6. Juni 2014

"Noch nie hat jemand so geklungen wie wir"

Interview geführt von

Kasabian haben in den letzten zehn Jahren einen geradezu bilderbuchhaften Aufstieg hingelegt. Vom psychedelischen Indie-Insider-Tipp aus Leicester ist die mittlerweile in London beheimatete Band in die Riege der ganz großen Rockbands aufgestiegen. Dieses Jahr stehen die Exzentriker mit ihrem fünften Studioalbum "48:13" in den Startlöchern. Kein Wunder, dass sie damit nun zum ersten Mal einen der heiß begehrten Headliner-Slots des legendären Glastonbury-Festivals füllen dürfen. Damit wäre doch für die Briten alles erreicht, oder?

Songwriter und Gitarrist Sergio Pizzorno wälzt sich verschlafen, aber freundlich lächelnd auf der Couch seines Hotelzimmers. Seit drei Stunden sei er in Berlin - und vor vier Stunden erst aufgestanden. Seine Frisur trägt dem Rechnung: Die dunklen, mit grauen Strähnen durchzogene Haarpracht verweigert sich jeglicher Ordnung. Ein bisschen so, wie Kasabian als Band sich ihr stets entzog: Waren die ersten drei Platten voll von Madchester-Reminiszenzen, von antiken Britpop-Bildern, verließ der Vierer mit der letzten Platte "Velociraptor!" diese Pfade. Nicht direkt Stadionklänge, aber mindestens etwas für mittelgroße Multifunktionsarenen und kollektiv-chronisches Mitsingen. Wo soll es nun also mit der neuen Platte hingehen?

Euer letztes Album "Velociraptor!" kam im September 2011 heraus, ihr wart damit fast zwei Jahre lang auf Tour. In der Zwischenzeit bist du Vater geworden und hast nebenbei die Songs für euer neues Album geschrieben. Wie bekommt man das alles unter einen Hut?

Ich bin inzwischen sogar zweifacher Vater! Kinder zu haben macht die ganze Sache zunächst auf eine gewisse Art leichter. Sie verändern deine Wahrnehmung der Realität. Kinder sind einfach alles und das einzige, das wirklich zählt. Sie gaben mir ein ganz anderes Gefühl bei der Arbeit am neuen Album. Kinder besitzen eine Gabe, alles andere lächerlich aussehen zu lassen. Verstehe mich nicht falsch – sie tun das auf eine großartige Art und Weise. Denn das bedeutet, dass du alles mit einer experimentellen Einstellung angehst. Sie zeigen dir, dass es immer Wichtigeres im Leben gibt.

Und wie schafft man es als Vater von zwei Kindern seinem Tag eine Struktur zu verleihen? Rockstar zu sein ist ja kein klassischer Nine-to-Five-Job.

Das stimmt. Aber ich kann ganz schön besessen von einer Idee sein. Das hilft mir. Und dann können die Tage auch mal sehr, sehr lang werden – von Montag bis Freitag. Das ist oft passiert. Dann musste ich mir anschließend erst einmal ein Wochenende frei nehmen.

Also ist ein normaler Acht-Stunden-Tag nichts für dich?

Am Anfang habe ich tatsächlich eine Woche lang versucht, regelmäßig acht Stunden zu arbeiten. Aber das habe ich nicht durchgehalten. Ich bin ein Mann der Nachtstunden. Ein Vampir, ich komme nachts raus und kann auch nur dann richtig arbeiten.

Es muss doch irgendetwas geben, das dir geholfen hat, das Ganze trotzdem strukturiert anzugehen. War es deine Disziplin oder doch gar einfach nur der Wunsch, neben dem Beruf ein guter Vater zu sein?

Die Arbeit an der aktuellen Platte habe ich als Mission angesehen. Ich wollte Kasabian destillieren, die Band zu ihrer rohsten Form zurückführen, mit dem Ziel, eine futuristische Rock-Platte aufzunehmen. Und ich bin nebenbei fest davon überzeugt, dass niemals jemand so geklungen hat wie wir auf dieser Platte. Die Platte vereint Elemente vieler grundverschiedener Dinge. Das soll Kasabian sein, und dafür wird man uns in Erinnerung behalten. Und diese Mission hatte ich von Beginn an im Kopf. Nur dann wird es gefährlich, wenn du bereit bist, alles zu tun, um die Plate zum Arbeiten zu bringen.

Ihr habt um das Album lange ein richtiges Geheimnis aus allem gemacht – Titel, Songs, Release-Date. Sogar gegenüber uns Pressemenschen. Reizt euch das Spiel mit den Gesetzen des Musikgeschäfts?

