laut.de-Kritik
Ein Handkuss für den Disko-Muso.
Review von Dani Fromm"Es gibt so viele kluge und kreative Köpfe in diesem Land", zeigt sich Muso überzeugt. "Die sollte man nicht unterschätzen." Vorgekaute, leicht konsumierbare Kost haben seine Hörer von ihm demnach nicht zu erwarten. Hilfestellung? Is' nicht drin, genau so wenig wie ein roter Faden. Schlüssige Geschichten, nachvollziehbare Handlungen, schnurgerade, zielgerichtete Gedankengänge: All das fehlt Musos Texten.
Erstaunlicherweise macht gerade das ihren Reiz aus. Muso wirft Beobachtungen, Kritik an sich selbst, an anderen und der Gesellschaft, mehr oder weniger verfremdete Zitate und freie Assoziationen neben- und durcheinander. Dabei wechselt er fliegend, in rasanten Sprüngen, von der introspektiven Nabelschau und Selbstanalyse in die Perspektive eines allwissenden, aber unbeteiligten Beobachters und zurück.
Wer den Anschluss nicht verlieren will, muss zugleich am Ball bleiben und sich auf diese spezielle Art der Lyrik einlassen. Dann stört auch die leise Quäkigkeit der Stimme nicht mehr, und Muso zieht mit seinem lakonischen, und doch diffus getriebenen Vortrag hypnotisch in seinen Bann.
"Sind Jungs in meinem Alter nicht normalerweise weiter?", wirft er in "Garmisch-Partenkirchen" eine Frage auf, die schon so manchen Anfang-Zwanzigjährigen schier um den Verstand gebracht hat - nur, um sie im nächsten Moment mit der Rotzigkeit der Jugend vom Tisch zu wischen: "Nein, warum?"
Kein Grund zu Selbstzweifeln: In diesem Jungen wohnt ein Dichter, zudem einer, der ganz genau weiß, welche Knöpfe er drücken muss, um manchmal betörende, manchmal verstörende, fast immer jedoch beklemmende Atmosphären zu erschaffen: "Gedanken aus Stein, aus Licht eine Mauer / eine Sonne aus Eisen und eine Sprache aus Trauer."
Get Well Soons Konstantin Gropper und Sizarr-Produzent Markus Ganter sorgen zusammen mit Muso für den musikalischen Rahmen. Die Beats treffen durchwegs den Ton und sorgen für die jeweils angemessene Stimmung. Trotzdem schießen sie in den meisten Fällen meterweit über das Ziel hinaus.
Zu wenige Ideen: schlecht. Zu viele: offenbar auch nicht gut. An viel zu vielen Stellen von "Stracciatella Now" überrollt die überfrachtete Produktion nicht nur (was noch verzeihbar gewesen wäre) den Hörer. Sie fährt in ihrem Bombast den Hauptprotagonisten aber gleich mit über den Haufen.
"Die Alte Ruine" lässt sich zwischen all der Opulenz kaum noch ausmachen. Zu zischenden Klingen und Schnarren, einer Szenerie, als sei man mitten in einen Spaghettiwestern hinein geworfen, stopfen sie auch noch Mönchschöre. Die alte Weisheit vom Weniger-ist-mehr drängt sich geradezu auf.
Auch für die Betrachtungen rund um die Zahl "Sieben" muss offenbar zwingend der größtmögliche Bahnhof aufgefahren werden. Die "Miami Vice"-Färbung in "Malibu Beach" nimmt solche Ausmaße an, dass man irgendwann glaubt, man stehe vor einer dieser Fototapeten mit Palmen im Sonnenuntergang. 70er-Babys, 80er-Kinder erinnern sich, eventuell mit Schaudern.
Schade, dabei stimmt so gut wie immer die Richtung. In den Tiefen von "Alles Sofort" verbirgt sich ein langsamer Walzertakt. "Eine Eigene Geschichte" speisen schräge Klänge, gepaart mit ordentlich Drum'n'Bass-Vibe. Wuchtige Drums prügeln in "Wir Lassen Uns Nicht Fallen" die Leichtigkeit aus dem hüpfenden Beat, bis vom fröhlichen Kirmes-Charakter nur noch der morbide Charme eines verlassenen, dem Verfall preisgegebenen Vergnügungsparks bleibt.
Die besten musikalischen Momente zeigt "Stracciatella Now" aber, wenn es in Richtung Club ab- und aufdreht, wie in "All Eyes On You". Oder in der gelungensten Nummer von allen: Klackern, Ticken und ... zum Teufel, Obertongesang? All das wächst sich zu einem finsteren Stampfer aus, der dann zu allem Überfluss noch Platz für jazzige Improvisationen bietet. "Knutsch Nicht Mit Dem Disko-Muso"? Na, gut. Dann eben nicht. Aber ein Handkuss muss dafür schon erlaubt sein.
2 Kommentare
Hasst man oder liebt man. Braucht auf jeden Fall sehr viel Zeit.
Das neue Album ist sehr viel zugänglicher, als es zunächst vermuten lässt. Hat ein paar schöne refrains (Hölle Hölle, Blinder Passagier) sogar die Uptempo Nummern funktionieren gut! Finde das Album sehr fresh, unbedingt reinhören. Der letzte Track ist textlich eine wucht.