1. Oktober 2013

"Ich will die Scheiße aus den Trommeln prügeln"

Interview geführt von

Kinder, die zu Zeiten von Mobys größten Hits auf die Welt kamen, sind mittlerweile geschlechtsreif. 14 Jahre nach dem Erfolgsalbum "Play" zeigt sich der intelligente Querkopf nach wie vor produktiv.

Erfolgsdruck verspürt Moby kaum und wirkt dennoch etwas müde. Wie er im Interview verrät, gibt es viele andere Interessen in seiner Welt und auch das Touren ist er leid. Nach langem Hin und Her, Knick und Knack steht die Telefonleitung nach Los Angeles endlich. Aus der Stadt der Engel meldet sich ein freundlich gesinnter Richard Melville Hall zum Gespräch.

In gewohnt entspannter und höflicher Stimmlage bestreitet er die 25-minütige, transatlantische Teestunde. Moby, dessen letztes Album "Destroyed" 2011 höchstens ein Achtungserfolg war, ist nicht aus der Ruhe zu bringen. Popularität scheint ein positiver Nebeneffekt, das Tourleben zu langwierig und die anderen Künste wie Schriftstellerei und Fotografie zu interessant zu sein.

In Bezug auf die Veröffentlichung deines neuen Album "Innocents" spricht ein deutsches Magazin vom Comeback des "Lieblingsmusikers eurer Schwester". Nervt es dich, auf einen bestimmten Stil reduziert zu werden, den du vor etwa 14 Jahren in Zeiten von "Play" verkörpert hast?

Moby: Ich habe nie damit gerechnet, dass ich als Musiker Karriere machen würde. Ich war mir sicher, dass ich mein ganzes Leben lang ein Schlafzimmer-Produzent bleiben würde, den sich niemand anhört. Wenn sich also jemand auf eine Platte bezieht, die ich vor 14 Jahren gemacht habe, dann ist das doch besser als bei Burger King zu arbeiten. Ich kann mich also nicht beschweren.

Wieso denkst du, dass manche ein Comeback-Album von dir erwarten, wo du doch weiterhin ein sehr produktiver Musiker bist?

Da muss man einige Dinge beachten. Erstens ist das Musik-Business ein völlig anderes als es vor zehn oder fünfzehn Jahren war. Zweitens waren meine letzten Alben eher obskur und zumindest nicht sehr kommerziell orientiert. Es fühlt sich schon seltsam an, wenn mich Leute fragen, ob ich immer noch Musik mache, obwohl ich etwa alle 18 Monate eine Platte veröffentliche. Vielleicht ist das auch so eine Sache mit älteren Musikern: Man erwartet einfach nicht mehr, dass sich noch viele Leute deine Musik anhören.

Denkst du denn, dass "Innocents" ein populäreres Album werden könnte oder ist dir das schlichtweg egal?

2013 ein Album zu produzieren, fühlt sich seltsam an. Ein Großteil hört sich lieber Singles an, kaum jemand widmet sich einer Platte von Anfang bis Ende. Warum ich also immer noch Alben produziere? Einfach weil ich sie mir gerne anhöre und es liebe, meine Zeit im Studio zu verbringen. Ich erwarte also nicht, dass viele Menschen meine neue CD von Anfang bis Ende hören werden. Ob es nun ein populäres Album wird, kann ich nicht sagen. Wenn es den Leuten gefällt, ist das super, aber wenn nicht, habe ich trotzdem eine gute Zeit im Studio gehabt.

Der erste Einblick in dein neues Projekt war mit "The Lonely Night" ein Song, den du mit Mark Lanegan aufgenommen hast. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit ihm?

Diese Single ist der erste große Pop-Knaller auf dem Album (lacht) 2013 Musik zu machen, hat den tollen Aspekt, dass man alles falsch machen kann. Wenn man genau hinhört, merkt man, dass der Song sehr komisch abgemischt ist. Das liegt daran, dass wir alle Instrumente über einen Gitarrenverstärker laufen ließen und das dann mit dem Mikrofon aufgenommen haben. Heute kann man so etwas ohne kommerziellen Druck machen.

Da ich in den Achtzigern in einigen Punkrock-Bands gespielt habe, hat mich Marks Arbeit bei den Screaming Trees fasziniert. Auch seine Sachen mit den Queens Of The Stone Age und die Soloarbeiten sind beeindruckend, so dass ich immer ein wenig Angst vor ihm hatte. Er ist ein riesiger Typ mit tiefer Stimme, aber als ich ihn getroffen habe, war er sehr freundlich und schüchtern.

Ich habe ihn gefragt, ob wir zusammenarbeiten wollen, und als er zusagte, schickte ich ihm ein paar Instrumentals. Es stellte sich dann raus, dass er wirklich gern elektronische Musik hört.

"Manchmal hört sich niemand meine Musik an und das ist okay"

Vor fast 15 Jahren hast du meinem Kollegen im Interview verraten, dass dich Musiker nerven, die das Internet zur Vermarktung ihrer Musik nutzen. Wie stehst du heute dazu? Vor allem im Hinblick auf die Kontroverse um die Smartphone-App zum neuen Jay Z-Album.

Davon habe ich nichts mitbekommen. Ich liebe das Internet aber, weil es so chaotisch ist. Das ist einer der Gründe warum ich die Website mobygratis.com gegründet habe ...

... genau, danach wollte ich dich ohnehin fragen. Das ist ja ein moralisch "wertvollerer" Umgang mit dem Internet. Was ist das Konzept der Seite?

