Ihr sucht eine Meditations- oder Einschlafhilfe? Hier seid ihr richtig. Wer Anekdoten aus dem Leben einer Produzentenlegende sucht, schaut in die Röhre.

New York (dani) - Wenn eine Legende wie Rick Rubin, ein Musiker, Labelgründer, gefragter und gefeierter Produzent und Strippenzieher im Musikgeschäft, ein Buch schreibt, kann das ja nur spannend sein. Dachte ich. Ich meine, bitte! Rubin arbeitete mit Adele, den Beastie Boys, Black Sabbath, Johnny Cash, Danzig, den Dixie Chicks, Ed Sheeran, Eminem, Gossip, Jay-Z, Lady Gaga, Lana Del Rey, Linkin Park, LL Cool J, Mac Miller, Metallica, Rage Against The Machine, den Red Hot Chili Peppers, Shakira, Slayer, Slipknot, Justin Timberlake, Kanye West, Weezer, ZZ Top ... ey, wie lange haben wir Zeit? Mit jedem und seiner Mutter hat der Mann bereits zu tun gehabt. Da muss doch die eine oder andere interessante Story abfallen! Dachte ich.

"Kreativ. Die Kunst zu sein" (O.W. Barth, 416 Seiten, gebunden, 24 Euro) birgt deren keine einzige. Genau genommen birgt dieses Buch überhaupt nichts. Man erfährt weder etwas über die Person Rick Rubin noch über seine Arbeit, seine Methoden oder die Menschen, mit denen er zu tun hat(te). "Das Kreativ-Geheimnis des Star-Produzenten", wie der Buchhandel behauptet, lüftet es gleich dreimal nicht.

Die Essenz?

Schon klar, dass sich nicht auf eine schnöde Formel herunterbrechen lässt, was Kreativität und künstlerisches Arbeiten ausmacht oder wie sich damit bestenfalls auch noch Erfolg haben lässt. Warum schreibt man dann aber überhaupt ein Buch darüber, wenn die Kern- und eigentlich einzige Aussage lautet: Jede*r ist Künstler*in, und jede*r muss einen eigenen Weg finden? Na, DAS hätte doch wirklich locker auf einen Glückskeks-Zettel oder ein Kalenderblatt gepasst.

Rick Rubin bläst diese banale Erkenntnis trotzdem auf über 400 Seiten auf, und das, obwohl er (auf Seite 397, übrigens, oh, the irony!) rät: "Wenn du ein Buch mit über 300 Seiten geschrieben hast, versuche, es auf weniger als 100 zu kürzen, ohne dass seine Essenz verloren geht." Ja, hätte er das mal getan.

Hintertürchen

Statt dessen füllt Rubin mehrere Hundert Seiten mit Wischi-Waschi-Blabla, das sich jeder wie auch immer gearteten Festlegung verweigert. Spaßeshalber (und auch, weil mich die Lektüre schlicht brachial gelangweilt hat) habe ich irgendwann angefangen, die Konjunktive, die "Eventuells", "Könntes", "Womöglichs", "Möglicherweises" und "Vielleichts" zu zählen: Keineswegs eine Ausnahme, dass sich Rubin zehn solcher sprachlicher Hintertürchen pro Seite offenlässt. "Manchmal wächst sich das kleinste Samenkorn zum größten Baum aus. Die unschuldigste Idee kann zum besten Text führen. Banale Erkenntnisse können die Tore zu unermesslichen neuen Welten öffnen. Die feinste Botschaft könnte von größter Bedeutung sein." Ja. Oder auch nicht.

Regeln können hilfreich sein. Oder einschränken. Künstler*innen sollen sie also einhalten. Oder brechen. Der Weg ist das Ziel. Vielleicht. Manchmal ist auch das Ergebnis das Ziel. Oder es gibt gar keins. Oder ein ganz anderes, als man zunächst vielleicht anvisiert hat. Ach, alles ist im Fluss!

Respice finem!

