laut.de-Kritik

Beerdigungstaugliche Gitarren zu ansprechenden Melodien.

Review von

"Muss ich denn sterben, um zu leben?", fragte Falco in "Out Of The Dark". Treffender kann man die aktuelle Platte "Bleeding The Stars" der Lacrimas Profundere nicht beschreiben. Statt den kommerziell einträglichen Sound der erfolgreichen letzten Scheibe "Hope Is Here" fortzusetzen, wechselt Bandchef Oliver Nikolas Schmid kurzerhand die Pferde und klingt nunmehr vollkommen anders als zuletzt.

Sein Vorhaben, die Band zurück zu ihren in Doom und Gothmetal reichenden Wurzeln Marke My Dying Bride oder frühe Anathema zu führen, ließ anscheinend manches Mitglied bittere Tränen vergießen. Am Ende der Auseinandersetzung standen einmal mehr Ausstieg und Scheidung, unter anderem vom langjährigen Sänger Rob. Die Liste von Ex-Mitgliedern umfasst mittlerweile fast zwei Dutzend Musiker. Für Schmid ist das entgegen des Bandnamens kein Grund zum Heulen, im Gegenteil: Mit Rückkehrer Dominik Scholz und Greenhorn Julian Larre häuten sich die Lacrimas erneut wie eine Schlange.

Das Ergebnis fällt positiv aus. "Bleeding The Stars" lässt die Ohren nicht bluten und ermöglicht dem Hörer sogar, echtes Herzblut zu entwickeln. Fundament und Ästhetik machen einen sehr stimmigen Eindruck. Besonders der Opener "I Knew And Will Forever Know" zeigt recht deutlich, was das Trio in seinen besten Momenten leistet: schleppende Verzweiflung, genäht aus beerdigungstauglich mäandernden Gitarren und einer ansprechenden Melodie, die Larres guter Genregesang im Wechsel aus Lethargie und Eruption beisteuert. Ohnehin fügt sich der junge Newcomer ein, als sei er bereits seit 1990 im Boot. Große Leistung!

In dieser Intensität agieren sie auf internationalem Niveau und beweisen, dass genannte Ikonen lediglich einen stilistischen Rahmen vorgeben, ohne die Individualität von LP zu beeinträchtigen. "The Kingdom Solicitude", "Mother Of Doom" oder "Like Screams In Empty Halls" machen in ihrer Bittersüße eine gute Figur.

Ähnlich überzeugt auch ihr Händchen für passende Details. Wenn Larre in "Like Screams" titelgetreu eine Art Black Metal-Schrei in Zeitlpe absondert oder Schmids Gitarre in "Father Of Fate" eine "First And Last And Always"-taugliche Gitarrensalve abfeuert, darf man sich getrost freuen. Während viele Kollegen zu oft der Versuchung klebrigen Keyboardkitsches erliegen, wartet "All These Infinities" mit einem begleitenden Pianothema auf, das sicher auch Einaudi-Fans gefällt.

Das heißt allerdings nicht, alles gelänge perfekt. Vollkommen unnötig geben Lacrimas Profundere zwischendurch ihren eigenen Stempel auf. "Celestite Woman" etwa taugt als tanzbarer, klassischer Gothic Rock durchaus. Aber was um Goths Willen bringt Larre nur dazu, hier so unnötig epigonal zu klingen, als imitiere er gleichzeitig The 69 Eyes anno "Gothic Girl" und Moonspell anno "Opium"?

Trotz solch kleiner Schwächen kann man die aktuelle Inkarnation der Lacrimas Profundere bedenkenlos empfehlen. Gerade heimischen Bands fehlt es oft an Fingerspitzengefühl bei der modernen Verwendung traditioneller Genrezutaten. Hier nicht! Jeder, der eine echte Alternative zu Acts der Sorte Lord Of The Lost, ASP und pseudodunkler Konsorten sucht, wird hier fündig.

Trackliste

  1. 1. I Knew And Will Forever Know
  2. 2. Celestite Woman
  3. 3. The Kingdom Solicitude
  4. 4. Mother Of Doom
  5. 5. Father Of Fate
  6. 6. Like Screams In Empty Halls
  7. 7. The Reaper
  8. 8. After All Those Infinities
  9. 9. A Sip Of Multiverse
  10. 10. A Sleeping Throne

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2 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Um sich mit Größen der genannten My Dying Bride, alte Theatre of Tragedy, Dreadful Shadows etc. zu messen, fehlt es diesem Album eindeutig an Biss, an der Koexistenz aus sanfter Melancholie und aggressiver Härte. Intensität leider Fehlanzeige, dafür aber ein gefühlt sehr schöne Gothic Wave-Rock Album, wunderbar melancholisch, old-school, aber leider mit viel brach liegendem Potential. Die Stimme gefällt mir dagegen sehr!

