16. August 2010

"Wer beleidigt ist, soll sich ficken!"

Interview geführt von

Plan B alias Ben Drew ist der neuste Export-Schlager der britischen Musiklandschaft. Mit "The Defamation Of Strickland Banks" hat der als Rüpelrapper verschriene Londoner eine atemberaubende Soulplatte aufgenommen, die ihm so wohl keiner zugetraut hätte.Kritiker aller Welt zeigen sich begeistert, Kleingeister jeglicher Couleur stoßen an ihre Grenzen: "Wie kann der böse Mann aus dem sozialen Wohnungsbau eine solche Platte aufnehmen?", fragen die einen. "Wieso macht dieser Vogel jetzt keinen Hip Hop mehr, sondern verdammten Soul?", grübeln die anderen.

Im Interview mit laut.de bezieht Plan B Stellung. Kurz vor seinem Auftritt in Leipzig im Rahmen einer "Secret MySpace Show" haben wir ihn an die Strippe gekriegt. Und der selbst ernannte Tarantino des Pops hat viel zu erzählen.

Ben, du erlebst gerade einen atemberaubenden Hype um dich und dein Album. Vor ein paar Jahren warst du noch der böse Rapper, der hässliche Wörter sagt.

Ich war niemals ein böser Rapper, ich war schon immer ein guter Rapper. Ich war eine Person mit guten Absichten, die etwas sagen wollte, was sich sonst noch niemand getraut hatte. Und ich musste das in einer unorthodoxen Art sagen, verstehst du?

Ja, aber beispielsweise für Leute wie David Cameron warst du der Inbegriff des bösen Rappers.

Es gibt viele verschiedene Arten von Menschen auf dieser Welt, David Cameron ist eine und ich bin eine völlig andere. David Cameron würde mein erstes Album tatsächlich als böse, als gewaltverherrlichend bezeichnen. Ich würde es als das komplette Gegenteil beschreiben. Die Musik, die ich machte, war eigentlich ziemlich positiv. Es wurde viel geflucht und drehte sich um sehr negative Dinge, die ans Licht kommen sollten. Aber die ganze Ethik, die hinter der Musik stand und der Grund, wieso ich sie geschrieben habe, war positiv. Es war der Versuch, die Einstellung jener Kids zu verändern, die sich in dieser negativen Art und Weise verhalten. Leute wie David Cameron sehen eben nur das gewaltverherrlichende, weil sie es einfach nicht verstehen.

Alles, was ich gemacht habe, ist, dass ich statt Rap jetzt Soul mache. Ich bin deshalb nicht von einer bösen Person zu einer guten Person geworden. Ich bin noch immer die selbe Person, die ich vorher war.

Ist das Kapitel Hip Hop jetzt für dich geschlossen?

Nein, gar nicht. Danach ist das Kapitel Soul geschlossen. Ich mache jetzt dieses eine Soulalbum und dann gehe ich zurück zu Hip Hop. Dann mache ich meine Filme und danach könnte ich mich entschließen, Dubstep oder Reggae oder Folk oder was weiß ich zu machen. Es kommt drauf an, was mein Gefühl sagt. Ich weiß, dass ich in der Lage bin, jeden Musikstil zu machen, den ich möchte. Es ist nicht relevant, welche Art von Musik ich mache, es ist wichtig für mich als Künstler, dass ich meine Geschichten erzählen kann. Quentin Tarantino ist eine Genre-Filmemacher. So bin ich auch, nur dass ich es mit Musik mache.

Aber wieso war ausgerechnet Soul der richtige Stil, um die Geschichte von Strickland Banks zu erzählen?

Wieso nicht? Ich hab irgendwann mal angefangen, R'n'B-Songs zu schreiben und zu singen, bevor ich anfing, zu rappen. Deswegen habe ich ja auch entschieden, mich selbst Plan B zu nennen, weil ich einen Weg verfolgt habe und irgendwann entschieden habe, diesen zu wechseln. Es war eine Abweichung von ursprünglichen Plan.

