laut.de-Kritik
Viel Spaß ohne Bass.
Review von Ulf Kubanke"I can't remember anything. Can't tell if this is true or dream." Warm, weich und unverzerrt umspülen Gitarren die Gedanken des Mannes. Versehrt, verstümmelt und vom Krieg gebrochen vegetiert der Soldat im Hospital dahin. Makaber schmiegt sich die Musik an seine suizidalen Gedanken. Kann es noch schlimmer werden? Natürlich kommt es immer schlimmer! Geschüttelt von Krämpfen, gequält von glühenden Schmerzen, martern Flashbacks voller Artilleriefeuer seinen geschundenen Geist. Die Instrumente passen sich an. Sie mutieren von sedierter Depression zu Terror. "One" ist zweifellos ein berührendes Antikriegslied und nebenbei einer der besten Metal-Songs aller Zeiten.
Das zugehörige Album "...And Justice For All" begeht derzeit seinen 30. Geburtstag. Zur Feier des Tages - der genau genommen bereits Ende August anstand - öffnen Metallica ihr reichhaltiges Archiv und fördern mit dem "...And Justice For All (Remastered) - Deluxe Box Set" eines der opulentesten Pakete zu Tage, das je einer einzelnen Platte gewidmet wurde. Der rekordverdächtige Umfang enthält das neu gemasterte Album auf Vinyl und CD. Dazu Live-LPs, eine Picturedisc, diverse Silberlinge voller Demos und Konzertmitschnitte der zugehörigen Tour, mehrere DVDs sowie einen 120 Seiten starken Fotoband. Für den eiligen Hörer liegt ein Downloadcode zum digitalen Genuss bei.
Die lückenlose Dokumentation von Entstehungsprozess und zugehöriger Tour lässt unter musikhistorischen Gesichtspunkten keinerlei Wünsche offen. Für Veteranen gibt es schicke Gimmicks wie z.B. Spuren aus Jasons Riffbox und damalige Gigs zum Erinnern. Dem Nachwuchs offenbart diese Sammlung eine Zeit, in der Metal noch das verschriene Schmuddelkind der Popkultur verkörperte und relevante Chartnotierungen einer Sensation gleichkamen. Besser kann man ein legendäres Jubiläum nicht präsentieren.
An der Platte selbst scheiden sich gleichwohl seit jeher die Geister. Den einen gilt "Justice" als Metallicas musikalischer Höhepunkt mit Verweis auf anspruchsvolle, erstmals politische Themen sowie ihren kompositorischen Zenit. Andere empfinden das Werk als halbgares Zeugnis einer dilettantischen Produktion. Sie monieren den als ebenso kalt wie unorganisch wahrgenommenen Klang. Hauptkritikpunkt ist regelmäßig der bis zur Wahrnehmungsgrenze heruntergefahrene Bass.
Die auf den ersten Blick nicht ganz unberechtigten Vorwürfe speisen sich überwiegend aus dem Chaos bei den Aufnahmen. Ein Kuddelmuddel, das von unglücklichem Hin- und Her plus kreativen Missverständnissen bei der Produzentenwahl geprägt war. Schlussendlich nahm vor allem Ulrich das Heft in die Hand; auch weil sich der Veröffentlichungstermin aufgrund von Festivalverpflichtungen nicht aufschieben ließ.
Bei genauerer Betrachtung erweist sich die folgenschwere Panne jedoch als künstlerischer Glücksfall. Denn die Lyrics prangern die Scheinheiligkeit von Politik, Wirtschaft und angeblich aufgeklärter Gesellschaft an, die in Rassismus, Krieg und Umweltzerstörung gipfelt. Und der Sound verleiht der Maschinerie eine eisige Schneidigkeit, die anstelle des genreüblichen Hammers per Skalpell und Knochensäge operiert ("Eye Of the Beolder"). Anders gesagt: Weniger Hitze, mehr Gefrierbrand!
Jenseits dieses thematischen Zusammenhangs funktioniert das Klangbild auch musikalisch. Auf "Justice" erreichen sie einerseits die Bergspitze ihrer durchdringenden Schostakowitsch für Metalheads-Rhythmen. Daneben bauen sie das auf "Master Of Puppets" begonnene Modulieren der Songstrukturen aus. Nahezu geometrisch anmutende Klangskulpturen entstehen. Die labyrinthische Bildhaftigkeit profitiert erheblich vom antiseptisch wodkaklaren Sound ("Harvester Of Sorrow").
