Matthias Manthe über das Melt! Festival, tropischen Geek-Hip Hop und NYCs next Disco-Sensation.

Berlin (mma) - Das hat Open-Air-Deutschland jetzt davon! Weil sich das Line-Up des Melt! Festivals seit Jahren (kongruent zum Ticketpreis) immer größere Namen aufs Banner schreibt, reicht die Sogwirkung der Bagger- und Lasershow auf der Halbinsel nahe Dessau mittlerweile über mehrere Landesgrenzen hinweg.

Holländer und Engländer tummeln sich 2010 quantitativ gleichberechtigt neben Einheimischen, weil deren Lieblingsfestivals gerne noch früher Ausverkauf melden als hierzulande Usus.

Die Preisschraube am Schaufelbagger

Ergo darf das Melt! ebenfalls ordentlich an der Preisschraube drehen: 117 Euro kostete das nichtsdestotrotz vehement Sponsoren-bepflasterte Indie-Meeting dieses Jahr. Was, hohe Verpflegungspreise unberücksichtigt, nicht mehr als so ganz günstig gelten kann.

Findet auch der technobibeltreue Melt!-Jünger alter Schule und bleibt diesmal mehr oder weniger notgedrungen zuhause – er ist mittlerweile aber eventuell auch nicht mehr gut genug angezogen für den Distinktions-Catwalk unterm Schaufelbagger.

Andererseits muss man sich nicht beschweren. Schließlich wird dem Auge im Gegenzug für verlorene Stunden vorm Kleiderschrank viel geboten, und trotz zunehmender Exklusivität war es an diesem Wochenende wieder schön in Melt!-Land: Das Sommerwetter hielt sich trotz Hitzschlaggefahr im Shuttlebus von Dessau nach Ferropolis - im Zelt konnte man am Samstag dank gnädigem Wolkendurchzug sogar bis mittags liegen bleiben - und hübsche Popmomente gab es auch diesmal wieder zu Genüge.

So weit die Drogen tragen

Zum Beispiel Whitest Boy Alive/Kings Of Convenience-Erlend Øye: Als singender Programmpunkt auf Festivals nie ganz ausgelastet, streunte er als Beobachter allein durchs Gelände. Nach dem Four Tet-Gig wollte, aber durfte er trotz Künstlerpass und großen Augen nicht ins Backstage, um Kieran Hebden persönlich zu gratulieren.

Ein wenig Willkür bleibt den Ordnungskräften also vorbehalten, selbst wenn bei circa zwölf verschiedenfarbigen Armbändchen das Zugangsprozedere zu sämtlichen Bereichen eigentlich geregelt sein sollte.

Von mehr Erfolg gekrönt war das Projekt Spontangig. Als bei Carl Craig in den Morgenstunden die Technolichter ausgingen, holte ein beblumter Umzugswagen mit Liveband alle Unmüden mit Proto-Baile Funk ab und brachte sie unter dem Dauerfeuer von vier Schlagzeugern bzw. Percussionisten und einem Moog-Synthesizer zum Sleepless Floor, wo der Spaß wie gewohnt noch einige Stunden weiterging. So weit die Drogen eben tragen ...

Anspieltipp I: Holy Ghost!

Für den fließenden Übergang zum Anspieltipp der Woche sei noch der grandiose Auftritt der New Yorker Nu-Discoteers Holy Ghost! erwähnt. Die vier Köpfe fuhren eine äußerst leidenschaftliche Darbietung und präsentierten ihre Ende Juli erscheinende EP "Static On The Wire" zur Gänze.

Darauf zeigen die DFA-Jünglinge, dass sich nach dem Abgang von James Murphy niemand Sorgen machen muss um die Zukunft perkussiver, Cowbell-gestützter Disco. Stillstehgefahr gegen null, trotzdem nicht überdreht, sondern konsequent Pop in der Machart sowie samtig in Alex Frankels Abgesang. Das Debütalbum ist für später im Jahr angekündigt.

Anspieltipp II: James Pants

Als zweiter EP-Hinhörer der KW 29 drängt sich James Pants (Stones Throw) ins Halblicht. Nach dem Debüt "Welcome" (2008) und dem Nachfolger "Seven Seals" (2009) legt uns der Supergeek vor dem Herrn mit "New Tropical" sechs neue Bringer hin.

Nachdem der Erstling mit 80's Soul über Electro Boogie und Early Rap bis New Wave, Post-Punk und Disco alles mal ausprobierte, pfeift Pants nach einem gemäßigteren Follow-Up mal wieder auf jede Leistenschusterei: Sein Mix bratzt breakbeatig los, fließt geschmeidig über in 80's Synthpop und schiebt instrumentalen Hip Hop mit ballernder Bassdrum hinterher.

Und damit ist nur die halbe EP rum. Miami Bass, Tropical 8-Bit-Dub und noch viel mehr Spaß am Kleinteil folgen - nicht geeignet für Kinder unter drei Jahren. Wie man deshalb bei Stones Throw zu sagen pflegt: There's enough Pants to fit any style!

Klappen runter, "New Tropical" rein

Berlin-Korrespondent Matthias Manthe berichtet in seiner wöchentlichen Kolumne über Themen, die wir gegen seinen ausdrücklichen Wunsch "indie" nennen. Feedback und Anregungen gerne direkt an matthias@laut.de.

Weiterlesen

5 Kommentare

  • Vor 14 Jahren

    Melt! Festival war der Hammer, ebenso der dortige gig von Holy Ghost! Der blümchenbehangene Umzugswagen hat übrigens schon gegen Mitternacht angefangen vor dem Shuttlebahnhof zu spielen.
    Und vielen, vielen Dank für diesen Satzteil hier: "...er ist mittlerweile aber eventuell auch nicht mehr gut genug angezogen für den Distinktions-Catwalk unterm Schaufelbagger."
    Leider wahr... das Stylegehabe auf dem Melt! kann ganz schön nervtötend werden.

  • Vor 14 Jahren

    das melt festival war absolut der hammer, alles war der hammer, das wetter, die bands , und stylegehabe war nicht zu sehen. wenn man scheisse aussieht sollte man da einfach nicht hinfahren

  • Vor 14 Jahren

    wenn man irgendwo scheiße aussehen darf, dann auf nem Festival. Und genau das ist der Punkt: Ich kann nicht verstehen wie manche Leute ihren halben Kleiderschrank mit ihren coolsten Hipsterklamotten mitnehmen oder bei 30° im Schatten Wollmützen aufsetzen können. DAS ist Stylegehabe und, obwohl ich überhaupt nichts gegen diesen Stil habe (ganz im Gegenteil) kann mich das wahnsinnig machen. Denn ein Festival ist kein Catwalk, wie schon von Herrn Manthe trefflich formuliert, sondern eben ein Festival.

  • Vor 14 Jahren

    ohoho, jetzt machen sie hier aber heftig auf inhalt!

  • Vor 14 Jahren

    schrecklich- wichtig ist doch das es saugeil war. wer sich über den style anderer aufregt ist genauso schlimm. jedem das seine!