Aber als eine kreative Person höre ich niemals auf, kreativ zu sein. Ich bin immer inspiriert von vielen verschiedenen Musikstilen. Und wenn ich irgendetwas Originelles in meinem Kopf höre, nehme ich es auf. Es spielt keine Rolle, welches Genre ich damit bediene. Ich hab das ja schon gezeigt mit dem Zeug, das ich mit Chase & Status gemacht habe, was eigentlich Drum'n'Bass war. Ich bin ein Songwriter. Und ich bin in der Lage, in vielen verschiedenen Stilen zu schreiben. Momentan ist der Soul eben prominenter. Es war einfach so, dass ich sehr viel mehr Soulsachen geschrieben habe als irgendetwas anderes. Es hat sich einfach richtig und passend angefühlt. Wenn ich diese ganzen Songs ignoriert hätte, hätte ich mich selbst verraten. Diese Musik kam von tief in mir, wenn ich so getan hätte, als wäre sie nicht da, wäre ich feige gewesen.

Wie kannst du dann so sicher sein, dass da nicht noch mehr Soul ist? Wieso legst du es so strikt zur Seite?

Wenn ich für den Rest meines Lebens Soulsänger sein wollte, könnte ich das tun und ich bin sicher, dass ich damit auch erfolgreich wäre. Aber ich glaube, dass mich das langweilen würde. Ich fühle mich schnell gelangweilt, ich brauche Abwechslung. Für mich war es ohnehin weniger die Musikrichtung als solche, die mich gereizt hat, sondern vielmehr das Konzept, das dahinter steht. Ich wollte, dass mein zweites Album eine große Geschichte wird, um die du einen Film drehen kannst. Ich hatte den Plot noch nicht, ich hatte das Konzept, wusste aber nicht, was die Handlung dazu sein sollte. Alles, was ich hatte, waren ein paar Soulsongs, unter anderem "Love Goes Down" und "I Know A Song". Ich dachte einfach, es wäre eine Schande, wenn sie niemand hören würde. Denn die öffentliche Meinung von mir war eben, dass ich dieser Rapper mit dem dreckigen Mundwerk sei, der gerne flucht. Das ist aber nur die öffentliche Wahrnehmung, das bin nicht ich. Ich werde zu großen Teilen missverstanden. Also versuche ich, verstanden zu werden und zu zeigen, wozu ich wirklich fähig bin. Ich entschied, eine Geschichte über einen Soulsänger zu erzählen. Das erlaubte mir einerseits, die Soulsongs einzubringen und andererseits dieses Konzeptalbum aufzunehmen, das ich machen wollte.

Für mich war es weniger wichtig, Soul für dieses Album zu machen, wichtig war, dass ich zeigen konnte, dass ich ein Konzeptalbum machen kann, das erfolgreich ist. Viele Leute versuchen, ein Konzeptalbum zu machen und kriegen dann einen Schock. Ich habe nicht das Gefühl, dass irgendjemand das schon einmal endgültig geschafft hat. Bei mir ist es dasselbe. Das ist jetzt ein guter Start, aber da kommt noch ein zweites Strickland Banks-Album, wieder mit Konzept. Es wird ein Hip Hop-Album sein. Ich finde, Hip Hop ist das beste Vehikel, um dieses Filmkonzept umzusetzen, über das ich schon lange nachdenke. Dieses Album schrieb ich zur gleichen Zeit, in der ich Soul machte. Allerdings ist es nicht möglich, zwei Album zur gleichen Zeit zu verkaufen, also entschieden wir, das Soulalbum als erstes zu verkaufen. Das Hip Hop-Album wird "The Ballad Of Belmarsh" heißen und rauskommen, wenn dieses Projekt jetzt vorbei ist. Eigentlich wollte ich es zusammen mit der Soulplatte veröffentlichen. Deshalb hatte ich auch nie das Gefühl, irgendetwas falsch zu machen, als ich Soul schrieb. Ich habe Hip Hop nicht den Rücken gekehrt, immer noch nicht.

Stimmt es denn, dass sich manche Fans beleidigt fühlen, weil du jetzt Soul statt Hip Hop machst?

Ich mag keine Puristen. Puristen langweilen mich, ich mag keine Leute, die die Welt in der Zeit einfrieren wollen. Ich bin ein menschliches Wesen und verändere mich unaufhörlich. Ich wachse und werde in meinem Bewusstsein stärker. Ich war schon als Kind sehr offen für Musik und mochte die unterschiedlichsten Genres. Ich sehe nicht ein, wieso ich in einem Stil gefangen sein soll. Wenn sich irgendjemand davon angegriffen der beleidigt fühlt, wie ich mich als Künstler ausdrücke, soll er sich mal besser selbst ficken.

