23. Oktober 2003

"Geld hilft dir nicht, wenn du verrückt bist"

Interview geführt von

Die Königin des R'n'B hielt Hof im Kölner Hyatt und gab sich freundlich und redefreudig. Von Starallüren keine Spur. Der Respekt vor Frau Blige stieg in schwindelerregende Höhen. Als sie dann auch noch ihren ganz normalen Alltag vollkommen gewöhnlich mit "Aufwachen, Beten, Essen, Arbeiten, Schlafen" beschrieb, war allen im Raume klar: hier sitzt keine seelenlose Selbstdarstellerin, sondern eine reife Frau am Tisch, die etwas zu sagen hat.

Höhen und Tiefen, Träume und Schäume

Bist du nach dem ständigen Wechsel von Erfolgen und Rückschlagen in deiner Karriere momentan wirklich glücklich?

Ich bin derzeit sehr zufrieden. In meinem Kopf sind aber noch viele Dinge, die ich erst verarbeiten muss, um noch mehr an Sicherheit zu gewinnen. Das große Geld kann nun mal nicht alles rückgängig machen, was dir als Kind passiert ist. Das Geld hat nun keine Wirkung darauf, was in deiner Erziehung falsch gelaufen ist. Das Geld kann dir nun mal nicht helfen, wenn du verrückt bist, und im Ernstfall psychische Hilfe brauchst. Meine Realität ist momentan nicht von Geld abhängig. Als ich auf den Straßen lebte, wurde mir klar, dass wir alle eine Realität jenseits des Erfolgs haben. Geld bedeutet nichts, Geld diktiert nicht mein Leben.

Du sprachst von deiner Kindheit. Wie war es in einem Ghetto wie Yonkers aufzuwachsen?

Das Leben in Yorkers drehte sich knallhart ums Überleben. Immer. Wenn du aus dem Haus gegangen bist, ging es ums Überleben. Es hätte gut passieren können, dass du beim Verlassen des Hauses ohne Grund direkt in einen Streit geraten konntest. Das lag daran, dass die Menschen viele Problemen haben. Es war sehr gewalttätig dort, und unter den Leuten herrschte kein Zusammenhalt. Es war kein guter Ort.

Was für Träume bewogen dich Anfang der Neunziger, ins Musikbiz einzusteigen? Hattest du überhaupt welche?

Ich hatte nicht wirklich Träume, als ich ins Studio ging. Jahre zuvor träumte ich vielleicht davon, einmal auf der Bühne mit einem bestimmten Sänger zu stehen. Andere Visionen hatte ich aber nicht, da die Realität es wohl nicht zugelassen hätte. Ich dachte jedoch bei meinem Debüt nicht daran, dass ich einmal das Level von heute erreichen werde.

Method Man

Für deine erste Single "Love At First Sight" vom neuen Album featurest du wieder Wu-Tangs Method Man. Warum?

Einst hatte ich für Meth ja "I'll Be There For You" eingesungen, der 1995 einen Grammy einheimste. Hip Hop hat mir meine ersten Grammy gebracht! Letztendlich war es aber Meths Single. Ich bin dankbar dafür, was Method Man für mich getan hat. Dieses Jahr dachte ich dann, dass ich mich wieder an die alte Zeit besinnen und Method Man für den bestimmten Song wieder an Bord holen sollte. Ein anderer kam für den Track auch nicht in Frage.

"I'll Be There For You" ist unvergessen, kein Frage. Wie kam die Zusammenarbeit damals eigentlich zustande?

Vom ersten Tag, sprich vom "36 Chambers"-Album an war ich ein großer Wu-Tang Clan-Fan. Ich liebe Wu-Tang! Dann kam jedoch 1994 das Method Man-Debüt "Tical", und Meth stand für mich einfach über der Gruppe. Daraufhin sagte ich meinen damaligen Manager Puff Daddy, dass wir auf jeden Fall etwas mit Method Man produzieren müssen. Puff findet immer Mittel und Wege, solche Wünsche zu realisieren, und eines Tages standen wir Drei im Studio. Ich glaube, es war sogar an Puffys Geburtstag, als wir den Remix für seinen Track "I'll Be There" aufnahmen.

