26. August 2010

Reise in den Inner Space

Interview geführt von

Drei Jahre liegen zwischen der Nu Rave-Initionalzündung "Myths Of The Near Future" und dem Nachfolger "Surfing The Void". Ein experimentelles Album wurde geschrieben und verworfen, Produzenten ebenfalls - und am Ende war irgendwie doch alles ganz anders.James Righton, Band-Keyboarder, -Basser und -Sänger in einem, hat im Interview einiges geradezurücken. Aufgeräumt und aufmerksam stellt er sich im Berliner Universal-Hauptquartier der eigenen Vergangenheit und Zukunft.

Verschiedene Seiten haben berichtet, dass die Aufnahmen für "Surfing The Void" nicht einfach waren: Zum einen hat der Entstehungsprozess sehr lange gedauert, zum anderen sollt ihr währenddessen verschiedene Produzenten verschlissen haben: Erst die Zusammenarbeit mit Tony Visconti (David Bowie), dann Focus.. (Christina Aguilera, Busta Rhymes), dann habt ihr euch wieder mit Simian Mobile Discos James Ford zusammengesetzt, der schon euer Debüt aufgenommen hat, und schließlich die Kooperation mit Nu Metal-Legende Ross Robinson …

Wir haben tatsächlich nur mit zwei Produzenten gearbeitet. Zunächst haben wir nach Abschluss der Tour zu "Myths Of The Near Future" eine Session mit James Ford in Mailand gebucht. Wir haben ganz ähnlich wie beim ersten Album an Songs gearbeitet, wo Ford schon sowohl als Drummer als auch als Produzent fungiert hatte. Auf diese Weise haben wir über ein Jahr lang neues Material eingespielt. Aber es klang nicht nach uns … es war kein Klaxons-Album. Wir hatten sehr experimentelle Musik geschaffen, ganz für uns, das schien nicht für irgendjemand anderen bestimmt. Wir hatten mit neuen Songwriting-Methoden experimentiert und Musik gemacht, die sehr durchdacht und komplex war, mit vielen verschiedenen Parts.

Warum habt ihr seinerzeit diesen Weg eingeschlagen?

Ich denke, weil wir zumindest teilweise gegen alles, was wir waren, rebellierten. Weißt du, wenn du etwas kreierst, das ganz gut funktioniert, überkommt dich möglicherweise irgendwann eine Langeweile, oder du vergisst, wer du bist, und du probierst neue Dinge aus. Du wirst hungrig nach Veränderung. Also haben wir uns viel Zeit genommen, nur uns selbst zufriedenzustellen. Die Musik klang sehr organisch und akustisch: echte Pianos, weniger Synthesizers, keine Distortion auf dem Bass, wenig Distortion auf den Gitarren …

Ihr habt gegen das Nu Rave-Label rebelliert.

Ja, vielleicht haben wir anfangs dagegen rebelliert. Aber wir waren auch gar nicht darauf aus, die zweite Klaxons-Platte zu machen. Wir haben einfach Musik gemacht. Spaß gehabt. Sich ein bisschen gehen lassen, neue Dinge antesten … so lief das mit James Ford. (zögert) Schließlich kamen wir an den Punkt, wo wir uns wieder erinnerten, wer wir sind. Was unsere Bandelemente sind und was wir sein wollten: Popmusiker, die so viele Menschen wie möglich erreichen. Something you can have a good time to, etwas Positives, etwas zum Sich-darin-Verlieren.

Laut The Sun vom März 2009 war Polydor nicht zufrieden mit eurem ersten, experimentellen Entwurf.

Nein nein, sie liebten es! Sie waren glücklich damit. Wenn dem so gewesen wäre, hätten wir nicht genau dieses Album mit Ross Robinson gemacht. It's still pretty weird. Aber das waren wir nicht.

Ihr wart nicht zufrieden?

Doch, wir waren zufrieden …

Also Material, das ihr unter einem anderen Pseudonym als Klaxons veröffentlichen könntet?

Nun, es wird B-Sides geben, eine 5-Track-EP, und einer der Songs aus diesen Sessions, "Valley Of The Calm Trees", ist auch in einer Neuaufnahme auf dem regulären Album gelandet. Jetzt klingt das Stück nach uns. (zögert) Wir hatten allerdings immer noch Probleme, Stef (Steffan Halperin, ehemaliger Live-Drummer, jetzt offizieller Band-Schlagzeuger) richtig in die Band zu integrieren. Das ging mit James Ford an den Drums nicht. Wir erkannten in uns die Popband mit aufregender, energiegeladener Musik und schrieben die "Surfing The Void"-Songs in wenigen Monaten.

Worin liegt denn deiner Meinung nach der größte Unterschied zum Erstling?

