Ab heute steht die neue Rammstein-CD "Liebe Ist Für Alle Da" auf dem Index der jugendgefährdenden Tonträger. Diese Entscheidung ist völlig willkürlich und undemokratisch. Einer gerichtlichen Überprüfung kann sie kaum standhalten. Ein Kommentar.
Bonn (rai) - "Zu groß, zu klein / Der Schlagbaum sollte oben sein / Schönes Fräulein, Lust auf mehr / Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr / Schnaps im Kopf, du holde Braut / Steck Bratwurst in dein Sauerkraut", heißt es in "Pussy", der Vorab-Single des höchsten Neueinsteigers in den Tonträgerindex der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM).
Die Band hat nach eigenem Bekunden Tränen gelacht, als Sänger Till Lindemann die albernen Verslein erstmals in vollendetem Rrrrammstein-Pathos zum Vortrag brachte.
Klischee-Parade mit Fleischgewehr
Dieses Lied bildet also die Einleitung in das künstlerische Gesamtkonzept des aktuellen, "Liebe Ist Für Alle Da" betitelten Albums der Gruppe Rammstein. "Darüber kann sich keiner mehr aufregen", glaubte Keyboarder Christian "Flake" Lorenz noch vor kurzem im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. "Das ist nur noch eine Klischee-Parade: "Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr", "Steck Bratwurst in dein Sauerkraut" - das müsste jeder halbwegs intelligente Mensch als Ironie verstehen."
In der Tat - mag man vom künstlerischen Wert der Werke Rammsteins auch dieses oder jenes meinen - es handelt sich ganz unzweifelhaft um Parodien im klassisch griechischen Sinn, auch bei Liedern und Textpassagen wie jenen, die nun von der BPjM als jugendgefährdend eingestuft wurden (und die hier darum nicht mehr zitiert werden dürfen, der geneigten Leserschaft aber natürlich an allen Ecken und Enden des Internets mehr denn je zur Einsicht vorliegen).
Ausschlaggebend für die Indizierung sei der Titel "Ich Tu Dir Weh" gewesen, lässt die BPjM wissen: "In dem Lied wird nach Auffassung des Gremiums in befürwortender Art und Weise dargestellt, wie ein Mensch einen anderen quält und ihm ohne jegliches Mitgefühl schwerste Verletzungen zufügt. Es werden zudem sado-masochistische Handlungen in befürwortender Weise beschrieben."
Achtung! Blitzkrieg! Sauerkraut!
Doch so wenig wie ein Siebzehnjähriger die Bratwurst-Sauerkraut-Metapher ernst nehmen und in seinen Tischmanieren verrohen wird, so wenig sind die nun inkriminierten Zeilen geeignet, die Entwicklung von Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten entscheidend zu gefährden.
Dass die BPjM sie dennoch zur Konstruktion eines Indizierungsgrundes heranziehen muss, macht misstrauisch, ob hier nicht eher einem ganz allgemeinen Unwohlsein über die zunehmende Rohheit in deutschsprachiger Popmusik (und überhaupt den ganzen Schund und Schmutz) musterexemplarisch Luft verschafft werden sollte. Und alle so: yeah!
Hardcoreporno-Provokationen
Rammstein hatten ja herzlich dazu eingeladen, Hardcorepornovideo inklusive. Man kann also durchaus meinen, hier zu "sehr einfallsloser härterer Rockmusik Text zu hören, der ziemlich verunglückt, aber unüberhörbar mit komödiantischer Absicht herumprovoziert" (Süddeutsche Zeitung). Man darf die Platte eklig finden oder genial oder egal oder - wie der laut.de-Rezensent - halt so mittel.
Nur: Grundlage staatlichen Handelns bei der Abwägung der Rechtsgüter Kunstfreiheit und Jugendschutz können derlei Geschmacksfragen keinesfalls sein. Das ominöse "12er-Gremium", über dessen genaue Besetzung man bei der BPjM keine Auskunft erteilen mag, dürfte Schwierigkeiten haben, mit solch dünnen Argumenten ein Gericht zu überzeugen.
Der Band steht der Klageweg offen. Mal sehen, ob die juristisch sonst so aktive Rammstein-Posse ihn beschreitet.