"Mein Hip Hop passt nicht zu Major Labels"

Zurück zu deinem Album: Ich finde, dass es manchmal ziemlich schwer ist, zu erkennen, worum es bei dem Album wirklich geht, wenn man nicht genau auf die Texte achtet. Das Musikalische bildet teilweise nicht wirklich das Thema des Songs ab ...

Das Problem ist, dass dieses Album der Soundtrack zu einem Film ist. Das Hip Hop-Album erzählt die eigentliche Geschichte. Beim Hip Hop-Album erzähle ich, Plan B, die Geschichte von Strickland Banks, indem ich darüber rappe. Die Soulplatte erzählt die Sache durch Strickland Banks' Augen. Es ist eher der Soundtrack zu einem Musical. Und ein Musical musst du in einem Theater oder im Kino oder wo auch immer sehen, damit die Songs auch wirklich Sinn ergeben. Die Lieder als solche werden niemals in der Lage sein, das zu erfüllen. Wie gesagt, dieses Projekt ist noch nicht beendet. Aber es ist unvollständig, bis das Hip Hop-Album und der Film herausgekommen sind. Wenn diese beiden wichtigen Teile des Projektes fertig sind, wird die Geschichte deutlich mehr Sinn ergeben.

Wann dürfen wir die beiden Teile erwarten?

Das Soul-Abum kam ja erst jetzt in Deutschland raus. Je nachdem, wie lange wir rund um die Welt erfolgreich sind, desto länger wird es dauern, bis "The Ballad Of Belmarsh" und der Film kommen. Ich hoffe, ich kann den Film um den Mai nächstes Jahr drehen. Es sollte keine so große Arbeit sein, denn die Videos werden Teile des Films sein. Im Prinzip haben wir also schon angefangen, den Film zu drehen, zumindest die Musicalsequenzen.

Ich habe gehört, dass dein Label das Hip Hop-Album gar nicht rausbringen will.

Man muss da unterscheiden zwischen den Labels in UK und meinetwegen Frankreich, Deutschland oder Amerika. Warner in Deutschland unterstützt mich bei diesem Projekt sehr. Aber als ich in Großbritannien angefangen habe, hat Atlantic gerade 679 Records übernommen und hat 80 Prozent des Rosters fallenlassen. Ich war einer der wenigen Künstler, die sie behalten haben. Als ich also angefangen habe, mit dem Label über dieses Album zu verhandeln, war das noch direkt mit 679. Eine Sache, die bei der Übernahme aufkam war eben, nicht beide Platten gleichzeitig zu veröffentlichen. Zunächst war ich deshalb wirklich beleidigt, weil ich das Gefühl hatte, dass sie sich für mein Hip Hop-Zeug gar nicht interessieren. Aber dann sah ich ein, dass die Art und Weise des Hip Hop, die ich mache, nicht zu einem Majorlabel passt, weil sie damit kein Geld machen können. Du kannst es nicht im Radio spielen, weil es zu explizit ist, zu viele Flüche. Außerdem sind die Songs immer mindestens vier Minuten lang und haben nicht genügend Hooks. Ich kann es also irgendwo nachvollziehen.

Wir kamen zum Kompromiss: Wenn sie das Soulalbum veröffentlichen, bekomme ich die kompletten Rechte für das Hip Hop-Album, um es selbst auf einem Independent Label zu veröffentlichen. Im Laufe der Promo sprang 679 weitgehend ab und ich arbeite jetzt sehr eng mit Atlantic zusammen. Womöglich überlegen sie es sich nach dem derzeitigen Erfolg nochmal, ob sie das Hip Hop-Album nicht doch veröffentlichen wollen. Aber wie auch immer, mir ist das egal. Dieses Album wird veröffentlicht. Mir ist es egal, ob es auf einem Indie-Label oder auf Atlantic kommt.

"Es ist mir scheißegal, ob jemand meine Musik runterlädt"

Mit dem jetzigen Album dürften sie ja schon ziemlich viel Geld verdient haben.

Tatsächlich habe ich einen solchen Oldschool-Vertrag, der dem Künstler eigentlich nicht viel Geld bringt. Insbesondere, wenn du so teure Videoclips drehst. Der Künstler ist im Prinzip nur dazu da, dem Label das vorgestreckte Geld zurückzuzahlen. Aber so ist es eben. Ich habe meine Liveshows und meinen Merchandise, damit kann ich Geld verdienen.