In den Zeiten von Social Media gibt es ja nicht mehr wirklich viele Überraschungen auf der Welt. Deswegen haben wir den Albumtitel auch so lange unter Verschluss gehalten.

Betreibt ihr diese Geheimhaltung auch aus einer grundsätzlichen Paranoia heraus, dass heutzutage fast jedes Album zwei Wochen vor der Veröffentlichung geleaked wird?

Ja, das nervt natürlich ziemlich. Die Leute denken, dass sie damit jemandem einen Gefallen tun – aber sie vergessen, dass es Jahre gedauert hat, dieses Stück Kunst fertigzustellen. Die Entscheidung, ob jemand Zugang zu diesen Dingen bekommt, sollte voll und ganz in der Hand des Künstlers liegen. Aber so läuft es eben. Manchen Leuten kann man einfach nicht trauen.

Um noch einmal zu den Promo-Aktionen für euer neues Album zurückzukommen: Denkst du, Bands müssen heutzutage so einen Rummel um ein Release machen, um sich von anderen Künstlern zu unterscheiden? Arcade Fire, die mit euch dieses Jahr das Glastonbury headlinen werden, haben das zum Beispiel letztes Jahr getan. Die haben sogar das Album-Logo in verschiedenen Städten auf der ganzen Welt an Wände taggen lassen und sind für diese Aktionen am Ende heftig kritisiert worden.

Ich habe davon gehört und fand das nicht so schlimm. Aber bei uns ist das etwas anders. Als Tom und ich neulich an diese Wand in London bemalt haben, fühlte sich das sehr natürlich an. Ein guter Freund und ich stehen einfach da rum und malen. Das ist einfach real, und keine große aufgeblähte Marketingkampagne. Der Gedanke, der dahinter steckte, ist genau so simpel: Einfach ein paar Leute dazu zu bringen, Fragen zu stellen.

Wie zwei Schulfreunde, die auf ihre Schülerband aufmerksam machen wollen.

Genau. So haben wir auch die ersten Leute dazu gebracht, auf uns aufmerksam zu werden. Wir dachten, das wäre ein interessanter Weg, das neue Album anzukündigen.

"Wenn du dir eine Auszeit nimmst, dann vergessen dich die Leute"

Zurück zum Kern eines jeden Albums, dem Schreibprozess: Fühlst du dich beim Schreiben manchmal eingeschränkt von den Konventionen der Kulturindustrie? Ich meine, ihr seid wie die meisten anderen Bands dazu gezwungen, alle drei Jahre ein Album zu veröffentlichen und in der Zwischenzeit nichts anderes zu tun als zu touren.

Die Gesellschaft ist ziemlich unmittelbar: Wenn du dir eine Auszeit nimmst, dann kannst du leicht vergessen werden. Doch wen du großartig bist, wenn deine Musik gut ist und das Album die Menschen umhaut, dann wirst du niemals vergessen werden. Doch wenn ich ehrlich bin, dann denkt man über diese Business-Seite gar nicht so sehr nach. Wir lieben schließlich das, was wir tun und machen es vordergründig nicht fürs Geschäft. Sobald ich genügend Songs für ein Album zusammen habe, dann will ich diese natürlich veröffentlichen. Da denke ich nicht lange drüber nach, diese vielleicht in einem anderen Zyklus zu veröffentlichen, weil das im Sinne des Geschäfts wäre. Da spielt die Liebe zu dem, was ich tue automatisch eine viel größere Rolle als der Gedanke ans Business.

Wäre es für dich als Kreativkopf trotzdem nicht viel interessanter, fünf Alben im Jahr zu veröffentlichen und dafür weniger zu touren?

(Lacht) Dem haftet ohne Zweifel etwas Schönes an. Und dennoch ist es ein Privileg, durch das Touren so viele schöne Orte zu sehen. Das ist ja das unglaubliche an dieser Band: Sie hat so viele Menschen auf der ganzen Welt berührt. Es wäre doch eine Schande, nicht jeden Ort zu besuchen, an dem unsere Alben gewürdigt werden. Das bedeutet den Menschen so unglaublich viel. Und genau davon handelt doch auch die Musik, die wir machen. In unseren Songs geht es um Verbindung, um emotionale Momente. Diese den Leuten zu verweigern, wäre dann doch absurd. Wenn wir grundsätzlich andere Musik machen würden, dann würde das mit den zwei oder drei Alben im Jahr vielleicht klappen. Ich glaube aber, dass unsere Musik auf einem großen Miteinander basiert.

