laut.de-Kritik
Dieser Indie-Rock bleibt auch beim zehnten Hören frisch.
Review von Benjamin FuchsDie ersten Töne von "Wolves" klingen nach einem Soundtrack, der sich nicht zwischen "Spiel Mir Das Lied Vom Tod" und "Kill Bill" entscheiden kann. Der Songname "Ghost In The Gutter" würde eindeutig für letztere Option sprechen.
Was mit trockenen Gitarrentönen beginnt, schaukelt sich hoch, verdichtet Streicher und Percussions zu einem Geistermarsch. Nach vier Minuten kommt Gesang hinzu, knapp zwei Minuten und ein Instrumental-Stück später stellt Sänger Chris Deveney in Dauerrepeatschleife fest: "Ghost in the gutter, doesn't really matter". Das macht neugierig auf mehr.
My Latest Novel heißt der Fünfer, der mit einem solchen Brocken sein Debütalbum beginnt. Auch sonst verlangt man seinen Hörern einiges ab. "Learning Lego" ist eine wunderschöne Ballade, in der die klaren Stimmen Laura Mc Farlanes und Chris Deveneys die Hauptrollen spielen, Mundharmonika und Schlagzeug durchbrechen die getragene Stimmung immer wieder, mit Steigerungen bis schließlich ein energischer Kinderchor einsetzt, der entfernt an Pink Floyds "Another Brick In The Wall" denken lässt.
Diese Taktik scheint fest ins Repertoire der musikalischen Novellisten zu gehören - man wiegt in Sicherheit, um die Idylle schließlich zu durchbrechen und irgendwie dem Ganzen dadurch zu einer außergewöhnlich erhabenen Erscheinung zu verhelfen. Genreschubladen greifen zu kurz, ist das jetzt Folk- oder Indie-Rock, eigentlich auch egal. Lassen wir die Schubladen einmal geschlossen. Es gibt hier viel zu entdecken, werfen wir uns doch einfach vorbehaltlos mitten hinein.
"Sister Sneaker Sister Soul" brachte My Latest Novel ersten Erfolg in Schottland ein. Sanfter Gesang, eine Geige weint im Hintergrund. Wenn das Schlagzeug dazu kommt, hellt sich die Stimmung auf, wird beschwingt hoffnungsvoll. Schließlich ein Break und die Geige steht im Vordergrund. Was sie spielt, klingt irgendwie nach schottischen Highlands, grünen Bergkuppen, da hinten steht Duncan McLeod und macht Schwertübungen. Dann besinnen sich Schlagzeug und Gitarre darauf, dass sie eigentlich mitmachen wollten, steigen kraftvoll ein. Das Ergebnis ist eine sich immer weiter steigernde kraftvolle Soundkulisse, immer intensiver dreschen die Instrumente ihre Töne heraus. Dann wieder Ruhe, der Song kehrt zu seinem Anfangspunkt zurück. Grandios.
Klar, man könnte zum Abschluss etwas von Arcade Fire murmeln, von Belle And Sebastian und The Velvet Underground, wie es NME und Konsorten getan haben. Damit läge man gar nicht so weit daneben. Gerechter wäre es aber, einfach darauf hinzuweisen, dass dieses Album ein akustisches Vergnügen ist, das jeder einige Male durchleben sollte. Es lohnt sich. Jede Minute und jeder Cent ist dabei gut investiert.
Wer auf gepflegtes musikalisches Chaos, das seine Struktur nie wirklich verliert, und auf viel Abwechslung steht, wer nach Musik sucht, die mit kargen Worten und ausgedehnten warmen Instrumentalpassagen Geschichten erzählt, die noch beim zehnten Hören vor Spaß machen und irgendwie neu klingen, der greife beherzt zu.