Ich habe Philosophie an einer Filmschule studiert, also waren viele meiner Freunde Filmemacher, die später als freie oder experimentelle Regisseure gearbeitet haben. Die haben sich oft beschwert, wie schwer es ist, an Musik-Lizenzen für ihre Filme zu kommen. Meine Website ist also eine Möglichkeit für Non-Profit-Projekte an freie Musik von mir zu kommen. Ich finde es immer wieder faszinierend zu sehen, was Menschen mit meiner Musik anstellen.

Manchmal hört sich niemand meine Musik an und das ist okay. Aber manchmal benutzen es Leute für große und kleine Filme oder hören sie bei der Fahrt zur Arbeit, beim Sex, bei einer Beerdigung oder in der Disco – das ist für mich der tolle Aspekt am Musik machen. Man weiß nie, was damit passieren wird.

Da es zur neuen Platte lediglich drei geplante Shows in Los Angeles geben wird: Wann werden dich deutsche Fans wieder auf der Bühne sehen?

Wenn alles klappt, werden die Konzerte im Internet als Live-Stream zu sehen sein. Es ist nur so, dass ich auf Tour sehr lange in Flughäfen und Autos herumsitze und dabei nichts arbeiten kann. Zuhause habe ich viel mehr Zeit, mich meiner Musik, meiner Fotografie und meinem Schreiben zu widmen. Der Hauptgrund, dass ich nicht auf eine richtige Tour gehe ist also, um mehr Zeit für kreative Dinge zu haben.

Ich habe außerdem gehört, dass du zwei neue Hunde bekommen haben sollst, was ein anderer Grund dafür wäre. Ist das richtig?

So sehr ich es liebe, auf der Bühne zu stehen, Gitarre zu spielen und mir die Lunge aus dem Hals zu schreien, man verliert viel Zeit. Es ist schwer, sein Leben so liegen zu lassen, indem ich meine Hunde und meine Freunde vernachlässige. Ich versuche auch, eine Beziehung zu führen, und nichts tötet eine Beziehung mehr, als sechs Monate wegzugehen. Ich habe 23 Jahre auf Tour verbracht, weshalb ich jetzt ausprobieren möchte, wie es ist zuhause zu sein und ein normales Leben zu führen.

Fangen Live-Shows nach 23 Jahren an zu langweilen?

Es gibt dieses alte Klischee über Musiker, dass sie für ihre Reise bezahlt werden, aber umsonst spielen. Ich liebe es trotzdem Musik zu spielen, sei es in einer befreundeten Blues-Band Bass, vor Hunderttausend Menschen oder eine kleine Akustik-Show. Musik zu spielen ist immer noch eine meiner liebsten Tätigkeiten.

"Bradley Manning erinnert mich an Moby Dick"

Gab es in deiner bisherigen Karriere einen Punkt, an dem du lieber andere Interessen verfolgt hättest?

Ich würde nie mit der Musik aufhören. Dennoch liebe ich es, Bücher zu schreiben oder wäre gern Architekt, auch wenn ich dafür nicht schlau genug bin. Hauptsächlich würde ich gern mehr an meinen Büchern arbeiten und werde hoffentlich im nächsten Jahr einen Weg finden, das zu tun. So lange ich meine Hirnfunktionen nicht in einem schweren Autounfall verliere, kann ich mir kein Szenario vorstellen, in dem ich nicht Musik mache. (lacht)

Ein großer Teil deiner Fotografie, die du auf deiner Website mit Fans teilst, beschäftigt sich mit Architektur. Was fasziniert dich daran und beeinflusst sie in irgendeiner Weise deine Musik?

Vor ein paar Jahren habe ich in New York mit einigen Architekten ein Seminar über die Beziehung von Musik und Architektur abgehalten. Wir haben dabei realisiert, dass Musik und Architektur in vielerlei Hinsicht gegenteilig sind. Beide arbeiten aber im großen Raum, was sie verbindet und von anderen Künsten wie Fotografie und Malerei abhebt.

Kürzlich warst du in einem Video von prominenten Unterstützern des Whistleblowers Bradley Manning zu sehen. Was an diesem Fall bewegt dich zu einem solch offenen, politischen Statement? (Zum Zeitpunkt des Interviews war Bradley Manning, der heute als Chelsea Manning lebt, noch nicht verurteilt, Anm. d. Red.)

Dieser Mann steckt im Moment in den Mühlen des sehr komplizierten Systems der Militär-Rechtsprechung fest. Ich möchte mit diesem Auftritt mehr Aufmerksamkeit auf diesen Fall lenken, der in gewisser Weise für den Umbruch der alten zu einer neuen Welt steht. Das Internet ist schwer zu kontrollieren, was viele große Mächte stört. Deshalb erinnert mich dieser Fall ein wenig an Moby Dick, denn es wird ein lange andauernder Kampf werden, dieses neue System durchzusetzen.

Ist Edward Snowden im Moment auch Gefangener der Mühlen dieses alten Systems?

Über diesen Fall weiß ich bis jetzt zu wenig. Ich denke schon, aber es ist schwer, sich eine schlaue Meinung zu diesem Thema zu bilden.

Zum Abschluss noch eine Frage von einer/m unserer Leser/innen: Da du einige Instrumente spielst, was ist für dich das schwerste oder faszinierendste?

Für mich ist die Gitarre am vertrautesten, da ich bereits seit 35 Jahren spiele. Das Herausforderndste ist allerdings das Schlagzeug. Ich übe jeden Tag und finde es toll, dass man Tag für Tag an etwas arbeitet und es Monate später einfach klappt. Man bildet dabei viele Verbindungen zwischen Hirn und Körper. Ich bin wahrscheinlich nicht der beste, aber es macht echt Spaß, die Scheiße aus den Trommeln zu prügeln. (lacht)

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Moby

Moby aka Richard Melville Hall hat schon immer eine Vorliebe für richtig abgefahrenen Krach, die er damit erklärt, dass sich seine Mutter während der …

Noch keine Kommentare