Künstler*innen sollen sich nicht mit und an anderen Künstler*innen messen, und schon gar nicht versuchen, sich gegenseitig zu übertreffen. Okay. Sich inspirieren und beflügeln lassen dagegen schon. Okay! Mindestens bizarr allerdings, dass Rick Rubin als leuchtendes Beispiel ausgerechnet die Entstehungsgeschichte von "Pet Sounds" und "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" heranzieht: "Dieser kreative Austausch beruhte nicht auf kommerziellem Wettbewerb, sondern auf gegenseitiger Zuneigung. Und wir alle profitieren von dieser Aufwärtsspirale, die zu Großartigem führt."

Ja, das kann man so sehen, wenn man - wie Rick Rubin - den weiteren Fortgang der Dinge unter den Tisch fallen lässt: Davon, dass Brian Wilson über dem Versuch, sich gegenüber Paul McCartney als der bessere Songwriter zu beweisen, solide durchgeknallt ist und nicht nur "Smile" nicht fertiggestellt, sondern auch sonst jahrelang gar nichts mehr auf die Reihe bekommen hat, lese ich in Rubins Lobrede auf den "kreativen Austausch" zwischen den beiden nämlich kein Wort.

... und Erfolg? Was ist schon Erfolg?! Jemandem, der mit seiner Arbeit stinkreich geworden ist, fließt der (wahre) Satz, dass die Rezeption des Publikums beim Erschaffen von Kunst keine allzu große Rolle spielen sollte, wahrscheinlich wesentlich leichter aus der Feder, als finanziell strugglenden Kunstschaffenden.

Mit aufgeblasenen Worten nichts gesagt

Letzten Endes muss man sich darüber aber auch nicht groß aufregen. Rick Rubin sagt ohnehin genau gar nichts Konkretes, das allerdings mit derart salbungsvollem, aufgeblasenen Vokabular, dass es kaum zum Aushalten ist: "Eine Intention ist mehr als ein bewusstes Ziel, sie ist die Übereinstimmung mit diesem. Sie erfordert die gemeinsame Ausrichtung aller Aspekte des Selbst. Des bewussten Denkens und der unbewussten Überzeugungen, der Fähigkeiten und des Engagements, des Handelns bei der Arbeit und jenseits davon. Es geht um ein Leben in Harmonie und Einvernehmen mit sich selbst."

Ein medizinisches Wunder

Als ein Plädoyer für Achtsamkeit und Selbstbesinnung interpretieren manche dieses Buch. Nun, als Meditations- respektive Einschlaf-Hilfe könnte es durchaus taugen, lässt es den Geist doch um ein großes Nichts kreisen. Vielleicht geht es sogar noch als "Buddhistische Lehren für Anfänger" durch, um das zu beurteilen, kenn' ich mich in der Materie nicht gut genug aus. Wovon ich dagegen aber mehr als genug verstehe: Blinddarmdurchbrüche. Was mich dazu getrieben hat, den ersten von sehr vielen Bullshit-Stickern auf Seite 49 in dieses Buch zu kleben. Da heißt es:

"Als ich einen Blinddarmdurchbruch hatte, bestand der Arzt, der ihn diagnostiziert hatte, darauf, ich müsse ihn mir sofort im Krankenhaus herausoperieren lassen, es gebe keine andere Option. In einer nahe gelegenen Buchhandlung griff ich auf einem Tisch vorn im Geschäft nach einem neuen Buch von Dr. Andrew Weil und schlug es in der Mitte auf. Die erste Passage, die ich las, lautete: Wenn dir ein Arzt ein Körperteil entfernen möchte und dir sagt, es habe keinerlei Funktion, glaube ihm nicht. Das war die Information, die ich in diesem Augenblick brauchte. Und meinen Blinddarm habe ich noch heute."

Alter. Sorry, aber: Bullshit! Wenn du einen Blinddarmdurchbruch hast, hast du ein Loch in deinen Eingeweiden, durch das die Plörre aus deinem Verdauungstrakt in deine Bauchhöhle trielt. Daran stirbst du, wenn dir das niemand flickt. Das regelt dein Körper nicht mehr von alleine, da stoßen die (auch von Dr. Andrew Weil) viel beschworenen Selbstheilungskräfte einfach an ihre Grenzen. Mit einem Blinddarmdurchbruch liegst du in der Notaufnahme und krümmst dich. Du flanierst jedenfalls ganz sicher nicht durch nahe gelegene Buchhandlungen und blätterst entspannt in den dort ausliegenden Ratgebern.

