19. Juli 2001

Ich bin sehr stolz auf "Tainted Love"

Interview geführt von

Die Reunion der 80er-Elektroband Soft Cell ist in trockenen Tüchern, eine Tour ist gebucht und auch Angebote anderer Künstler nimmt der Ganzkörper-Tätowierte noch nebenbei an. Mit LAUT sprach Almond ausführlich über seinen ungebremsten Arbeitseifer.

Auf deinem neuen Album scheint sich ein gewollter Schritt hin zu dunkleren, elektronischen Sounds vollzogen zu haben. War das beabsichtigt?

Eigentlich nicht. Ich denke, der Hauptunterschied zu "Open All Night" (Vorgänger-Album von 1999, Anm. d. Red.) liegt in den sorgfältigeren Arrangements. Mit meinem neuen, isländischen Produzenten Johansson haben wir eine sehr runde Song-Kollektion hinbekommen, vor allem mit den orchestralen Parts bin ich sehr glücklich. Dann haben wir einige moderne Sounds und Samples verwendet, aber auch Sounds von diesen ganz alten Synthies und noch andere seltsame elektronische Instrumente, wie ein Mellotron. Johansson kam auf viele verrückte Ideen. Da er auch Erfahrungen im Schreiben von Soundtracks hat, würde ich ein gewisses filmisches Element in den neuen Songs nicht abstreiten.

Ja, ich denke dieser cineastische Touch führt auch dazu, dass "Stranger Things" so schlüssig und gleichzeitig intim klingt. Würdest du mir da zustimmen?

Ja, das hoffe ich. Wenn ich heutzutage Platten aufnehme, bin ich sehr darauf bedacht, dass eine bestimmte Stimmung von Anfang bis Ende transportiert wird. Natürlich ist jeder Song in seiner Art eigen, doch das Ziel ist die Reise, auf die dich eine Platte mitnimmt. So nimmt z.B. die Reprise von "Glorious" am Ende der Platte den Faden des ersten Tracks wieder auf, der Kreis schließt sich. Die Songs sind wie kleine Filme; die Platte reflektiert sozusagen die Zeit, in der du die Aufnahmen gemacht hast.

Wie bist du an die Sängerin Sara Gudmundsdottir gekommen?

Mein Produzent Johann Johansson arbeitete vor etwa drei Jahren mit der isländischen Band Lhooq zusammen, die wie ich damals auf dem Echo-Label waren. Ich liebte deren Album über alles und so bin ich mit Johann in Kontakt getreten, um ihn zu fragen, ob er nicht Lust hätte, mit mir Songs zu schreiben, denn ich suchte zu der Zeit vor allem nach Songwriting-Partnern. Ich schätze seine Arbeiten sehr, ich verehre sowieso das meiste der Sachen, die aus Island kommen. Die Musiker dort haben alle eine unverkennbare, manchmal exzentrische Art, wie sie elektronische Sounds verwenden. Sehr experimentell.

Als ich für meine Aufnahmen dann dort war, merkte ich, dass eine große Menge an Energie aus der Umgebung gezogen wird. Feuer, Eis, Vulkane - das findet alles seinen Input in den Sound der Isländer. Aber gut, zurück zu Sara: sie sang auf einer Single Lhooqs mit und ich wollte sie unbedingt auf meinem Album haben. "Glorious" war ursprünglich ein Song von Lhooq, den ich ihnen geklaut habe. Ihr Song hieß "Gloria". Ich nahm mir also den Song, schrieb ihn ein wenig um und - ähem - war froh, ihn und natürlich Sara auf meinem Album zu haben (lacht).

Gibt es eigentlich auf Grund ihres Nachnamens eine Verwandtschaft zu Björk?

Ich glaube, jeder in Island ist irgendwie mit jedem verwandt, zumindest scheint jeder jeden zu kennen. Ich habe sie zwar nicht gesehen, aber die Leute in Reykjavik sagen, wenn du nur lange genug in einem Café ausharrst, wirst du Björk zwangsläufig treffen (lacht). Ich liebe Björk. Die Aufnahmen mit isländischen Musikern haben mich sehr an ihre Arbeitsweise erinnert.

