5. Juni 2020

"Die Identitären haben mich vereinnahmt"

Interview geführt von

"Meine Hooks häng' sich ins Ohr, als wär'n sie Kleber." Sechs Jahre nach seinem Debüt zeigte LGoony in diesem Frühjahr auf seinem fünften Solowerk erneut seine Stärke für eingängige Rap-Songs.

"OK Leute, ich lasse den Eisbären aus dem Sack: 'Frost Forever' droppt diesen Freitag." LGoony beherrscht das Understatement. Anstatt sein neues Werk mit aufmerksamkeitsheischenden Fanfaren einzuläuten, ließ er nur vier Tage zwischen Ankündigung und Veröffentlichung von "Frost Forever" verstreichen. Ihm genügen die amüsant bebilderten Ohrwürmer "Demo", "Audemars" und "Rihanna" sowie das von Caspar David Friedrichs "Der Wanderer über dem Nebelmeer" inspirierte Visual zu "Allein Gegen Alle", um sich der Aufmerksamkeit sicher sein zu können.

Bei dieser von außen betrachtet bemerkenswerten Beiläufigkeit fällt es schwer zu glauben, dass sich der Kölner vom omnipräsenten Coronavirus überhaupt beeinflussen lässt. Doch die Umstände beschäftigen auch den gleichmütig wirkenden LGoony, wie sich Mitte Mai im telefonischen Interview herausstellt. Hinter der betont jungen Fassade steckt ein reflektierender Verstand. Ob es nun um Marktmechanismen, die Rap-Szene und sein grundsätzliches Kunst-Verständnis geht oder um Journalismus und die in Zeiten der Pandemie aufflammenden Verschwörungstheorien.

Vielen aus der Musikindustrie hat die Corona-Krise in die Pläne gegrätscht, andere zeigten sich zufrieden wegen erhöhter Streaming-Abrufe. Wie hat die Pandemie "Frost Forever" beeinflusst?

Es hat den Rollout ein bisschen in die Länge gezogen. Die Tour wäre jetzt im Mai gewesen und eigentlich habe ich geplant, dass zu dem Zeitpunkt noch ein anderes Release draußen ist. Insofern konnte ich mir dann aber bei "Frost Forever" mehr Zeit lassen und mehr Videos machen. Es war quasi Glück im Unglück. Aber natürlich ist es trotzdem schade, dass die Tour nicht stattfindet, weil die neuen Songs live sehr gut abgegangen wären.

Zumindest trittst du am 4. Juni mit Lugatti & 9ine in einem Bonner Autokino auf. Hat es zumindest auch einen positiven Aspekt, dass die Musikindustrie wieder kreativ werden muss?

Generell ist es natürlich cool zu sehen, dass Lösungen oder halbe Lösungen gefunden werden, damit nicht alles den Bach heruntergeht, aber an sich ist das schon alles gar nicht vergleichbar. Ich kann mir das noch nicht so vorstellen mit dem Autokino-Konzert, weil die Leute natürlich in den Autos sitzen und dann hupen. Ich werde das einfach mal ausprobieren und vielleicht ist es ja ganz cool. Mir geht es vor allem darum, dass ich meine Musik präsentieren kann, gar nicht so sehr um den Geldaspekt. Es geht auch ganz gut so. Die Songs sind ja alle aus dem letzten Jahr. Ich habe das alles im Kopf durchgeplant. An sich wäre es schon geil gewesen, das alles live zu spielen, weil da wieder richtige Live-Songs bei sind. Und das kommt im Autokino natürlich gar nicht herüber. Da gibt es ja gar keinen Moshpit.

Du machst aber auch nicht unbedingt die Moshpit-Musik, oder?

Doch, auf meinen Konzerten ist eigentlich bei jedem Song Moshpit. Ich war ja mit Crack Ignaz 2016 auf Tour und das war die erste Tour, bei der es so war. Bei Ami-Acts habe ich das selbst in der Crowd ab und zu miterlebt, aber bei Deutschrap waren es zu dem Zeitpunkt immer noch die Hip-Hop-Arme. Oder es wurden irgendwelche Spielchen veranstaltet: 'Jetzt laufen wir alle von links nach rechts. Jetzt gehen wir alle in die Hocke." Moshpits gab es da eigentlich fast gar nicht, außer vielleicht mal bei einzelnen Songs. Bei uns war das dann eher so, dass die Leute hingekommen sind und schon von sich aus Bock hatten. Man musste gar nicht viel animieren. Das läuft alles über die Musik und alle haben Spaß. Ich auf der Bühne und das Publikum genauso.

