21. August 2019

"Ich muss nicht mein Leben lang mit zwei 1210ern auftreten"

Interview geführt von

Als Mädness 2017 zusammen mit seinem Bruder Döll "Ich und mein Bruder" veröffentlichte, war der zweite Karrierefrühling perfekt. Nun muss der "Gude" im Alleingang ran. Nach eineinhalb Jahrzehnten im Rap-Spiel fühlt sich "OG" wie ein Solodebüt an.

Menschen lieben Comeback-Geschichten: Nach einer verlorenen Schlacht verschwindet der Held, um mit doppelter Energie zurückzukehren. Mädness hat das mit dem Comeback mehr als einmal erlebt. 2010 taucht er nach zig Alben und einem Engagement als Splash!-Moderator erstmals unter. Vier Jahre später ist er wieder da und überrascht die Szene mit dem Untergrund-Klassiker "Maggo". Statt den Schwung mitzunehmen, legt er das Mikrofon ein weiteres Mal nieder.

Es folgt ein für Musiker fast schon obligatorischer Umzug nach Berlin. Neue Stadt, neue Impulse: Der Fan- und Kritikerliebling "Ich und mein Bruder" erscheint 2017. Der eine Bruder konnte den Erfolg der Kollaborationsplatte bereits Anfang des Jahres mit "Nie oder jetzt" in Soloerfolge ummünzen. Das möchte der andere Bruder nun wiederholen. Wir haben uns mit Mädness in einem Weddinger Straßencafé getroffen, um über das neue Album "OG" und alles, was davor geschah, zu sprechen.

"OG" steht in deinem Falle für "Original Gude". War es trotzdem eine Überwindung, diesen in der Hip Hop-Welt feststehenden Begriff als Albumtitel zu wählen?

Ich habe mir da auch viele Gedanken gemacht, weil der Begriff von "Original Gangster" kommt. Es gibt auch ein Album von Ice T, das so heißt. Ich habe mich für den Namen letztendlich entschieden, um diesen Begriff umzudeuten. Das sollte auch nicht zwingend für "Original Gude" stehen – das sagt ja nur der Chor im Titeltrack. Der Begriff kann auch für andere Abkürzungen stehen. Für mich steht er für einen gesetzten und erfahrenen Typen.

Du rappst auf dem Album: "Das ist für all die Vergessenen / alle sogenannten Verlierer / zum Glück wissen wir‘s besser, denn / real Rap bis zum letzten Hemd". Glaubst du, man kann heutzutage Hörer abschrecken, wenn man sich zu sehr auf klassischen Hip Hop fokussiert?

Nee, da habe ich keine Angst. Ich glaube, dass die Platte für ein Rap-Album relativ "unrappig" ist. Es hat ganz viel Gesang, ist an vielen Stellen melodisch und fast schon poppig. Das Ziel mit diesem Album war es sogar, ein bisschen aus der Rap-Komfortzone herauszukommen.

Auf "Endlich neue Freunde" nutzt du eine E-Gitarre. Auch ein Schritt raus aus Rap?

Ich wollte generell einen wärmeren Band-Sound. Deshalb haben wir das ganze Album nochmal mit einem echten Schlagzeug eingespielt. Das wurde als Spur komplett drunter gemischt und blitzt an bestimmten Stellen auf. Es gibt viele Richtungen, in die ich mit Rap gehen würde. Als großer Grime-Fan kann ich mir zum Beispiel auch dorthin Ausflüge vorstellen. Auf Yassins Album bin ich auf einem Track vertreten, der ein modernes, elektronisches Gewand hat. Und vielleicht kann ich das schon verraten: Ich habe einen Song mit Mine geplant, der noch einmal in ein völlig anderes Genre geht.

Wie wichtig ist dir der Rückhalt der Hip Hop-Szene eigentlich noch?

Es gab um die Jahrtausendwende eine Rap-Szene, in der alles zusammengehörte, egal wie weit es musikalisch auseinanderging. Heute hast du von Horrorcore über Pop-Rap bis Latino-Einflüssen innerhalb der Szene unterschiedliche Szenen. In der Szene, in der ich mich bewege, habe ich einen guten Stand. Ich glaube, ich kann ganz okay rappen und das wird auch so wahrgenommen. Am Ende ist es mir aber am wichtigsten, was meine Freunde sagen.

Ist dir der Erfolg deines Bruders wichtiger als dein eigener?

Spannende Frage (denkt nach). Ich weiß nicht, ob ich so ein Sankt Martin bin, aber ich freu mich natürlich für meinen Bruder. Ich würde es fast gleich gewichten, weil der Erfolg des Anderen für uns beide ein Weiterkommen bedeutet. Aber auch unabhängig davon ist mein Bruder ein so krasser Rapper. Ich gönne ihm jeden Erfolg.