Wie wichtig ist kommerzieller Erfolg?

Well, ich denke ich habe seit langer Zeit aufgehört, dem Erfolg hinterher zu rennen. Mit meinem eigenen Plattenlabel habe ich alle Freiheiten, zu tun, was immer ich will. Ich fühle keinen Druck eines Major-Labels. Ich nehme Platten auf und lizensiere sie weiter, fertig. Ich sehe mich ohnehin als einen reinen Album-Künstler an. Singles veröffentliche ich nur, um auf mein Album aufmerksam zu machen. Wenn sie dann noch erfolgreich werden, auch gut. Ich finde allerdings nicht, dass meine Sachen in die Pop-Charts von heute passen. Trotzdem würde mich ein Single-Erfolg natürlich freuen, keine Frage.

Hast du vor, mit dem neuen Album Konzerte in Deutschland zu geben?

Yeah, ich werde im September einige Gigs spielen, um die Platte zu promoten. Beim letzten Album konnte ich das aus verschiedenen Gründen nicht in Angriff nehmen. Jetzt freue mich wieder umso mehr drauf. Und im November stehen ja die Soft Cell-Shows an.

Oh, schön, dass du das Thema aufgreifst: eine Soft Cell Reunion galt ja lange Zeit als sehr unwahrscheinlich. Wer hat den Stein denn ins Rollen gebracht?

Also um ehrlich zu sein, Dave und ich schreiben schon seit drei Jahren wieder gemeinsam an Songs. Uns hat beide wieder die Lust gepackt. Aber wenn du etwas aufleben lässt wie Soft Cell, was ja für viele Menschen ein großer Name ist, gerät gleichzeitig wieder dieser riesige Promo-Apparat in Bewegung, der mich immer etwas ängstigt. Nun ja, irgendwann kam dann die Idee auf, einen Gig zu absolvieren, es fehlte nur ein richtiger Anlass. Und plötzlich macht dieser neue Laden in London auf, ein Riesending, das Millionen Pfund in die Licht- und Soundanlage gesteckt hat und man fragte uns, ob wir nicht mit einem Live-Konzert die Einweihung übernehmen wollten ...

Der "Ocean Club"?

Ja, genau. Das klang nach einer prima Idee, die ersten Reaktionen auf unsere neuen Songs zu testen und zu erfahren, ob es sich lohnt, weiter zu machen. Das Echo der Fans war einfach überwältigend. Auch in der Presse bekamen wir durchweg positive Reviews. Alle sprachen von einer fantastischen Wiedergeburt und schwärmten davon, wie frisch unsere Sachen klingen würden. Dabei haben wir nicht einmal die Sounds geändert (lacht). Auch nicht bei den neuen Songs, das war uns sehr wichtig, wir haben kein Interesse daran, die neuen Chemical Brothers zu sein. Ich selbst finde es recht erstaunlich, wie hip diese alten Elektrosounds aus den 80ern heute wieder sind. Diese Einstellung hat natürlich auch zu der Euphorie über unser Comeback beigetragen.

Letztlich war es vor allem dieses enorme Feedback, was uns darin bestärkt hat, das Album voranzutreiben und eine Tour zu planen. Ich denke auch, dass viele Fans nie die Möglichkeit hatten, Dave und mich live zu sehen. Obwohl sich eigentlich nicht viel verändert hat. Es sind einfach nur 17 Jahre vergangen, in denen wir mehr Erfahrungen gesammelt haben. Aber wir stehen noch immer da oben und singen "Baby Doll", "The Art Of Falling Apart" und die Hitsingles (lacht).

Das Album wird also definitiv erscheinen?

Ja, im Oktober kommt zunächst eine Greatest Hits-Scheibe mit einigen Remixes und zwei neuen Songs raus. Das fällt also mit unserer Tour zusammen. Nächstes Jahr kommt dann das neue Album, mit dem wir beinahe fertig sind.

