Mit gezielter Werbung per Algorithmus direkt in rechte Ohren: Das funktioniert perfekt, beweisen Laut Gegen Nazis.

Hamburg (dani) - Im Grunde sind die Empfehlungs-Algorithmen von Streaminganbietern ja eine feine Sache: Du gibst per Konsumverhalten preis, was dir gefällt, und bekommst andere Künstler*innen vorgeschlagen, die dir aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls gut reinlaufen. Okay, die bahnbrechend revolutionären musikalischen Neuentdeckungen wird eher nicht machen, wer sich auf maschinell gepickte, ähnlich gelagerte Musik beschränkt. Aber um einigermaßen störungsfrei die eigene Comfortzone zu beschallen, taugen derlei Mechanismen bestens.

Wenn allerdings die eigene Comfortzone eine braune Bubble ist, mutieren die Hörempfehlungen von YouTube, Deezer und Co. schnell zur rechten Propaganda-Maschinerie. Rechtsrock-Fans bekommen immer weitere Rechtsrock-Acts empfohlen, die Hörer*innen verbreiten die Kunde fröhlich in ihren Messenger-Kanälen. Bands, die ihre fragwürdige Gesinnung unverhohlen vor sich hertragen, freuen sich über die Gratis-Promo, die Streamingdienste ebenso. Genau deswegen zeigen letztere gewöhnlich übersichtlich viel Interesse, gegen offen rechte Künstler*innen vorzugehen, obwohl das angesichts der menschenverachtenden Hasspropaganda, die sie so schwungvoll unters empfängliche Volk bringen, dringend angebracht erschiene.

Kameraden für Kameraden?

Nicht nur Menschen sind jedoch manipulierbar. Maschinen sind es erst recht, wie dieser meisterhaft eingefädelte Coup der Kampagne Laut Gegen Nazis beweist: Die Kolleg*innen dort haben - ich beneide sie nicht um die Recherche - Rechtsrock-Bands und deren Liedgut akribisch studiert: "Wir haben die beliebtesten Rechtsrock-Stücke und -Bands eindringlich untersucht und wiederkehrende Charakteristika und Eigenheiten herausgearbeitet", so Jörn Menge von Laut Gegen Nazis. Daraus konstruierten sie eine Kapelle, die den Empfehlungs-Automatismen geradezu unwiderstehlich passend für die einschlägige Hörer*innenschaft vorkommen musste: Hetzjaeger.

Die wiederum kündigten ihre Debütsingle, natürlich trägt sie den Titel "Kameraden", mit einem dreißigsekündigen Teaser-Video an, das wirklich alle Klischees bedient: Vom martialischen Auftreten der Musiker in Dobermann-Masken und Springerstiefeln über Genre-typisches Gitarrengeschrappe bis hin zum Fackelzug durch den nächtlichen Wald steckte da drin, was das Nazi-Herz vermutlich begehrt. Der Songtext natürlich ein einziges Triggerwort-Feuerwerk, maßgeschneidert für die anvisierte Zielgruppe:

"Wenn du dich alleine fühlst und unterdrückt
Wenn du mehr willst, den Hunger spürst
Den Hass mit dem Schnaps herunterspülst
Und wenn du dir dann alte Zeiten wünscht
Wenn du begreifst, dass, Stück für Stück
Dein Land sich und dich vor dem Feind ergibt
Wenn du merkst, du wirst nur manipuliert
Von Idioten, die es nicht interessiert
Wenn deine Stimme an Gewicht verliert ...
"

... dann, ja, DANN sind sie da für dich, die "Kameraden". Das sollte doch wirklich den einen oder die andere rechtsoffene Hörer*in abholen, und den Algorithmus obendrein. Oder?

Tat es tatsächlich, zumal sie bei Laut Gegen Nazis noch ein wenig nachgeholfen haben: "Mit gezielter Bewerbung der Hörprobe auf den Plattformen haben wir dann dafür gesorgt, dass Fans anderer Rechtsrock-Bands den Song von 'Hetzjaeger' zu hören bekamen." Entsprechend landete der Songteaser als Empfehlung in diversen einschlägigen Playlisten und schürte in rechten Kreisen die Erwartung.