Hast du das Gefühl, ihr teilt euch die Fanbase?

Wenn du bei Spotify schaust, welche ähnlichen Künstler vorgeschlagen werden, tauche ich nicht bei meinem Bruder und er nicht bei mir auf. Das ist ganz komisch. Es gibt außer dieser festen Base, die wir uns teilen, also noch ganz unterschiedliche Fankreise.

Fühlst du dich bei den Künstlern wohl, die dir vorgeschlagen werden?

Ja, das ist voll okay. Ich hab mein Leben lang Rap-Rap gemacht, doch jetzt versuche ich nicht dem Rap, sondern dem Song den Vorrang zu geben. Das war schon mal anders. Früher sollte so viel Rap wie möglich rein. Da ging es nur um Technik und zu zeigen, wie krass man rappen kann. Jetzt gebe ich dem Song lieber mehr Luft.

Bei Rap-Rap sammeln viele Künstler Zeilen und puzzlen sie dann zusammen. Wie wirkt sich dein jetziger Ansatz auf das Musikmachen aus?

Es ist genauso ein Puzzle wie früher. Es ist aber nicht mehr das reimtechnische Puzzle wie bei klassischen Representern oder Battle-Texten, wo du Punches hast, die du in Kette bringst oder nach Reimen anordnest. Jetzt sammle ich Zeilen für ein Thema. Da geht es weniger um Technik und mehr um den Inhalt. Da suche ich nach wirklich treffenden Worten und verzichte auf Füllzeilen.

"Man stellt sich manchmal die Frage, was wäre gewesen, wenn ich im Einfamilienhaus in Darmstadt gelandet wäre und zwei Kinder und einen Hund hätte."

Freundschaft ist ein Thema, das sich durch deine Platte zieht. Es gibt eine Theorie von dem Soziologen Ferdinand Tönnies, die besagt, dass Freundschaft am ehesten durch Gleichheit oder Ähnlichkeit des Berufs gegeben ist. Erkennst du dich da wieder?

Dem Satz kann ich fast zustimmen, würde aber gerne noch einen Zusatz hinzufügen. Natürlich ist es einfacher mit Leuten eine Freundschaft zu schließen, die aus dem gleichen Wirkungskreis kommen oder gleiche Interessen haben. Es gibt auch Statistiken, die besagen, dass Leute aus der gleichen Schicht wahrscheinlicher heiraten, als aus unterschiedlichen Schichten. Ich will das aber nicht so ganz akzeptieren, weil ich glaube, dass es auch anders funktioniert. Dass man keine großen Gemeinsamkeiten haben muss, sondern sich menschlich versteht. Deshalb habe ich auch noch alte Freunde, die einen völlig anderen Lebensweg führen als ich. Wenn man seine eigenen Interessen und die des Anderen ausblendet, dann hat man wirklich Stoff, um sich kennenzulernen oder Dingen auf den Grund zu gehen. Deshalb möchte ich das nicht komplett unterschreiben.

Vergleichst du dein Leben manchmal mit denen der alten Freunde in Darmstadt?

Man stellt sich manchmal die Frage, was wäre gewesen, wenn ich im Einfamilienhaus in Darmstadt gelandet wäre und zwei Kinder und einen Hund hätte. Ich weiß nicht, ob das besser oder schlechter wäre. Ich weiß nur, dass es so, wie es jetzt ist, eigentlich ganz cool ist. Um sich zu orientieren, kann man schon mal nach links und nach rechts schauen. Davon aber seinen eigenen Lebensweg abhängig zu machen, halte ich für Quatsch.

Glaubst du, es wäre für dich anders gelaufen, wenn dein Bruder einen klassischen Lebenslauf eingeschlagen hätte?

Wir kommen beide aus einer Arbeiterfamilie, zu der die Laufbahn von mir und meinem Bruder konträr verläuft. Wir haben beide studiert und leben nun beide ein Künstlerleben. Das Arbeiterleben meiner Eltern, hat für sie super funktioniert, aber ist überhaupt nicht mein Weg. Ich hab in keiner Sekunde gedacht, dass ich das so machen möchte. Und zum Glück haben sie erkannt, dass mein Bruder und ich andere Charaktere sind, die in einer Banklehre nicht glücklich werden.

Auf dem Album rappst du auch über deine Eltern und deren Sicht auf deinen Lebensstil: „Den Weg meiner Eltern ich geh ihn nicht, er passte nie / sie verstehen inzwischen und akzeptieren“. Kannst du dich an den Zeitpunkt erinnern, als das passiert ist?