War es eure Idee, mit einer Best Of-Scheibe zurück kommen?

Um ehrlich zu sein, das kam von unserer Plattenfirma Mercury. Also sagten wir, wenn ihr sowas ohnehin veröffentlicht, dann wollen wir wenigstens mitreden. Deshalb die beiden neuen Songs, sonst wäre die Sache einfach zu lieblos gewesen. Aber es ist halt auch praktisch, die Leute an unser altes Zeug zu erinnern, und dann die neue Platte nachzuschieben.

Was fühlst du, wenn Fans auf deinen Konzerten bis zum heutigen Tag Klassiker wie "Tainted Love" hören wollen? Schmeichelt dir das?

Well, ich habe gelernt, mit der Popularität mancher Songs umzugehen. Und "Tainted Love" habe ich ja seit neun Jahren nicht mehr performt. Nachdem Soft Cell auseinander ging, arbeitete ich ausgiebig an meiner Solokarriere. Ich habe lange Zeit mit Absicht darauf verzichtet, Songs von Soft Cell zu spielen, um mich als Solo-Künstler zu etablieren. Vielleicht war das Dummheit oder einfach Selbstbetrug, keine Ahnung, aber es war eben hart für mich von Mitte der 80er an. Es hat auch ziemlich lange gedauert, bis mir der Respekt entgegen gebracht wurde, den ich mir wünschte.

Heute ist es wieder schön, "Tainted Love" und andere Soft Cell-Songs zu singen. Dieser Song war sehr gut zu mir, er hat mich aus einigen sehr schlechten Situationen wieder heraus geholt (lacht). Weißt du, ich kann nicht einfach ignorieren, dass "Tainted Love" einer der erfolgreichsten Songs der Musikgeschichte ist. Vor allem hier in England. Oder nimm Amerika: die Nummer war im Guinness Buch der Rekorde als die längste Platte in den Top 100. Heute genieße ich das Feeling, das entsteht, wenn ich den Song singe. Er ist Teil meiner Geschichte und ich bin stolz darauf.

Letztes Jahr hast du mit Rosenstolz bei der Vorausscheidung für den European Song Contest teilgenommen. War das ein lange gehegter Wunsch von dir, an diesem Event teilzunehmen?

Nein, ehrlich gesagt kannte ich das gar nicht (lacht). Aber mit deutschen Musikern wollte ich schon immer mal zusammen arbeiten. Die Ideen von Rosenstolz fand ich klasse und so wurde es ein Riesenspaß. Und nebenbei war es auch gute Promotion für meine neue Platte. Bei der Sache mit dem Song Contest war ja auch viel Humor und Ironie dabei, oder sagen wir: Kitsch (lacht). Ich bin Rosenstolz sehr dankbar und freue mich, dass "Total Eclipse" in Deutschland so erfolgreich wurde.

In den 80ern hast du mit verschiedenen Künstlern wie Coil und Psychic TV zusammen gearbeitet. Bestehen da noch Kontakte oder gar freundschaftliche Bindungen?

Ja klar, mit John Balance von Coil zum Beispiel. Genesis P. Orridge habe ich dagegen schon ewig nicht mehr getroffen. Aber jeder hat ja auch seine eigene Karriere und dann gibt es eben die üblichen Verpflichtungen. Dann sieht man sich halt mal zehn Jahre lang nicht. Aber du hältst Kontakt, meistens existiert ja ein musikalisches Band, das zusammen hält. Etwas schade ist, dass meine Arbeit mich oft von meinen sozialen Pflichten abhält, Freunde werden vernachlässigt und so. Aber ich denke, wenn eine Freundschaft echt ist, dann hält sie auch solche Durststrecken aus.

Wärst du denn daran interessiert, wieder mit alten Kumpels wie Genesis zusammen zu arbeiten?

