laut.de-Kritik
Vom Death'n'Roll zum harten Rock in fünf Alben.
Review von Stefan JohannesbergKennt ihr das auch? Die Mehrheit der Genre-Ultras liebt die frühen, rotzigen Alben aus dem versifften Kellerstudio wie "36 Chambers", "Reign In Blood" oder "Appetite for Destruction" und schreien später bei den Nachfolgern 'Ausverkauf' oder 'Bring back the old shit', wenn diese sich zu zeitlosen, top-produzierten Musikwundern weiterentwickeln. Du aber – zusammen mit einem kleinen, unbeugsamen Dorf – ziehst heimlich jene Nachfolger, auf denen die Musiker ihre Kunst wesentlich besser beherrschen, den Sure Shots vor. Bei Kvelertak begann diese Entwicklung mit Album Nummmer zwei ("Meir"), nahm aber erst mit "Nattesferd“ und "Splid" so richtig Fahrt auf. Selbst "A-ha und Boston wurden erkannt".
Der fünfte Streich "Endling" festigt jetzt diesen neuen Sound. Aus der der einstigen Death'n'Roll-Band aka den Turbonegro für Black Metal-Fans wurden astreine Vertreter des harten Rocks. Extreme Metal-Momente sind neben der Stimme von Ivar Nikolaisen rar gesät. Einzig "Fedrekult" holt kurz ein paar Blastbeat-Ansätze raus und spielt mit einem Hardcore-Vibe. Stattdessen dominiert auf "Endling" der Rock in aller Pracht wie bei Wrestle Mania 19.
Der Opener "Kroterveg Te Helvete" baut sich nach einem spacigen Intro vier Minuten lang auf, um dann in einem grandiosen Gitarren-Feuerwerk aus Stoner, Sludge, New Wave sowie AC/DC- und Metallica-Riffs zu enden. "Likvoke" geht straight nach vorne, überrascht mit Klargesang im Refrain und drückt Kvelertak gar in Richtung Gothic. Dieser Wechsel zwischen Scream-Vocal und klarer Stimme verleiht dem Sound der sechs Norweger endlich die notwendige Dynamik, krankten gerade die älteren Alben nach einer Weile doch an fehlender Abwechselung und Überraschungsmomenten. Gerade diese beiden Punkte lassen "User You Illusion" oder "Seasons In The Abyss" zeitloser erscheinen als ihr so hochgejazzten Vorgänger.
Auch die Single "Endling" und "Motsols" spielen erfolgreich mit dieser Dynamik. "Die Songs klingen so, wie Turbonegro klingen sollten", so ein anonymer Fan im bilateralen Nerd-Musik-Chat. Doch die mit Abstand derbsten Tracks sind ausgerechnet die, die den alten Sound noch wesentlich weiter ausdehnen. "Skoggangr" kommt als große Hymne mit aufbrechendem Bombast-Refrain daher, während "Svart September" den alten Sound zum bluesig-schweren Hardrock dreht. Beide Varianten passen perfekt zu den Texten, die man als Nicht-Norweger auch weiterhin nicht versteht und die selbst Google-Translate nur äußerst unzureichend übersetzt. Trotzdem fühlt man diese "Erdung", eine gewisse bodenständige Erhabenheit in der Musik, die die "Geschichten über die bereits ausgelöschten und sterbenden Völker Norwegens, jenseits von Wikingern und Trollen" (O-Ton Gitarrist und Mitbegründer Vidar Landa) auch als Nicht-Skandinavier stimmig überträgt.
Es klappt jedoch nicht alles auf "Endling". "Dogeniktens Kvad" stampft mit Banjo als Country-Metal wie einst The Waltons durch die Berge am Fjord. "Paranoia 297" klingt wie ein Konsens-Song, um auch die Fans des Debüts gütig zu stimmen. Der Sound, den man dieses Mal im Studio vor Ort kreierte, ist auch dank der live mit nur einem Klick eingespielten Spulen etwas zu breiig und nicht akzentuiert genug. Gerade, wenn man sich mehr Richtung Rock bewegt, hilft eine etwas cleanere Produktion, um die nötigen Akzente zu setzen. So ist "Endling" ein richtig gutes Album, das den Weg für die nächsten Jahre vorgibt, aber im Endeffekt noch eine Ecke mutiger sein könnte. Potenzial für einen weiteren Klassiker, dieses Mal im zeitlosen Gewande, ist auf jeden Fall vorhanden.
6 Kommentare mit 8 Antworten
Ja, Reign In Blood war schon ein richtiges Kellerstudio Debut....
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Fiel mir auch als erstes auf. Schon stark, eine Rock-Rezension so zu beginnen.
Zudem ein astreines Debütalbum.
Ja, das war ziemlich dumm von mir. Hatte die später noch mit rein genommen, um den Punkt zu verdeutlichen, aber nicht mehr auf den Kontext geachtet... Shame on a digga. Wird geändert.
Kellerstudio passt auch nicht so, war ja immerhin von Rick Rubin produziert und erschien beim Major.
Ja, okay, da aber als Gegenpol Seasons In The Abyss genannt wird, sollte ja klar sein, was vom Soundbild her gemeint ist, unabhängig davon, ob das Studio jetzt im Keller oder Hochparterre war.
Wollte nicht nur Hip Hop nennen, sondern Genre-konform bleiben Mir fiel dann aber nix mehr. Wochenend-Kinderstress. Aber nun: Hüsker Dü hätte ich noch nennen wollen, damn
Finde die immer fantastisch und live vor Energie geradezu berstend. „Endling“ holt mich nach dem zweiten Hören noch nicht vollends ab, aber ich lasse die Scheibe mal mindestens den Rest der Woche rotieren.
Der zweite Track ist übrigens nicht „Likvoke“, sondern „Fedrekult“ und spielt als einer von wenigen noch mit den alten Black Metal-Anleihen.
Danke, genau, "Fedrekult" hatte ich nach oben gepackt und bin dann etwas durch den Tüttel geraten.
Nix für mich persönlich aber geht gut nach vorne und transportiert eine Menge Energie. Gefällt mir also auch wenn ich es nicht hören würde.
Find das Album bislang schon sehr gut, aber mir fehlt tatsächlich - wie schon auf dem Vorgänger - ein wenig das Räudige des Debüts.
Hat mich nach dem ersten Hören jetzt auch noch nicht komplett umgehauen, aber immerhin über weite Strecke getragen
Kannte bislang aber auch rein gar nichts von denen, außer eben diesem einen Festival-Gig, bei dem sie wirklich schwer abgerissen haben.
Vielleicht potentiell so eine "auf Album eher nicht, aber live immer" - Band für mich.
Im Gegensatz zu anderen Kvelertak-Alben gibt es hier einen ganzen Block an Durchhängern: Die Tracks 6-8 mäandern ziemlich überraschungsarm vor sich hin und langweilen sowohl beim ersten wie auch beim xten Hören. Der Rest macht ähnlich Spaß wie sonst, kleine Experimente wie das Banjo und die Mastodon-artig, rhythmisch vertrackte Passage im Schlusstrack fügen sich gut ein.