2. Dezember 2014
"Wir mögen halt auch Kitsch!"
Interview geführt von Artur SchulzDas Kölner Duo über Vorliebe für Retro-Style, Produktionsprobleme und den Umgang mit Kritikern.
Die Unterwelt des altehrwürdigen Hamburger Thalia-Theaters würde dem Phantom der Oper sicher gefallen. Auf dem Weg zum Interview vor einem anstehenden Konzert geleiten mich Sarah Nücken und Steffen Brückner alias Mrs. Greenbird durch enge, verwinkelte Gänge, bis Sarah eine Tür öffnet, und zum Gesprächsplatz leitet. Der befindet sich unter dem späteren, dem Theater zugehörigen "Nachtasyl"-Auftrittsort - eine kleiner, schmuckloser Kellerraum, bei dem ein liebevoll gedecktes Tischchen mit drei Stühlen allerdings viel gemütliche Heimeligkeit verbreitet.
Sarah, Steffen, euer neues Album habt ihr ja in Nashville aufgenommen. Wie kam es dazu, war das eure Idee oder ein Vorschlag der Plattenfirma?
Steffen: Während unserer Tour ließen wir vor dem Konzert immer eine CD des Songwriters William Fitzsimmons laufen. Der gefiel uns selbst so gut, dass wir bei ihm einfach mal nachfragten, ob wir gemeinsam einen Song schreiben könnten. Das verneinte er, aber dadurch kam ein Kontakt mit seinem Produzenten Marshall Altman zustande. Mit dem haben wir einige Sachen über Skype ausprobiert, und ihn einfach mal darauf angesprochen, ob er uns produzieren würde. Auf die Frage hatte er sogar schon gewartet - so kam das Ganze dann ins Laufen. Und auch die Plattenfirma hat der Idee dann schließlich zugestimmt.
Geht es in den USA professioneller zu als hier, und was sind die großen Unterschiede zu Aufnahmen in Deutschland?
Steffen: Professioneller auf jeden Fall, aber vor allem geht es deutlich musikalischer zu als hierzulande. Also nicht mit in erster Linie deutscher Gründlichkeit, die Musik steht immer klar im Vordergrund, dazu das alles sehr präzise, sehr analytisch angelegt. Man hat da mit den Mitmusikern im Kreis gesessen, die Songs so lange gespielt, bis die Stimmung passte, und auch die Dynamik.
Euren Sound empfinde ich als recht kuschelig und warmherzig. Reibereien beim Songschreiben gibt es bei euch anscheinend nicht?
Sarah: Also, eigentlich geht das gar nicht so puschelig zu beim Schreiben. Für mich war das so: wir waren fast zehn Monate nicht zu Hause, hatten 80 Konzerte, waren in nahezu jeder Radio- oder TV-Show präsent. Das ist auch körperlich schon sehr anstrengend, und fürs eigentliche Schreiben hatten wir nur nur drei Monate Zeit. Ich bin da dann gern Perfektionistin, und das Schreiben hat irgendwie auch richtig wehgetan.
Ich habe mich praktisch für die drei Monate eingeschlossen, nicht mehr verabredet, was eigentlich auch sehr ungesund ist. An manchen Songs habe ich ganz lang herumgeknabbert, wie an "Shine Shine Shine" zum Beispiel. Die Musik hatten wir schon geschrieben, und ich hatte dann eine Idee, aber irgendwann später sogar acht verschiedene Texte. Und dachte Nächte, Tage, was nehm ich denn nun, oder was setz ich wie zusammen. Zwei Tage Tage vor Nashville hat es dann Klick gemacht, für mich war das emotional alles recht krass. Auch wenn "Postcards" nun vielleicht kuschelig klingt, wir sind da schon richtig verbissen rangegangen, damit es gut klingt. Und damit wir mit dem zweiten Album auch richtig zufrieden sind.
Steffen, zu "Dark Horses" hast du gesagt, der Song solle so klingen, als würde Lucky Luke in den Sonnenuntergang reiten. Bist du ein Comic-Fan?
Steffen: Oh ja, ein sehr Großer! Ich mochte z. B. Lucky Luke immer sehr gerne, und die klassische Westernromantik im allgemeinen sowieso. "Dark Horses" ist daher auch Lied, das ganz bewusst von der dieser Stimmung lebt. Er sollte nach der Weite der Prärie klingen. Soundmäßig bin ich da ein bisschen Calexico-mäßig beeinflusst, und diese Lucky Luke-Geschichte hat was Spaghettiwestern-mäßiges. Es gibt in dem Song auch eine Gitarre, die nach Spaghetti-Western klingt. Von Lucky Luke hatte ich damals viele Hefte, und auch belgische und französische Comics habe ich zu der Zeit sehr gemocht.
