laut.de-Kritik
Jimmy Cliff steht musikalisch auf einer Stufe mit Bob Marley.
Review von Jan EhrhardtFür viele ist Bob Marley das einzig wahre Aushängeschild des Reggae. Eines Genres, das Generationen von Musikern prägte und Inspirationsquelle für viele weitere Stile war, das jedoch nur selten in das Zentrum der weltweiten Musiköffentlichkeit rückte, geschweige denn die angemessene Wertschätzung erhielt. Und sicher: Nur eben dieser in Nine Miles geborene Robert Nesta Marley brachte Reggae zeitweise in den Mainstream, wovon nicht nur er, sondern die ganze Szene langfristig profitierte. Er war und ist Stilikone einer ganzen Bewegung. Dafür verantwortlich war allerdings nicht nur sein zweifelsfrei großes musikalisches Talent, sondern zu einem nicht zu unterschätzenden Anteil auch das Engagement und die Vermarktungsstrategien von Island Records unter der Leitung von Chris Blackwell.
Dieses Engagement wurde jedoch nicht allen talentierten Künstlern Jamaikas zuteil. Viele Musiker verschwanden im Dunstkreis kleinerer und größerer Plattenfirmen. Sie erarbeiteten sich zwar ein Standing in der Szene, nagten aber auch über Jahre hinweg am Hungertuch - der Traum vom finanziell unabhängigen Leben als Musiker ging oftmals nicht in Erfüllung.
Von diesem Traum handelt Perry Henzells 1972 veröffentlichter Kinofilm "The Harder They Come", der erste von Jamaikanern in Jamaika produzierte Kinofilm überhaupt: Ein junger Mann vom Lande träumt vom Durchbruch als Musiker. Von seinem Produzenten finanziell ausgebeutet bleibt ihm schließlich nichts anderes übrig, als sich als Drogendealer zu verdingen. Schlussendlich wird er wegen seines kriminellen Verhaltens in einer Schießerei von der Polizei getötet.
Hauptdarsteller dieses Films ist der damals 24-jährige Jimmy Cliff. Als Musiker war er noch vor Bob Marley bei Island Records unter Vertrag und konnte zu diesem Zeitpunkt mit "Hard Way To Travel" oder "Wonderful World, Beautiful People" bereits erste Erfolge verbuchen. Der ganz große Durchbruch lässt jedoch noch auf sich warten, auch wenn es an Engagement von Chris Blackwell, der mehrmals versuchte, Cliff im europäischen Musikmarkt zu etablieren, nicht mangelt. Seine von der Kritik mit Lob überhäufte schauspielerische Leistung, und vor allem der unter Jimmy Cliffs Führung entstandene Soundtrack zum Film, soll dies jedoch schlagartig ändern.
Insgesamt vier Titel steuert Jimmy Cliff, der mit bürgerlichem Namen James Chambers heißt, zu dieser Compilation früher Reggae-, Ska- und Rocksteady-Songs bei: "You Can Get It If You Really Want", "Many Rivers To Cross", "The Harder They Come" und "Sitting In Limbo". "You Can Get It If You Really Want" und "The Harder They Come" sind sogar in jeweils zwei verschiedenen Versionen vertreten. Allein die Rezeptionsgeschichte dieser Titel verdeutlicht deren Stellenwert und Prägnanz: Bruce Springsteen, Joe Cocker, Eric Burdon, Lenny Kravitz, Willie Nelson, Rancid, Keith Richards und noch viele weitere coverten Jimmy Cliff über die Jahrzehnte hinweg. Genreübergreifend. In den Jahren 1967 bis 1972 schuf der damals noch junge Künstler aus St. Catherine musikalische Meisterwerke, die einen bis heute andauernden Einfluss auf die Entwicklung der Popmusik hatten und haben.
"You can get it if you really want", was sich für Ivanhoe Martin, die Figur, die Jimmy Cliff im Film "The Harder They Come" verkörpert, nur bedingt einstellt, avanciert zur Losung einer ganzen Generation: Losgelöst von der britischen Kolonialherrschaft entsteht ein eigenes jamaikanisches Kulturbewusstsein und der Glaube daran, die eigene Identität nicht nur zu finden, sondern sie auch zu verwirklichen. Auch wenn zum damaligen Zeitpunkt die Zukunft alles andere als verheißungsvoll scheint, beweist eine ganze Nation die nötige Entschlossenheit, die eigene Souveränität zu erkämpfen und sich daraus zu einem florierenden kulturellen Schmelztigel zu entwickeln: "Many rivers to cross / And it's only my will that keeps me alive / I've been licked, washed up for years / And I merely survive because of my pride".
