laut.de-Kritik
Hinter der geschminkten Bubblegum-Fassade steckt eine große Stimme.
Review von Kai ButterweckKanadas Vorzeige-Country-Starlet Lindi Ortega sitzt aufreizend gekleidet auf der dreckigen Ladefläche eines stilechten Pick-Ups. Ihr Blick schweift in die Ferne, während hinter ihr zwei dicke Koffer und ein Cowboy-Hut schon sehnsüchtig auf den Fahrer warten. Der Albumtitel dient als weiteres Wegweisschild. Spätestens nach fünf Minuten herrscht Klarheit: "You said you'd love me 'til the cows come home / Well I'm hoping, that they all go blind", heißt es im zweiten Song "The Day You Die". Willkommen in der staubigen Ahorn-Prärie! Willkommen im Reich von Lindi Ortega!
Hier treffen sich rostige Wanted: Dead Or Alive-Gitarren ("Cigarettes & Truckstops", "High", "Use Me") mit knarzigen Saloon-Rhythmen ("The Day You Die") und beschwingte Piano-Vibes ("Demons Don't Get Me Down") zu einer All Inklusive-Americana-Party unter freiem Himmel. Glücklicherweise findet die Kanadierin mit Hilfe ihres Produzenten und musikalischen Unterstützers Colin Linden aber die Lücke zwischen typisch amerikanischem Airplay-Country à la Shania Twain oder Faith Hill und altbackenem Sqaredance-Gedudel der Marke Truck Stop.
Das gelingt der jungen Sängerin vor allem dadurch, dass sie sich hin wieder auch gerne abseits gängiger Routen austobt. Da wäre beispielsweise das aufmüpfige "Don't Wanna Hear It", ein Song, der mit seiner Alternative-Attitüde und reichlich Staub unter den Fingernägeln auch gut und gerne auf Gin Wigmores "Gravel & Wine" funktionieren würde.
Lindi Ortega kann aber auch berührend und opulent auftischen. So umgarnt die Sängerin das Mikro auf "Heaven Has No Vacancy" im Stile einer Crooner-Lady und beweist damit, dass hinter der geschminkten Bubblegum-Fassade eine große Stimme steckt.
Das permanente Pendeln zwischen Daltons-Stallungen, Abendrot-Lagerfeuern und versifften Piano-Spelunken sorgt für reichlich Abwechslung. Immer wieder entledigt sich die Kanadierin der einschnürenden Fesseln eines Genres, welches in der Regel mit als erstes aufschreit, sobald jemand aus den eigenen Reihen es wagt, am alteingesessenen Fundament zu kratzen – schön zu wissen, dass selbst eine der ältesten Branchen mit etwas Gespür für Neuzeitliches am populären Alltag teilnehmen kann, ohne kollektives Gelächter zu ernten.
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