Mehr als nur Verzierung bieten zum Kontrast eingewobene Akustikpassagen. Schon allein in Anbetracht des famosen Titelsongs fragt man sich, weshalb sie derlei Intros/Outros einmotteten. Schon allein das Adoptieren und Abstoßen der Einleitung durch die Metalgitarren zeigt ihre damalige Inspiration.
Metallicas Konzept mündet im musikalischen Höhepunkt "To Live Is To Die". Untypischerweise verzichtet das Stück auf übliche Geschwindigkeitsorgien. Verglichen mit ihrer sonstigen Umdrehungszahl, gehen diese hochgradig intensiven zehn Minuten fast schon als Doom durch. Es handelt sich um Cliff Burtons musikalisches Testament. Dessen Grundidee plus wegweisende Tonbandskizzen bilden die Basis.
Wunderschöne, romantische Gitarren eröffnen, bevor der eiserne Amboss erbarmungslos übernimmt. Parallel zum vielschichtigen Rhythmus, spielt sich hernach ein hardrockendes Solo in den Vordergrund. Das allein wäre schon sehr gut. Weltklasse hebt der Track ab, sobald unerwartet eine hypnotische Trauerweidenmelodie aus dem Nichts erblüht. Erst lassen die schmirgelnden E-Gitarren ihre Schultern hängen. Kurz darauf dominieren unverzerrte Äxte eine Zeitlang, bis sich das gesamte Ensemble vereinigt.
Dazu passend rezitiert Hetfield im Hintergrund missmutige Zeilen eines Paul Gerhard-Gedichts. Man glaubt sich danach am Ende der Nummer. Doch spiegelverkehrt zum Beginn lässt sich der massive Amboss vom behutsam eingeblendeten Ausgangsthema verdrängen. Was für ein grandioses Drama!
Somit steht am Ende das Fazit, wonach die künstlerische Kraft ihrer letzten Endes besten Platte die Pannen bei der Aufnahme locker überstrahlt. Unbedingte Kaufempfehlung für diesen Urknall intelligenten Herzblut-Metals.
7 Kommentare mit 42 Antworten
Tolle Rezi für ein geniales Album. Aber der Autor hätte ruhig noch auf das Speedmonster zum Abschluss der Platte hinweisen können
dank dir. und klar, aber du weißt ja: so ein bisschen schwund ist immer. der finale track und auch harvester haben nfach nicht mehr in den flow gepasst, ohne den text zu überladen. das kann man dann aus dem gesamtzusammenhang erschließen.
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Er hat seine Aussage begründet. Und du?
Oh, ok. Nur für dich. Geht auch ganz kurz. "Eye Of The Beholder", "The Shortest Straw" und "The Frayed Ends Of Sanity": Das sind drei Filler von neun Tracks. Nicht umsonst werden die beiden Letztgenannten im Text auch gar nicht erwähnt. Und um den Sound zu loben muss man sich schon viel eintüten. Ergo: gutes Album, aber weit ... ganz weit davon entfernt, ihr bestes zu sein.
bestes halt ganz klar mop.
"The Frayed Ends Of Sanity"
Mitreißendste Nummer des gesamten Albums.
Achso weil er es nicht erwähnt sind es Filler? Ich wollte eigentlich deine Meinung aber ok... Und welches hältst du für das beste Album? Ach und zur Info für dich: als ich das Album das erste Mal hörte hatte ich noch nie etwas von dem Gemecker über den nicht vorhandenen Bass gehört. Ich habe ihn deswegen auch nie vermisst. Der Sound ist für mich richtig gut aber das ist ja immernoch Geschmackssache.
Ist sicherlich eins der stärkeren Alben von einer für den Metal grundsätzlich extrem wichtigen Band. Aber die Rezi ist schon hartes fanboy-gewixe.
"Nahezu geometrisch anmutende Klangskulpturen entstehen. Die labyrinthische Bildhaftigkeit profitiert erheblich vom antiseptisch wodkaklaren Sound"
Hören wir den selben Song?! Und die von Alex erwähnten Songs wären nicht mal unter den Top 10 der besten Metallica tracks...
