tun."

Okay, anderes Thema. Björn, das ist jetzt das dritte Studioalbum mit dir als alleinigem Komponisten.

(Anders stöhnt hörbar auf, räuspert sich.)

Björn (zu Anders): Ja, ich sage da gleich etwas zu. Was ist deine Frage?

Ich wollte eigentlich nur fragen, wann du nach Jespers Ausstieg das Gefühl hattest, richtig in dieser Rolle angekommen zu sein.

Björn: Schon seitdem ich noch mit Jesper zusammen geschrieben habe. Genau wie Anders bin ich ja schon länger fester Bestandteil des Songwritings. Es gab also keine große Änderung. Ich war mir nicht sicher, wie bereit ich dafür war, als wir "Sounds Of A Playground Fading" aufnahmen. Ich hatte alle Ideen mit ins Studio gebracht, alle waren da und ich haben ihnen meine Vorschläge präsentiert. Ich habe von den anderen eine Menge Support bekommen und insofern sind ja doch immer alle beteiligt.

Anders: Ich finde es interessant, dass du behauptest, der Gitarrist sei automatisch der einzige Komponist. Das klingt vielleicht bitter, aber es gibt so viel mehr als ein einzelnes Gitarrenriff, was einen Song ausmacht. Es geht ja darum, wie es mit der anderen Gitarre und dem Bass und dem Drums und den Keyboards und dem Gesang zusammen funktioniert. Wir sind keine Instrumentalband, es gibt auch noch andere Melodien. Und das Schöne an diesem Album jetzt ist, dass eben alles eins ist und dass sich Gitarren und Gesang nicht einfach nur überlagern. Wir machen alles zusammen. Björn inspiriert mich, gibt mir das Feeling für einen Sound – das ist auch Teil des Komponierens. Songwriting ist so viel mehr.

Nichts für ungut, aber ich kann mich ja nur auf das beziehen, was ich lese. Und zu einem eurer letzten Alben hieß es eben "All music by Björn Gelotte. All lyrics by Anders Fridén."

Anders: Gut, ja, ich spiele eben auch nicht Gitarre. Aber wenn du mich aus dem Songwriting-Prozess ausschließen würdest, klänge die Band anders.

Björn: Das gilt für die anderen Jungs genauso.

Ich meinte einfach nur die Situation nach Jespers Ausstieg. Björn, du standest ja damals – in Bezug auf Gitarren – ohne Partner da. Und du hast dich auch dagegen ausgesprochen, Niclas als damaligen Newbie direkt mit einzubeziehen.

Björn: Ich denke einfach, dass es eine Weile gebraucht hat, bis Niclas gänzlich verstanden hat, was wir tun wollten. Viele Sachen waren schon fertig geschrieben und Niclas hat beim Schreiben einen ganz anderen Ansatz. Ich glaube, das war nicht gleich kompatibel. Aber inzwischen hat sich vieles verändert, wir haben so viele Tourneen miteinander gespielt, so viele Tage miteinander verbracht. Jetzt auf den letzten beiden Platten fühlt es sich wesentlich natürlicher an. Aber Niclas macht keine Arrangements, das sind nur wir beide. Wir schützen das alles schon sehr, aber es fühlt sich richtig an. Und damit waren die anderen bisher immer ziemlich einverstanden. Vielleicht war es egoistisch, damals alleine zu recorden, aber es war absolut notwendig.

Anders: Björn hat das wirklich gebraucht in dem Moment. Und ich hoffe, ich konnte ihm dabei helfen.

Björn: Absolut, klar!

Nun gab es aber ja seit "A Sense Of Purpose" von Album zu Album immer mindestens einen Besetzungswechsel. Bringt das auch immer neue Impulse oder seid ihr froh, jetzt erst mal wieder ein festes Fundament zu haben?

Björn: Immer. Aber ich glaube, das hat vor allem Einfluss auf die Live-Shows, denn der eigentliche Kern bleibt immer gleich. Aber auf Tour kommt es natürlich immer auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten an. Niclas ist ein ganz anderer Typ als Jesper – und Joe (Rickard, neuer Drummer) ein anderer als Daniel (Svensson, Ex-Drummer).

Wenn ihr ein neues Album aufnehmt, wie wichtig ist euch ein aufgeräumter beziehungsweise glatter Sound?

Björn: Glatt? Hahaha, In Flames – die glatte Band!

Keines eurer frühen Alben hatte irgendwie einen besonders dreckigen oder grungigen Sound.

Björn: Richtig, wir wollten niemals dreckig klingen. Oder Anders, wolltest du jemals wie Entombed klingen?

Anders: Nee.

Björn: Also Entombed sind super, keine Frage.

Anders: Es kann schon so sein, dass ich so etwas irgendwann einmal wollte. Als wir "Come Clarity" gemacht haben, habe ich viel Refused und so gehört. Aber auch hier geht's wieder um unterschiedliche Produzenten und unterschiedliche Studios, deren Vibe du irgendwie aufnimmst. Aber am Ende soll es auf jeden Fall immer so gut klingen wie möglich. Guck dir zum Beispiel an, was Rick Rubin macht. Es ist vielleicht nicht immer glatt, aber auf seine Art ziemlich perfekt. Und so ist es bei anderen eben auch.

Und, hättet ihr Lust mit Rick Rubin zu arbeiten?

Anders: Klar!

Björn: Sicher, da gibt es viele.

Anders: Wir sind auch jetzt vor dem Album wieder einige mögliche Produzenten durchgegangen, aber am Ende erschien uns Howard Benson einfach als der richtige Mann dafür.

