2. November 2016

"Ich war ein mentales Wrack"

Interview geführt von

Vier Jahre nach seinem X Factor-Triumph meldet sich James Arthur mit seinem zweiten Studioalbum "Back From The Edge" zurück.

James Arthurs bisheriges Dasein als Berufsmusiker glich einer Achterbahnfahrt der Gefühle. Zwischen den Extremen pendelnd ließ sich der britische X Factor-Sieger im Jahr 2012 von der halben Popwelt auf Händen tragen. Ein Jahr später die Kehrtwende: Dem medialen Druck nicht gewachsen verkroch sich James Arthur im Dunkeln, schluckte Tabletten und wollte nichts mehr hören und nichts mehr sehen. Nun wagt der Brite den zweiten Anlauf. Mit seinem neuen Album "Back From The Edge" drängt er sich wieder zurück ins Rampenlicht. Wir trafen James Arthur zum Interview und sprachen über die Schattenseiten des Star-Daseins, entspanntes Arbeiten und neidische Kollegen.

James, überrascht es dich, wenn ich dir gestehe, dass ich vor einigen Wochen große Augen machte, als ich davon hörte, dass du ein neues Album veröffentlichen wirst?

James Arthur: Nein, gar nicht. Ich habe ja selbst nicht dran geglaubt. Zumindest eine ganz Zeit lang nicht.

Wann genau hat sich das Blatt gewendet?

Es gab in den vergangenen zwei Jahren viele Momente, in denen ich nicht mehr weiter wusste. Eigentlich war ich auch schon während der X Factor-Zeit ein mentales Wrack. Ich war einfach ein ängstlicher Typ, der keine Ahnung vom Business hatte. Mittlerweile bin ich aber wieder obenauf. Das habe ich der Musik zu verdanken. Ich habe nach dem ganzen gelaufenen Scheiß endlich wieder eine Verbindung zwischen mir und meinen Songs herstellen können. Diese Phase hat mich gerettet.

Wovor gerettet?

Vor dem Abgrund. Ich meine, ich war echt am Ende. Ich litt unter schweren Depressionen, schluckte Medikamente und verbarrikadierte mich hinter einer imaginären Schutzmauer. Eigentlich hatte ich mit dem Musikmachen abgeschlossen. Ich wollte und konnte nicht mehr. Wenn man von nichts eine Ahnung hat, und dann plötzlich über Nacht auf den Pop-Thron gehievt wird, dann kann das einen schon ganz schön aus der Bahn werfen.

Was war denn das Schlimmste an dem ganzen Shootingstar-Dasein?

Ich war plötzlich nicht mehr ich selbst. Ich kam mir vor wie eine Figur auf dem Schachbrett, wie eine Marionette, die 24 Stunden am Tag funktionieren muss. Überall wollten die Leute etwas von mir. Das war mir einfach zu viel Druck.

Aber ist man sich dessen nicht bewusst, wenn man sich bei einer Castingshow wie X Factor bewirbt? War dir nicht klar, dass man dein Leben im Falle eines Sieges grundlegend auf den Kopf stellen wird?

Das Ausmaß war mir nicht bewusst. Was soll ich sagen? Vielleicht bin ich da etwas zu naiv ran gegangen. Ich bin da ja auch nicht hin, weil ich schon vorab davon überzeugt war, gewinnen zu können. Ich wollte einfach nur Erfahrungen sammeln, irgendwo meinen Fuß in die Tür kriegen und schauen, wie weit ich komme. Ich dachte mir: Das wird cool. Ich lerne vielleicht ein paar wichtige Leute kennen. Vielleicht überstehe ich sogar die ersten Wochen. Den Gewinn der kompletten Staffel hatte ich erst vor Augen, als es schon zu spät war. (lacht)

"Ich bin bereit und bester Dinge"

Jetzt wagst du mit deinem neuen Album "Back From The Edge" einen zweiten Anlauf. Was macht dich so sicher, dass du diesmal besser mit der Situation klarkommst?

