"Ich werd' berühmt, egal wie", schrieb die Schlagersängerin als Teenie in ihr Tagebuch. Ihre Biografie: eine Planierraupenfahrt über Leichen.

Backnang (dani) - "Die Zielgruppe Mais wird perfekt bedient", bewirbt der Knaur-Verlag Vanessa Mais Biografie "I Do It Mai Way" (Knaur HC, 272 Seiten, gebunden, 20 Euro). Zusammen mit dem krampfigen Mai-Wortspiel im Titel, ein Gag, den die Schlagersängerin wahrlich nicht zum ersten Mal bemüht, war das eigentlich Warnung genug. Aber ... ich bin ja unerschrocken. Ich les' das für euch. Damit ihr es nicht tun müsst.

Wie ein riesiges Opfer kam mir das eigentlich gar nicht vor. Zum einen kommt so ein ein Buch ja ohne Musik aus. Zum anderen: Wer es aus Backnang, einer Stadt, die ich, bis ich mal mit dem Zug durchgefahren bin, nicht im Schwäbischen, sondern wahrscheinlich irgendwo im Hinterland von Vietnam vermutet hätte, auf die großen Schlagerbühnen des Landes geschafft hat, hat bestimmt ein bisschen was zu erzählen. Weiland in der Jury bei DSDS erschien mir Vanessa Mai obendrein ganz sympathisch. So schlimm wirds also schon nicht werden.

Oh. Wohl. "I Do It Mai Way" erteilt mir als allererstes eine dicke Lektion darin, dass zwischen Dieter Bohlen und Michelle offenbar jede*r wie der zugewandteste, sebstloseste, netteste Mensch der Welt wirken kann. Wenn jemand schon in seiner gewiss irgendwie geschönten Eigendarstellung derart skrupel- und rücksichtslos rüberkommt, bin ich gar nicht sicher, ob ich noch genauer wissen möchte, was für ein Mensch Vanessa Mai wirklich ist.

Planierraupenfahrt über Leichen

Sie selbst nennt es wahrscheinlich "Zielstrebigkeit", "Träume verwirklichen", und, ja: So lässt sich "für den eigenen Vorteil über Leichen gehen" durchaus auch euphemisieren. Von schlechtem Gewissen oder auch nur einem Hauch Problembewusstsein ist jedenfalls nichts zu spüren, wenn sie zum Beispiel erzählt, wie sie als neue Sängerin in das Bandkonstrukt Wolkenfrei kam und sich dann erst deren Manager, dann den etablierten Namen unter den Nagel riss, den sie noch gerade so lange weiterführte, bis ihr eigener groß genug war.

"Alles für die Karriere, schlau", könnte man einen solchen Move vielleicht sogar irgendwie zähneknirschend als geschäftstüchtig anerkennen, servierte ihn Vanessa Mai auch halbwegs ehrlich als die kalkulierte Nummer, die das einfach gewesen sein muss, wenn man ein halbes Jahr lang (!) hinter dem Rücken seiner Bandmates zusammen mit deren Manager an einer Solokarriere feilt. In all der Zeit ein einziges Mal mit den Leuten, die einem eine Chance, eine Bühne und ein Publikum gegeben haben, über die eigenen Ambitionen zu reden, statt sie vor vollendete Tatsachen zu stellen und aus ihrem eigenen Projekt zu drängen, diese Idee wäre wohl völlig verrückt gewesen. Auf einen solch abwegigen Gedanken könnte ja wirklich nur kommen, wer rudimentär Eier und Anstand hätte.

Glaubst du an die wahre Liebe?

Besagten Manager hat Vanessa Mai übrigens geheiratet. Wie wenig damit die Umstände, dass er a) aus stinkreichem Haus, b) der Erbe des Hotels, das die besten Auftrittsmöglichkeiten bot, c) der Manager der Band, die ihr Sprungbrett werden sollte, d) der Stiefsohn von Andrea Berg und aus all diesen Gründen e) in der Branche bestens vernetzt ist, zu tun haben, betont Vanessa Mai übrigens derart häufig, dass selbst das romantischste Kätzchen, das da gerne an die wahre Liebe glauben möchte, irgendwann Zweifel bekommt. Den Versuch, "das G'schmäckle", das Manager-Künstlerinnen-Beziehungen angeblich immer haben, dann so hinzudrehen, als seien es zwangsläufig die Frauen, die in einer solchen Konstellation ausgenutzt werden ... gewagt, aber interessant.

