laut.de-Kritik
Lemmy isst Salat und trinkt Milch.
Review von Giuliano Benassi"We are Motörhead. We play Rock'n'Roll", kündigt Lemmy Kilmister an, als er mit seinem obligatorischen Becher Jack Daniel's und Cola auf die Bühne tritt. Die Rückkehr des ewig Gleichen, könnte man meinen, denn seit 30 Jahren tun er und die Band nichts anderes, als ihre Verstärker aufzudrehen und industrielle Mengen an Alkohol in sich hineinzuschütten. Das Erstaunliche daran: Anstatt abzustumpfen, werden sie immer besser.
"Stage Fright" ist der eindrucksvolle Beweis dafür. "Bühnenangst" gilt dabei weniger den drei Männern an ihren Instrumenten, sondern dem musikalischen Feuerwerk, dass sie routiniert, aber begeisternd abfackeln. Am 7. Dezember 2004 in der Düsseldorfer Philipshalle aufgenommen, kommt man aus dem Staunen nicht heraus: Lemmy soll wirklich schon 60 sein? Kann Schlagzeuger Mikkey Dee tatsächlich Gitarre spielen? Und vor allem: Ist das ein Livemitschnitt oder ein bislang unbekannter Auszug aus "Matrix"?
Keanu Reeves ist zwar nicht zu sehen – wozu auch, Lemmy ist eh viel schöner -, die Filmtechnik teilweise aber ähnlich. Wie bei den Actionszenen des Science Fiction-Films steht vor der Bühne eine Reihe an sequenziell geschalteten Kameras, die spektakuläre Aufnahmen liefern. Weitere sechzehn Geräte sind in der Umgebung der Akteure, im Publikum und an der Decke angebracht. Der Schnitt ist rasant und durchgehend auf MTV-Standard, eine wahre Genugtuung, wenn man ihn mit dem auf der Vorgänger-DVD "Everything Louder Than Everything Else" vergleicht.
Das Gleiche gilt für den messerscharfen Klang. Gelungen auch die Auswahl an den vorgestellten Stücken. In 90 Minuten sind selbstverständlich Klassiker wie "Ace Of Spades", "Overkill", "Metropolis" oder "Killed By Death" mit dabei, aber auch das seltener gespielte "Dancing On Your Grave". Der einzige Wermutstropfen: Die damals neueste Platte "Inferno" kommt mit lediglich drei Auszügen etwas zu kurz. Neben "Killers" und "In The Name Of Tragedy" hätte "Life's A Bitch" nicht fehlen dürfen. Dafür gibt es mit "Whorehouse Blues" vor der Zugabe eine Unplugged-Session, Lemmy stehend ohne Bass, Schlagzeuger Dee und Gitarrist Phil Campbell sitzend und mit akustischen Instrumenten. Klingt zwar ungewohnt, das Experiment ist aber durchaus gelungen.
Die Kommentare der drei zum Konzert fallen eher langweilig aus, dafür gibt es eine zweite DVD mit einer Fülle an Bonusmaterial. Zum einen kommen Crew und Fans zur Sprache, zum anderen tritt Dave Grohl kurz für einen Plausch mit Lemmy vor die Kamera.
"The Backstage Rider" liefert einen Einblick in den Bereich hinter der Bühne. Es handelt sich hierbei um eine Liste all der Dinge, die der Veranstalter bereitstellen muss. Für Lemmys Umkleideraum sind es unter anderem zwei Literflaschen Jack Daniel's, 24 Dosen Cola ("PLAIN OLD COCA COLA"), zwei Päckchen Marlboro und einen steten Nachschub an Eiswürfeln. Bei Dee und Campbell, die sich ein Zimmer teilen, sind es ein Liter Jim Beam, ein Liter Qualitätswodka, fünf Kästen Bier und ein Kasten Cider. So weit alles im grünen Bereich. Eher erstaunlich ist, dass beide Zimmer jeweils zwei Liter frische Milch verlangen. Und dass Lemmy entgegen jeder Interviewerklärung auch Gemüse isst – Salat für seine Sandwiches muss ebenfalls bereit stehen.
Wem das noch nicht genug ist: Auf einem DVD-ROM-Teil gibt es "Live's A Bitch" im RealTone für's Handy, dazu ein Hintergrundbild für den Desktop, "Overkill" als High Definition-Track und weiteren Schnickschnack. Kein Zweifel: mit "Stage Fright" setzen sich Motörhead ein digitales Denkmal. Das die Wände im Wohnzimmer bedenklich zum Wackeln bringt.
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