Nichts (lacht)

Oha!

Im Ernst: Diesmal ist vieles anders. Zunächst einmal haben mich viele Leute gar nicht mehr auf dem Schirm. Das macht die ganze Sache viel entspannter. Ich spüre keinen Druck. Der einzige, der Druck macht, bin ich selbst. Dann habe ich ein Album auf dem Tisch, das völlig zurecht meinen Namen trägt. Mein Debütalbum wurde damals praktisch über Nacht aus dem Boden gestampft. Da waren unheimlich viele Leute involviert. Diesmal steckt viel mehr von meiner Persönlichkeit drin. Ich habe das Album sogar co-produziert. Und dann ist da noch diese neue Leichtigkeit in mir. Weißt du, ich bin in einer Pflegefamilie groß geworden. Mein ganzes Leben lang hatte ich Probleme damit, Leuten zu vertrauen. Mittlerweile bin ich selbstbewusster und offener. Ich gehe auf die Menschen zu und höre genau hin.

Was sagen dir die Menschen?

Sie freuen sich, dass ich noch da bin, an mich glaube und nicht aufgebe. Das bedeutet mir sehr viel. Ich habe in der letzten Zeit ein ganz gutes Gespür dafür entwickelt, wer einfach nur scharf auf ein Selfie mit mir ist, und wem meine Musik wirklich etwas bedeutet.

Klingt nach einer perfekten Vorbereitung auf das, was demnächst wieder auf dich zurollt.

Ja, ich bin bereit und bester Dinge.

The Scrypt hatte ich definitiv nicht auf dem Schirm"

Was passiert, wenn es in die Hose geht und sich keiner für dein neues Album interessiert?

Dann ist das auch ok. Ich habe keine Erwartungen. Ich bin happy und zufrieden mit dem Album. Es präsentiert mich als Menschen und als Künstler. Und zwar zu 100 Prozent. Natürlich würde ich mich riesig darüber freuen, wenn das Album steil geht. Ich bin hungrig. Ich habe Lust auf Tour zu gehen und den Leuten meine neuen Songs zu präsentieren. Am liebsten überall auf der Welt. Aber sollte es nicht so kommen: Dann geht davon die Welt nicht unter. Ich mache mich da nicht verrückt. Ich bin glücklich im Hier und Jetzt. Nur das zählt.

Im Hier und Jetzt sorgt vor allem deine erste Single vom neuen Album "Say You Won't Let Go" für Furore.

Ja, das stimmt. Die Reaktionen sind überwältigend.

Es gibt aber auch Stimmen ...

(James unterbricht mich)

Ja, ich weiß ... Stimmen, die behaupten, ich hätte den Song von einer irischen Band gestohlen.

Genau. Die Band heißt The Scrypt. Und die sagen, du hättest dich zu offensichtlich von ihrem Song "The Man Who Can't Be Moved" inspirieren lassen. Hast du?

Weißt du, es gibt in der Musik nur eine bestimmte Anzahl von Tönen. Jeder Song, den du heute im Radio hörst, wurde von irgendeinem anderen inspiriert. Das lässt sich im Jahr 2016 gar nicht mehr vermeiden. Mag sein, dass "Say You Won't Let Go" irgendwo auf dieser Welt Erinnerungen weckt. Aber die Band The Scrypt hatte ich beim Schreiben dieses Songs definitiv nicht auf dem Schirm. Es ist doch so: Immer dann wenn ein Hit am Start ist, kommen von irgendwoher Leute um die Ecke und stellen irgendwelche dubiosen Ansprüche. Mehr möchte ich dazu gar nicht sagen.

Reicht auch schon. Ich finde Songs wie "Prisoner" und "Train Wreck" ja noch einen Zacken cooler als "Say You Won't Let Go".

Oh, "Train Wreck" gehört auch zu meinen Lieblingstracks. Das freut mich. Du hast Geschmack (lacht).

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