Was hvw sagt.
"eye of the beholder" findet erwähnung. ansonsten ging es mir beim textflow auch weniger darum, alle zu nennen. sollte ja keine einkaufsliste werden. mir ging es eher um den gesamtzusammenhang plus beleuchtung des oft zu kurz kommenden highlights "to live" samt burton-schlenker.
aber mir ist schon klar, dass ich mit dieser ansicht "bestes album" zwar nicht so allein stehe wie bei "lulu", aber doch klar in der minderheit bin.
natürlich sind "ride" und besobnders "mop" ebenso begründbar. aber raffinesse und textliche entwicklung in dieser beeindruckenden form gab es aus meiner sicht erst hier.
@doldo: klar ist die rezi ein plädoyer, das sich bewusst von den anderen sichtweisen unterscheidet. das wollte ich schon immer loswerden über die platte. endlich gab es nen anlass.
der von dir zitierte text soll sich allerdings auf die gesamte platte beziehen, nicht auf einen song. das ist evtl nicht ganz eindeutig geraten. sorry.
1. Ride
2. MOP
3. And Justice
4. Kill
5. Black
6. Garage
7. Hardwired
Ab 8. der Rest
Fertich.
Na Alex, dann sag du doch mal warum du Mop besser findest. Mit eigenen Worten wenn es geht. Ansonsten könntest du ja auch einfach mal zugeben, dass du es einfach nur anders siehst aber ein einfaches LOL zeugt entweder von Arroganz oder mangelnder Kommunikationsfähigkeit.
ganz eventuell zeugt es auch davon, dass jemand einen job hat.
Ja Alex, verschwende doch jetzt bitte mal ein wenig Lebenszeit an den smarten und stets kohärent argumentierenden Sancho.
Hopp hopp, wird's bald?
Ist schon bezeichnend, wenn jemand, der hier selbst Kritiken schreibt, jemanden verteidigt, der nur rumpöbelt und andere Kritiken trollt ohne selbst konstruktiv zu schreiben, nicht wahr Freddy? Und oh ja einen Job zu vernachlässigen fürs trollen? Beste Wahl
Im Übrigen hat der Anwalt doch sicher auch einen Job und konnte hier trotzdem eine sehr ausführliche Rezi schreiben...
*facepalm*
"Ist schon bezeichnend, wenn jemand, der hier selbst Kritiken schreibt, jemanden verteidigt, der nur rumpöbelt und andere Kritiken trollt ohne selbst konstruktiv zu schreiben, nicht wahr Freddy?"
https://www.laut.de/Alben/Neu?autor=1
St. Anger bleibt das einzige Metallica-Album, das ich jemals im Regal stehen haben werde.
Bei dem Link von Pata sollte vor allem die sechste Kritik beachten. Irgendwas mit „Master Of Muppets“ oder so.
Para, nicht Pata
pata pata!
instantohrwurm *dance*
"ganz eventuell zeugt es auch davon, dass jemand einen job hat." - Gosh, war der schwach.
"tanze pata mit mir, pata pata die ganze nacht"
für das geld hätte man lieber auf 10-15 discs livemitschnitte und rough mixes verzichtet, und dafür alternativ einen remix mit dazugepackt, der einen den bass nicht nur erahnen läßt.
wäre beim dem stolzen preis sicherlich nicht völlig abwegig gewesen.
wozu? s.o....wer braucht hier schon den bass im angesicht dieser eisigen schneidigkeit. gerade das dokumentieren der authentizität ist doch die stärke dieser box. der verzicht auf verfälschendes "and justice for jason"-getue.
wenn ich "autentizität" will, greife ich halt gleich zum org, da brauch ich kein "remaster".
kost im übrigen auch nicht ganz so viel.
außerdem schadet eine alternative version doch nicht.die von dir empfundene "eisige schneidigkeit" ist evt. ja auch nicht unbedingt jedermanns sache. das dies kein ding der unmöglichkeit darstellt, zeigen die vielen enhanced-bass remixe im internet.