Unter Linken wuchs derweil - mit Recht! - die Empörung: "Jetzt können Rechtsrock-Bands offenbar sogar Werbung buchen", echauffierten sich Kollegen bei Belltower News. "'Denn wir, wir sind nicht einfach Kameraden. Und wir geben nicht nach', brüllt ein Mann über eine Gitarren-Drohkulisse. Die Werbung ist für 'Kameraden', die neue Single der deutschen Band 'Hetzjaeger'. Die Uhrzeit und das Datum der Veröffentlichung können kein Zufall sein: Am 30. Januar um 18:18 Uhr feiert der Song 'Weltpremiere' auf Telegram. An diesem Tag im Jahr 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler, der Zahlencode '18' steht in der rechtsextremen Szene für AH, die Initialen des 'Führers'."

Premiere um 18 Uhr 18

Was niemanden groß überraschen dürfte: Spotify und Konsorten haben offenbar wenig Probleme damit, rechtes Gedankengut zu verbreiten, so lange sich damit Geld verdienen lässt. Zum anderen zeigte sich, auch das keine neue Erkenntnis: Die rechte Szene ist erschreckend gut vernetzt. In einschlägigen Netzwerken verbreitete sich der Appetizer rasant. Zusammen mit dem Aufruf, man müsse diesen Song unbedingt hören, ehe er der "Zensur" des "Systems" zum Opfer falle, landete genau dort - noch vor der geplanten Premiere um 18 Uhr 18 - eine geleakte Version des kompletten Tracks.

... ach, hätten sie dem Maskenmann nur zugehört, als er sang "Wenn du merkst, du wirst nur manipuliert". Sie hätten ahnen können, dass es sich bei dem ganzen Ding um ein Trojanisches Pferd handelt, gezimmert einzig und allein dafür, sich in rechte Ohren, Playlisten, Kanäle zu zecken.

"Rechts gibt es kein Ruhm
Geh besser auf Distanz
Die Songs, die du so liebst, klingen irgendwie nach kleinem Ego
Alles riecht nach brauner Scheiße
Hetzen, Lügen
Fairerweise
Ist das hier kein Song für euch
Nur unsere Art, mal zu beweisen:
Wenn ihr das hört
Sind wir vom Algorithmus längst angespült
Wenn ihr das hört
Ist es jetzt ja schon eh zu spät
Denn wir sind nicht eure Kameraden
Und wir geben nicht nach
Wir kicken die Faschisten aus der Playlist raus
Es braucht nur einen Stoß
Mit aller Kraft
Gegen den Hass.
"

Der Song bleibt musikalisch betrachtet natürlich ziemliche Grütze, aber der Move ... zum Niederknien. Well played, Hetzjaeger. Well played.

Bitte konsequent durchgreifen. Danke.

Ihre Urheber*innen werten die Aktion als Demonstration dafür, wie die Algorithmen der Streaming-Anbieter der Verbreitung rechten Gedankenguts Vorschub leisten, und verlangen: "'Laut Gegen Nazis' fordert von Spotify, Soundcloud, Deezer, YouTube, Amazon Music, Apple Music und allen anderen, endlich konsequent gegen rechte Musik auf ihren Plattformen durchzugreifen." Amen.

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8 Kommentare mit 32 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Ich finde man könnte noch mehr Musik von den Streamingportalen entfernen. Zum Beispiel Helene Fischer, Johannes Oerding, Mark Forster, Nena uvm.

  • Vor 2 Jahren

    "Im Grunde sind die Empfehlungs-Algorithmen von Streaminganbietern ja eine feine Sache"

    Nein. Einfach nur nein.

    • Vor 2 Jahren

      Korrekt. A.I.s können zwar schon gleichwertige Musik zu vielerlei Mainstreamprodukten schreiben, aber von Musikgeschmäckern haben sie weniger Ahnung als meine toten Omas.

    • Vor 2 Jahren

      Ragism, der größte Underground-Connaisseur auf laut.de :lol:

    • Vor 2 Jahren

      "A.I.s können zwar schon gleichwertige Musik zu vielerlei Mainstreamprodukten schreiben, aber von Musikgeschmäckern haben sie weniger Ahnung als meine toten Omas."

      Nein. Einfach nur nein.

    • Vor 2 Jahren

      ernstgemeinte zwischenfrage, kann man von geschmack ahnung haben?

    • Vor 2 Jahren

      Da das so null mit meiner Antwort zu tun hatte, bedanke ich mich für die Blumen. Ich steh aber u.A. auf Popmusik, solange sie halt von computergenerierter unterscheidbar ist. Das ist durch den Qualitätsverfall "menschlicher" Chartmucke, als auch durch die großen Fortschritte von A.I.-Musik nicht mehr ohne Weiteres möglich.

      Man kann sich aber immer noch darauf verlassen, daß die errechneten Geschmacksprofile und Ermittlungen auf Spotify & Co. idR. völlig danebenliegen.