149 Kommentare
Was ich vor allem nicht verstehe: was ist den an SM-Praktiken so furchtbar. Solange beide (oder wieviele auch immer) mit den Aktionen einverstanden sind ist das doch nichts verwerfliches. Jeder darf doch mit seinem Körper machen was er (oder sie) will.
@satanic667 (« Was ich vor allem nicht verstehe: was ist den an SM-Praktiken so furchtbar. Solange beide (oder wieviele auch immer) mit den Aktionen einverstanden sind ist das doch nichts verwerfliches. Jeder darf doch mit seinem Körper machen was er (oder sie) will. »):
Für die Zensoren steht soweit ich weiß keine sexuelle Spielart, sondern menschenverachtendes Verhalten zur Debatte.
Ich tu dir weh
Tut mir nicht leid
[...]
Hört wie es schreit
Lässt man einige Zeilen für sich allein stehen, also ohne den SM-Kontext, kann man diesen Haß auf alles menschliche schon erkennen.
Oder aus "Halt"
Es gibt zu viele Menschen
[...]
Die Entscheidung fält nicht schwer,
ich geh jetzt heim und hole mein Gewehr.
Aber das ist natürlich zu kurz gedacht.
Außerdem müsste man dann so ziemlich jeden zweiten Rock- und Rapsong indizieren.
Für einen psychisch labilen Hauptschüler etwa, der sowieso einen schwelenden Minderwehrtigkeitskomplex mit sich herumschleppt,
können solche Texte durchaus gefährlich wirken.
Vielleicht übertreibe ich hier, aber der Punkt ist:
Man muss die Texte richtig einordnen können, mit einem gewissen Reflexionsvermögen daran gehen.
Nicht alle können das leisten.
Ich weiß wovon ich rede, bin gerade wieder mit der S-Bahn gefahren.
Rechtschreibfehler en masse.
Lest ihr den Artikel nicht durch, bevor Ihr ihn online stellt?
Ihr macht aber einen äußerst guten Punkt, das war ein direkter Angriff auf unsere Meinungsfreiheit!
@das kleine Ich (« Deshalb fühle ich mich auch nicht von ihnen provoziert, aber die Realität wollen viele halt nicht wahrhaben.
@Karow (« Es geht nicht um Pussy ,sondern um ich tu dir weh.Das aber trotz Verbot auf den Konzerten in Berlin gespielt wurde. Es wird nicht alles so heiß gegessen ,wie es gekocht wird. »):
Am 18. hatten sie noch in Berlin Itdw durch "Rein raus" ersetzt und die Tage darauf ging es doch. Im Moment scheint ja alles ok zu sein. Mal sehen, wie es bei den Zusatzkonzerten weitergeht. Nach dem, was man so mitbekommt, will man in Dortmund ganz andere Saiten aufziehen. Aber wer weiß, was da wirklich dran ist. »):
Ich verstehe ehrlich gesagt immer weniger, weshalb soviele Leute glauben, in Dortmund wäre die ganze LIFAD-Setlist verboten. Denen klar zu machen, dass es sich lediglich um das schon bekannte Verbot von ITDW handelt, da rennste gegen die Wand.
Ich glaube, das sollte jemand mal der Presse erklären.
@Napstärhead (« @oomphie (« @miss rammstein (« ich hab zum thema rammstein, deren alben und texte noch nie eine sachliche diskussion erlebt....
zumindest nicht bei laut.de
und deshalb äussere ich mich hier auch nicht mehr dazu »):
sachliche Diskussion? bei einer so nebensachlichen Band? »):
Rammstein nebensächliche Band? Und dann mit dem Benutzernamen gepostet? Hätte niemals gedacht, die Self-ownedness persönlich zu begegnen.
Ich glaube eher, dass es dich wurmt, dass es Rammstein gelungen ist, sowohl auf erfolgstechnischer Ebene als auch von der Spielkultur und dem Niveau her, ihre musikalischen Vorbilder (welche nunmal Oomph sind) hinter sich zu lassen. »):
was isn eine Self-ownendness???? (kann das ja nicht mal schreiben)