laut.de-Kritik

Der leidende Künstler.

Review von

Jimi war schon tot, Janis starb nur wenig später. Es ist eine kurze Zeitspanne, in der Leonard Cohen "Songs Of Love And Hate" einspielte, doch genauer hätte er den Anfang vom Ende der Flower-Power-Ära nicht treffen können.

Nicht dass Woodstock je Cohens Welt gewesen wäre. Drogen, Spiritualität und freie Liebe sind 1970 für den bereits 36-Jährigen keine kollektiv zelebrierten Zeitgeisterscheinungen, sondern vielmehr willkommenes Gegengift. Antidepressiva eines lebenserfahrenen Mannes, den das plötzliche Rampenlicht noch stärker auszehrt als seine jüngeren Leidensgenossen.

Offenkundig zu alt für den Klub 27 arrangiert sich Cohen mit dem Leben im Musik-Business, in das er mit "Songs Of Leonard Cohen" und "Songs From A Room" wenige Jahre zuvor hineinstolperte. "Ehrlich gesagt, ich schäme mich für die meisten Arbeiten", äußert er einige Monate später. Glück brachten sie im Privaten tatsächlich nicht: Das hedonistische Leben mit seiner Muse Marianne auf der Insel Hydra gehört der Vergangenheit an, Chelsea Girl Nico zeigt sich von seinen poetischen Annäherungsversuchen unbeeindruckt.

Weitere romantische Spannungen mit Freundin Suzanne Elrod sowie dem freundlichen Verweis von Columbia Records auf einzuhaltende Plattenverträge lassen Cohen aber keine Wahl: Für ein neues Album bleibt ihm folglich nichts anderes übrig, als die innere Düsternis nach außen zu kehren. Religion und Schicksal, Liebe und Untreue, Selbstzweifel und Autoaggression – das ist die Welt von "Songs Of Love And Hate", die Welt eines Cohens nach "Suzanne" und vor "Hallelujah".

Nick Cave hat mehrfach betont, "Songs Of Love And Hate" habe sein Leben und seine Sicht auf die Dinge verändert. Fremde Emotionen drangen in Caves liebevolle, behütete Kindheit. Warfen Kritiker Cohen damals tatsächlich vor, mit seinen spärlich instrumentierten Trauer-Kompositionen eine ganze Generation zu deprimieren, so sieht der Bad Seeds-Sänger hierin vielmehr ein einzigartiges Ventil: "Die Traurigkeit von Cohen war inspirierend, sie gab mir viel Energie."

Viel dieser Energie schlummert bereits im Opener "Avalanche": Der refrainlose Sechsminüter (unter anderem von Cave gecovert) schaufelt bereits zu Beginn mögliche Euphorie-Reste zur Seite – und ist ganz nebenbei das wohl eindrucksvollste Beispiel von Cohens Trademark-Picking auf der Konzertgitarre. Über das Geflimmer von gefühlt 18 Saiten erhebt sich Cohens bebender Bassbariton: "You who wish to conquer pain / You must learn to serve me well." Willkommen zu Liebe und Hass.

Die Liebe ist für viele bis heute das primäre Element in Cohens Liedern. Der Hass hingegen lauert vielmehr in den grotesken Auswüchsen des Selbstzweifels, der ihn ein Leben lang begleitete. Dabei ist die Bescheidenheit späterer Live-Aufnahmen nichts gegen die allumfassende Unsicherheit seiner frühen Tourneen, die Angst, sein Publikum mit Belanglosigkeiten zu langweilen.

"What can I tell you my brother, my killer / What can I possibly say?"