    • Vor 4 Jahren

      das ging mir zuerst auch ein wenig so. der eindruck wurde nach dem zweiten, dritten hören besser.

      aber hey: die großartigen mdb stellst du wirklich auf eine stufe mit den doch eher mediokren theatre of tragedy und dreadful shadows? gerade die shadows haben doch bis auf "funeral procession" nie so wirklich internationale klasse gehabt. wenn schon deutschland als referenz, wären es dann nicht eher die tatsächlich superben pink turns blue?

    • Vor 4 Jahren

      in welche old school gothic richtung geht es denn? referenzen?

    • Vor 4 Jahren

      wie im text obig steht: my dying bride, frühe anathema als doom-vergleich und 68 eyes anno "gothic girl" und moonspell anno "opium" als gothrock-vergleich.

      nd da sind die einfach deutlich näher bei den ikonen als bei deutschem schwarzszenekram a la lotl, asp etc

    • Vor 4 Jahren

      Für mich sind die ersten beiden Dreadful Shadows und ToT Alben mit das Beste, was Gothic Metal jemals zu bieten hatte. Wie "groß" oder bekannt die nun international geworden sind, ist da für mich doch sehr irrelevant. Ich habe die letzte Dreadful Shadow Tour in einer kleinen Disco erlebt und bin bis heute ergriffen von dieser Intensität, die dort vermittelt wurde. Diese Band spielte finde ich in einer ganz anderen Liga und war absolut einzigartoig.

      Und ich finde Dreadful Shadows und ToT sind auch eher mit Lacrimas Profundere zu vergleichen, als My Dying Bride, da diese doch deutlich dunkler und depressiver klingen. Aber mag ja Geschmacksache sein.
      Was bedeutet denn eigentlich "frühere Anathema"? Mit den letzten 4-5 Alben hat Lacrimas Profundere von der Stimmung her finde ich wenig zu gemeinsam. Klar, beide ertränken sich in Melancholie, aber beide finde ich in eine jeweils andere.

      Aber vielleicht wächst das Album auch bei mir noch, die Chance werde ich ihm geben.
      Pink Turns Blue kenne ich noch gar nicht, danke für den Tipp! Die ersten Hörschnipsel lassen aber eine eindeutige Gothic Wave Band erklingen (ähnlich The Cure?). Das ist sehr fokusiert, bei Lacrimas Profundere wäre mir das auch lieber gewesen, anstatt diese süsslich-seichten Rock-light Gitarren aufzufahren, die nirgends annecken wollen und weder Fisch noch Fleisch sind.

    • Vor 4 Jahren

      "Wie "groß" oder bekannt die nun international geworden sind, ist da für mich doch sehr irrelevant. "

      für mich auch. deshalb ja "internationale klasse" unbd nicht " interntionale chartburner". aber klar ist das ne geschmacksfrage.

      mit "frühe anathema" meine ich die relativ puristischen anfangsjahre, die sehr doomlastig waren.

      zu ptb: gern geschehen :) die sind aus meiner sicht das mit abstand beste, was wave- und gothrock aus deutschen landen bietet. anspieltipp als platte: "meta"! unfassbar gute scheibe. ebenso die debütplatte "if 2 worlds kiss". deren fankultsong ist "michelle" von der "eremite".

      tipps:

      master is calling: https://www.youtube.com/watch?v=FT9lwMakwv8

      michelle: https://www.youtube.com/watch?v=h59XLbturOQ

      catholic sunday: https://www.youtube.com/watch?v=rbuG52jah8w

      und hier das von mir betreute lautfach.
      https://www.laut.de/Pink-Turns-Blue

      rezis zu den beiden letzten platten:
      https://www.laut.de/Pink-Turns-Blue/Alben

      viel psaß. der mic jogwer ist ein herausragender songwriter nd vielseitiger arrangeur. das lebende gegenteil zum teutonischen schwarzszenekitsch.

  • Vor 4 Jahren

    Danke für die Tipps, die werde ich zu gegebener Zeit Mal einzeln durchforsten.
    Das Album "The Aerdt Untold Stories" gefällt mir jetzt gar nich tmehr so gut, die scheinen den Stil verändert zu haben und geben den Gitarren mehr Raum, dafür geht der Wave Anteil deutlich zurück. Muss ich wohl etwas weiter in die Vergangenheit schauen. ;-)