11. Dezember 2012

"Das öffnet die Tür zur Wahrheit"

Interview geführt von

Selten waren sich Kritiker und Publikum so einig: Kendrick Lamars Majorlabel-Debüt "Good Kid, M.a.a.d. City" ist ein Rap-Meilenstein.August 2011: Die heiligen Könige des Westcoast-Rap kommen nach Los Angeles gepilgert, um dem Auserkorenen zu huldigen. In einem Akt, der an Symbolik nur schwer zu überbieten ist, überreichen Snoop Dogg, Kurupt, The Game und Dr. Dre während eines Konzerts die Reimfackel an Kendrick Lamar. Überschüttet von anerkennenden Worten der großen Leitfiguren seiner Jugend, bricht der zu dem Zeitpunkt 24-Jährige vor versammeltem Publikum in Tränen aus.

Augenblicke später legt er eine mitreißende Performance seines iTunes-Hits "HiiiPower" hin. Ein Gänsehaut-Moment par excellence, der, wie so vieles im Leben und Schaffen des Kendrick Lamar, wenig später seine prophetische Wirkung in voller Pracht entfalten wird. 14 Monate darauf erscheint das Album, auf das die Welt auch über die Staatsgrenzen Kaliforniens hinaus sehnsüchtig gewartet hat. "Good Kid, M.a.a.d. City" ist sein Majorlabel-Debüt und schon bei Veröffentlichung ein Meilenstein der Rapmusik.

Ein Blick zurück: Obwohl 1987 in Compton geboren, trifft die ewige Leier des Jungen mit der harten Ghetto-Jugend, die für so viele Jugendliche noch immer zur Realität gehört, auf Lamar nicht ganz zu. Seine Eltern sind bemüht, aber jung. Auch in Compton kann man zur Schule gehen und gute Noten einfahren. Nichtsdestotrotz klammert er sich schon früh an die Musik. Mit sieben Jahren ist er mehr oder weniger zufällig beim Videodreh von 2Pac und Dr. Dres "California Love" dabei, da die Dreharbeiten in seiner Nachbarschaft stattfinden. Das Erlebnis prägt ihn. Mit 13 fängt Kendrick selbst an zu rappen, drei Jahre darauf nimmt er sein erstes Tape auf.

"Youngest Head Nigga in Charge" landet unter anderem auch im Schoß eines gewissen Dude Dawg, Mitbegründer des Top Dawg Entertainment-Labels. Top Dawg begleitet Kendrick bis heute. Für ihn hatte es beim Unterzeichnen seines Labelvertrags höchste Priorität, dass Top Dawg auch weiterhin namentlich mit ihm in Verbindung steht. "Wir halten uns gegenseitig zusammen, treiben uns an. Wenn ich in Zeiten der Ungewissheit ins Studio gehe und ich höre, wie Jay Rock etwas Verrücktes aufnimmt, denke ich mir: Weißt du was? Wir machen das schon. Wir werden die Besten sein", erzählt er uns im Interview.

"Dre sagte: 'Geh, mach dein Album und dann bring es mir!'"

Die Zeiten der Ungewissheit liegen seit seiner selbstbetitelten 2009er EP weitestgehend hinter ihm: "Damals fing ich an, mich sicherer zu fühlen, mit dem, was ich tue", erinnert er sich. "Ich habe erkannt, dass es nicht darum geht, Regeln zu beachten und sich den Anforderungen eines Labels zu beugen. Ich musste einfach nur ich selbst sein. Das öffnet die Tür zur Wahrheit."

Gründe für ein gesundes Selbstvertrauen hat der junge Mann allemal. Man muss darum keinen Bogen machen: Kendrick Lamar ist der beste Rapper seiner Generation. Hört man sich einen Song wie "Rigamortus" an, fällt es schwer, den Unterkiefer an seinem angestammten Platz zu halten. Die verschachtelten Reimketten, die nanotechnisch platzierten Silben, die melodische, teilweise ans Patois angelehnte Intonation, die nie enden wollende Puste – solch ein technisch versierter Rap-Künstler kommt nur alle Jubeljahre daher spaziert. Lamars Arsenal an Fähigkeiten ist kein Zufallsprodukt: "Über die Jahre habe ich gelernt, dass Originalität und Arbeitswillen die Dinge sind, die zählen. Die bringen einen weiter."

Mit "Section.80" hatte es Kendrick dann so weit gebracht, dass er nicht nur 85.000 Exemplare weitgehend marketingfrei über TopDawg an Mann und Frau brachte, sondern während des Schaffensprozesses auch die Aufmerksamkeit des größten Rapstar-Machers aller Zeiten auf sich ziehen konnte: "Als ich Dr. Dre 'Section.80' vorspielte, sagte er zu mir: 'Du bist jetzt schon bereit. Geh, mach dein Album und dann bring es mir.'" Ein solches Vertrauen schenkte der Produzenten-Guru einst weder Snoop Dogg, noch Eminem, noch 50 Cent, in deren Debütalbum-Genese er weitaus deutlicher involviert war.

"Ich habe es mir aufgespart – das Cover, den Titel, alles!"

Die Idee für "Good Kid, M.a.a.d. City" begleitet Kendrick schon eine ganze Weile. Noch bevor je ein anderes Werk von ihm auf den Markt gelangte, wusste er, dass er eines Tages diese Geschichte erzählen will. Von ihm, dem guten Jungen aus der verrückten Stadt: "Ich wollte damit warten, damit meine Geschichte so viele Menschen wie möglich erreicht", so Kendrick. "Ich habe es mir aufgespart – das Cover, den Titel, alles. Ich wusste bereits von Anfang an, was ich erzählen will."

Der Zwiespalt zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. Auf der einen Seite steht der Junge Kendrick Lamar, ein gottestreuer Teenager mit allem Potential der Welt, der wie ein junger Padawan stets auf der guten Seite wandern will. Doch in einer Gesellschaft, die von Bandenkriegen, Geldgier, Drogenexzessen und Lust durchtrieben ist, wird genau das zu einem Drahtseilakt. Ein Lied wie "Bitch, Don't Kill My Vibe" offenbart die Genialität Kendricks, diesen Akt musikalisch darzustellen. "I am a sinner, who's probably gonna sin again / Lord forgive me, Lord forgive me / Things I don’t understand". Der Song tat es auch Lady Gaga an, die aus eigenen Stücken mit Kendrick in Verbindung trat, um eine frühe Version des Songs mit ihm aufzunehmen. Die Lady Gaga-Version landete nicht auf dem Album – ein Testament für die kompromisslose Vision, die hinter der Platte steckt.

Mit seinem Meisterstück katapultiert sich der 25-Jährige schnurstracks in den Rap-Olymp – neben ebenjene, die ihm vor einem guten Jahr noch als unterstützende Mentoren zur Seite standen. Einwandfrei produziert und auch abseits seines Tiefgangs unendlich hörbar, erzählt es zwar ganz persönlich und unerschrocken die Geschichte eines einzelnen Mannes. Doch gerade in seiner Intimität dient es pars pro toto als Stimme einer gesamten Bevölkerungsschicht. Die "Good Kid, M.a.a.d. City"-Geschichte ist eine, die die Welt hören muss. Es ist ein Geschenk an eine ganze Kultur, dass sie das nun kann.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Kendrick Lamar

"It's time to put Compton on the map", schallte es 1988 aus den Reihen der Niggaz With Attitude. Anno 2011, Jahre bevor der Kinofilm "Straight Outta Compton" …

Noch keine Kommentare