Meiner Meinung nach klingt "Battles" aber auch ziemlich poliert. Klar, Synthesizer sind schon seit langem Teil eurer Musik, aber ich meine auch den Kinderchor und den einen oder anderen Gesangseffekt.

Anders: Das sind keine Kinder. Das sind 25-jährige Mädchen.

Okay. Ihr sagt, ihr macht, was euch gefällt. Trotzdem nehme ich an, dass das Klangbild auch maßgeblich von eurem Produzenten mitgestaltet wurde?

Björn: Klar. In der Vergangenheit haben wir uns unseren Produzenten gegenüber nicht immer so geöffnet, aber Howard hat wirklich verstanden, was wir hier tun. Und so haben wir relativ schnell verstanden, dass er nicht versucht, unseren Stil zu ändern, sondern nur sicherstellt, dass wir unseren Fokus bei der Arbeit nicht verlieren.

Anders: Er hat mich mehrfach gefragt, was ich an welcher Stelle mit meinen Texten ausdrücken wolle – aber er hat dabei nicht versucht, sie zu ändern.

Björn: Er ist wirklich ziemlich old-school und pfeift auf den ganzen Digitalkram. Hier ist die Box, hier ist das Mikro und so wird das aufgenommen. Wenn es jetzt poliert klingt, dann nur, weil er verdammt gut in dem ist, was er tut.

Anders: Ich weiß sowieso gar nicht, was polierte Musik sein soll. Die Gitarren stehen wieder wesentlich mehr im Vordergrund als auf "Siren Charms". Und ganz ehrlich, meiner Meinung nach hat eine verzerrte Gitarre nichts mit poliertem Sound zu tun. Ja, richtig, gelegentlich singen da auch 25-jährige Jungs und Mädels im Hintergrund. Das ist einfach eine weitere Dimension. Howard hat da echt etwas geleistet. Es macht ordentlich Krach und es ist verdammt noch mal nicht poliert. Wir wollten nie eine Garage-Band sein.

"Wir gehen nicht mit verschlossenen Augen durch die Welt."

Letztes Jahr haben In Flames ihr 25-jähriges Jubiläum gefeiert. Ihr selbst seid beide seit 21 Jahren im Geschäft. Was könnte euch je dazu verleiten, die Karriere an den Nagel zu hängen? Wollt ihr mit 50 oder 60 immer noch auf der Bühne stehen?

Anders: Wenn ich keine Lust mehr habe, höre ich auf. Aber im Moment habe ich Bock.

Björn: Wenn es weiterhin so viel Spaß macht, auf jeden Fall. Auch wenn ich vielleicht nicht auf der Bühne sterben werde.

Anders: Nach den Recordings habe ich Björn in die Augen gesehen und gesagt: "Was ein geiler Scheiß!" Die Fans sind uns treu und solange auch noch andere Leute daran Spaß haben – yeah!

In "Wallflower" singst du "The older I get, the younger i feel. The younger I feel, the older I seem". Bezieht sich das etwa darauf?

Anders: Du musst die Zeile auch zu Ende lesen. Du kannst halt nicht als alter Typ rumlaufen und auf jung machen. Aber ich bin, wie ich bin und fühle, wie ich fühle.

Ihr tourt viel. Alle zwei bis drei Jahre erscheint ein neues Album. Ist das manchmal auch ein Mittel zum Zweck, um überhaupt touren zu können? Wenn man jetzt mal als anderes Extrem Metallica nimmt: Die haben acht Jahre nichts rausgebracht und waren trotzdem immer wieder auf Tour.

Björn: Wir lieben es zu touren. Wir sind Tour-Musiker. Und ich habe dann irgendwann immer wieder das Gefühl, dass ich endlich mal wieder etwas Neues spielen mag. Aber wenn nur zwei Jahre zwischen den Alben liegen, dann meistens, weil wir eben nicht so viel auf Tour waren. Vielleicht werden es jetzt wieder drei oder dreieinhalb Jahre.

Anders: Wir könnten natürlich immer weiter touren und immer wieder dasselbe spielen. Aber ich bin da einfach zu eifrig, habe zu große Lust, wieder etwas Frisches zu machen. Darum war der "Siren Charms"-Tourzirkel auch vergleichsweise kurz. Metallica haben ihr Prinzip, wir haben unseres.

Ich war vor wenigen Monaten in eurer Heimat Schweden und von diesem sozialen Staat sehr angetan. Hier in Deutschland werden die Nachrichten von Begriffen wie Flüchtlingskrise und Rechtsradikalismus dominiert. Wenn ihr durch die halbe Welt tourt – bekommt ihr überhaupt mit, was in den jeweiligen Ländern politisch los ist und was die Leute bewegt?

Anders: Wir gehen ja nicht mit verschlossenen Augen durch die Welt.

Björn: Es ist ja nicht nur ein kurzes Meeting vor der Bühne, das da stattfindet. Wir treffen auch gerne auf unsere Fans und haben mittlerweile Freunde auf der ganzen Welt. Da gibt es natürlich erst mal andere Gesprächsthemen als die aktuelle politische Situation, aber es geht jetzt auch nicht nur um Heavy Metal und Bier. Also klar, wir kriegen da schon einiges mit. Je mehr du reist, desto mehr schätzt du, was du hast und wo du herkommst.

Anders: Menschen, die weniger reisen, sind Fremdem gegenüber oft schneller feindlich eingestellt. Du erwähnst rechtsextreme Bewegungen, aber das sieht man ja nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, auf der ganzen Welt. Das ist heute auf jeden Fall krasser als noch vor zehn Jahren. Die Leute sollten aufhören, sich immer weiter zu verbarrikadieren. Wir sollten keine Grenzen schließen, sondern einfach alle einmal glücklich sein.

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