"Bumblebee", einer eurer neuen Songs, dreht sich genau um eure Beziehung zu den Fans. Wie wichtig es dir denn persönlich, die Fans positiv auf das neue Material reagieren zu sehen?

Das ist so wichtig, weil sie die Energiequelle sind. Wir brauchen das, weil wir ja selbst so viel Substanz in eine Platte hinein gesteckt haben. Sie sind der Treibstoff in der Rakete, um sie ins Weltall zu befördern. (lacht) Wenn das beides mit Schallgeschwindigkeit zusammenstößt, dann gibt es magische Momente. Die Dinge, die dann auf den Gigs passieren, versetzen dich in unerklärliche und ekstatische Zustände. Davon handelt auch "Bumblebee". Wenn sich also Band und Publikum begegnen, dann können sie auf diesem Level agieren. Das ist Magie, die man einfach nicht beschreiben kann.

Ich war tatsächlich auf einer eurer Shows vor drei Jahren, bei der ihr ein paar Songs von "Velociraptor!" vorgestellt habt. Ihr wart damals verdammt enthusiastisch, man konnte euch die Freude definitiv ansehen! Bist du eigentlich noch nervös, wenn du das erste Mal mit neuem Material auf die Bühne gehst?

Nervös ist das falsche Wort. Das ist so negativ behaftet. Dabei ist es doch eigentlich ein aufregendes Gefühl. Es ist schön, wenn man nach langer Zeit mal wieder auf die Bühne kommt. Man hat so lange an den Songs gearbeitet – da will man sie einfach nur dem Publikum mitteilen.

An euren letzten beiden Alben hat der Hip-Hop-Produzent Dan The Automator mitgewirkt. Allerdings musstet ihr dafür immer euer Material zu ihm nach San Francisco schicken. Ist dieser Umstand auch ein Grund, warum du dich jetzt erstmals selbst an die Regler gewagt hast?

Ich habe bisher schon jedes unserer Alben mitproduziert und fühlte mich einfach reif dafür. Jetzt konnte ich dem Ganzen direkt den Sound verpassen, den ich mir vorgestellt hatte. Ich hätte das vielleicht schon früher versuchen sollen. Aber ich habe sehr viel von unseren vorigen Produzenten gelernt. Jetzt war die Zeit reif.

Das muss doch eine enorme Erleichterung für dich gewesen sein, genau den Sound, den du von Anfang an mit den Songs assoziiert hast, exakt so umzusetzen?

Wir haben das irgendwie von Beginn an geschafft. Es hat sich also nicht wirklich etwas verändert, wenn ich genau darüber nachdenke.

Also ist das mit dem Produzieren einfach aus einer Art Anspruch an dich selbst entstanden?

Ja, ich fühlte mich einfach so, als würde ich keine Hilfe von irgendjemandem dafür benötigen. Das klang für mich ziemlich herausfordernd.

Dann scheinst du ja im Konstrukt Kasabian noch wichtiger geworden zu sein! Du schreibst ja schließlich auch die Songs. Wann kommen denn die anderen in diesem Prozess überhaupt zum Zug?

Wenn ich Songs schreibe, mache ich das auf meine eigene, etwas andere Art. Die Produktion war bei uns immer großer Teil des Songwriting-Prozesses. Es gibt von Anfang an eine Art Vorstellung von einem bestimmten Sound, einem bestimmten Klang. Dieser zunächst winzigen Idee fügen wir dann nach und nach über Monate hinweg Dinge hinzugefügt, so dass sie immer größer und größer und schließlich zu einem Song wird. Eine Menge Songwriter nehmen wohl einfach eine Gitarre in die Hand und spielen darauf herum und kommen so zu ihren Songs.

Was ist an dieser wohl eher unkonventionellen Art Songs zu schreiben am interessantesten?

Es sind ganz klar die Momente im Studio, in denen ich zum ersten Mal spüre, dass ich dabei bin, etwas Magisches zu erschaffen. Das kann ich dann manchmal selbst nicht glauben. Wenn es aus den Lautsprechern kommt und es mich auf eine beruhigende Art ergreift. Ein kurzer Moment des Friedens, bevor es mir das Hirn wegbläst. (lacht) Am spannendsten ist also der Aha-Moment, wenn du merkst: Oh, das ist gut! In diesem Beat oder in diesem Riff steckt Potenzial! Und es macht mich locker, weil ich genau den richtigen Weg gefunden habe, es auszudrücken. Dieser Moment ist der Grund, warum ich das ganze hier überhaupt mache und warum ich es wieder und wieder tun werde.