Nun ist Method Man ja nicht gerade als Chorknabe bekannt ...

Ja, das stimmt. Ich ließ ihn sofort wissen, dass ich zwar ein großer Fan von ihm sei, aber auf keinen Fall ein Groupie! Beim Videodreh hat er sich so nett um mich gekümmert. Er war stets besorgt um mich und erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden. Wie ein Bodyguard. Nur netter. Method Man wird immer in meinem Team sein.

Puff Daddy

Wie kam es 1994 zum Split mit Puffy, der ja deine ersten Alben produzierte?

Puffy und ich haben eigentlich das Hip Hop/Soul-Genre damals als eine der Pioniere erfolgreich ins Leben gerufen. Trotzdem haben wir unsere Zusammenarbeit nach meinem zweiten Album "My Life" beendet. Puffy startete sein eigenes Label Bad Boy Entertainment und konnte mich nicht unter Vertrag nehmen, da ich bereits bei einer anderen Firma gesignt war. Puff hätte aber weiterhin als mein Produzent in Erscheinung treten können. Er suchte jedoch weiter nach einer neuen 'Mary J. Blige'. Letzten Endes fand er sie in Faith Evans. So kam es, dass Evans plötzlich die gleiche Haarfarbe, die gleiche Kleidung, den gleichen Sound hatte wie ich. Für mich war das zu viel des Guten, und ich entschloss mich, einen neuen Weg mit neuen Produzenten einzuschlagen.

Es gab also keinen Streit zwischen euch beiden?

Nein, als ich Puffy bei den Grammys 1995 wiedergesehen habe, lobte er mich und meinte, er wäre stolz auf mich: "Dein Album ist wirklich gut." Von diesem Tag an sag ich ihn aus einem ganz anderen Blickwinkel. Mir wurde klar, dass er kein 'Hater' ist und respektiert, dass ich nun meine eigenen Weg gehe.

Wie kam es zur Reunion für dein neues Album "Love And Life"?

Wir liefen uns ab und an über den Weg. Bei meiner Arbeit für "No More Drama" bin ich zu ihm gegangen und habe ihn gefragt, ob er Lust hätte, zu einen Remix für den Titeltrack anzufertigen. Und der war wirklich gut. Als wir dann im Studio chillten, fragte Puffy nebenbei, ob ich mit ihm wieder ein Album aufnehmen würde. Ich sagte spontan zu. Okay, ich erzähle euch die ganze Geschichte. So lud ich ihn zu meinem Konzert in der Radio-City-Music-Hall ein. Plötzlich trat Puff auf die Bühne und sagte den Zuschauern, dass wir beide eine Reunion planen. Und die Menge rastete aus. Man hätte glatt denken können, dass Michael Jackson oder Janet gerade angekommen seien. Der Rest ist History und auf "Love And Life" hörbar.

The New R'n'B-Generation

Was würdest du jungen R'n'B-Künstlern raten, worauf sie im Musikgeschäft achten sollen?

Schaut euch die Verträge genau an und achtet auf euer Umfeld! Jeder sagt, dass du der Beste bist. Du musst aber darauf achten, wer dir die Wahrheit erzählt und wer lügt. Ich kann dir viele Fallbeispiele geben. Deswegen vertraue ich nur ganz wenigen Menschen wie meinem Buchhalter. Ich hänge mit keinen "Chicks" ab. Wenn ich mich mit jemand unterhalte, dann öffne ich mich ein bisschen, um herauszufinden, mit wem ich es zu tun habe, danach ziehe ich mich erst einmal wieder zurück.

Könntest du ein paar Beispiele nennen, wo du ausgebeutet und hintergangen wurdest?

Es gibt so viele Geschichte. Manager, die mich ausgeraubt haben und so weiter. Steckt nicht das ganze Geld in die Videos, denn dafür gibt es keine Tantiemen. Seid vorsichtig, denn Geld gibt es nicht im Überfluss. Die Fans sind schließlich realistische Menschen. Kommt ein neuer, heißer Act, ist der Trubel groß. Als 50 Cent herauskam, wurde Ja Rule zeitgleich aus dem Game geworfen. Seid vorsichtig!

Mit Mary J. Blige sprach Stefan Johannesberg

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