laut.de-Kritik
Mein Gott, es ist voller Sterne!
Review von Sven Kabelitz"You come back and see I welcome / you wonder how that you find out." Kevin Shields entrückter Gesang reibt sich an bleiernen Gitarrenwänden voll berauschender Disharmonie. Wie aus den frühen Shoegaze-Zeiten importiert, knüpft "She Found Now" nahtlos an den 1991 erschienenen Vorgänger "Loveless" an. Ein Album, das so weit in der Vergangenheit versteckt liegt, dass die Kinder, die zu ihm gezeugt wurden, ihr sicheres Elternhaus längst verlassen haben. Tim, Laura und Patrick stehen heute auf ihren eigenen Beinen.
In der Zwischenzeit verkamen Meldungen über einen neuen Longplayer zu einem Running Gag. Zuletzt schien nur noch Shields selbst ernsthaft an einen Release zu glauben. Noch wenige Tage vor Veröffentlichung des neuen Materials musste er sich auf Facebook wilde Anfeindungen gefallen lassen. Doch unverhofft kommt oft. Mit "M B V" steht nun ein Monolith vor uns und sorgt für verdutzte Gesichter und überlastete Server.
Im Hier und Jetzt wirkt "Only Tomorrow" herrlich fehlplatziert. Was gestern neu und aufregend klang, bedient heute das alles verwässernde Element Nostalgie. Verbogene Gitarrenschleifen und ein bedächtiges Schlagzeug locken mit unterkühlter Vertrautheit. "Who Sees You" folgt dem eingeschlagenen Weg. Wellen schlagen in Zeitlupe an die Küsten der Geschichte. Ein Dämmerzustand, in dem mit Lush, Galaxie 500 und Ride noch einmal die alten Helden des Genres Revue passieren.
Von Sternenstaub verzierter Gesang schmückt die minimalistische Ambient-Interlude "Is This And Yes". Der erste Bruch innerhalb eines Albums, das einem Tripytchon gleicht. Bilinda Butcher übernimmt vorübergehend die Hauptrolle. Mit Butchers "Du Du Durums" in "If I Am" und dem angefunkten "New You" zelebrieren My Bloody Valentine Pop in seiner bittersüßen Sonic Youth-Version. Erstmals drängt sich Debbie Googes Bass in den Vordergrund.
Erst im letzten Drittel befreien sich My Bloody Valentine langsam komplett von ihren selbstgeschmiedeten Fesseln. Zunehmend verschiebt sich der von einem Baggy-Beat getriebene Dreampop "In Another Way" in Richtung Lärm. Ein Höllenspektakel, das der kopfschmerzbereitende Loop "Nothing Is" in Fetzen zerreißt. Zwei Wegbereiter in Richtung des finalen Highlights "Wonder 2". Ein Aufruhr der Elemente, von einem rastlosen Drum'n'Bass-Beat vorangetrieben. Auf den Kopf gestellte psychedelische Sounds aus einer anderen Welt. Verstörend wie die letzten Minuten in Kubricks "2001: A Space Odyssey", endend mit der Wiedergeburt von My Bloody Valentine. "Mein Gott, es ist voller Sterne."
3 Kommentare mit einer Antwort
Ich würde hier persönlich eine 5 zücken. Zwar klingt der Großteil der Tracks wie aus den 90ern, jedoch hätte ich nicht damit gerechnet, dass Shields noch einmal die Kurve kriegt, so viele Jahre nach Loveless. Es war einfach schwer zu glauben, dass MBV ein wirklich gutes Album herausbringen würden.
Stimme dir mit der 5 Sterne Einordnung zu und würde sogar noch weiter gehen.
Ich weiß, dass das für viele ein Sakrileg sein mag, aber mir gefällt die Scheibe einfach besser als Loveless. Sie gehört ebenso zu meinen absoluten Favoriten des Jahres 2013.
4 Punkte gehen schon in Ordnung. Ansonsten volle Zustimmung, catweazel. Hätte ich echt auch nicht erwartet.
Hab es aus Angst vor einer möglichen Enttäuschung viel zu lange gemieden, mich näher damit zu befassen. Damals einmal im Stream gehört und dann ruhen lassen.
Bin froh, dass ich es nun doch wieder aufgenommen habe. Eines der besten Alben des letzten Jahres.