"Wir haben eine komplett neue Sprache erfunden"

Sehen wir es mal aus einer anderen Perspektive: An eurem neuen Track "Explodes" hast du wohl ziemlich lange gesessen. In einem Interview meintest du dazu, dass man sich für gute Kunst manchmal selbst in die Mangel nehmen müsse. Wie genau fühlt man sich in einem Moment, in dem man in einer Sackgasse sitzt und nichts mehr geht?

Dazu habe ich meinen eigenen Weg gefunden, mir eine eigene Einstellung geschaffen. Weißt du, was das eigentlich komische an der ganzen Sache ist? Dass es mir gar nicht darauf ankommt, ob unsere Musik am Ende perfekt ist. Sie muss sich nur richtig anfühlen, wenn ich den Song später spiele. Das heißt: Alles muss genau dann passieren, wenn es passieren soll. Die Melodien, einfach alles. Nur wenn ich etwas genau so hinbekommen habe, kann ich am Ende entspannen. Die Scheiße daran ist, dass die Songs die meiste Zeit eben weit von diesem Zustand entfernt sind. Oft fühlt man sich am Ziel angekommen und findet dann doch noch eine Stelle, mit der man nicht zufrieden ist. Und man muss den ganzen Prozess noch einmal durchlaufen. Wie eine krankhafte Besessenheit. Ich denke, das ist das Problem eines jeden Songwriters. Die Songs aus einem inneren Bedürfnis heraus wieder und wieder überarbeiten zu müssen.

Das vereinnahmt einen ganz schön, was?

Ja, es ist ja nicht damit getan, wenn du am Abend dein Studio verlässt. Das verfolgt dich ja bis nach Hause vor den Fernseher. Das lässt mich dann nicht mehr in Ruhe. Fuck!

Und damit ist das Songwriting ja noch nicht mal getan! Habt ihr denn irgendwelche Rituale, mit denen du mit Tom ausmachst, wer die Lead Vocals in einem Song übernimmt? Oder gab es da auch vor dem neuen Album auch mal Streit zwischen euch?

Nein, ganz und gar nicht. Tom war eigentlich immer der, der die Stücke ausgewählt hat, bei denen ich singen sollte. Das läuft dann meistens so, dass ich Tom einen neuen Song vorspiele und er dann sofort sagt, dass ich ihn besser singen sollte. Das war also schon immer genau vom Moment abhängig.

Wie würdest du eigentlich den musikalischen Stil von "48:13" beschreiben? Nachdem ihr "West Ryder Pauper Lunatic Asylum" zuvor als euer psychedelisches Album und "Velociraptor!" als euer persönliches Pop-Manifest beschrieben hattet...

Auf jeden fall ist es ein futuristisches Punk-Album. Das trifft es ziemlich gut, finde ich.

Mit diesem Album im Gepäck werdet ihr im Sommer das Glastonbury-Festival headlinen. Vor ein paar Jahren hattet ihr mal spaßeshalber gesagt, dass ihr die Band auflösen würdet, wenn es je soweit käme. Was bewegt euch denn jetzt noch dazu, trotzdem weiter zu machen? Oder wird das hier der eindrucksvolle Schlusspunkt?

(lacht) Der Gedanke hat etwas sehr poetisches. Was diese Arbeit für mich immer wieder spannend macht, ist die Vorstellung, einen ganz bestimmten Sound zu erschaffen. Ich meine, wir haben eine komplett neue Sprache erfunden, wie verrückt ist das denn? Aber das ist nur der Anfang. Wir wollen irgendwann einen Punkt erreichen, an dem die Leute unseren Sound sofort erkennen können. Wenn sie kurz innehalten und dann sagen: "Wow, das können nur Kasabian sein. Sie sind die einzigen, die so klingen!" Die Songstruktur, die Akustik. Ich denke, wir haben das alles auf dem neuen Album nochmal weiterentwickelt.

Apropos: Damon Albarn hat in dieser Hinsicht gerade eine sehr interessante Platte herausgebracht. Ich habe sie eben bei einem Freund zum ersten Mal gehört.

Und, wie war sie?

Ziemlich perfekt. Wenn er das nicht schon vorher war, dann ist Damon Albarn spätestens jetzt ganz oben angekommen. Jetzt muss er eigentlich nur noch diese Kollaboration mit Noel Gallagher wahr werden lassen.

Stimmt, das ging die letzten Tage durch die Medien, richtig? Eine Platte von Damon Albarn und Noel Gallagher würde sicher großartig werden. Ich würde mir das Ding auf jeden Fall kaufen.

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