"Famous Blue Raincoat" ist nicht nur die wohl bekannteste und zugänglichste Komposition des Albums. Es ist auch das Stück, das Cohens damalige Gefühlswelt aus Zynismus, Melancholie und Hassliebe auf den Punkt bringt wie kein anderes. Das Szenario der Dreiecksbeziehung ("your enemy is sleeping, and his woman is free") kann man gut und gerne als zeitgeistige Anspielung auf die gebrochenen Herzen der freien 68er-Liebe beziehen. Andererseits: Zu gut versteht sich Cohen dafür auf die zeitlose Allgemeingültigkeit seiner Lyrik – in all seinen Texten.

Mit Cohen als Absender (und als nicht immer unschuldiger Frauenheld) ist dieses Protokoll noch verhältnismäßig einfach zu entschlüsseln. Auch das ungewohnte Nashville-countryeske "Diamonds In The Mine" und das gefährlich suizidale "Dress Rehearsal Rag" reihen sich in die kurze Liste der zugänglicheren Nummern ein – die meisten Songs jedoch schmücken sich mit weitaus kryptischeren Zeilen.

In den frühen Siebzigern hat Cohen längst erkannt, wie schwer es ist, sich an kurze Moment des Glücks klammernd nicht ins Unglück abzurutschen. Es ist das alte Bild des leidenden Künstlers: Zweifel, Enttäuschung, Schmerz. Doch statt die Quelle dieses Elend in seinen Mitmenschen zu verorten, ist seine Freudlosigkeit eher egozentrischer Natur: Leonard Cohen ist einfach verdammt unzufrieden. Mit sich, und vor allem: mit seiner Kunst. Interviews aus den frühen Siebzigern, in denen er die Qualität seines bisherigen Schaffens nicht offen anzweifelt, sind rar.

Im halb gelallten Finale "Joan Of Arc" versucht sich Cohen an einem Ausweg aus diesem persönlichen Dilemma. Im gedichteten Dialog zwischen der französischen Kriegsheldin Jeanne d'Arc und dem sie auf dem Scheiterhaufen richtenden Feuer stellt sich Cohen seinem Schicksal als gequälter Künstler und Liebender: "Myself I long for love and light / But must it come so cruel, and oh so bright?"

Es ist im Grunde schon beschämend, sich als Zuhörender so am offenen Leid zu ergötzen. Denn der Grund, warum "Songs Of Love And Hate" zu jeder Minute und mit jeder Zeile unter die Haut geht, liegt in genau dieser destruktiven Getriebenheit: Cohens Angst vor dem Versagen alleine treibt ihn mehr und mehr in den künstlerischen Selbstoptimierungswahn und lässt die finalen Songs auf ein nie mehr erreichtes Level an lyrischer und tonaler Qualität anwachsen.

Einer der am meisten übersehenen und als einziger von Cohen nie live aufgeführter Song ist das fünfstrophige "Last Year's Man". Dabei ist es das Kernstück des Albums. "The rain falls down on last year's man / An hour has gone by and he has not moved his hand." Diese Lethargie darf gerne als Allegorie auf den Schaffensprozess gesehen werden: Der Künstler kommt nicht voran und versucht sich in den weiteren Strophen an Metaphern verschiedenster Natur.

Da sind die religiösen Bibelmotive ("Some women wait for Jesus / and some women wait for Cain"), da ist die voyeuristische "Raincoat"-Dreiecksbeziehung, auf die er sich als zunächst Außenstehender einlässt, und da taucht bereits die später noch viel prominenter herausgearbeitete "Joan Of Arc" auf.

Cohen soll noch viele weitere Strophen für das Stück geschrieben haben. Es bleibt die Dankbarkeit für die wenigen, die er mit uns geteilt hat. Sie dienen als Schlüssel zu einem Album, mit dem man einmal wirklich alleine sein kann. Alleine mit einem Fremden, der in einem einseitigen, aber heilsamen Monolog zu dir spricht – und der nach 44 Minuten das Gefühl hinterlässt, er wäre dir nie fremd gewesen.