Vielleicht ist es doch ganz gut, dass diese persönliche Anekdote die einzige bleibt, die Rick Rubin in sein Buch einfließen lässt, und er sich sonst in schwammigen Allgemeinplätzen ergeht. Alles, das er nach diesem komplett unglaubwürdigen Mumpitz abgelassen hätte, hätte ich wahrscheinlich ebenfalls schwerst angezweifelt.

Trotzdem kaufen?

Selbst schuld.

Rick Rubin - "Kreativ. Die Kunst zu sein"*

Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!

Weiterlesen

laut.de-Porträt Rick Rubin

Rick Rubin: der Mann für alle Fälle. Es gibt keinen Produzenten diesseits oder jenseits des Äquators, der es schafft, nahezu jedem Genre seinen Stempel …

6 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 10 Monaten

    Erstaunt mich immer wieder, dass solche Legenden gleichzeitig solche Deppen sein können. :D

  • Vor 10 Monaten

    Hätte wahrscheinlich vor Veröffentlichung genauso gedacht wie Dani...

    Daher meinen aufrichtigen Dank für diese Buchkritik. Vermutlich unterhaltsamer als das Werk von Rickster himself, was ich nun wohl niemals herausfinden werde, aber ich hab echt schon deutlich schlechter gelacht an einem Sonntagmorgen als hier und jetzt. :D

  • Vor 10 Monaten

    Mein Schwiegervadder (den ich eigentlich sehr mag und schätze) hat mir letztens von seinem (also Rubins) Zeit-Magazin-Interview auf eine Art vorgeschwärmt, die meine inneren Eso-Bullshit-Detektoren schon ein bisschen gekitzelt hat. Das hier klingt allerdings nochmal spektakulär grässlicher :D

  • Vor 10 Monaten

    Wer davon noch mehr will: Die Interviews bei Joe Rogan und Rick Beato sind damit auch voll. Der Typ labert wirklich unfassbar viel Müll und niemand geht hin und schüttelt ihm mal kräftig an den Schultern. :(

    Sei es drum, es hat seinen Beitrag zur Gesellschaft ja geleistet.

    • Vor 10 Monaten

      Gibt einen Youtuber mit dem Namen Pat Finnety, der arbeitet sich zumindest an Beato ziemlich ab :D

    • Vor 10 Monaten

      Ja, absolut Fair, ist mir jetzt auch nicht super symphatisch, hat aber dann doch ab und zu einen interessanten Gesprächspartner parat.

    • Vor 10 Monaten

      Pat Finnerty ist großartig ♥
      Goin' down on a deadman's trail, gonna drink some more liquor, gonna wake up in jail! \m/

    • Vor 10 Monaten

      Beato ist zwar ziemlich boomerig unterwegs, aber das nimmt er ja auch mit angemessen viel Humor. Seine Songanalysen sind mitunter ganz interessant.

      Pat finnerty ist grandios!
      The Hoop Shredding Gigalo

    • Vor 10 Monaten

      Finnerty hat schon Recht - die meisten von Beatos kurzen Lehrvideos sind ziemlich nutzlos. Boomerig würde ich ihn aber nicht nennen. Dafür hört er zu regelmäßig aktuelle Musik, und lobt selbst bei Stücken, die ihm nicht gefallen, die Produktionen.

      Am Boomerigsten ist evtl. noch seine Abneigung gegen Autotune. Und die teile ich natürlich. Der Effekt sorgt für eine Art Uncanney Valley in der Musik, nur daß er im Tal nicht für Grusel sorgt, sondern für nicht nahbare - ergo: vergessbare - Performances.

  • Vor 10 Monaten

    Seine Arbeit mit den Musikern und vor allem die mehrteilige Serie mit Paul McCartney war richtig gut.