laut.de-Kritik
Elektro-Herzschmerz in der Deluxe-Variante.
Review von Jeremias HeppelerWollen wir das bisher umtriebige Popjahr 2016 auf Trends und Bewegungen festnageln, so stechen einige Umstände ins Auge: Kaum ein Album steht mehr für sich alleine und definiert sich über den reinen musikalischen Output. Viel eher scheint es chic, Diskurse anzustoßen und Entstehungsmythen zu erzeugen. Unsere Künstler sind gläsern, aber nicht brüchig-gläsern, sondern Panzerglas-gläsern, Twitter- und Instagram-gläsern.
Die gängigen Veröffentlichungsabläufe sind Geschichte: Wer etwas auf sich hält, veröffentlicht über Nacht - maximal begleitet von einer mysteriösen Hinweis-Schnitzeljagd. Auch James Blakes drittes Album "The Colour In Anything" erschien unangekündigt und ist bereits jetzt so über und über mit Kontext aufgeladen, dass man ihm wohl problemlos eine wissenschaftliche Abhandlung widmen könnte.
Aber wir haben doch keine Zeit! Darum die Kurzfassung: Bereits 2014 hatte der Elektrobarde erklärt, dass die Platte zu 70 Prozent im Kasten sei. Ein Jahr später blubberte der mögliche Titel "Radio Silence" und eine Zusammenarbeit mit Kanye West an die Oberfläche (beide Blasen platzten), parallel dazu wechselte Blake das Studio und begab sich in die immer noch legendären Hände Rick Rubins.
Was zwei Jahre später in 17 Songs vor uns liegt, ist James Blake at its best - ohne Abweichungen von der felsenfest festgeschriebenen Erfolgsformel. Einzig die Werkstatt hat sich verändert und macht jetzt den Anschein eines hypermodernen Start-Ups mit Blake, der sich zuvor als brüchiger Außenseiter inszenierte, als strahlkräftigem CEO. Kein Wunder bei Mitarbeitern wie Frank Ocean und Justin Vernon – beide selbst ultrahip und ultratalentiert und ultraultra. Selbst der Name Beyoncé, auf deren aktuellem Album Blake unlängst ein Lebenszeichen abgegeben hatte, schwingt noch mit. Wir bekommen also elektronischen Herzschmerz in der Deluxe-Variante, dunkel triefendes Gefühlsopium mit Mainstream-Querverknüpfungen.
Insgesamt 17 Songs hat der New Yorker eingespielt. 76 Minuten Musik. Vielleicht wäre weniger tatsächlich ein wenig mehr gewesen. Das liegt weniger an der Qualität, die der 27-Jährige konstant hochhält, als an der fast erdrückenden Masse an faszinierendem Songmaterial. Einzelne Bausteine überlagern sich so lange, bis die bereits im Titel festgehaltenen Farbtöne kaum noch voneinander zu unterscheiden sind und weiß vor sich hin rauschen. Nun gut, keiner schreibt uns vor, das Album als Ganzes zu konsumieren und mit einem Bissen zu verschlingen. Wahrscheinlich ist ein Stück-für-Stück-Probieren hier angebrachter als eine blinde Fressorgie.
Der Opener "Radio Silence" wummert strange vor sich hin und verbindet Elektronik mit Folk, Digitales mit Analogem. Ein Soundgolem, der wie ein übernächtigter Raver vor sich hin zappelt. "I Need A Forest Fire" mit Justin Vernon ist ein weiterer Klang-Touchdown. Der Song beginnt extrem merkwürdig, mit verschiedenen scharfkantigen Songbausteinen und Stimmfetzen, die sich so lange aneinander reiben, bis der Funke überspringt und in eine krude und sperrige Hymne mündet. Die Stimmen der beiden Protagonisten verbinden sich in einem kratzigen Strudel und agieren selbst wie Instrumente. Überhaupt transportiert Blakes Stimme stärker als zuvor diesen gewissen Bon Iver/Fleet Foxes-Eigenbrötler-Falsett-Charme.
"Modern Soul" am Ende der Platte wartet mit ganz großen Soundcollagen auf, die für kurze Zeit eine gewisse Arcade Fire-Epik andeuten, dann aber doch wieder wie scheue Rehe zusammenzucken. Die dabei entstehenden Leerstellen markieren das Faszinosum dieser Platte: James Blake klingt immer nach Allem und nach Nichts. Eben nach Kosmos. Und nach Mikrokosmos.
Wie er da loopt und zerschneidet und wieder zusammensetzt, da lacht das Cut-Up-Herz. Und trotzdem ist das Album eingängig und total smooth, von schlichter Schönheit und schöner Schlichtheit, irgendwie groß und größenwahnsinnig. Nur wenn das Album zu arg in Richtung Club abdriftet, verliert mich die Scheibe, weil sie dann berechenbar wirkt. Glücklicherweise hat Blake die altbackenen Dubstep-Anleihen endgültig entsorgt Und auch die Texte schmalzen teilweise so penetrant vor sich hin, als hätte er bei seinem Namensvetter Blunt ins Tagebuch gelinst.
"The Colour In Anything" hält am Ende nicht ganz mit "Overgrown" (2013) mit, weil es schlicht zu ähnlich klingt. Dennoch untermauern diese 17 Songs James Blakes Status als Everbody's Darling und elektriziertes Wunderkind. Einzig das Kanye-Feature ist er uns noch schuldig.
3 Kommentare mit einer Antwort
Interessant geschriebene Rezension, aber mein Interesse an dieser Art Musik ist in den letzten zwei Jahren ziemlich auf 0 gegangen. Zu viel egaler Output, auch James Blake's 2. Album konnte mich im Gegensatz zum Vorgänger nicht mehr überzeugen.
Ich werde den Singles aber mal ne Chance geben.
^this^
Schönes Ding, etwas zugänglicher als die Vorgänger in meinen Augen was nichts schlechtes ist. Hörs seit Freitag immermal wieder, typisches Album zu dem man in der richtigen Stimmung sein muss eben.
'Timeless' und 'My willing heart' meine Favoriten.
Kein Kanye keine Party.