laut.de-Biographie
Living Colour
Ende der Achtziger finden einige fast revolutionäre Neuerungen in der Musiklandschaft statt. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung passen zum Beispiel Hip Hop und harte Mucke durchaus zusammen. Anthrax und Public Enemy räumen mit dem Vorurteil auf, dass ein Billing mit Metal und Hip Hop nicht funktionieren würde.
Einem anderen in Stein gemeißelten Denken geben Living Colour den entscheidenden Gnadenschuss. Nämlich, dass der Schwarze an sich schön brav in der R'n'B- und Hip Hop-Ecke bleiben soll, denn davon versteht er was, das liege ja in seinen Genen, wohingegen Rockmusik von Natur aus eine Sache der Weißen sei. Schöne Scheiße.
Und dann kommen auf einmal vier Fuzzis daher und strafen all diesen Rassisten-Quatsch lügen, denn Vernon Reid (Gitarre), Corey Glover (Gesang; ihn lernt Reid bei einer Geburtstagsparty kennen, wo er "Happy Birthday" zum Besten gibt) sowie die Berklee College Of Music-Absolventen Muss Skillings (Bass) und Will Calhoun (Schlagzeug) beherrschen ihre Profession par Excellence und schreiben auch noch gute und interessante Songs mit Message.
Die musikalische Verschmelzung verschiedener sich scheinbar ausschließender Stile gipfelt zu Beginn der Neunziger darin, dass Bands wie Rage Against The Machine oder Faith No More nicht auf dogmatische Ablehnung ihrer Musik stoßen. Living Colour formieren sich bereits Mitte der Achtziger in New York um Gitarrist Vernon Reid, der als einziger der vier bereits Mitglied einer Band war. Er wirkt in der Jazz-Combo von Shannon Jackson mit, nimmt mit Defunkt die Platte "Thermonuclear Sweat" auf, ist bei Public Enemys "Yo! Bum Rush The Show" für die sechs Saiten zuständig und klimpert mit Avantgarde-Jazzer Bill Frisell das Album "Smash & Scatteration" ein.
Mit Living Colour fängt er noch mal ganz von vorne an, und so dauert es auch einige Zeit, bis die Band ihren Sound entwickelt und sich mit Live-Gigs in und um den Big Apple einen Namen macht. Musikalische Einflüsse sammeln sie dort, wo sie ihre Vorlieben haben. Funk, Soul, Jazz und Hardrock fließen in ihre Musik mit ein. Ähnlichkeiten mit den Bad Brains, die zu Beginn der Achtziger Reggae mit Punk mischen, sind natürlich nicht nur purer Zufall. Die expressive Stimme Glovers, die tighte Rhythmus-Sektion um Calhoun und Skillings, sowie die über jeden Verdacht erhabene Klampfen-Quälerei Reids können bei dieser Fusion voll und ganz überzeugen.
Bei einem Gig im legendären CBGB's spielen sie sich ins Herz eines gewissen Mick Jagger, der so begeistert ist, dass er die Band unter seine Fittiche nimmt. Der Stones-Recke produziert ihr erstes Demo und verschafft durch seine mannigfaltigen Kontakte im Musik-Business auch einen Plattenvertrag beim Branchenriesen Epic. Bevor die Band jedoch ins Studio geht, um das Debüt "Vivid" einzuspielen, verabschiedet sich Sänger Corey für einige Zeit, da er eine Rolle beim Film ergattern kann. In Oliver Stones epochalem Vietnam-Schinken "Platoon" spielt er den Soldaten Francis.
Die erste Single-Auskopllung "Cult Of Personality" schafft es 1988 in die Heavy Rotation auf MTV und steigt so fast zwangsläufig bis auf Platz sechs der Billboard Charts, das Album fährt im Schlepptau Platin ein. Jagger sorgt auch dafür, dass Living Colour den Support-Slot für die Steel Wheels-Tour der Rolling Stones bekommen und so mit den Rock-Giganten um den Globus reisen. 1989 sahnen sie bei der Grammy-Verleihung den Preis für "Best Hard Rock Performance" ab, der Rolling Stone kürt sie gar zur besten Band.
Nach extensivem Touren und viel Medienpräsenz geht die Band erneut ins Studio, um den Nachfolger "Time's Up" (1990) auf Tape zu bannen. Im Vergleich zum Debüt ist der Zweitling wesentlich experimenteller und sperriger ausgefallen, als das in Richtung Mainstream tendierende "Vivid". Für die Aufnahmen können Reid und co. sogar eines ihrer größten Idole begeistern. Im Track "Elvis Is Dead" ist kein Geringerer als Little Richard zu hören, der seinen Gesang beisteuert.