Du hast mit Hazel Brugger den Kampf gegen die Krise aufgenommen und einen Händewasch-Song veröffentlicht. Ging es euch darum, dem bedrückenden Thema etwas Leichtigkeit zu verschaffen?

Das war ja relativ am Anfang und einfach eine spontane Idee. Zu der Zeit ging es vor allen Dingen noch um Hygiene-Sachen. Von Anfang an war die Idee, dass wir einen 30-sekündigen Song machen, weil eben 30 Sekunden genau die empfohlene Zeit zum Händewaschen ist. Das wollten wir einfach in einem Video verarbeiten. Dahinter war kein großer Plan.

Sind solche Spaß-Projekte ein Ausdruck dafür, dass in deinem musikalischen Kosmos alles möglich ist?

Ja, das könnte man sagen. Zumindest schränke ich mich nicht ein. Ich habe auch noch mehrere Projekte unter einem anderen Namen, wo ich andere meistens rapartige Sachen mache. Ich versuche, mich schon viel auszuprobieren, weil Musik einfach mein Hobby ist. Es ist einfach das, was mich erfüllt. Immer wenn ich Musik mache, habe ich in dem Moment auch richtig Bock darauf. Insofern kommen da unterschiedliche Sachen bei herum.

Sowohl der Händewasch-Song als auch das "Rihanna"-Video, in dem du zum Beispiel dein junges Aussehen betonst, kommen selbstironisch daher. Weshalb ist dir die eigentlich genreuntypische Selbstironie wichtig?

Das ist mir eigentlich gar nicht so wichtig. Es ist halt ein Spiel mit den Gegebenheiten. Ich sehe relativ jung aus und bin halt so ein deutscher Junge. Die Leute verbinden automatisch mit mir schon dieses Ironische. Man kauft mir nicht so richtig ab, was ich so sage. Insofern spiele ich einfach mit der Rezeption. Im Endeffekt ist meine Musik nicht ironisch gemeint. Ich meine die ernst, auch wenn ich nicht alles lebe, was ich im Text sage. Es ist meine Kunstfigur und in diesem Rahmen bewege ich mich einfach.

Wie entstand deine Kunstfigur?

Als ich 2014 angefangen habe, fand ich es interessant, vom Inhalt wegzugehen. Deutschrap war ja damals sehr ausformuliert. Es gab zu jedem Thema einen Track mit drei Strophen und 1.000 Bars. Auch wenn es um Gefühle ging, wurden diese beschrieben und ausformuliert, wodurch die Gefühlsebene verlorengegangen ist. Ich persönlich habe das als Konsument und Musikfan nicht mehr gefühlt. Deswegen habe ich weitergeguckt und Amirap für mich entdeckt. Ich fand Leute wie Gucci Mane immer krass inspirierend, da sie einfach in verschiedenen Songs 40 Lines darüber rappen, dass sie ein Cabrio fahren. Und es ist immer wieder eine neue Line und es ist immer wieder lustig. Ich dachte mir, dass die Themen Geld und dann später auch Weltall so abstrakt sind, dass ich damit erstmal nicht so leicht in eine Schreibblockade komme. Zweitens kann ich mich so einfach auf die Melodie fokussieren.

Interessant, dass du sagst, dass dir Deutschrap zu textlastig war. Rap ist immerhin wie dafür gemacht.

Seit ich mich intensiv mit Rap beschäftige, habe ich mir wirklich alles reingefahren. Alles habe ich mir angehört. Insofern bin ich dann relativ schnell in die Ecke gekommen, wo Rapper wie Prezident zu finden sind. Und das ist inhaltlich ja schon sehr schwer. Ab diesem Moment ging es nicht mehr tiefer. Generell interessiere ich mich sehr für Melodien und Harmonien. Das hat mir dann einfach gefehlt. Emotionen wurden aus meiner Sicht immer eher durch die Beats transportiert, als über das was da gesagt wurde. Insofern war es mir dann irgendwann einfach zu viel des Guten. Es war eine Art Overkill in Sachen Inhalt. Für mich selbst war es ein Befreiungsschlag, als ich dann bei meiner eigenen Musik auch nicht mehr an die Normen geklammert habe, was einen guten Rapper ausmacht. Ich habe einfach nach meinem Bauchgefühl Musik gemacht. Das hat sich für mich besser angefühlt, weil es mir dann auch wieder mehr Spaß gemacht hat.

