laut.de-Kritik
Slow down, scroll back.
Review von Philipp KauseBassist Billy Talbot, Schlagzeuger Ralph Molina und Frontmann Neil Young kamen von der Band Buffalo Springfield und trafen fürs Album "After The Gold Rush" auf den deutlich jüngeren Nils Lofgren. Welche Rollen die einzelnen in der daraufhin gegründeten Gruppe Crazy Horse spielten, beleuchtet das Folk-Album "All Roads Lead Home" mit ihren verschiedenen Stimmen und Songwriter-Vorlieben. Achtung, es klingt sehr puristisch.
Das Quartett setzt auf leise Töne, rustikale Arrangements, mehrmals ohne großes Verstärker-Getöse, die Bedeutung der Songtexte und jeder einzelnen Silbe darin, auf Slow-Down-Entschlackung, Ausdruckskraft und Essenzielles ohne Firlefanz. Um so merkwürdiger ist, wie die LP zum Ende hin in seichten Gefilden versumpft.
Talbot wuchs an der East Coast auf, zog mit 17 nach Kalifornien. Molinas Familie kam aus der Einwandererszene von Puerto Rico nach Florida und New York. Mit "Look Through The Eyes Of Your Heart" sorgt er für den prägnantesten Song des neuen Albums, der am meisten einheizt und sich Amplifier gestattet. Die Wirkung des Stücks wäre aber nichts ohne die Grunge-gebeutelten Gitarren. Beigetragen haben die jedoch nicht Nils und Neil, sondern eine separate Band. Wie die anderen Tracks entstand "Look Through The Eyes Of Your Heart" im Lockdown mit jeweils getrennten Bands, ohne dass die vier Mitglieder voneinander genau Bescheid gewusst hätten.
Lofgren, dessen Name von seinem schwedischen Papa kommt, genoss in Washington seine Rock'n'Roll- und Blues-Sozialisation. Im Unterschied zu den anderen befasste er sich in seiner Jugend mit Klassik und Jazz. Der Kanadier Young war vor den Buffalos bereits in einer Band, aus der ihm 1966 ein US-Kollege entrissen wurde, weil der sich während des Vietnamkriegs vorm Militär drückte. Neil lebte dann, während seiner Zeit bei Buffalo Springfield und während Woodstock und CSNY-Debüt, illegal in den Staaten, bis ihm 1970 eine Green Card zuteil wurde. Seine Handschrift hört man im epischen "Song Of The Seasons" sofort heraus. Bei diesem Beitrag belässt er es. Denn die Scheibe "All Roads Lead Home" fährt quasi sternförmig aus vier Richtungen auf das "Home" zu, das gemeinsame Zuhause dieser Band, und entblättert die einzelnen Geschmäcker und woher die Zutaten zu dieser langlebigen Formation stammen.
Das "Home" befindet sich, abgesehen von der pandemischen #stayathome-Isolation wohl in Good Old California und in der Freude an einer gewissen Mellowness und Verwaschenheit in der Musik. Folk sollte sich bereits bei Buffalo Springfield nicht mehr klar, geradlinig und direkt anhören, sondern um die Ecke gebogen, die Wahrnehmung herausfordernd, rau und schräg. Besonders gut trifft das zarte, ätherische, aber schroffe "The Hunter" diesen Ton. Das Lied aus Billy Talbots Feder ist einer seiner drei Beiträge zur LP und nutzt die Chance auf den freien Lauf für die Individuen. Alle drei Talbot-Tracks blitzen exzellent: das rootsrockige und kehlig vorgetragene "Rain", das verträumte "Cherish" und eben das magische "The Hunter" mit seinen schlurfenden, zeitversetzten Klavierakkorden und Riffs.
Bei Ralph Molina haben die anderen beiden Nummern von ihm, "It's Magical" und "Just For You", eher etwas von Jazzrock-Softpop à la Toto und eiern altbacken. Auch als ausgeprägter Saxophon-Fan empfinde ich beispielsweise das Sax-Solo in "Just For You" als zäh. Der wimmernde Gesang kompensiert den Move in Richtung Kitsch nicht und sorgt für noch mehr Glitschigkeit.
Auch die drei Lofgren-Stücke "You Will Never Know", "Fill My Cup" und "Go With Me" haben wenig Sensations-Wert. Sie leiden etwas an der schütteren Stimme ihres Protagonisten. "Fill My Cup" ist eingängig, "Go With Me" könnte eine verlorene Traveling Wilbury-Perle sein, pflegt schöne Harmonien, stolpert aber etwas über seine eigene rhythmische Schwerfälligkeit und grenzwertige Aufnahmequalität der Höhentöne.
In Summe lässt sich "All Roads Lead Home" als netter Versuch mit einigen Treffern und dem ein oder anderen Anspieltipp an und punktet als gute Alternative zu weichgespülten Oldies-Wellen, wenn's um einen authentischen 60ies-Flashback geht: Woodstock lebt! Wirklich experimentierfreudig ist die LP trotz ihrer schrulligen Entstehungsgeschichte jedoch nicht geworden.
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