So genau kann ich das nicht rekonstruieren. Ich weiß aber, dass der Moment schon etwas länger her ist, weil ich neben der Musik auch andere künstlerische Tätigkeiten ausübte. Das war zwischen 2010 und 2012, als ich den Weg der Selbstständigkeit gewählt hab. Ich habe in Darmstadt in einer Theaterkombo gespielt. Danach war ich Puppenschauspieler für ein Erwachsenentheater. Parallel habe ich eine Firma gegründet. Da konnte ich dann keinen 450-Euro-Job mehr machen, der mich im Notfall auffängt. Da haben meine Eltern begriffen, dass ich einfach so bin. Die haben auch nie an mir gezweifelt. Sie haben sich nur Gedanken gemacht, ob alles funktioniert. Das war eine gesunde Sorge.

Frisst das einen als Sohn innerlich auf, wenn die Eltern sich solche Gedanken machen?

Ja, aber das bringt ja nix. Ich muss trotzdem durchboxen, was ich für ein gutes Leben halte. Wenn das mit Kopfschmerzen für meine Eltern verbunden ist, dann tut's mir sehr leid. Diesen Weg musste ich all die Jahre trotzdem gehen, um mein Leben heute genießen zu können.

Hast du trotzdem manchmal Existenzängste?

Nein, nicht mehr. Ich weiß, dass ich auf mich vertrauen kann, wenn ich morgen Geld verdienen muss. Ich hab wirklich jeden Drecksjob gemacht und ich würde den Morgen auch wieder machen, wenn es hart auf hart käme. Deshalb glaube ich nicht, dass mir die Existenz wegbrechen könnte, sondern nur mein Lebensstandard oder meine Lebensfreude, weil ich dann Sachen machen müsste, auf die ich keinen Bock habe. Solange es geht, würde ich super gerne Mucke machen. Wenn morgen etwas anderes verlangt wird, weil beispielsweise ein Kind da ist, würde ich mir halt etwas anderes überlegen.

Ende eines Kapitels, Ankommen oder Comeback-Album – wie würdest du "OG" in deinem Werdegang einordnen?

Es fühlt sich ein bisschen wie alles von dem an. Ich habe in den letzten Interviews aber festgestellt, dass der treffendste Begriff Debütalbum ist. Die Energie fühlt sich "debüig" an.

Viele Menschen, die ihre Heimat in Richtung Berlin verlassen, schauen mit einem eher negativen Blick zurück. Den Eindruck habe ich auf deiner Platte überhaupt nicht. Hängt das mit einer gewissen Altersmilde zusammen?

Ich hätte mich vor ein paar Jahren tatsächlich auf die negativen Seiten gestürzt. Das ist aber einfach nicht die Wahrheit. Es ist nicht alles schlecht an meinem Heimatort und es ist nicht alles gut in Berlin. Ich beobachte genau, schreibe es auf und lasse den Hörer entscheiden, was überwiegt. Die Heimat als Provinz abzustempeln, in der alles schlecht ist, stimmt einfach nicht.

Du hast zusammen mit Marteria "Kein Ort" aufgenommen. Hast du dich vor den Aufnahmen mit ihm über das Thema Heimat ausgetauscht?

Nee, ich hatte meine zwei Strophen und den Refrain stehen. Marten konnte ich mir stimmlich darauf vorstellen. Zudem wollte ich eine inhaltliche Erweiterung zu der Dorfperspektive. Das Ganze sollte als Thema wachsen, damit es nicht nur einen einseitigen Blick auf Deutschland hat.

Fühlst du dich in Berlin zu Hause?

Ja.

Weil du in Berlin sein kannst, wie du willst?

Eigentlich kann man überall sein, wie man will. Man muss sich nur trauen. Im Dorf ist es nur schwieriger, weil du dann schnell als Sonderling wahrgenommen wirst. Ich muss nicht den ganzen Tag im Bademantel durch mein Dorf laufen, damit ich mich wohlfühle. Teilweise hat das aber auch mit Ansichten zu tun, die eben nicht mega offen sind. In Berlin habe ich viele Eindrücke. Ich fühle mich hier wohl, werde inspiriert und habe zum Glück einen Freundeskreis, auf den ich bauen kann. Die Stadt gibt mir durch die Größe eine gewisse Freiheit. Berlin ist für mich noch ein bisschen wie Phantasialand.

Hast du dich früher als Rapper im Dorf wie ein Sonderling gefühlt?

Ja, teilweise schon. Aber nicht, weil ich ein spezieller Künstlertyp bin, sondern weil ich mehr erwartet habe, als mir meine Heimat bieten konnte. Es gab für mich nicht mehr viel zu entdecken.