"Selbst der authentischste Straßenrapper bildet nur eine Facette von seinem Leben ab."

Wenn du bei Leuten bist, die nicht ganz den früheren Regeln entsprechen. An welcher Stelle hast du Money Boy für dich entdeckt? Wann warst du überzeugt, dass das ein langlebigeres Phänomen wird und kein vorübergehender Gag?

Das war für mich eigentlich relativ schnell klar, weil ich seine Herangehensweise verstanden habe. Ich bin damals wie die meisten durch "Dreh Den Swag Auf" auf ihn aufmerksam geworden. Die ersten paar Tage war ich ein bisschen verwirrt, aber dann ich es schon gerafft. Der hat ja dann auch relativ schnell mit mehr Stuff nachgelegt. Ich fand seine unverkopfte Herangehensweise megageil. Er hat auch einfach mal einen Song übersetzt, den es schon im Amerikanischen gab. Generell habe ich ihn dann sehr intensiv verfolgt und dadurch sind mir Sachen aufgefallen. Er spielt eben auch damit, wie er wahrgenommen wird. Er macht extra einen Song mit einer schiefen Hook, damit die Leute wieder schlecht über ihn reden. Wenn er dann mehr im Fokus ist, bringt er wieder einen Song raus, der musikalisch besser ist. Und so hat er das von Anfang an durchgezogen. Ich habe davor sehr großen Respekt. Und es hat mich auf jeden Fall auch dazu gebracht, dass ich selbst lockerer an Musik und Kunst herangegangen bin.

Du hast bei Puls mit einer beeindruckenden Beiläufigkeit die jahrzehntealte Realness-Debatte im Rap weggewischt ("Realness ist nicht existent"). Warum spielt das Thema gerade im Rap überhaupt eine so große Rolle?

Authentizität spielt eine größere Rolle im Rap, weil es viel um die Straße geht und darum, sich aus seinen Gegebenheiten rauszukämpfen. Man spürt es mehr, wenn die Person es wirklich erlebt hat. In der öffentlichen Wahrnehmung ist es insgesamt aber ein Schwarz/Weiß-Ding. Entweder ist eine Person real oder nicht real. In Wirklichkeit ist es aber so, dass selbst der authentischste Straßenrapper nur eine Facette von seinem Leben abbildet. Dadurch ist es meiner Meinung nach nicht mehr die pure Realness, weil einfach Faktoren fehlen, um es ganz zu bewerten. Das ist gar nicht nur auf Rap bezogen, sondern insgesamt. Jeder postet im Social Media nur die Bilder von sich, die er selbst am schönsten findet. Das ist dann vielleicht sogar sehr weit entfernt von der Person, die wirklich dahinter steht. Genauso ist es auch bei Rap. Wenn ich rappe, lasse ich mir die Freiheit, dass ich als meine Kunstfigur reden kann, aber trotzdem die Werte verteidige, die ich habe. Das läuft dann gar nicht immer über den Inhalt, sondern auch über gewisse Einstellungen und Aktionen, die ich mache oder eben nicht mache.

Du hast gesagt, dass du vom textfixierten Rap wegkommen wolltest. Da fällt natürlich "Allein gegen Alle" auf "Frost Forever" raus, weil du recht konkret mit der Musikindustrie ins Gericht gehst. Wieso war dir diese deutliche Abgrenzung wichtig?

Ich komme ja aus dem Battle-Rap. Damit habe ich angefangen. Deswegen ist das immer in mir drin. Ich betrachte immer die Szene an sich, weil ich eben auch Fan davon bin. Ich sehe, was für mich persönlich die Knackpunkte sind. Zum Beispiel sind das eben die Sachen, die ich in dem Song anspreche. Da geht es ja viel um Streaming und wie das den Musikmarkt gerade verändert. Als ich reingekommen bin ins 'Game', ging es gerade weg von der CD, aber der Markt hatte sich noch nicht daran angepasst. Deswegen gab es Soundcloud und Bandcamp, wo jeder für sich selbst den Startschuss legen konnte. Durch diese ganzen Playlists ist es mittlerweile aber so, dass alles wieder vorsortiert wird und nur das Erfolgreiche einen Platz kriegt. Wenn man sich nicht anpasst oder aktuellen Trends folgt, ist es wieder schwieriger, reinzukommen. Das finde ich kritisch, weil Kunst frei sein sollte. Es sollte nicht algorithmusbasiert entschieden werden, welche Kunst überlebt und welche nicht.