Diese Stimme muss so auch das aufgebrachte Publikum beim Isle Of Wight Festival gehört haben, wo Cohen 1970 einen transzendental-berüchtigten Auftritt absolvierte. Die dort gesungene Entfremdungshymne "Sing Another Song, Boys" hat er übrigens als Live-Mitschnitt eins zu eins auf "Songs Of Love And Hate" übernommen. Asketische Intimität vor 600.000 Menschen. Auch das wusste Cohen zu meistern. Ob die Anwesenden im Nachhinein alle deprimiert waren? Wohl eher erleuchtet.

Erleuchtet wie der lodernde Scheiterhaufen, auf dem "Joan Of Arc" im finalen Track nach langem Zehren ihr Ende erwartet. "Then she clearly understood / If he was fire, oh she must be wood." Ihr Dialog mit dem Feuer endet vor allem mit einem: Mit Akzeptanz.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Avalanche
  2. 2. Last Year's Man
  3. 3. Dress Rehearsal Rag
  4. 4. Diamonds In The Mine
  5. 5. Love Calls You By Your Name
  6. 6. Famous Blue Raincoat
  7. 7. Sing Another Song, Boys
  8. 8. Joan Of Arc

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6 Kommentare

  • Vor 3 Jahren

    Avalanche war für mich der Einstieg in die damals völlig fremde Welt des Ausnahmekünstlers. Könnte einigen Usern vielleicht auch so gehen.

  • Vor 3 Jahren

    Ist jetzt glaube ich schon der zweite Cohen-Stein und sicherlich die richtige Wahl. Nicht nur weil es ein absolut fantastisches Album ist, sondern auch weil es in der Diskographie mMn vollkommen heraussticht. Es fühlt sich hier an, als wäre Cohen eine komplett andere Person. Jemand, der anstatt nur Dunkelheit in sich zu tragen, komplett von dieser vereinnahmt wird. Letztendlich kann man wahrscheinlich nur von Glück reden, dass es nicht so geblieben ist, aber als Momentaufnahme ist es definitiv etwas sehr Besonderes.

  • Vor 3 Jahren

    Habe jetzt mal reingehört, nachdem ich eigentlich nur "Halleluja" und die letzten beiden Alben kannte. Gefällt mir schon richtig gut, gerade jetzt im Winter!

  • Vor 3 Jahren

    Vieles von "Songs Of Love And Hate" hat er Mitte der Achtziger im Repertoire live. Zu der Zeit hab ich ihn erstmals in Essen gesehen, eingeschlafen nach 30 min Konzert.

    Ich schwöre, gelegentlich beise ich mir heute noch in den Hintern, dafür das ich diesen Ausnahmekünstler damals, als Schlafmittel missbraucht habe. Ist schon seltsam, wie eine Musiksozialisation ablaufen kann. Cohen fehlt mir!

  • Vor 3 Jahren

    Habe anlässlich der Rezi das Album mal wieder durchgehört und mir dann auch mal spaßeshalber den genius.com-Eintrag zu Famous Blue Raincoat gegeben und das ist schon ein Abenteuer:

    Da findet man einerseits kontextbereichernde Hinweise, wie dass die Phrase "going clear" eventuell auf einen Terminus der Scientology Kirche referiert, der Cohen wohl kurzzeitig angehörte, um dort Frauen aufzureißen. Oder das "Lili Marlen" sich auf ein im Zweiten Weltkrieg beliebtes deutsches Soldatenlied bezieht.

    Gleichzeitig findet man da aber auch absolute Galaxybrain-Einträge wie diesen hier zur letzten Textzeile ("Sincerely, L. Cohen"):
    'The song is performed in a Spanish guitar style. He could be referring to himself as “El Cohen.”'

  • Vor einem Jahr

    Ach, behalt deine Depri doch für dich - war damals meine Meinung und da hat sich aber gar nichts dran geändert... Taugt nicht mal als soundtrack für'n Selbstmord, selbst da verlierst du die Lust dran bzw der Energieschub beim Zerstören des Abspielgerätes holt dich zurück ins Leben...