Zum Soundtrack von "The Harder They Come" steuern neben Cliff auch noch Desmond Dekker, Toots And The Maytals, The Slickers, Scotty und The Melodians weitere Titel bei. "Draw Your Breaks", wurde 1965 ursprünglich von der jamaikanischen Band The Spanishtonians als "Stop That Train" komponiert und für den Film von Scotty von der ursprünglichen Ska- in eine Reggae-Version umgewandelt. Auch heute findet der Track noch immer als Sample Eingang in die zeitgenössischen Musikproduktionen. Beispielsweise bei Lutan Fyah, der sich so in eine Reihe mit den Beastie Boys und Vanilla Ice einreiht. Ebenso Desmond Dekkers Rocksteady-Hymne "007 (Shanty Town)", der als Ursprung aller Rude-Boy-Songs gilt.
So wie auch die Originale "Sweet And Dandy" und "Pressure Drop" von Toots And The Maytals den sanften Übergang von Ska zu Reggae verdeutlichen, entfalten "Johnny Too Bad" von den Rocksteady-Veteranen The Slickers und "Rivers Of Babylon" von The Melodians ihre wahre Kraft und Aussagegewalt nur in diesen ursprünglichen Versionen. Sicher, Boney M formte Letzteren 1978 zu einem Welterfolg und heimsten dafür in Großbritannien Platin-Status ein. Auch in Deutschland gehörte "Rivers Of Babylon" lange Zeit zu den erfolgreichsten Musikproduktionen überhaupt. Die Wucht des musikalisch unterlegten Bibelpsalms 137 über die Vertreibung der Juden aus Jerusalem in das babylonische Exil wird im offbeat-untermalten Original von 1970 samt pastoralem Refrain jedoch um eniges greifbarer und nachvollziehbarer, als es die Disco-Truppe von Frank Farian vermocht hätte: "By the rivers of Babylon / there we sat down / And there we wept / when we remembered Zion. / They carried us away in captivity / requiring of us a song / Now how shall we sing the LORD's song in a strange land?"
Auch wenn auf "The Harder They Come" viele verschiedene Interpreten vertreten sind und die meisten der Titel bereits einige Jahre vor dem Films und dem dazugehörigen Soundtrack entstehen, bringt diese Zusammenstellung Reggae, Ska und Rocksteady jedoch erstmals einem breiten und vor allem internationalen Publikum nahe. Insbesondere Jimmy Cliff gelingt damit der große Durchbruch, er avanciert anschließend zu einem wirklichen Weltstar. Deshalb kann man, ja muss man fast sagen, auch Jimmy Cliff ist ein Aushängeschild des Reggae. Er sorgte nicht nur mit einer Fülle an weiteren Releases für eine breite Palette großartiger Musik, auch heute steht er mit energiegeladenen Performances für unvergessliche Live-Erlebnisse.
Musikalisch steht er so sicher auf einer Stufe mit Bob Marley. Nur dass sein Konterfei nicht auf Feuerzeuge und Handtücher gedruckt wird. Zum Glück!
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Danke!
Wird heute Abend aufgelegt. Danke, Jan!
"Insgesamt vier Titel steuert Jimmy Cliff, der mit bürgerlichem Namen James Chambers heißt, zu dieser Compilation früher Reggae-, Ska- und Rocksteady-Songs bei: "You Can Get It If You Really Want", "Many Rivers To Cross", "The Harder They Come" und "Sitting In Limbo". "You Can Get It If You Really Want" und "The Harder They Come""
Hier hat man "You Can Get It If You Really Want" vergessen!
"Insgesamt vier Titel steuert Jimmy Cliff, der mit bürgerlichem Namen James Chambers heißt, zu dieser Compilation früher Reggae-, Ska- und Rocksteady-Songs bei: "You Can Get It If You Really Want", "Many Rivers To Cross", "The Harder They Come" und "Sitting In Limbo". "You Can Get It If You Really Want" und "The Harder They Come" sind sogar in jeweils zwei verschiedenen Versionen vertreten."
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Einen Satz zu Ende lesen lohnt sich manchmal...
ups recht hast du! dabei hatte ich nicht einmal etwas intus als ich das geschriebe habe.. das gibt mir zu denken
So langsam wirds Zeit für einen Electric Light Orchestra und Yes Meilenstein. Kleiner Tipp ihr könntet jede Platte bis 78 bzw 79 nehmen.
The Harder They Come ist ein wirklich tolles Album. Wahnsinn, was für ein Übersong "Many Rivers to Cross" tatsächlich ist.
Schöne Rezension, die dem Künstler durchaus gerecht wird. Etwas schade finde ich die Überschrift: Jimmy könnte durchaus auch für sich stehen und hat Quervergleiche zu Marley nicht wirklich nötig.
Danke für den Text!