    • Vor 2 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 2 Jahren

      Cockslap, doch. Fiktive A.I.-Künstler unterscheiden sich zunehmend weniger von dem, was z.B. unser Yannik in Sachen Popmusik so hört und genießt. Ist doch kaum verwunderlich, wenn Deepfakes mit Stimmen und Gesang schon so weit, und Autotune sowie Rasterisierung absoluter Standard sind. Dann nehme man hinzu, daß gewöhnliche Listenstürmer-Tracks harmonischer Kindergarten sind, gerade bei den Nummern mit 12 Produzenten.

      Wäre da nicht so boomerig und würde meinen, das könne nie im Leben eine K.I. hinkriegen.

    • Vor 2 Jahren

      Nomanslap, auch wieder wahr.

    • Vor 2 Jahren

      Auf Soundclound schon viel neues Zeug mit der Related Song Funktion gefunden. Spotify Weekly Mix auch ein netter Begleiter für das Büro, bin da nicht so Anti eingestellt. Ist jetzt nicht so, dass mir die 30 Songs ausnahmslos gut reingehen, aber der Algorhytmus (keine A.I.!) lässt einen schon ab und an was neues finden.

    • Vor 2 Jahren

      Dein Musikgeschmack ist nicht so besonders, dass dir nicht auch algorithmisch Musik vorgeschlagen werden könnte, die dir gefällt und die du noch nicht kennst. Da wird dann z.b. einfach geschaut, was andere geschmacksverirrte Mitvierziger mit stark ausgeprägtem above-average-effect so hören und dann für dich in deine Musik eingewebt. Wäre da nicht so boomerig und würde meinen, das könne nie im Leben eine K.I. hinkriegen.

      Mein OP ist keine Kritik an der Funktion, sondern an der Nutzung, die die Menschen entmündigt und den Unternehmen zu viel Macht gibt.

    • Vor 2 Jahren

      Und bitte micht von A.I. oder K.I. reden, mir stellen sich schon die Nackenhaare auf.

    • Vor 2 Jahren

      "Da wird dann z.b. einfach geschaut, was andere geschmacksverirrte Mitvierziger mit stark ausgeprägtem above-average-effect so hören"

      RIP Ragsim :lol:

    • Vor 2 Jahren

      Und es heißt ALGORITHMUS und hat nix mit Rhythmus zu tun.

    • Vor 2 Jahren

      Ach, so meinteste das. Das ist naturlich auch richtig.

      Ich sage auch nicht, daß mein Geschmack besonders sei. Sondern bloß, daß ich noch nie einen brauchbaren Künstler gefunden habe, der mir von einer Plattform vorgeschlagen wurde. Wie Nomanslap schon richtig anmerkt, ist das aber auch bei menschlichen Vorschlägen nicht unbedingt verlässlich.
      Sowohl bei Vorschlägen als auch computergenerierter Musik werden, soweit ich weiß, doch ebenfalls K.I.s eingesetzt. Irgendwie müssen Stücke ja analysiert und auf Gemeinsamkeiten hin untersucht werden, und das funktioniert sicherlich besser mit solchen.

    • Vor 2 Jahren

      ich höre mir lieber musik an, die mir von einer person vorgeschlagen wird!!!

      habe bei spotify wohl noch nie einen vorschlag angehört, geschweige denn den weekly-mix oder was auch immer...

      nene, ich will das hören worauf ich bock habe, und nicht, was mir spotify aufzwingen möchte...

      es wäre aber langsam schön, wenn die playliste nicht mit 9999 tracks begrenzt wäre... :-)

    • Vor 2 Jahren

      Bin bei Caps. Wir schaffen das selbstständige Denken und Handeln ab. Deshalb nutz ich es aus Prinzip nicht. Hab aber schon bessere Vorschläge auf meine Startseite bekommen als von 90% meiner Mitmenschen. Den above average effect Angriff find ich aber unnötig. Schau ich mir an, was in D so Erfolg hat, ordne ich uns alle above average ein, obwohl wir absolute Lauchs sind.

    • Vor 2 Jahren

      Bin nicht bei Caps, ohne YT und Spotify hätte ich zig coole Artists/Songs niemals entdeckt, alleine aufgrund des digitalen Zugriffs. Gut, komplett neue Genres muss man eher auf anderem Wege kennenlernen. Für sowas gibt's ja laut.de *schleim*

    • Vor 2 Jahren

      Ja es gibt hier ja auch einen ganz okayen Radiosender und ab und zu ließt man mal eine Review, die einen dazu nötigt mal reinzuhören. (Bärchen und die Milchbubis zB)
      Das muss man ja auch mal lobend erwähnen.