Naja, aber wenn man sowas von offizieller Seite macht, würde das ja mehr oder weniger einem Geständnis gleichkommen, dass die ursprüngliche Abmischung vielleicht nicht so optimal war. Und so etwas geht natürlich nicht..
Soso man soll damit zufrieden sein, dass es Remixe gibt, die dem Original nicht schaden aber umgekehrt kann man sich einfach nicht damit abfinden, dass dieser Sound gewollt ist und ihn tatsächlich Leute gut finden?
@Aqualung, doch wohl alles Geschmackssache oder meinst nicht? Mein Geschmack, waren Metallica noch nie so richtig. Wenn also Anwalt was von "vereister Schneidigkeit" schreibt, setze ich glatt noch einen drauf, eingefrorene Müllhalde das Geschepper. Und was machst nu?
aqualung hat aus meiner sicht völlig recht. gerade weil es geschmackssache ist, ist das seit 30 jahren andauernde gemecker, das so tut, als sei der effekt kein vertretbarer weg, sondern ein indiz für unfähigkeit/egomanie eben ein holzweg.
gerade weil es möglich ist, das ganze wie obig dargelegt zu deuten, zeigt sich doch, dass bzgl der bewertung und des respekts vor der künstlerischen leistung mehrere wege nach rom führen und es nicht die eine wahrheit gibt.
Auffällig ist ja auch, dass man den Bass auf aktuelleren Veröffentlichungen auch nicht besonders gut hört, trotz der imposanten Show von Trujillo.
und dass du den mit abstand wortspielerischsten avatarnamen weit und breit am start hast. kompliment. ich muss noch immer grinsen, wenn du auftauchst.
Anwalt muss ich jetzt beweisen, das ich keinen erlesenen Geschmack habe? Ich mein deine These(n) Unfähigkeit/Egomanie musste doch auch nicht nachweisen. Sondern dienten hier als Aufhänger, deiner zugegeben, hervorragenden Rezi. Mein Geschmack wird sich dadurch aber nicht ändern, noch meine ich mein hartes Urteil über die Truppe revidieren zu müssen.
"trotz der imposanten Show von Trujillo"
Gut das du es erwähnst, nur Show.
keine ahnung, was du meinst,speedi. die beweisführung ist doch längst abgeschlossen und kann auch nicht per antrag neu aufgelegt werden (vgl. musikprozessordnung).
wir befinden uns längst im bereich der urteilsfindung.
an dieser stelle wurde dein votum zur kenntnis genommen und lediglich festgestellt, dass deine einlassung im übrigen keinen verfahrensrelevanten widerspruch zu aqualung enthält.
Um mal weg vom Bass zu kommen: Hammet seine Soli sind auf dem Album auch nicht von schlechten Eltern.
das sach man
Doch der Jubelperser fehlt in der Aservatenkammer. Hat sich wohl Aqualung mit aus dem Staub gemacht.
MEGA ALBUM, keine Frage !!! Aber nach all den Jahren wäre natürlich ein Remix mit hörbären Bass die Krönung gewesen. SCHADE ... Somit reicht mir die alte Version voll und ganz.
Ohne Remixversion, muss auch nicht von DJ Remake oder DJ Tomekk sein, Spaß beiseite, Metallica haben die letzte Chance vertan dem Album endlich endgültig mit einem Remix von Steve Thompson und Michael Barbiero den Status zu verleihen den es verdient. Aber eine tolle Idee wäre es das schwarze Album als Gimmick genau so scheiße abzumischen wie And JUstice For All. Hat Hetfield ja damals selber gesagt Justice is raped, vielleicht hatte er den Mixinprozess im Hinterkopf den die KOksnase Lars total verhunzen ließ. Aber die Mixer oder Mike Clink oder Flemming Rasmussen trifft keinerlei Schuld das ist ganz allein James Mr. Ego Hetfield, Lars Wichtigtuer und kann nicht eine Sekunde die Fresse halten Ulrich und Kirk Hammet (der nie wirklich in den wichtigen Entscheidungen miteinbezogen war und sich auch nie für Jason stark gemacht hat) geschuldet. Euer Inspektor P.S. Kann kaum eure Kommentare abwarten, let the Haid flow etzala. Fersteht ihrr?
Klingt als ob du dabei warst
man merkt: bass ist das unwichtigste instrument aller zeiten