Früher hatte er ja auch noch eine Zigarette im Mund, die ist in der Zwischenzeit aber verloren gegangen ....
Steffen: ... ja, aber manchmal denke ich, wenn man das überall so machen würde: Was würde dann von Filmen wie z. B. "Casablanca" übrigbleiben?
Der würde dann wahrscheinlich nur sechzig Minuten dauern.
Steffen: Man muss das heute eben aus einem anderen Blickwinkel betrachten, es war halt ein ganz anderer Zeitgeist damals.
"Mr. Werewolf" beruht auf einer Vorliebe für Vampirserien, wenn ich richtig informiert bin ....
Sarah: Ja, das ist richtig! Gut, "Vampire Diaries" ist zwar schon ein bisschen kitschig. Dort kommen auch eine Menge Werwölfe vor, die sich dann verwandeln, was dann auch was mit dem in dem Song verarbeiteten Jekyll/Hyde-Thema zu tun hat. Warum und wie wir eigentlich genau darauf gekommen sind, kann ich gar mehr richtig sagen, aber diese Vampirserien haben uns da ganz sicher beeinflusst.
Steffen: Stimmt. Die Vampire als solches stehen bei uns da jetzt nicht ganz so alleine ganz oben, aber wir mögen sie. Dieser ganze filmische Vampirmythos besitzt schließlich auch so eine Art symphatischer Albernheit, aber es gibt auch Ausnahmen. Z. B. diesen schwedischen Film, "So Finster Die Nacht". Danach ging unser Interesse an Vampiren eigentlich erst so richtig los. Wir fanden den großartig, und haben danach unsere Pausen mit diesen Serien gefüllt. Und man freut sich darüber, wenn man daraus dann so etwas wie Inspiration bezieht. Ich persönlich mochte auch früher schon diese ganzen alten Sachen, mit Christopher Lee und Bela Lugosi. Und ich mag den klassischen Monsterfilm halt sehr gerne. Diese ganzen Jack Arnold-Filme ...
Hey, du kennst Jack Arnold? Da rennst du offene Türen bei mir ein ...
Steffen: ... mit Streifen wie Tarantula bin ich ja aufgewachsen. Ich bin auch ein bisschen älter als Sarah, sowieso ein großer Filmfan, gerade, was die alten Sachen angeht. Spannend ist da auch die Entwicklung, wenn man da zum Beispiel die Stummfilm-Anfänge wie Nosferatu nimmt. Das finde ich sehr interessant, zu beobachten, wie sich alles weiterentwickelte. Heute gucke ich natürlich längst nicht mehr jeden Film, lasse mich aber gern darauf ein.
So gesehen bist du also auch sehr Retro-affin, ebenso wie es Sarah über sich sagt. Wie äußert sich das bei dir?
Sarah: Man hat heute alles im Überfluss, man holt sich den 10. Polyesterschal für 1,99 Euro, das ist nichts für mich. Ich mag besondere Sachen, die etwas ganz Eigenes haben, gern Unikate, aber nicht zu teuer! Man findet immer wieder hübsche Sachen beim Stöbern, und auch bezahlbar. Mir gefallen die alten Muster, die alten Stoffe, da finde ich auch die Qualität besser.
Steffen: Ich glaube, Retro oder Vintage werden deshalb gemocht, weil man das Gefühl hat, dass auch damals zwar etwas Altes aufgegriffen wurde, man aber etwas wirklich Neues daraus gestaltete. Trends, Looks, Designs, die nicht so stark von Modevorgaben beeinflusst wurden, sondern vielmehr wirklich dem tatsächlichen Zeitgeist geschuldet waren. Ich selbst bin auch ein großer Fan von älteren Kraftfahrzeugen, z. B. aus den Sechzigern. Ich finde, gerade beim Autodesign merkt man das.
Die Autos früher waren ganz eigen gestaltet, damals musste man sich halt keine Gedanken machen über Verbrauch und diese Sachen, so bis Mitte der Siebziger, dieses Coupé von Opel etwa, bevor die dann alle gleich eckig und gleich häßlich wurden. Der Stil solcher Autos wirkt trotzdem auch heute noch irgendwie sehr zeitlos. Sie wurden gestaltet, um zu gefallen, nicht, um in erster Linie zweckmäßig zu sein. Ich glaube, das trifft auf eine Menge älterer Sachen zu, wie auch Möbel und Kleidung. Bei Mode ist es heute so: Es geht nur um 'Welchen alten Trend können wir jetzt recyclen', lediglich um daraus wieder etwas stromlinienförmig Neues machen, das möglichst viel verkauft wird.