Nun, ja. Die Kollegen von Wolkenfrei waren nicht die einzigen, die bei Vanessa Mais Planierraupenfahrt an die Spitze auf der Strecke blieben. Mit Ausnahme ihres Manager-Ehemanns (übrigens auch original der einzige, den sie ihn ihrer Danksagung namentlich nennt, ansonsten versteckt sie sich hinter der faden Phrase "Ihr wisst, wer ihr seid") erwies sich offenbar kaum jemand als nützlich genug, um ihn längerfristig zu behalten. Auch der mehrfach erwähnte "Axel", der sich jahrelang um ihre Digitalpräsenz kümmerte und mit dem das Paar so dicke war, dass sie ihn mit auf seine Hochzeitsreise nahmen (WTF?), wurde entsorgt, kaum dass er nicht mehr gebraucht wurde.

Eine "Freundschaft" verbindet Vanessa Mai übrigens mit Sido. Soweit ich diesem Buch entnehme, besteht die darin, dass er zu den Aufnahmen des gemeinsamen Songs nicht wie verabredet im Studio erschienen ist, seine Audiospuren später geschickt hat und sie ihm seitdem ab und an eine Textnachricht schreibt. Man könnte fast ein wenig Mitleid empfinden, angesichts der verkrüppelten Vorstellung von Freundschaft, die diese Frau offensichtlich hat, doch sie zertritt das keimende Mitgefühl immer wieder sofort: "Auch bei diesem Buch hatte ich Hilfe", schreibt Vanessa Mai etwa. Um ihre Co-Autor*innen namentlich irgendwo zu nennen, und sei es nur im Kleingedruckten (oder in der Danksagung), so weit reicht ihr Respekt vor deren Arbeit freilich nicht.

Aufmerksamkeitsspanne: Fruchtfliege

Um noch einmal kurz auf die Zielgruppe zurückzukommen: Wenn Vanessa Mai sie mit diesem Buch, wie versprochen, wirklich "perfekt bedient", oh, mai! (Pardon.) Allzu viel Lesekompetenz zutrauen kann sie diesen Leuten dann nicht. Ich habe irgendwann aufgehört, die Floskeln des Typs "doch dazu kommen wir noch", "dazu später", "wie wir noch erfahren werden" zu zählen, weil sie mir schon in den ersten beiden Kapiteln derart auf den Sack gingen, dass ich es kaum beschreiben kann.

Pro-Tipp von der Leserin: Wenn irgendein Thema später noch einmal aufgegriffen wird, merkt man das in aller Regel beim Lesen, auch ohne dass man das vorgekaut bekommt. Gleiches gilt rückwärts. "Ihr erinnert euch an"-whatever? Ja, verdammt, es ist keine zwanzig Seiten her, dass du das geschrieben hattest! Natürlich erinnere ich mich! Was denkst du, welche Aufmerksamkeitsspanne ich habe, die einer Fruchtfliege?!

Ob einen derlei unnötige Vor- oder Rückschauen mit Ansage mehr nerven, oder doch die Exkurse, in denen Vanessa Mai betont kumpelig ihr angelesenes (oder wahrscheinlich eher hastig zusammengegoogletes) Halbwissen über Fabeln oder Ovid oder griechische Mythologie oder Sigmund Freud oder Traumdeutung ausbreitet ... wahrscheinlich eine Typfrage.

Berühmt. Egal, wie.

Am Ende zitiert sich Vanessa Mai selbst - aus ihrem Tagebuch aus Teenietagen: "Ich werde es allen zeigen. Ich werd' berühmt, egal wie." Ganz offensichtlich hat sie es durchgezogen, besonders den Teil mit dem "egal wie". Glückwunsch. Möge es ihr nicht zu heftig auf die Füße fallen, irgendwann, alle und jede*n vor den Kopf gestoßen zu haben. Bleibt zu hoffen, dass der "Mai Way" nicht allzu viele Nachahmer*innen findet. Zu einem freundlicheren Ort würde das die Welt nämlich nicht machen.

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Vanessa Mai

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laut.de-Porträt Vanessa Mai

Bevor die Baden-Württembergerin Vanessa Mai im Herbst 2015 als DSDS-Jurorin an der Seite von Dieter Bohlen zu landesweiter Bekanntheit aufsteigt, ist …

7 Kommentare mit 22 Antworten

  • Vor einem Jahr

    schrecklich - keine Stimme und nur SEX alleine genügt nicht. Warum können solche Möchtegern C-Promis-Schlagersternchen nicht einfach in der Versenkung verschwinden. Ohne das ihnen auch noch ein Bericht gewidmet wird.

    • Vor einem Jahr

      es genügt ja scheinbar. von acht ihrer alben waren bis auf das erste alle in den top ten, und dieses buch kaum, dass es raus war, schon auf der spiegelbestsellerliste. wenn wir darüber NICHT schreiben, kratzt das an der popularität dieser frau mal genau null.

