laut.de-Kritik
Die Luft ist raus.
Review von Stefan MertlikNehmen wir das Urteil vorweg: Nach drei modernen Straßenrap-Klassikern ist die Luft bei Kalim raus. "Null Auf Hundert" setzt sich inhaltlich und musikalisch kaum von der Konkurrenz ab. Dank der handwerklichen Qualität macht das alles trotzdem Spaß.
Kalims Biografie kurz zusammengefasst: "Im Klassenzimmer eingeschlafen, aufgewacht mit einer Kilowaage." Der Hamburger berichtet von einem tristen Alltag im 16. Stock. Dass das nicht zu einem Klischee verkommt, sondern ansatzweise "Menace 2 Society"-Gefühle weckt, liegt an den gefeierten Altlasten.
Um das bunte Drumherum scherte sich der 27-Jährige nie. Er war der Liebhaber-Tipp bei einem Label, das eigentlich keinen Platz für Liebhaber-Tipps hatte. Bei Alles Oder Nix überließ er Schwesta Ewa, Ssio und Xatar das Scheinwerferlicht. Umso stärker beeindruckte seine Diskografie, die mit "Sechs Kronen" auf die Westcoast der Neunziger schielte, mit "Odyssee579" einen Mafia-Film der alten Schule schuf und mit "Thronfolger" endgültig an der Straßenrap-Spitze ankam.
"Mir ist mein Leben egal, sag mir, was kann schon passieren?", heißt es nun im "Null Auf Hundert"-Opener "1992". Einer der wenigen Momente, in denen die Raps und der minimalistisch-düstere Beat eine nachhaltige Stimmung erzeugen.
Kalim betont immer wieder, dass er authentisch sei. "Null Auf Hundert" gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Die Beschreibungen vom Leben zwischen missgünstigen Feinden und drohenden Knastaufenthalten fallen anschaulich aus. Dass das nicht verherrlichend, weil Schattenseiten aufzeigend klingt, macht den Kriminellen fast schon sympathisch.
Hängen bleibt allerdings auch nichts. Dafür geht es einmal zu oft um den Traum vom Fiat Punto zum Mercedes-Benz. Musikalisch scheint Kalim erstmals keine eigene Vision zu haben. Es gibt Autotune-durchtränkte "Skurr skurr"-Momente ("Bis Um 3"), eingängigen Gossen-Pop ("Wohin Du Willst") und einen inoffiziellen "38er"-Nachfolger ("Sig Sauer"). Da fühlen sich auch die ähnlich ausgerichteten Kollegen wohl. Luciano, Nimo und Ufo361 füllen die auf Kalim-Alben nie unspektakuläre Feature-Liste.
Völlig ideenlos ging Kalim trotzdem nicht ins Studio. Auf "1 L Henny" klingt seine Zunge, als sei sie tatsächlich von einem Liter Hennessy gelähmt. Das kann man als Hingabe für die Kunst werten. Wobei der Rest des Albums nicht klingt, als wisse Kalim einen guten Schluck Cognac nicht zu schätzen. Wenn betäuben, dann mit Stil – anders ist dieses Leben auch nicht zu ertragen.
"Null Auf Hundert" fällt mit seinen 32 Minuten kompakt aus. Nur ein Stück knackt die Drei-Minuten-Marke. So entsteht zumindest keine Langeweile. Und überhaupt: Als Straßenrap-Album funktioniert "Null Auf Hundert" perfekt. Im direkten Vergleich mit den Vorgängern enttäuscht die Platte allerdings. Kalim scheitert an sich selbst.
4 Kommentare
Kann ich so alles unterschreiben. Als Kalim-Album ist es schon enttäuschend, an sich aber ein solides Straßenrap-Album mit ein paar Highlights. Finde ich immer noch deutlich besser als etwa die letzten Releases der Features.
Ich trauere immer noch "6 Kronen"-Kalim nach.
Schade wie sich Kalim entwickelt hat. 6 Kronen und Odyssee 579 waren extrem gute Alben, aber was danach kam war nicht mehr so pralle. Mehr als 3/5 kann man einfach nicht vergeben
Geht so