laut.de-Kritik
Die Pop-Exzentriker trotzen den Umständen.
Review von Rinko HeidrichMGMT haben einen langen Weg hinter sich. Dass sie noch vor 15 Jahren den damals sehr angesagten Electro-Pop ritten und dann konsequent bei jedem Album einen Stilwechsel hinlegten, darf man mal ruhig anerkennen, zumal es nie wirklich einen Ausreißer nach unten gab. Im Gegensatz zu ihren Kopisten Empire Of The Sun gab es nicht das Bedürfnis, das Erfolgsmuster vom sehr erfolgreichen Debüt ständig zu wiederholen.
Statt fröhlichen Hooks zeigt sich nun schon seit längerer Zeit eine Transformation zu einer eigenwilligen Psychedelic-Band, die auch mal in den Wave-Pop der Achtziger abbiegt. Ein bisschen poppiger war schon "Little Dark Age", ansonsten versteht Andrew VanWyngarden seine Band immer noch mehr als Kunstprojekt, weg von mediokrer Charts-Belieferung. Eine anstrengende Verweigerungsband sind MGMT aber auch danach nie geworden, und plötzlich hatten sie doch wieder einen Hit.
Ausgerechnet die Verdichtungsplattform TikTok spülte plötzlich aus dem Nichts die Titelmelodie aus "Little Dark Age" in den Algorithmus. Wirklich nicht übel für eine Band, die Social Media nicht wirklich interessiert und eher durch Touren über eine treue Fanbase verfügt. Auch lustig, wenn man die verzweifelten Versuche sämtlicher Influencer bemerkt, die genauso eine Erfolgsstory jeden Tag auf Teufel komm raus starten wollen und kurze Zeit später wieder für immer verschwinden.
MGMT sind zu lange dabei, damit so ein Phänomen sie noch irgendwie beeindruckt. Sie bleiben auch auf "Loss Of Life" dem psychedelischen Liebestrip ins Wunderland der Musik treu. Hier im LSD-Bad zwischen Beach Boys-Gesangsharmonien und beatlesken Erdbeerfeldern entstehen zauberhafte Momente wie "Mother Nature". Ein Gefühl, wie nach Hause kommen, und doch entwerfen die Lyrics ein düsteres Bild vom Einbruch der Dunkelheit und nahenden Finsternis. Um so wichtiger, das alles gemeinsam zu schaffen. "But You Need A Friend To Take You Home" singt Andre mit der Fürsorge eines großen Bruders.
Und wo wir bei Brüdern sind: Nicht ganz unbeabsichtigt hört man hier Oasis raus, denn ein Tontechniker, der die Britpop-Legenden über alles liebt, bekam von VanWyngarden persönlich den Auftrag einen 'angegrungeten' Noel-Sound hinein zu bringen. Passt gut, denn "Mother Nature" hinterlässt gleichermaßen Trauer und auch Zuversicht. Ein Gefühl, das man erkennt, wenn man älter wird und die Unwuchten des Lebens akzeptiert. Solche bittersüßen Szenarien, zwischen dem letzten Sonnenstrahl und der beginnenden Dunkelheit, beherrschen sie mittlerweile ziemlich perfekt.
"Nothing Changes" ist eine weitere Melancholie-Hymne zwischen trotzigem Oasis-Überlebensinstinkt und 'Ich weiß, wie es sich anfühlt'-Verständnis von jemand, der schon an einem dunklen Ort war und genau an Mitmenschlichkeit appelliert. Ein kleines Song-Wunder mit einem erstaunlichen Wechsel zwischen trauriger Ballade und Burt Bacharach-Leichtigkeit im bombastischen Outro. MGMT wollen nicht die Miesepeter vom Dienst sein und die Hörer in Enttäuschung zurücklassen. Und wenn, dann sitzen sie eben neben uns, schauen uns voller Verständnis an und bitten uns plötzlich zu einem Tanz.
"Dancing Babylon" holt dermaßen die Springsteen-Karikatur heraus, dass einem die Brusthaare zu Berge stehen. Parodie und Tribute gleichermaßen, Testo-Theatralik und ur-männliches Bühnen-Stampf-Tanzen zugleich. Zum Glück erdet die sanfte Duett-Stimme von Christine And The Queens den zeitweise ölgen Achtziger-Traum und bringt den Regenbogen über die hart arbeitenden Stahlarbeiter von Amerika.
Wesentlicher erdiger klingt "Bubblegum Dog" mit einer erhabenen Schiefheit in Stimme und der ausleiernden J.Mascis-Gitarre. Und wenn VanWyngarden sogar noch kurz ein Brian May-Riff zersemmelt, ist das eben doch wieder dieser ganz eigene MGMT-Humor. "Loss Of Life" ist eben anders gelesen auch nur ein Akronym für "Laughing Out Loud".
Wer auch nur ein Video von MGMT gesehen hat, weiß um ihre Vorliebe für absurde Geschichten und Verrücktheiten. So ganz klar ist die Grenze zwischen Trollerei und Ernsthaftigkeit bei ihnen nie. Schwermütiges Bekenntnis über die Drogenvergangenheit oder trunkener Blödsinn in den frühen Morgenstunden in einer versifften Karaoke-Bar? Die Interpretation fällt auch bei "I Wish I Was Joking" schwer oder bleibt ebenso wie die merkwürdige Grammatik des Songtitels rätselhaft. Am Schluss bleibt allein schon durch den Moll-tönenden Hammond-Sound das Bild eines einsamen Menschen an seinem aktuellen Tiefpunkt.
Ansonsten verklärt dieser Song den optimistischen Grundton des Albums. Es geht bestimmt in vielen Songs um Verluste oder schwierige Umstände, aber eben auch darum, das Beste aus ihnen zu machen. Nicht umsonst rezitieren sie in "Loss Of Life, Pt.2" das walisische Mittelalter-Poem "I am Taliesin. I sing perfect metre", in dem das lyrische Ich metaphorisch über das Leben sinniert und am Ende zu großer Weisheit gelangt.
MGMT wirken nach der Trennung vom Major Label befreiter denn je. Vielleicht tauchen sie nun wieder für Jahre aus dem Mainstream ab, das Schöne dabei bleibt: Es interessiert sie überhaupt nicht und sie werden ihren Weg immer weiter gehen.
4 Kommentare mit 6 Antworten
Immer respektabel, immer gut. Kaum hassbar. 4/5 sind korrekt, und hiermit notariell beurkundet.
Das nächste Album gerne etwas zügiger releasen. 4/5 kann ich auch unterschreiben.
Käsige Indie-Scheiße, hätte Kabelitz gesagt.
Hätte ich?
wtf, Kabelitz? Lass MGMT in Ruhe!
Aber… aber… ich hab doch gar nichts getan!
Jetzt mach es nicht noch schlimmer!
Was ist denn an "ich wünschte, ich würde einen Witz machen" grammatikalisch merkwürdig?! ^^"
Dieser Kommentar wurde vor 9 Monaten durch den Autor entfernt.
Der Umstand, dass "I wish I were (...)" eigentlich grammatikalisch korrekter wäre:
https://www.thesaurus.com/e/grammar/wish-i…