War es über die Jahre eine bewusste Entscheidung, den hessischen Akzent zurückzuschrauben?

Vielleicht ist das die Prägung, die ich durch Berlin erfahren habe. Die derzeitige musikalische Entwicklung sagt eigentlich etwas anderes. Dialekt wird immer mehr angenommen. Es gibt Bands wie Bilderbuch, die komplett im Wiener-Slang performen. Das wird gefeiert, weil es mittlerweile mehr um den Klang geht. Ich mag das total, weil das eine Einzigartigkeit ausstrahlt und eine gewisse Ehrlichkeit mit sich bringt. Ich mag es, dass man sich als Hörer manche Wörter erarbeiten muss.

"Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn ein Rapper für eine Dreiviertelstunde vollgesoffen auf der Bühne steht."

Würdest du Rap überhaupt noch einmal machen, wenn du heute jung wärst?

Ja, auf jeden Fall. Rap ist das Ding. Ich kann es nicht anders sagen. Auch wenn die Mucke heute anders ist, wäre es noch genauso. Hundertprozentig. Ursprünglich bin ich ja auch ganz anders sozialisiert worden. Ich hatte viele Freunde, die Metal, Punk und Hardcore gehört haben. In meiner ersten Band haben wir Hardcore-Stücke und Crossover-Sachen wie Body Count gespielt. Aber es hat mich nichts so krass abgeholt wie Rap.

Wie analytisch hörst du Rap?

Im ersten Schritt immer analytisch. Wenn ich etwas lese oder mich mit Leuten unterhalte, kann ich keinen Rap hören, weil ich an den Lippen des Rappers oder der Rapperin hänge. Im zweiten Schritt kann ich es auch genießen. Das ist natürlich ein Luxusproblem, aber ich brauche wirklich den Mut, eine neue Platte anzuschmeißen. Wenn ich sie nebenher auflege, habe ich das Gefühl, ich würdige sie nicht genug.

Wie überträgt sich diese analytische Herangehensweise auf deine Rap-Karriere?

Wir müssen mittlerweile eine gewisse Struktur haben. Aber ich finde das gut. Wenn man das hobbymäßig macht, dann kann man das auch schleifen lassen. Aber wenn die Miete reinkommen muss, dann will ich bestimmte Arbeitsabläufe haben, um eine gewisse Wertigkeit sicherzustellen. Wir haben in den letzten Jahren bei der Bühnenshow ein paar Schritte nach vorne gemacht. Das ist nicht nur Rucksack auf und Mic an. Das hat sich geändert und darüber bin ich sehr froh. Diese Professionalität hat der Zuhörer ab einem gewissen Eintrittspreis auch verdient. Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn ein Rapper für eine Dreiviertelstunde vollgesoffen auf der Bühne steht. Das würde ich niemals einem Zuschauer zumuten. Was wir musikalisch machen, ist amtlich und das muss auch auf der Bühne so umgesetzt werden.

Von welchen Künstlern warst du live enttäuscht?

Das EFX war das schlimmste Konzert, das ich in meinem Leben gesehen hab. Ich war ein riesiger Fan von denen. Wir sind nach der Hälfte gegangen, weil es einfach eine Frechheit war. Die konnten ihre eigenen Texte nicht rappen. Es gab aber auch größere Beispiele. Ghostface Killah hatte keinen Bock, weil er nicht genug Liebe vom Publikum bekommen hat. Nach einer Viertelstunde hat der einfach aufgehört zu rappen. Gehört alles zum Game, muss man dann aber auch nicht mehr unterstützen.

Hattest du selbst schon einmal Konzerte, auf denen du dich daneben benommen hast?

Nein, kein einziges Mal. Da bin ich diszipliniert. Einfach auch mir zuliebe, weil ich mich nach dem Auftritt nicht fragen möchte, ob es okay war, was ich gesagt oder wie ich mich verhalten habe. Ich will nicht verkacken und wissen, dass es eventuell an irgendeiner Substanz lag. Wenn ich einen Text verkacke und mental fit bin, kann ich das durch einen Freestyle oder durch eine Geste auffangen.

Du hast vorhin live eingespielte Drums angesprochen. Ist etwas Ähnliches auch für die Shows geplant?

Kann ich noch nicht beantworten, würde ich aber gerne machen. Vor längerem habe ich ein paar Shows mit einer Jazz-Band gespielt. Das ist nicht das Ziel, aber es wäre sehr schön, wenn es in diese Richtung gehen würde. Ich muss nicht mein Leben lang mit zwei 1210ern auftreten.

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