12. April 2017

"Ed Sheeran hat die Häme nicht verdient"

Interview geführt von

Während sich Steve Hackett auf seinem neuen Soloalbum "The Night Siren" eher experimentierfreudig präsentiert, wandelt sein alter Genesis-Kollege Mike Rutherford mit dem neuesten Mike & The Mechanic-Output "Let Me Fly" auf altbewährten Sound-Pfaden.

Gemeinsam mit den beiden Ausnahmesängern Tim Howar und Andrew Roachford verneigt sich Mike Rutherford mit dem neuesten Mechanics-Streich "Let Me Fly" wieder einmal auf beeindruckende Art und Weise vor dem eigenen Archiv-Schaffen. Wir trafen die drei Sound-Mechaniker in Berlin zum Interview und sprachen über die Entstehung des neuen Albums, angesagte musikalische Größen und ein lang ersehntes Wiedersehen.

Nach der Veröffentlichung des letzten Mechanics-Albums "The Road" hatte ich das Gefühl, dass nach Jahren im Ungewissen endlich mal wieder ein Line-Up mit Zukunft am Start ist. Das ist jetzt sechs Jahre her. Warum sprechen wir erst heute über das zweite Mechanics-Album in dieser Konstellation?

Mike Rutherford: Ich kann deinen Frust natürlich gut verstehen. Ich würde mich als Fan wahrscheinlich genauso fühlen. Aber im Gegensatz zur letzten Veröffentlichung wollten wir diesmal nichts übers Knie brechen. "The Road" entstand damals praktisch aus dem Nichts heraus. Wir hatten uns gerade erst als Band getroffen und bereits ein Album im Kasten. Das fühlte sich zwar toll an, weil einem bewusst wurde, dass man nach 25 Jahren im Business immer noch richtig fokussiert arbeiten konnte. Aber es war auch eine Extremsituation. Für das neue Album wollten wir uns einfach etwas mehr Zeit nehmen.

Tim Howar: Man muss natürlich auch bedenken, dass wir nach "The Road" erst einmal auf Reisen gehen mussten. Das ist nun mal der natürliche Gang nach einer Albumproduktion. Man geht danach mit dem Material auf Tour. Und das haben wir getan. Wir waren letztlich fast vier Jahre mit dem Album unterwegs. In dieser Zeit wurde allen in der Band klar, dass diese Konstellation eine Zukunft hat. Und wenn man sich dessen bewusst wird, dann geht man die nächsten Schritte entspannter an. Man lässt sich nicht unter Druck setzen, sondern lotst alles aus und stellt sicher, dass am Ende alles passt. Genau das haben wir dann auch getan. Wir haben alles vorsichtig reifen lassen.

Zu eurer Verteidigung muss man natürlich auch anmerken, dass ihr neben der Band noch andere Projekte am Laufen habt. Inwieweit haben sich diesbezüglich die Prioritäten verschoben?

Andrew Roachford: Wir sind ja alle keine Greenhorns mehr. Jeder von uns, Mike insbesondere, blickt auf eine lange Karriere zurück. Wenn man das Business kennt, und mit den Gepflogenheiten vertraut ist, dann stolpert man nur noch sehr selten durch den Alltag. Letztlich ist es immer so, dass das Projekt, das gerade im Fokus steht, automatisch alles andere erst einmal in den Hintergrund drängt. Es geht da weniger um grundsätzliche Prioritäten, sondern mehr um den Moment. Ich kann nicht mit Mike und Tim im Studio stehen und nebenbei noch Songs für mein nächstes Soloalbum schreiben. Das funktioniert nicht. Jedes Projekt verdient die volle Aufmerksamkeit. Nur so liefert man am Ende des Tages auch die bestmögliche Arbeit ab.

"Heute kann jeder daheim am Laptop ein Album aufnehmen"

In meinen Ohren klingen viele der neuen Songs wie bewusste Grüße in Richtung Vergangenheit. "Wonder" und "Letter" beispielsweise hätten auch wunderbar aufs Debütalbum gepasst. War das so gewollt?

Mike Rutherford: Nein, nicht wirklich. Es war zumindest nicht geplant. Wir haben uns auf keinerlei Sound-Konzept geeinigt. Ich empfinde es aber ähnlich. Auch in meinen Ohren klingt das Album sehr originalgetreu.

Andrew Roachford: Ich denke, dass man nach 32 Jahren einfach weiß, was passt. Die Band hatte schon immer einen sehr speziellen Sound, den man nicht so richtig kategorisieren konnte. Diese ganz besondere Mixtur aus Rock und Pop mit verschiedenen Gesängen hat schon etwas Einzigartiges. Die letzten beiden Alben haben jetzt mit meiner Stimme noch etwas mehr Soul dazubekommen. Aber die Basis ist geblieben.