Ich denke, wir sind bessere Musiker. Auf dem ersten Album beherrschten wir unsere Instrumente noch nicht völlig.

Könntest du dann wohl damit leben, wenn die neue Platte wieder unter Nu Rave abgestempelt wird?

Tags don't bother me. Ich finde es generell sehr schwierig, Musik in Genres zu kategorisieren. Ich kenne für mich nur die Stempel 'Musik, die ich mag' und 'Musik, die ich nicht mag'. Es verengt den Blickwinkel, wenn du alles in Genres stecken willst. Ich glaube, dieses Album ist eine Erweiterung des ersten, wir haben die entscheidenden Elemente einfach ausgebaut. Wir machen sehr ehrliche, energetische, leidenschaftliche Musik, die ziemlich gut zeigt, wo wir zum Aufnahmezeitpunkt als Band standen.

"Surfing The Void" enthält immer noch einige gewagte psychedelische Anteile.

Yeah, es ist kein Kompromisswerk. Es ist das Album, das wir machen wollten und dass Polydor wirklich mag. Unsere Plattenfirma ist super, weil sie uns machen lassen was immer wir wollen. Sie hatten keinen Einfluss auf den künstlerischen Prozess.

Das Label hatte auch mit dem langen Entstehungsprozess kein Problem?

Nein, ich finde auch nicht, dass wir so lang gebraucht haben. Die meisten Bands nehmen sich drei Jahre Zeit: Aracde Fire, Yeah Yeah Yeahs … Wenn du eine gute Platte erschaffen willst, musst du etwas erlebt und Dinge gesehen haben, bevor du etwas von überdauerndem Wert produzieren kannst. Es gibt keinen Druck, we're not writing for anyone's watch. Es würde ja keinen Sinn machen, ein Album zu schreiben, das man selbst nicht wirklich liebt. Dann hätte auch das Label Probleme, die CD zu verkaufen. Polydor ist die beste Plattenfirma der Welt. Sie würden uns niemals auffordern, Singles zu schreiben oder so. Wenn sie gesagt hätten, wir sollten ein Popalbum machen, hätten wir niemals mit Ross Robinson gearbeitet. Das würde keinen Sinn machen, you know what I mean? Diese ganzen Gerüchte und Erfindungen im Internet sind ziemlich amüsant. Dass wir mit Tony Visconti aufgenommen hätten, ist übrigens ebenfalls reine Fiktion. Wir haben ihn einmal zum Dinner getroffen, das war's. Da gibt es also einiges an falschen Behauptungen auszubügeln.

Wie passt Jamie Reynolds' Statement dazu? "Wir wurden angehalten, Teile des Albums neu einzuspielen, weil wir eine dichte, psychedelische Platte gemacht haben. Das war nicht das richtige für uns."

Das Zitat stammt aus einem Interview auf einer NME-Party, als Jamie richtig übel besoffen war. Jemand kam an, hielt ihm ein Mikrofon hin und fragte: 'Warum hat man euch gesagt, ihr sollt das Album neu aufnehmen?' Das wurde völlig falsch zitiert. Sieht man allein an dem Widerspruch: Mit "Surfing The Void" haben wir nämlich genau das gemacht: ein dichtes, psychedelisches Album. Und es wird veröffentlicht.

Ross Robinson ist berühmt dafür, bei Nu Metal-Acts wie Korn, Machine Head, Limp Bizkit oder Sepultura auf dem Regiestuhl gesessen zu haben. Wie kam der Kontakt zustande?

Er hat uns per Email kontaktiert genau zu der Zeit, als wir nicht mehr mit James Ford zusammenarbeiteten. Unser musikalisches Abenteuer mit Ford kam zu einem Ende, beide Seiten realisierten, dass sie etwas Neues bräuchten und getrennte Wege gehen mussten. Da schrieb Robinsons Management an unser Management, dass er liebend gerne mit uns arbeiten würde. Wir trafen uns in einem Londoner Pub und redeten nicht über Musik, sondern unterhielten uns auf einer ganz privaten Ebene. Es war sofort zu spüren: Das passt!

Bezeichnet sich Ross Robinson als Fan von euch?

Yeah! Ross ist in Bezug auf 70s-Rock wie eine Art Elton John. Ein merkwürdiger und unglaublicher Charakter, den ich nie beim Hören einer richtig heavy Platte gesehen habe. Obwohl er so viel Metal produziert hat. Ross versucht immer, die Energie eines Songs in seinem Kern einzufangen. Er versucht in die Köpfe vorzudringen und sie dazu zu bringen, so frei und ausdrucksstark wie möglich und ohne Nachdenken zu spielen. Sein Stil basiert darauf, die beteiligten Gehirne völlig abzuschalten und etwas zu erschaffen. Er hat sich bei den Arrangements und so weiter ganz rausgehalten, seine Aufgabe bestand darin, alles auf Band zu bekommen, echte Musik zu machen … es gibt nur wenig digitale Nachbearbeitung. Alles ist ziemlich live, menschliche Verspieler hat er nicht weggeschnitten. Bei der Drum-Produktion hat er ebenfalls viel geholfen.