"Nach dem ersten Album war ich irgendwie traurig"
Eure Musik ist ja nun auch sehr dem Retro verhaftet ...
Sarah: Wir versuchen mit unserer Musik, uns nicht nach Trends auszurichten, wir schauen nicht: Was wollen möglicherweise andere hören? Oder uns danach auszurichten: Was lässt sich möglichst gut verkaufen? Unser Ziel ist vor allen Dingen: Wir wollen erfolgreich sein in dem Rahmen, den wir uns musikalisch und stilistisch selbst gesteckt haben.
Steffen: Wir haben dafür glücklicherweise auch seitens unserer Plattenfirma die volle Unterstützung gehabt, wir haben da sogar einen Zufriedenheitsfaktor von mehr als 95 %! Wir hören unsere Platte selbst sehr gerne! Dabei ist es gerade als Musiker schwierig, weil: Du wirst ja irgendwie nie fertig, man möchte da was ändern, hier noch ein Detail hinzufügen. Aber wir haben beim Hören immer noch das Gefühl: Ja, das ist genau das Album, das wir immer machen wollten.
Mit dem ersten Studio-Album wart ihr nicht so glücklich?
Sarah: Das erste Album hab ich, glaub ich, nur dreimal gehört, und es war so, dass wir danach immer irgendwie traurig waren. Bei der Produktion hatten wir fürs Einspielen nur sehr kurze Zeit zur Verfügung. Eigentlich jede Nacht nur zwei Stunden Schlaf, danach weiterarbeiten, ich fühlte mich irgendwie wie im Fließband eingeklemmt.
Steffen: Auf dem ersten Album hatten wir in erster Linie Songs, die wir schon lange vorher geschrieben und live gespielt hatten. Wir mussten also quasi nur Vorhandenes abarbeiten, und das geschah dann in rund zehn Tagen und Nächten. Es war dennoch sehr erfolgreich, wofür wir natürlich auch sehr dankbar sind. Fürs neue Album war da schon ein immenser Druck: Denn jetzt war kein bereits vorhandenes Material mehr da. Wir mussten alle Songs neu schreiben, daneben bist du permanent unterwegs, und im Hintergrund tickert immer: Nun muss aber auch bald mal was Neues kommen.
Bis zu der Zeit, als wir zumindest das Grundgerüst für die Songs aufgebaut hatten, war die Unruhe groß, ob das, was wir da jetzt neu machten, auch überhaupt funktioniert. Du schreibst Lieder, ganz abgeschlossen, man ist so ganz für sich allein, und hat kein Gefühl dafür, wie das nun draußen ankommt. Das gute Gefühl kam dann erst in Nashville. Zu einem durch unseren Produzenten, der unsere Songs richtig gut fand, und dann durch die Mitmusiker. Die hatten wirklich einen Riesenspaß, die Sachen mit uns aufzunehmen. Und es war denen schon anzumerken, dass das für die nicht nur so ein Job war, da mitzumachen.
Ein bisschen hadert ihr mit unseren laut.de-Kritiken - hier ist nun die Gelegenheit, einigen kritischen Zitaten etwas entgegenzusetzen.
Sarah und Steffen lachen: "Ja! Endlich einmal!"
Hier ist Nummer eins: "Auf der Live-DVD glänzt 'das sympathische Duo' Mrs. Greenbird mit Kindergärtner-Charisma, Nücken ist schließlich Sozialpädagogin."
Sarah: Damals haben wir das erste Mal eine Live-DVD gehabt, und der Druck war so groß. Man kann alles nur so gut machen, wie man es machen kann, und wir beide waren vorab sehr, sehr aufgeregt. Mit Musik ist es so: Es gefällt den Leuten, oder sie gefällt ihnen nicht, ebenso wie es mit Menschen ist: Man mag den oder den nicht. Das verstehe ich, und ist natürlich total Geschmackssache, wenn das so empfunden wird.
Steffen: Es wäre auch gut, wenn jeder mal die Erfahrung machen könnte, wie das so ist, wenn man zum ersten Mal eine Live-DVD produziert. Da sind die ganzen erwartungsvollen Menschen, da sind überall die Kameras, da ist eine große Anspannung in dir drin.