Du betonst ja auch, keinen Manager und kein Label zu haben, weil dir niemand reinreden können soll. Bist du davon überzeugt, dass die sofort Einfluss auf deine Musik ausüben würden?

Ich selbst will halt nur zeigen, dass es auch eine Alternative dazu gibt. Ich bin eine sehr eigenständige Person. Es ist relativ schwierig, mit mir zusammenzuarbeiten, weil ich eben sehr genaue Vorstellungen habe. Man muss mit mir auf einem Nenner sein, damit das funktioniert. Generell habe ich aber nichts gegen Managements. Ich finde es aber teilweise schon krass, was für einen Einfluss das hat. Das sind Leute mit krassen Verbindungen, die einen direkt an einen anderen Ort bringen können. Die selektieren dann quasi, was für Musik stattfindet. Und das ist gar nicht immer qualitativ bemessen, sondern ob eine Person vermarktbar ist. Natürlich bin ich da Idealist, aber ich fände es geil, wenn die Leute Unterstützung bekämen, die wirklich talentiert sind.

Du hast bereits gesagt, dass du mit der Rezeption spielst. In "Allein Gegen Alle" kommt das auch an zwei Stellen vor ("Lass mich nicht bewerten von Möchtegernexperten"/"Deutsche Hip-Hop-Medien können sich ficken"). Wie gehst du generell mit Kritik um? Und was stört dich an der Berichterstattung?

Ich ein sehr großer Fan von Journalismus und finde Kritik super. Durch die aktuelle Situation leidet die Qualität vom Journalismus. Leute berichten nicht mehr informiert und schreiben dann vielleicht eine Review, in der irgendwelche Unwahrheiten erzählt werden. Das liegt natürlich daran, dass der Journalismus gerade zu kämpfen hat. Es geht sehr viel um Masse und nicht um Qualität. Die ganzen Leute mit Ahnung, die in den letzten Jahrzehnten so viel Herzblut reingesteckt haben, sind natürlich unzufrieden damit, dass sie so ums Überleben kämpfen müssen und wechseln deswegen in andere Branchen, wo ihre Expertise mehr wertschätzt wird. Zum Beispiel werden dann Leute A&Rs. Für mich persönlich ist es ein wichtiges Thema. Das ist nämlich der Weg, den ich mir eigentlich vorstelle. Musik sollte nicht durch Playlisten und Algorithmen präsentiert werden, sondern durch Menschen mit Ahnung und Geschmack. Die sollten Musik präsentieren, vielleicht noch ein paar Hintergrundinformationen dazu liefern und es ein bisschen einordnen. Wenn ich einen Artist höre und weiß, der hat gerne Rap aus Memphis gehört, habe ich wieder einen Ansatz, um mich mit dem Ursprung – den Rap aus Memphis in dem Fall – näher zu beschäftigen. Das ist für mich als Musik-Nerd auf jeden Fall immer geil. Und meine Kritik ist eben, dass es weg von der Richtung geht.

Wie könnte man dem entgegenwirken?

Generell muss man eine bessere Lösung finden. Ich supporte zum Beispiel All Good. Das ist eine Hip Hop-Seite, bei der sie freiberuflich arbeiten. Es gibt keine Werbung auf der Seite. Es ist alles durch Spenden finanziert. Und dadurch wird die Unabhängigkeit gewährleistet und die Leute können wieder kritischer mit Musik umgehen. In der Situation wie es gerade ist, ist es gerade im Rap oftmals gar nicht möglich, eine anständige Review zu schreiben. Leute geben dir kein Interview mehr oder versuchen dir Steine in den Weg zu legen, weil du ihnen eine schlechte Review gegeben hast. Aktuell ist es auch wieder der Fall, dass Journalismus bedroht wird oder es zu Körperlichkeiten kommt. Dazu kommt dann auch noch die finanzielle Abhängigkeit. Das macht das Ganze einfach kaputt. Insofern ist das Modell, dass es über Spenden finanziert wird, eigentlich ganz logisch für mich. Für mich ist es alternativlos, weil die Alternative bedeutet, dass eine Maschine entscheidet, was für Musik stattfindet.

"Extremismus ist immer eine Form von Unzufriedenheit. Und solange es so ist wie es ist, wird sich an der Unzufriedenheit nichts ändern."

Aus Künstlersicht wird Journalismus oft nur als Marketingtool wahrgenommen.