Aber nicht nur Rock'n'Roll-Gigant Richard gibt sich hier die Ehre. Queen Latifah, Maceo Parker und die erste Human Beatbox der Welt, Doug E. Fresh, wirken ebenso mit. "Time's Up" erhält ebenfalls einen Grammy.
Im Sommer 1991 sind sie im Line Up des von Jane's Addiction-Sänger Perry Farrell initiierten Lollapalooza-Festivals, und das zu Recht. Wohl keine andere Band verkörpert den Spirit dieses Open Airs so wie Living Colour. Das Festival soll Bands eine große Plattform bieten, die nicht in Klischees einzuordnen sind und deshalb oft genug außen vor bleiben. Die weiteren Touraktivitäten führen die Band wieder um den Erdball, so dass es nicht Wunder nimmt, dass sie nach deren Ende erst einmal eine Pause einlegen.
Die Zeit bis zum nächsten Output überbrückt die EP "Biscuits", auf der Coverversionen (von James Brown, Jimi Hendrix, Talking Heads und Al Green) und Live-Tracks zu hören sind. Die musikalische Auszeit benutzt Muss Skillings dazu, seine Koffer zu packen und die Band zu verlassen. Hochkarätigen Ersatz finden sie in Doug Wimbish, der als angesehener Session-Musiker bereits für Superstars wie LC-Gönner Jagger, Madonna, Joe Satriani, Mos Def, Seal und Annie Lennox im Studio die vier Saiten zupft. Nebenbei ist er noch als Mitglied der Backingband von Grandmaster Flash bekannt und und und ...
Das nächste Album "Stain" (1993) markiert das vorläufige Ende der Band. Ungewöhnlich düster und ziemlich hart gehen Living Colour hier zur Sache. Die Verspieltheit von "Time's Up" und die Unbeschwertheit des Debüts weichen geradlinigen Songstrukturen und einer größeren Portion Härte. Kommerziell reißt die Scheibe nicht allzu viel, und in der Folge zerbrechen sich die Bandmitglieder den Kopf darüber, wie es weiter gehen und wie sich die stilistische Ausrichtung anhören soll.
Bandinterne Reibereien sorgen dafür, dass Vernon Reid 1995 den Brocken hin schmeißt und nach ihm auch die anderen genug haben. Der vorzeitige Abgesang auf eine hervorragende Band scheint mit dem Best Of-Album "Pride" (1995) seinen Höhepunkt zu finden.
Dass sie allesamt weiterhin musikalisch aktiv bleiben, versteht sich von selbst. Reid nimmt eine Solo-Platte auf, die weitgehend unbeachtet bleibt, ebenso wie Glovers "Hymns" aus dem Jahr 1998. Sänger Corey versucht sich wieder als Schauspieler ("Auf der Suche nach dem perfekten Mann", Originaltitel: "Loose Women") und als VJ bei VH1. Calhoun und Wimbish formieren die Gruppe Jungle Funk, die Stile wie R'n'B, Drum'n'Bass und Rock unter einen Hut zu bringen versucht.
So muckt jeder vor sich hin, während die Fans den Nachlass bewundern und sich ärgern, dass es die Band nicht mehr gibt. Anfang 2000 schließt sich Glover Headfake an. Drei Viertel des Living Colour-Line Ups sind somit wieder vereint. Als dann Weihnachten 2000 auch noch ein Konzert von Headfake mit Überraschungsgast angekündigt wird, beginnt es in der Gerüchteküche mächtig zu brodeln. Schließlich kommt, was kommen muss: Vernon Reid gesellt sich zu den Headfakes, und Living Colour sind wieder komplett.
Zum ersten Mal nach sechs Jahren gehen sie 2001 gemeinsam auf Tour und festigen das Bandgefüge. Der Vierer will es wieder wissen. Nachdem sie einen Deal mit Sanctuary Records an Land ziehen, begeben sie sich ins Studio, um die Comeback-Platte einzuspielen. "CollideØscope" (2003) heißt das Teil und kommt unkonventioneller denn je um die Ecke.
Am Ende einer ausgiebigen Tour setzt Gitarrist Reid seine Solokarriere fort. Nach seinem Debüt "Mistaken Identity" (1996) veröffentlicht er 2004 "Known Unknown" auf Steve Vais Label Favoured Nations. Doch die nächste Reunion ist gleich um die Ecke: 2005 touren Living Colour durch die USA und finden zu alter Stärke zurück.
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