Worum ich mich wirklich schere und der Grund, wieso ich das überhaupt mache ist, um mich selbst als Künstler ausdrücken zu können und meine Geschichte, meine Kunst zu verbreiten. Geld ist etwas, das vielleicht kommt, während du das tust. Geld und Ruhm interessieren mich eigentlich nur so weit, wie sie meine Kunst zu einem breiteren Publikum bringen. Ich versuche Geld und Ruhm zu nutzen, um meine Arbeit zu pushen. Der ganze andere Bullshit, der damit einhergeht, interessiert mich gar nicht. Klar, ich gehe zu VIP-Parties, amüsiere mich und rede mit irgendwelchen Berühmtheiten. Aber deswegen mache ich das nicht.

Ob irgendwelche Kids deine Platten runterladen ist dir also völlig egal?

Das passiert doch so oder so. Ich glaube, wenn du einen Künstler magst, wenn du ihn wirklich magst, kaufst du dir doch trotzdem die CD. Wenn die Kids meine Album runterladen, was interessiert mich das? Ich verdiene damit doch ohnehin kein Geld. Wenn sie es runterladen und mögen, geben sie Geld für meine Konzerte aus. Und damit verdiene ich Geld. Es ist mir eigentlich scheißegal, ob und wer meine Musik runterlädt.

Heute Abend spielst du in Leipzig die so genannte "Secret MySpace Show" vor 250 Menschen. Was erwartest du von diesem und auch den folgenden Konzerten?

Ich genieße das natürlich, dass viele Leute auf meine Shows kommen und meine Musik mögen. Besonders in einem fremden Land, in dem sie eine andere Sprache sprechen. Ich habe das Gefühl, dass ich so langsam eine Grenze überschreite. Ich darf mich nicht länger selbst als eine "normale" Person verstehen. Die Leute lassen mich nicht, selbst wenn ich das wollte. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Du kannst ein Arschloch sein oder versuchen, so normal wie möglich zu bleiben. Das kommt wohl auf die Umstände an.

Erkennen dich die Leute auf der Straße?

In England ja, in Deutschland nicht. Aber manchmal hilft das. Ich drehe meinen eigenen Film im September, "Illmanic". Wir haben ein ziemlich kleines Budget und müssen aufs Geld achten. Und manchmal helfen dir Leute eben aus oder tun dir Gefallen, weil sie dich kennen. Das ist schon eine gute Sache. Aber manchmal triffst du eben Leute, die richtige Arschlöcher sind. So ist das Leben ohnehin, aber wenn du ein wenig bekannter wirst, steigert sich das noch mal. Ich lerne deutlich mehr Arschlöcher kennen. Aber besser so, als ignoriert zu werden. Oder erkannt zu werden, sich aber nicht darum zu scheren, weil sie meine Musik scheiße finden.

Aber wieso soll man sich beschweren, hin und wieder ein paar Arschlöcher zu treffen? Ich bin sicher, dass dir das auch passiert. Wenn du Abends in irgendwelchen Bars unterwegs bist, lernst du sicherlich ein paar nette Personen und ein paar Arschlöcher kennen. Und wenn du eben berühmter wirst, siehst du so viele neue Gesichter jeden Tag. Du bist quasi gezwungen, ein paar Arschlöcher mehr kennenzulernen. Manche Künstler werden da etwas empfindlich, geben niemandem mehr Autogramme oder lassen sich nicht fotografieren. Ich verstehe das auch. Vielleicht wird es eines Tages zu verrückt, so dass ich mir eine Security anschaffen muss. Noch habe ich keine und so soll es auch so lange wie möglich bleiben.

Ich hoffe für dich, dass das so bleibt. Letzte Frage: Wann wirst du in Deutschland auf Tour sein?

Wir machen eine Europatour im November, da werden wir auch wieder in Deutschland sein. (Ruft seinen Promoter lautstark rüber) Wir geben fünf Konzerte in Berlin, Köln, München, und vielleicht Leipzig. Wir sind gerade nicht sicher, aber die ersten drei Gigs auf jeden Fall und dazu noch zwei weitere.

Alles klar, dann hoffe ich, dass ich es zu einem der Konzerte schaffe. Vielen Dank für das Interview.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Plan B

Aufgewachsen im Londoner Problemviertel Forrest Gate, prügelnde Stiefväter, Alkoholismus, Drogenvergangenheit. Das ist der Stoff, aus dem Plattenfirmen …

Noch keine Kommentare