Für mich ist das kein Marketingtool. Promointerviews sind ohnehin uninteressant, weil immer dasselbe gesagt wird. Das geht gar nicht tief genug, dass es mich als Fan interessieren würde. Ich gebe ja auch nicht so viele Interviews. Ich mache Interviews, damit ich interessante Ansichten mitteilen kann. Ich gehe immer so daran, wie ich es selbst als Fan haben wollen würde. Für mich sind Interviews eher ein Weg, dass man die Person hinter der Kunst mehr sehen kann. Insofern ist einfach die Betrachtungsweise von den meisten Artists wahrscheinlich schon falsch.

Du bist auch durch Seitenhiebe in Richtung der gerade sehr auffälligen Verschwörungsszene aufgefallen. "Wann hält Ken Jebsen denn mal endlich sein Maul?", fragst du auf Twitter. Im "Rihanna"-Video führst du Xavier Naidoo auf. In deiner Heimatstadt Köln gab es ja auch Proteste. Was beobachtest du da?

Ich finde das einfach richtig gefährlich und belastend. Das ist eine Art und Weise mit Uninformiertheit umzugehen, die einfach falsch ist. Natürlich ist der normale Bürger kein Experte auf dem Feld Corona, aber im Endeffekt gibt es Fakten. Die Fakten sind Zahlen und die Zahlen stehen für Menschen, die zum Teil daran sterben. Ab dem Punkt gibt es gar keine Diskussionsgrundlage. Ich finde auch, dieses ganze 'Die da oben' ist totaler Quatsch. Unabhängig von Ken Jebsen haben viele dieser Leute eine solche Reichweite. Viele Kinder sind auch Fans von denen und nehmen für bare Münze, was die erzählen. Es wird einfach so unkritisch damit umgegangen. Gerade, wenn es in so eine Richtung wie bei Xavier Naidoo geht, was im Grundsatz antisemitisch ist. Diese ganzen Verschwörungstheorien vom Finanzjudentum oder das Kinderblut getrunken wird kommen einfach faktisch aus dem Mittelalter und Zeiten davor. Sie sind in ihrem Kern antisemitisch. Ich finde das null unterstützenswert.

Wie sollte man diesen Erzählungen begegnen?

Für mich ist die einzige Art und Weise damit umzugehen, sich über diese Leute lustig zu machen. Man kann sich auf keine Diskussion einlassen, weil innerhalb dieser Diskussion Fakten nicht zählen. Es wird immer ausgewichen und auf andere Sachen verwiesen. Das sind immer so Schlagworte, jetzt ist es die Impfpflicht. Man merkt, die Leute fressen das einfach aus der Hand, ohne darüber nachzudenken, ob das faktisch überhaupt möglich ist. Es ist faktisch gar nicht möglich, dass irgendwelche Leute in Logen sitzen und zusammen über eine Welt entscheiden. Sobald mehrere Personen in diesem Kreis sitzen, müssten sie alle die exakt gleiche Meinung vertreten. Gleichzeitig wird aber davon ausgegangen, dass es extreme Machtmenschen sind. Wenn in der Loge aber mehrere Menschen sitzen, die alle sehr machthungrig sind, dann will jeder von denen der mit der meisten Macht sein. Ab dem Punkt ist diese Geheimgesellschaft in sich bedroht, weil es zu Konkurrenzkämpfen kommt. Und die Leute denken nicht darüber nach. Sobald man sich etwas nicht erklären kann, wird irgendwas an den Haaren herbeigezogen, anstatt zu recherchieren und auf Experten zu hören. Dass Ken Jebsen mit so einem Video 3-4 Millionen Aufrufe hat und die Bewertungen alle positiv sind, ist einfach richtig alarmierend.

Sich darüber lustig zu machen, mag heilsam für einen selbst sein, aber am Problem ändert es letztlich nichts.

Ja, an sich schon. Ich habe aber ein konkretes Beispiel, bei dem ich darauf eingegangen bin. Martin Sellner von der Identitären Bewegung hat mal etwas von mir gepostet. Natürlich habe ich mich davon distanziert, aber in dem Fall war es ein Fehler. Es war das Posting, mit dem ich die größte Reichweite jemals hatte. Und diese Reichweite haben sie komplett für sich vereinnahmt. Ich habe ihnen quasi eine Fläche gegeben. Die konnten ihre Sachen darunterschreiben, die gar nicht an Fakten orientiert sind. Es ist extrem schwierig, damit umzugehen. Es geht ja nur darum, die Leute zu catchen. Im Endeffekt führt es zur Spaltung. Die Leute haben ein Feindbild und dadurch gibt es direkt nur richtig oder falsch. Die Erfahrung habe ich für mich gemacht. Es einfach ins Lächerliche zu ziehen, halte ich eigentlich für den besseren Ansatz. Sobald es dazu kommen kann, dass eine sprunghafte Diskussion wird, hat man verloren. Man kann gar nicht in allem informiert sein. Und denen kommt es nicht darauf an. Die müssen in nichts informiert sein. Im Internet hat man ohnehin verloren, weil die organisiert sind. Die haben die Möglichkeit, ein Video von Karl Lauterbach runter zu disliken. Das Internet gehört einfach denen.