Tim Howar: Für mich war es immer faszinierend, zu sehen, wie die Band sich abseits von festgefahrenen Genre-Hypes entwickelt hat. Ich hatte immer das Gefühl, dass es Mike und den anderen nur um gute Songs ging. Das war der Schlüssel. Natürlich waren da immer ganz signifikante Momente in der Musik vorhanden. Aber schlussendlich ging es immer nur das perfekte große Ganze. Ich denke, dass wir die beiden bisherigen Alben, die wir zusammen aufgenommen haben, ähnlich angegangen sind. Wir haben uns keine Gedanken über Trends oder bestimmte Ausrichtungen gemacht. Wir haben einfach versucht, gute Mechanics-Songs zu schreiben.

Habt ihr während des Produktionsprozesses bewusst auf das Hören von Musik von außen verzichtet?

Mike Rutherford: Nein. Wir lassen uns jeden Tag von Musik begleiten. Das kann man als Musiker auch gar nicht abstellen. Wir lassen uns davon aber nicht beeinflussen. Schlussendlich sind es nur wir und unser Bauchgefühl, die Entscheidungen treffen. Da kann das Gehörte von anderen Kollegen noch so hip sein.

Was findet denn in euren Ohren gerade besonderen Anklang?

Mike Rutherford: Man muss schon sehr genau hinhören. Ich meine, als wir damals anfingen, ging es nur um Alben und Konzerte. Das war alles. Mehr Möglichkeiten hatte man als Musiker nicht. Heutzutage kann jeder daheim am Laptop ein Album aufnehmen und es in Windeseile über all die verfügbaren Internet-Kanäle in die ganze Welt verbreiten. Dadurch ist der Markt natürlich total voll. In dieser Masse dann richtig gute und eigenständige Künstler ausfindig zu machen, ist gar nicht so einfach. Aber hin und wieder sperrt man natürlich seine Ohren auf, wenn dann doch mal etwas Besonderes am Start ist.

"Ob wir auch über Genesis reden werden? Keine Ahnung"

Zum Beispiel?

Mike Rutherford: Ich bewundere Künstler wie Elbow und Ed Sheeran. Das sind Leute, die noch eine richtige Leidenschaft an den Tag legen. Ich weiß, dass gerade Ed Sheeran bei vielen Kritikern nicht gut wegkommt. Aber diese Leute haben alle keine Ahnung. Er ist viel mehr, als nur ein rothaariger Mädchenschwarm mit Gitarre, der im Hier und Jetzt seine 15 Minuten Ruhm genießt. Für mich hat Ed Sheeran das Zeug, ein ganz Großer zu werden; einer, von dem man auch in zwanzig Jahren noch reden wird.

Tim Howar: Ich sehe das genauso. Ed Sheeran hat all die Häme nicht verdient. Er ist ein großartiger Songwriter. Punkt.

Andrew? Wie sieht's bei dir aus?

Andrew Roachford: Ich überlege die ganze Zeit schon. Und ich würde sagen, wenn ich heute noch einmal von vorne anfangen würde, dann würde mich wahrscheinlich ein Kerl wie Rag'n'Bone Man inspirieren.

Tim Howar: Oh ja! Der Typ hat es richtig drauf. Als ich den zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich, da kommt jetzt eine Sound-Walze aus Hardcore oder Punk auf mich zu. Aber dann hat er mich mit seinem Soul-Blues total aus den Socken gehauen.

Andrew Roachford: Er hat die perfekte Präsenz, die perfekte Stimme und den perfekten Sound.

Es muss uns also nicht bange werden um die Zukunft?

Andrew Roachford: Nein, auf keinen Fall. Wie Mike schon sagte: Man muss halt heutzutage nur etwas länger suchen. Aber Qualität setzt sich am Ende immer durch. Das war früher so. Und das wird auch so bleiben.

Lasst uns noch kurz über eure Zukunft reden. Ihr werdet Ende Juni in London mit Blondie und Phil Collins die Bühne teilen. Auf wen freut ihr euch mehr?

Mike Rutherford: Ich freue mich auf beide. Debbie ist eine wundervolle Künstlerin. Und Phil kenne ich auch ganz gut. (lacht)

Wirst du Phil mal zur Seite nehmen und mit ihm über eine Genesis-Reunion sprechen?

Mike Rutherford: Ich werde ihn zur Seite nehmen und über viele Dinge mit ihm sprechen. Darauf freue ich mich auch schon sehr. Wir haben so viel gemeinsam erlebt. Da ist mit den Jahrzehnten eine Freundschaft entstanden, die man nicht in Worte fassen kann. Aber ob wir auch über Genesis reden werden? Keine Ahnung. Das sind auch Dinge, die mich momentan überhaupt nicht beschäftigen. Natürlich weiß ich, dass die Leute immer alles ganz genau wissen wollen. Aber diesbezüglich gibt es nun mal keine Neuigkeiten. Das muss man dann auch irgendwann mal akzeptieren. Und sollte sich an dem Zustand etwas ändern, werden es schon alle früh genug erfahren. Ich konzentriere mich jetzt erstmal nur auf die Mechanics. Alles andere wird die Zukunft zeigen.

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