      Der Algorithmus ohne Y, der mir Neuveröffentlichungen oder meinen Weeklymix mischt, ist mir jedenfalls öfter behiflich als er mich stören oder verängstigen würde. "Ich will das hören worauf ich Bock habe" findet da ja Beachtung, sonst würde den Scheiß ja keiner annehmen.

      Warum Ragi hier aber mit "KI" (je nachdem ob man davon ausgeht, ob aktuell vorhandene Technik bereits dieser Begriffsdefinition gerecht wird) komponierter Musik angefangen hat, weiß ich aber auch nicht. Das ist doch eigentlich komplett OffTopic.

    • Vor 2 Jahren

      @Django77
      Der einzig relevante Kommentar in diesem Thread, Amen.

    • Vor 2 Jahren

      "Warum Ragi hier aber mit "KI" (je nachdem ob man davon ausgeht, ob aktuell vorhandene Technik bereits dieser Begriffsdefinition gerecht wird) komponierter Musik angefangen hat, weiß ich aber auch nicht. Das ist doch eigentlich komplett OffTopic."

      Naja, halt ein typischer Ragism: Ich bin auch weit über das eigentlich Thema hinaus extrem schlau und sülze euch deshalb mit meiner Meinung zu einem aus meiner Sicht irgendwie verwandten Thema zu um das wieder und wieder zu beweisen.

      Auch wenn es natürlich extrem behämmert ist, weil Algorithmen keine KI sind und die Playlist auch nicht wirklich was mit dem Komponieren von Musik zu tun hat, aber egal es ist halt der grundgute Ragi. :lol:

    • Vor 2 Jahren

      Diese "No risky business!"-Nummer betrifft halt so ziemlich alle Kultursparten, nicht nur Blockbuster-Kino...

      Klar gleichen sich da immer mehr profit- und/oder fame-orientierte Kulturschaffende den Erfolgsvorschlägen aus den Algorithmen solcher Plattformen an und zwar schon beim komponieren:

      beliebte Intervallfolgen, Tempi, allgemeine Regeln wie bspw. "den Chorus spätestens nbach 30 Sekunden Song auftauchen lassen, nicht weniger als 3x vorkommen lassen in einem Radio Edit der maximal 3min haben sollte" werden nach Erbrechen noch weit hinaus reproduziert, so dass alles, was sich bestens verkauft, irgendwie auch gleich klingt und aufgebaut/komponiert ist.

      Ähnliches zeigt sich doch auch bspw. in Mode-Industrie und allgemein vorherrschendem Schönheitsideal bei den Menschen: Auch jenseits der absolut gestiegenen Anzahl humanoider Planetenbewohner werden heute viel mehr Leute als "eher attraktiv" denn "eher unattraktiv" von ihren Mitbewohner*innen wahrgenommen als noch vor 40-50 Jahren, jedoch bei gleichzeitig stark gesunkener Diversität innerhalb dessen, was gemeinhin als attraktiv empfunden wird in eurer Spezies...

    • Vor 2 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 2 Jahren

      ...speakin' of Risky Business:

      Subkultur liebende Clowns wie diese hier hätten und haben nach 1999 doch NIRGENDS noch irgendeinen klassischen Plattenvertrag inklusive fett überquillendem Dollar-Koffer Vorschussmillionen abgesahnt:

      https://m.youtube.com/watch?v=2up7su7CeMU

    • Vor 2 Jahren

      Früher war man als so subkulturliebender Clown aber auch nicht in der Lage, seine Werke für umme weltweit zur Verfügung zu stellen.

      Geiles Video, lief hierzulande aber sicher maximal bei Kavka oder Roche nach 0 Uhr aufm Spartensender.

    • Vor 2 Jahren

      War halt wieder so ne Nummer von wegen: Ich mach nen ziemlich nebensächlichen Vergleich, dann wird sich genau daran aufgehangen, und die Diskussion driftet ab.

      Souli mal wieder mit einem guten Kommentar zum eigentlich ziemlich spannenden Thema.

    • Vor 2 Jahren

      Such dir mal n Profilbild aus, Ragi! Das geht doch nicht sowas. :mad:

  • Vor 2 Jahren

    Ansinnen finde ich unterstützenswert und die Aktion tatsächlich auch ganz witzig. Song ist davon ab wie erwähnt natürlich kagge und zwar mMn vor und nach dem ersten Refrain.