  • Vor einem Jahr

    Alle reden nur von Empowerment – Frau Mai hat gehandelt. Ohne Quoten, ohne white knights. Diese Frau geht ihren Weg. Der Neid trieft aus jeder Zeile dieser Kritik. Das liegt daran, daß Frauen anderen Frauen leider oft ihren Erfolg nicht gönnen. Mais Durchsetzungskraft wird gerahmt als Gehen über Leichen. Und attraktiv ist sie auch noch. Hut ab!

  • Vor einem Jahr

    Frau Mai hatte immer die richtigen Feature-Partner zur richtigen Zeit, lässt sich immer in den "richtigen" Formaten blicken, die nah am Zeitgeist sind, spielt sämtliche sozialen Medien im Schlaf durch und vollbringt gleichzeitig auch noch das Kunststück, supersympathisch und -nahbar zu wirken. Perfekte Manipulation, würde ich mal sagen. Bis sie dann irgendwann mal an die falsche Person gerät und die ganze Schmutzwäsche öffentlich gewaschen wird.

  • Vor einem Jahr

    Yo Leude, ich finde es schon ziemlich derbe, dass die Vanessa einen echten Rapper kennt. Das zeigt, dass sie down ist mit unserem HipHop und nichts als Liebe für uns echte Headz hat (ain't got nuthin' but love heißt das auf Englisch). Ihre Mucke ist schon bisschen kommerziell, eigentlich Sellout, aber da muss man sich ehrlich machen: Haben wir HipHopper uns nicht eigentlich immer gewünscht, dass Germany uns endlich sein Ohr leiht? HipHop ist jetzt nicht mal mehr aus den Schlagerparaden und dem Fernsehgarten wegzudenken. Ich weiß noch, wie ich damals 1992 Klaus und Klaus mit dem "Radetzky Rap" in Uwe Hübners ZDF-Hitparade gesehen habe. (Die Sendung habe ich immer mit meinen Großeltern geschaut.) Das war mein Einstieg, ich war so geflasht. Im selben Jahr kam "Die da!?!" raus und der Rest ist History. PEACE!

    • Vor einem Jahr

      "Haben wir HipHopper uns nicht eigentlich immer gewünscht, dass Germany uns endlich sein Ohr leiht?"

      Die ersten 10 bis 20 Plätze der deutschen Single-Charts bestehen mittlerweile regelmäßig gefühlt nur aus Hip Hop-Tracks.

    • Vor einem Jahr

      schlechter fake eines fakes

    • Vor einem Jahr

      @toni

      Das Autotune-fickt-808 - Geseiere nennst du Hip Hop?

    • Vor einem Jahr

      Afrika Bambaataa verband den Roland TR-808 bereits 1983 untrennbar mit Hip Hop. Autotune wird auch bald seit 20 Jahren im Genre genutzt.

    • Vor einem Jahr

      @ntrlydbstp:
      Hip Hop ist der Name der Kultur und das Musikgenre heisst Rap. Alte Omas dürfen Hippi Hoppi Musik sagen. Und selbst der schlechteste Autotunemüll gehört zum Genre. Ein schlechter Horrorfilm ist ja auch immer noch ein Horrorfilm, so als Gegenbeispiel (verstehst du das Theory9?)

    • Vor einem Jahr

      @tonitasten: Das stimmt, aber es hat Jahrzehnte gedauert, bis Rap endlich akzeptiert wurde. Anfangs hat man uns belächelt. Jetzt kann man Rap nicht mehr verbieten. Und dass HipHop als Kultur auch angekommen ist, sieht man daran, dass ich mit Anfang 40 mit umgedrehter New Era Cap und Baggy Pants rumlaufen kann, ohne dass mich jemand verächtlich anschaut. Selbst Leute mit Schlips und Krawatte geben mir Propz für den Style.

      @CAPSLOCKFTW: Wieso Fake? Vielleicht verwechselst du mich mit jemandem.

    • Vor einem Jahr

      Keine Sorge, die meisten Rap-Fans können sich sicher sein, dass sie von mir immer noch belächelt werden.

    • Vor einem Jahr

      vor allem wenn sie Soeren-Malte heißen!

    • Vor einem Jahr

      ...und dazu richtig, richtig schlecht auf frischzellenkuriertes lautuser-Reboot machen! :nerved: :mad:

  • Vor einem Jahr

    Für solches Geschreibsel wurden Bücherverbrennungen erfunden.

  • Vor einem Jahr

    Uninteressantes Buch von uninteressanter Künstlerin für uninteressante Leute.