Die Doku von Christine Franz erzählt anhand von Bands wie The Slits, Hans-A-Plast oder X-Ray Spex die weibliche Geschichte des britischen Punks.

Berlin (jas) - Die männliche Geschichte des britischen Punks der 1970er wurde schon oft dokumentiert und besprochen. Aber was war eigentlich mit den Girls in dieser Szene? Davon wurde noch nicht so oft berichtet und vor allem nicht aus der Sicht der Protagonistinnen. Das ändert sich jetzt mit dem neuen Film von Regisseurin Christine Franz. Nach ihrer erfolgreichen Doku Bunch Of Kunst über das englische Motz-Duo Sleaford Mods gibt es nun "Punk Girls – die weibliche Geschichte des britischen Punks".

Die Premiere fand am Freitag im Rahmen des Achtung Berlin Festivals statt. Im Anschluss gab es mit Christine Franz, ihrem Team und einer der Protagonistinnen aus dem Film, Annette Benjamin von Hans-A-Plast, eine kurze Interviewrunde. Dabei ging es noch mal um die Idee zur Doku und warum es wichtig ist, die Punkbewegung unbedingt auch aus der Sicht der Frauen zu erzählen.

Es kommen nur Frauen zu Wort

In "Punk Girls" kommen nur Musikerinnen zu Wort. Es spricht kein Mann, und das macht diese Doku schon sehr besonders. Mit dabei sind Viv Albertine von The Slits, Gina Birch von The Raincoats, aus dem Archiv Poly Styrene von X-Ray Spex und die Journalistin Vivien Goldman, eine der ersten, die über das Thema in ihrem Buch "Revenge of the She-Punk" schreibt. In der Punkmusik war jeder willkommen, und somit gab es auch für Frauen die Chance, sich auf der Bühne selbstbestimmt zu präsentieren. Egal, ob man sein Instrument beherrschte oder nicht. Hauptsache man hatte etwas zu sagen. Allerdings musste auch hier Frau gegen Vorurteile und dumme Sprüche aus den Männerreihen kämpfen. Die Herren fühlten sich provoziert, und nicht jeder Tonmensch oder Typ im Publikum konnte etwas mit den selbstbewussten Frauen auf der Bühne anfangen.

So erzählt auch Annette Benjamin von Hans-A-Plast ihre damalige Sicht aus der deutschen Perspektive. Sie wurde geprägt durch die englische Punkmusik. Mit 17 Jahren reiste sie nach London und sah u.a. X-Ray Spex live im legendären 100 Club. Von da an wusste sie, sie wollte auch in einer Punkband singen.

Girls, traut euch auf die Bühne!

Die Musik der "Punk Girls" ist bis heute hörenswert und vorbildlich. Sie schreien einem förmlich ins Ohr: Girls, traut euch auf die Bühne. Songs, prallgefüllt mit selbstironischer Reflexion und Sarkasmus. Unvergessen: "Typical Girls" aus dem The Slits-Album Cut aus dem Jahre 1979. Da lagen viele von uns noch als Quark im Schaufenster, aber die Rebellion gegen typische Frauenbilder war im vollen Gange. "Who invented the typical girl? Who's bringing out the new improved model? Ah there's another marketing ploy. Typical girl gets the typical boy."

In der Doku erzählen die Musikerinnern leider auch von körperlicher Gewalt. Sie wurden angegriffen, nur weil sie nicht in das Bild der klassischen Schwiegertochter passten. Slits-Sängerin Ari Up wurde sogar mit einem Messer attackiert. Die 1970er waren harte Zeiten, aber auch die Zeit der Umbrüche. In Großbritannien wurden Gesetze zur Gleichstellung der Frauen erlassen. Gleichzeitig gab es überall im Land eine hohe Arbeitslosigkeit. Es gab in England Zeiten, da wurde alle drei Stunden am Tag der Strom abgestellt, weil es einfach nicht genug Energie gab. Bernd Begemann sagte zu diesem Thema kürzlich im Interview (demnächst auf Laut.de): "Die machen die tollste Musik der Welt, aber hatten keinen Strom."

Einfach machen, ohne dabei perfekt zu sein

Bei all den Krisen und Hürden war es um so wichtiger, in den Proberaum zu gehen. Sich ein Instrument zu schnappen, auch wenn man kein Schlagzeug spielen konnte, Texte und Parolen laut ins Mikro zu grölen. Einfach machen, ohne dabei perfekt zu sein. Für Viv Albertine waren The Slits ihre Familie. Natürlich gab es viele Streitereien und Differenzen, aber sie hielten zusammen, wenn es darauf ankam.

Christine Franz hatte bei ihren Recherchen Glück. Es war ein guter Zeitpunkt, denn die Musikerinnen standen für Interviews zur Verfügung und waren wieder bereit, über die damalige Zeit zu sprechen. Alle standen 2023 kurz vor einer Veröffentlichung, sei es musikalisch oder in Buchform. Auch Annette Benjamin schreibt nach 40 Jahren wieder Songs und steht in Berlin mit bekannten Musikern, wie Drangsal oder Julian Knoth von Die Nerven im Proberaum. Sie gründet mit ihnen die Band Die Benjamins und im Juni 2023 erscheint das gleichnamige Album.

Der Film "Punk Girls" von Christine Franz wird ab September bei ARTE laufen und das sollte sich jeder in den Kalender eintragen. Auch das war noch etwas, was Annette Benjamin am Abend der Premiere sagte: "Jeder sollte sich Musiker_innen schnappen und Musik machen." Also, Girls, gründet mehr Bands und bleibt laut!

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