Oh ja, ich finde es immer großartig, wenn Leute mit Ideen auf mich zukommen. Dieses Jahr war ich schon drei bis vier Mal Gastsänger auf anderen Projekten, z.B. auf der Single "Soul On Soul" des holländischen Trance-Produzenten Ferry Corsten (System F). Es wurde ein ziemlicher Hit und kommt in Deutschland, glaube ich, im Juli raus (u.a. eine 12" auf Gigolo Records incl. Remixes von The Hacker und Elektrochemie LK, Anm. d. Red.). Die Arbeit mit der asiatischen Band "Black Starliner" war auch sehr aufregend. So gibt es immer was zu tun, ob das mit alten oder neuen Kollegen ist, spielt keine Rolle.

Als ich dich letztes Jahr auf dem M'era Luna-Festival live gesehen habe, erlebte ich einen charismatischen und ausgeglichenen Sänger, den ich mir nur schwer abseits einer Bühne vorstellen könnte.

Das Seltsame ist: Vor einem Auftritt liegen meine Nerven regelmäßig blank, gleichzeitig will ich aber sofort da hoch. Es geht wirklich nur darum, den ersten Song zu überstehen, denn ich fühle mich tatsächlich verdammt wohl auf der Bühne. Ich liebe es, zu performen. Du siehst die Zuschauer und vergisst alles andere. Da oben macht einfach alles Sinn. Weißt du, bei den Aufnahmen zu einem Album sitzt du oft monatelang im Studio herum, anschließend darfst du mit lauter Presseleuten über deine Musik sprechen (lacht), da fragt man sich schon mal: was machst du hier eigentlich? Ist das die Aufgabe eines Musikers?

Dazu passt vielleicht die Zeile aus deinem neuen Song "Lights": "when the spotlight's on - all my troubles gone" ...

Und genau das bringt meine Gefühle als Musiker auf den Punkt. Für eine Stunde oder länger stehe ich da oben und weiß, warum ich das geworden bin, was ich bin.

Techno und Drum'n'Bass sind die großen Errungenschaften in der elektronischen Musik der 90er Jahre. Inspirieren dich solche Sachen?

Ja, es ist sehr wichtig, zu wissen, was gerade läuft in der Szene. Gleichzeitig sollte man das aber nicht einfach aufsaugen, nur um trendy zu sein. Ich gehe auch noch sehr gerne in Dance-Clubs. Ich wuchs ja Ende der 70er auf, als dieses Elektro-Disco-Ding passierte, was ja auch Soft Cell mit prägte. Wir wurden schon damals sehr von Dance beeinflusst. Umso mehr freue ich mich, wenn heute so etwas klappt wie dieses holländische Projekt. Ich selbst hatte keine Ambitionen, einen Dance-Track auf mein Album zu nehmen.

Apropos Club Life: Als ich letztes Jahr in Barcelona war, hörte ich, dass du eine Nacht in einem Club dort aufgelegt hast.

Ohjee, leider musste ich das absagen. Das war wirklich eine Tragödie. Ich wurde sehr krank. Das DJing macht mir aber schon immer Spaß, ich bin ja vor den Soft Cell-Tagen schon als DJ durch die Clubs in Nordengland gezogen. Tja, und irgendwie wollte ich das nach langer Zeit eben mal wieder machen. Es gab nur einen einzigen Termin und an dem wurde ich krank (lacht). Jetzt gibt es vorerst keine neuen Pläne, irgendwo aufzulegen.

Und welche Platten hätte Marc Almond zur DJ-Kanzel geschleppt?

Ich, ähh (lacht), also ich hätte einen ziemlich eklektischen Mix gebracht. Frühe Electro Disco-Sachen von Anfang der 80er, dann ein bisschen Gothic in Frank Sinatra reingemixt, es wäre sehr schräg geworden.

Eine Art Revival-Set?

Well, ich spiele alle möglichen Sachen, das geht dann schonmal ins Exotische. Wenn man algerische Dance-Sachen oder indische Bangras mit 80ies Electro mischt, klingt das ziemlich verrückt. Ich würde die Tanzfläche wohl in zwei Minuten leer fegen (lacht).

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