Classic Rock, Synthiepop und Metal, Metal, Metal. Zwischen Orwell und Olympia starten die einen durch, andere neu, und Hip Hop überschreitet Grenzen.
Konstanz (laut) - Eine düstere Vorstellung hatte George Orwell vom Jahr 1984: Er prohezeite in seinem mit der Jahreszahl betitelten Roman einen totalitären Überwachungsstaat, den völligen Verlust der Privatsphäre, Manipulation und Geschichtsfälschung. Alles Dinge, die uns heute gar nicht mehr sooo abwegig vorkommen. Vor vierzig Jahren jedoch waren wir noch nicht so weit, vieles ging gerade erst los: Kabel- und Privatfernsehen nahmen den Betrieb auf, IBM stellte den Personal Computer, Apple den Macintosh vor und schwupps, schon landete das erste Computerspiel auf der Liste der jugendgefährdenden Medien. Die erste E-Mail erreichte Deutschland, genau an dem Tag, an dem im hessischen Friedberg ein Knabe namens Felix Martin Andreas Matthias Blume das Licht der Welt erblickte, kann es Zufall sein? Auf das musikalische Geschehen des Jahres 1984 hatte dieser neue Erdenbürger allerdings noch keinen Einfluss, das prägten andere:
Man sollte meinen, die Auswahl für diese Gedenklisten falle leichter, je mehr Plätze zur Verfügung stehen. 1984 hat uns diesbezüglich aber wieder vor schmerzhafte Entscheidungen gestellt. Noch nicht einmal alle unsere Meilensteine aus diesem Jahr konnten wir mitnehmen, zu viel wäre anderenfalls unter den Tisch gefallen. Ja, wo sind Hüsker Dü, wo der Beat Street-Soundtrack, der so viele Kopfnicker*innen den Erstkontakt mit einer ganzen Kultur beschert hat? Wir haben INXS, Foreigner, Nik Kershaw liegen gelassen, und ihr werdet sicher noch x weitere Platten nennen, deren Nichtbeachtung wir uns vorwerfen lassen müssen.
So klingt 1984
Grämt euch nicht, es gibt ja noch die Ausweich-Option Radio: Im Äther haben wir Platz, und den nutzen wir auch. Auf laut.fm/bestof1984 laufen natürlich die Perlen, die wir für die Liste aufgefädelt haben, Darüber hinaus bietet das Programm aber noch viel mehr aus dem musikalisch wirklich bunten Jahr 1984. Einschalten!
Wie eigentlich bei jedem dieser Spaziergänge die Memory Lane hinunter, beschleicht einen auch hier wieder das zwiespältige Gefühl: War das nicht gerade neu? Wie kann das alles verdammte vierzig Jahre alt sein? Man muss es sich aber vergegenwärtigen: Wir sprechen hier über Musik aus dem Jahr, in dem Richard von Weizsäcker Bundes- und Ronald Reagen erneut US-Präsident wurde. Vom Krieg, der die Stadt und das ganze Land heimsuchen sollte, ahnte noch niemand, als das Maskottchen der Olympischen Winterspiele sein "Sarajewooooooooooooooooooo!" per Television in die Wohnzimmer der Wintersport-Fans jaulte.
In Deutschland echauffierten sich Autofahrer*innen über die Einführung der Gurtpflicht: Die Freiheit, bei einem Unfall draufzugehen, wollte sich niemand nehmen lassen. Apropos Freiheit: Willkommen, Liechtenstein, in der Neuzeit! Schon 1984 entdeckten die männlichen Wahlberechtigten dort, dass Frauen richtige Menschen sind, und gestanden ihnen gnädig mit ausgesprochen knapper Mehrheit die Freiheit zu, ebenfalls zu den Wahlurnen zu schreiten. Applaus! In der Schweiz ringsum waren sie schon ein bisschen weiter: Hier übernahm 1984 erstmals eine Frau ein Ministerium, das der Justiz. Von einem Land, das gerade einen Mann namens Schlumpf ins höchste Staatsamt berufen hatte, konnte man aber ohnehin nichts Böses erwarten.
What's Going On?
Ja, der Flötenschlumpf fängt an: Was ging 1984 unterhaltungstechnisch und musikalisch so? Den ESC gewann wieder einmal Schweden, auch wenn man den Siegerbeitrag der Herreys, diggi-loo, diggi-ley, am liebsten vergessen möchte. Außer Kollegah begannen so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Kid Cudi und RAF Camora, Avril Lavigne und Stefanie Kloß, Kay One und Kim Jong-Un ihre irdische Existenz. Ob das ein guter Tausch für die Verstorbenen war, darunter Alexis Korner und Big Mama Thornton? Die traurige Nachricht, dass Marvin Gaye im Streit von seinem Vater erschossen wurde, stellte sich jedenfalls leider nicht als Aprilscherz heraus.
Etwas besser erging es Michael Jackson, wenngleich auch er eine unschöne Erfahrung machen musste: Beim Dreh eines Werbespots setzte er seinen Schopf in Brand. Ob ihn die acht der zwölf Grammys, für die er wegen "Thriller" nominiert war, oder sein frisch in den Walk Of Fame eingelassener Stern über dieses traumatisierende Erlebnis hinweghalfen? Man weiß es nicht. Gut dokumentiert ist dagegen, dass Dave Grohl keineswegs der erste harte Hund im Showgeschäft war: Steve Taylor brach sich bereits anno 1984 bei einem Sprung von der Bühne den Knöchel und zog die nachfolgenden Shows im Rollstuhl durch.
Während sich die Kollegen von Judas Priest ein lebenslanges Auftrittsverbot im Madison Square Garden einhandelten, weil sich ihre Anhänger*innenschaft dort gediegen danebenbenommen hatte, erschlossen sich Iron Maiden ganz neue Horizonte: Als eine der ersten westlichen Bands traten sie 1984 jenseits des eisernen Vorhangs auf.
... und dann war da noch Bob Geldof, den ein Bericht über die Hungersnot in Äthiopien zu einem Genre- und Ländergrenzen überschreitenden Charity-Projekt inspirierte. Doch diese Weihnachtsgeschichte erzählen wir ein andermal.