Sarah: Ich bin heute vor dem Konzert sowieso aufgeregt wie noch nie, konnte die ganze Woche kaum was essen, aber damals bei der Live-DVD, da ist ihm dreimal die Gitarre zu Boden gefallen (Steffen protestiert lachend) Na gut, einmal. Aber man ist geschockt bei solchen Patzern. Steht da, und denkt: 'Das ist jetzt so festgehalten für immer', du kannst nichts mehr dran ändern. - Ich habe selber mal rezensiert. Und CDs bekommen, da dachtest du nur: 'Mensch, was ist das denn nur für ein Scheiß'. Nicht nur Scheiße, sondern auch scheiße aufgenommen. Die singen nicht schön, die Lieder sind nicht gut, da hab ich denen von fünf Sternen auch nur zwei gegeben. Aber wenn man professionell schreibt und das dann so bewertet, dann ist es ja auch richtig, genau das zu schreiben, was man wirklich beim Hören empfindet.
Steffen: Also, ich lese ja auch gern mal einen guten Verriss, mit einer richtig guten Begründung. Wir sind ja gut informiert, was über uns geschrieben wurde! (lacht) Man liest schon heraus, dass manchen das nicht gefällt, nicht deren Geschmack entspricht - mir gefällt ja auch nicht immer alles, was anderen Leuten gefällt - bei manchen Kritiken liest man aber auch raus, das es den Leuten nicht gefallen WILL. Da war unser Konzert, da haben wir vor tausenden Leuten gespielt, Riesenstimmung, wir hatten eine Mega-Party mit den Leuten, ein toller Abend, laue Sommernacht, und dann hatte eine Kulturdirektorin beschlossen, dass wir aufgrund unserer Hintergrundgeschichte einfach nicht gut sein können. So wurde das geschrieben!
"Ich mag Träumen und Traumwelten"
Hier der Teaser zu eurem ersten Album: "Junk-Pop aus dem Märchenwald". Klingt das vielleicht nicht doch irgendwie positiv?
Sarah: Die Review kenn ich, das war jemand, der uns aber auch relativ liebevoll gesonnen war. "Märchenwald" versteh ich, aber "Junk-Pop" unterschreib ich jetzt gar nicht.
Steffen: Ich glaube, dass der Kollege sehr wenig über unseren Hintergrund wusste, sondern uns als das ausschließliche Produkt einer TV-Show sah. Es ist uns klar, das das alles nicht ausschließlich auf Gegenliebe stößt. Doch man darf nicht vergessen, dass wir die Songs zu einer Zeit geschrieben hatten, als wir noch gar nicht wussten, ob das überhaupt jemanden gefallen würde, und das war vor der Teilnahme. Das mit dem "Märchenwald" kann man ja so oder so auslegen! Wir sind eigentlich sehr viel selbstironischer, als unser erster Anschein es so vermuten lässt. Wir bedienen uns sehr gern extrem bewusster Klischees, dieses ganze Überzeichnete, das "Alice im Wunderland"-mäßige, das sind schon Elemente, mit denen wir dann gern spielen. Wir mögen halt auch Kitsch!
Sarah: Ich gebe zu - das wissen wir beide - das Album ist halt innerhalb einer Woche enstanden. Die Produktion lief nicht rund, das klingt alles ein bisschen pappig, aber die Lieder machten wir mit Herzblut. Wir arbeiten Tags, Nachts, am Wochenende, wir kümmern uns selbst um die Bühnendekoration, drehen Videos - wir hängen da wirklich alles rein, was wir können, mit ganzem Herzen.
Und zum Abschluss noch zwei Zitate: Eure Musik gehe "geschmeidig den Rachen runter, und ist schnell verdaut". Und von "artifiziellem Hippietum" wird da auch gesprochen. Eure Meinung dazu?
Steffen: So ist das also: Unser Hippietum, das wir gar nicht selber pflegen, wird schon als artifiziell betrachtet! Ich glaube auch, dass der eine oder andere Rezensent seine selbst erdachten Formulierungen so gut findet, das er sie unbedingt benutzen will. Auch wenn das inhaltlich vielleicht gar nicht passt. schmunzelt
Sarah: Natürlich ist das alles Geschmackssache. Wir hatten ein Telefon-Interview, da fragte eine Dame, ob im neuen Album mehr Lyrik drin wäre. Und ich dachte: 'Was möchte sie denn nun von mir?', denn es gibt doch immer viele lyrische Bilder in unserer Musik. Diesmal aber mehr als noch auf der ersten Platte. Darauf meinte sie: 'Ach, das gefällt ihnen dann wirklich!' Darauf habe ich gesagt: 'Natürlich gefällt mir das, sonst würde ich die Lieder doch gar nicht erst schreiben'. Ich mag einfach große Bilder, Kopfkino und all diese Dinge. Ich mag Träumen und Traumwelten, und finde es auch nicht schlimm, wenn man sich als Erwachsener ein bisschen Kind in sich bewahrt.
Steffen: Viele kritische Menschen glauben, unser Image laufe unter dem Motto 'bewusst kontrolliert gemacht worden'. Und das ist bei uns eben nicht so.
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