Die Seelenfänger aus New York begeistern im Technikum zwischen Shoegaze-Beschwörung und Dreampop-Katharsis.
München (ker) - Das Münchener Technikum ist locker gefüllt als die Vorband – das arty bemühte Hipster-Duo Tim Kinsella & Jenny Pulse – startet. Die Unterhaltungen drehen sich bei den meisten allerdings noch um das letzte DIIV-Konzert in München im März 2020, das auch das letzte für alle Besucher:innen vor dem ersten Corona-Lockdown war. Die Stimmung im Strom war damals surreal, eine Mischung aus Euphorie und Katharsis, ab dem ersten Song war das Publikum eine tanzende, springende und verschwitzte Masse – ein kochender Hexenkessel, der sich nach dem Ende der Show wieder in vereinzelte, vielleicht verzweifelte Individuen aufspaltete.
Zwischen Glück und Depression
Nun, vier Jahre später, nach Pandemie und langen Konzertpauseen haben DIIV ein Album namens "Frog In Boiling Water" veröffentlicht, das die eigenwillige Irrealität dieser Zeit damals spiegelt: Mit ruhigen Tracks fängt die Band aus Brooklyn ein ambivalentes Gefühl zwischen Glück und Trauer, Hoffnung und Depression ein. Der Sound verschwimmt in diffusem und düsterem Dreampop.
Das Konzert bestreiten die New Yorker dann auch größtenteils mit den neuen Songs, visuell begleitet vom eigenwilligen Konzept einer fiktiven Selbsthilfe-Organisation namens Soul-net. Auf der dazugehörigen, im wirren 90ies-Website-Design gehaltenen Homepage waren erste Schnipsel des neuen Albums erschienen, überbordend mit wilden Theorien aus den letzten verschwörerischen und verschwurbelten Ecken des Internets. Diese verstörenden Phrasen werden zwischen den Liedern eingeblendet.
Band-Merch kaufen - zur Selbstheilung
Sarkastische Kritik am Kapitalismus trifft dabei auf ironische Kommentare in Richtung Musikbusiness, wenn zum Beispiel Frontman Zachary Cole Smith auf der Leinwand als Seelenfänger erscheint und predigt, zur Selbstheilung den Merch der Band zu kaufen. Gesponsert werde man im Übrigen von der Exxon Mobil Corporation. Zum nächsten Song sieht man Bilder zur Metapher des Albums: Der Frosch in einen Topf mit kochendem Wasser, der verzweifelt versucht herauszuklettern versus der Frosch, der in einem sich nur langsam erhitzenden Wasser in ruhiger Benommenheit versinkt und sich widerstandslos zu Tode kochen lässt. Ein starkes Bild samt starkem Song für einen langsamen, kranken und überwältigend banalen Zusammenbruch der Gesellschaft im Endstadium des Kapitalismus und seinen brutalen Realitäten, die wir vielleicht mittlerweile als normale Betriebstemperatur akzeptieren.
Während viele im Publikum die eingespielten Visuals belächeln oder kaum beachten, werden die Songs auch mit den Lyrics untermalt. DIIV entfacht einen dichten Teppich aus einlullendem Shoegaze und wabernden Gitarrenflächen. Es ist ein schillernder Soundtrack zur Apokalypse zwischen Nebelschwaden und Strobos auf der Bühne, in denen immer wieder das teuflisch anmutende Gesicht des im Spiel aufgehenden, großartigen Gitarristen Andrew Bailey aufblitzt – eine verstörende Vision aus Twin Peaks-Bösewicht und Aphex Twin. Das Publikum erlebt einen intensiven Abend, ein hypnotischer Sog entfaltet sich. Wie benommen lauscht man den mäandernden Melodien, als läge man in warmem Badewasser.
Abgekoppelt von der Realität
Unterbrochen wird dieser Zustand von älteren, treibenden Songs wie "Blankenship" oder "Doused", die einen spontanen wilden Moshpit entfachen, der aber wieder sofort in sich zusammenfällt, umspülen einen wieder die fließenden Klänge der neuen Songs zu eingeblendeten Zeilen wie "Look how far away we are from here". Ein Konzertabend, abgekoppelt von der Realität, an dem man in den weiterentwickelten, komplexen wie einzigartigen Sound von DIIV abtauchen konnte – samt aufblitzendem Hoffnungsstrahl, dass die Frösche den Sprung ins Leben doch noch schaffen.
Die Setlist:
In Amber
Like Before You Were Born
Brown Paper Bag
Under the Sun
Sometime
Soul-net
Frog in Boiling Water
Take Your Time
Taker
Everyone Out
Reflected
Somber the Drums
Between Tides
Blankenship
Acheron
Encore:
Raining on Your Pillow
Horsehead
Doused
Text: Kerstin Krachtochwill.
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