Robinson hat gesagt, dass ihr gemeinsam wahrscheinlich "das bisher brutalste britische Album" eingespielt habt. Besteht da ein Widerspruch zu eurem Selbstverständnis als Popband?

Ein großartiges Statement. Das ist ein enormes Kompliment. Es hängt natürlich davon ab, wie du 'brutal' definierst. Ich verstehe es in dem Kontext als 'zuversichtlich und überzeugt'. Es ist violent in Bezug auf die Energie, die wir in jedes einzelne Take gesteckt haben. There was no half-assed recording. Wir waren immer alle zugleich im Aufnahmeraum, um diese Energie einzufangen. Wir wollten eine Unnachgiebigkeit einfangen, wie man sie zum Beispiel von einer At The Drive-in-Platte kennt.

Ist "Relationship Of Command" dein liebstes Ross Robinson-Erzeugnis?

Ja, ich liebe das Album! Ich hatte die Ehre, Cedric ein paar Mal persönlich zu treffen. Er ist wirklich eine unglaubliche Person. Und er steht auf uns, was fantastisch ist, weil Mars Volta für gewöhnlich nicht auf viele andere Bands mögen. Als Teenager hatten "Roots" von Sepultura, Slipknot und die ersten zwei Korn-Alben einen gewaltigen Einfluss auf mich. Das waren rebellische, wütend klingende Werke, die deine Eltern hassen würden. Genau das habe ich zu jener Zeit gewollt. Ich weiß nicht, wie die anderen Jungs das sehen … Ich schätze, At The Drive-in war der gemeinsame Nenner. Während der Aufnahmen hat Ross mehrmals gesagt, dass ihn die Atmosphäre ganz merkwürdig an die Aufnahmen zu "Relationship Of Command" erinnern würde. So etwas hat er vorher noch nie erlebt. Das war sehr besonders für uns.

Jamie hat erklärt, das Album solle junge Leute inspirieren, wieder zur Gitarre zu greifen.

Ja, es soll Leute inspirieren, Bands zu gründen. Egal ob du Drummer bist oder singst, es geht um den Willen, einen echten Ausdruck zu erschaffen. Von einer Gruppe von Menschen, nicht nur von einer Einzelperson am Computer. "Surfing The Void" handelt von uns Vieren, wie wir zusammen diese Chemie erzeugen, diesen einzigartigen Moment.

Ihr steht nicht so auf die neue Regie an Laptop-Musikern, die in ihren Schlafzimmern an eigenen Songs basteln?

Well, there is a time and place for that. In jüngster Zeit gibt es jedoch extrem viel Musik aus dieser Richtung. Es herrscht ein Ungleichgewicht. Es gibt mittlerweile mehr Laptop-Produzenten als neue Bands. Das ist eine echte Schande, denn ich bin ein großer Fan des Bandprinzips. Bands haben eine Seele und eine Chemie und einen Sound, der so speziell sein kann.

Zurück zu "Surfing The Void": Album- und Songtitel referieren sehr stark auf ein Weltraumthema. Woher die Faszination?

Nun, es handelt in Wirklichkeit nicht explizit vom Weltraum. It's more about inner space. Es geht um die Erforschung persönlicher und psychedelischer Erfahrungen. Darum zu versuchen, im Hier und Jetzt zu leben, das Hiergefühl einzufangen. Darum, wie sogar die schlechten Erlebnisse zu etwas Positivem werden können. You can see the light in the darkness. Die Lyrics handeln davon nicht zuzulassen, dass Vergangenheit und Zukunft die Gegenwart überschatten. Das Plattencover zeigt das auch: Es zeigt einen Kater, der gerade aus dem Weltraum zurückgekehrt ist. Du schaust ihn an und siehst: Das Weltall ist ihm egal. Er bevorzugt die Gegenwart im Hier und Jetzt, sein Zuhause. Besonders "Future Memories" handelt davon. (überlegt) Ich kenne viele Leute, bei denen Vergangenes die Gegenwart negativ beeinflusst. Aber was passiert, ist passiert. Man muss den Moment wertschätzen, denn er kann schon im nächsten Augenblick vorbei sein.

"Surfing The Void" ist am 20. August bei Polydor/Universal erschienen. Die dazugehörige Deutschlandtour folgt im November.

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