Ist es nicht merkwürdig, dass ausgerechnet die Rechtspopulisten das Netz derart gut beherrschen?

Irgendwie ist es auch logisch, da man sehr gut mit Angst arbeiten kann. Es geht ja niemand in den Artikel rein und sucht dann die Quellen raus, um sie zu überprüfen. Jeder Mensch auf der Welt kann eine Newsplattform gründen, auf der er Artikel online stellt und irgendwelche Fake-Zitate oder –Nachweise einblendet. Im Endeffekt lesen die meisten Leute ohnehin nur die Überschrift. Ich finde es aber falsch, wenn das Internet, gerade wie jetzt zensiert wird. Attila Hildmann war in einem Podcast mit MC Bogy und B-Lash. Jetzt wurde der ganze Kanal gelöscht, weil die anscheinend generell viele Verschwörungstheorien verbreiten. Das ist der falsche Umgang, weil diese Leute in ihren Meinungen bekräftigt werden. Es zeigt wieder, dass die Leute, die den Staat repräsentieren, das Internet einfach nicht verstanden haben.

Welche Lösungen schlägst du vor?

Man muss wirklich an den Kern herangehen. Der Kern ist einfach die Bildung der Leute. In den Schulen sollten im Idealfall die Werte vermittelt werden. Das ist ein sehr weit gesponnenes Thema, aber damit das funktionieren kann, muss man einfach das Schulsystem reformieren. Man muss aufhören, Leute aus der Gesellschaft auszuschließen. Man muss die Integration von ganz unten anfangen. Nicht nur die Integration von Ausländern, sondern auch von der Unterschicht. Leute, die keinen Zugang zu Bildung haben und in diesem Hamsterrad gefangen sind. Man muss Geld in Jugendzentren stecken, wo die Kinder von der Straße geholt werden. Man muss die Leute auffangen und ihnen das Gefühl geben, dass sie gehört werden. Wenn dir nicht von der Regierung zugehört wird, dann suchen die sich wen anders. Die anderen sind eben die Rechten oder die religiösen Extremisten. Jeder Mensch will verstanden werden und zu etwas dazugehören. Extremismus ist immer eine Form von Unzufriedenheit. Und solange es so ist wie es ist, wird sich an der Unzufriedenheit nichts ändern.

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2 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Guter Mann, der Ludwig, und auch n gutes Interview.

    Autokinokonzert musste für ihn ja wohl leider ausfallen.
    Aber Thema Moshpit: da hätte er seinen Hintern nur mal in den Stadtgarten oder ins Studio bewegen und nem Olli Banjo Konzert beiwohnen müssen.

    • Vor 3 Jahren

      niemand sollte einem olli banjo-konzert beiwohnen müssen. :rayed:

    • Vor 3 Jahren

      ich fand den live okay! Na gut, schon ewig her (Lifeshow-Zeit ca), er war heiser und hat nur ne Dreiviertelstunde geschafft...aber hat nachher noch Autogramme gegeben, voll nett!

    • Vor 3 Jahren

      @freddy sorry, aber das ist nun wirklich nicht richtig. Bis Lifeshow war nicht nur der musikalische Output gut bis sehr gut, sondern auch die Konzerte. Das war jedes Mal richtiger Abriss, zumindest bei uns in Köln. Allein der Auftritt mit PMA und Pat Cash als Voracts war super gut.
      Was danach kam, war natürlich ausschließlich Grütze. Hab ihn seitdem auch nicht mehr live gesehen.

      Aber back to topic: frost forever :D

    • Vor 3 Jahren

      Hab ihn nur auf dem Splash 2006 live gesehen und das war auf jeden Fall nice. Und als Typ auch nett. #teamdarko

  • Vor 3 Jahren

    Definitiv ein richtig guter Rapper und extremst sympathisch!!!