Fotos von Peter Fox, Kraftklub, Billy Talent, Die Ärzte, QOTSA, Chvrches, Provinz, Casper u.a.
Neuhausen o. Eck (laut) - Ein Mal im Jahr steht das beschauliche Örtchen Neuhausen ob Eck in Baden-Württemberg ganz im Zeichen des R'n'Rs: Das Southside Festival ist auf dem ehemaligen Flugplatzgelände gelandet und meldet mit 60.000 Fans - ausverkauft.
Wir berichten übrigens auch vom Schwesterfestival im Norden, dem Hurricane. Das Line-up gestaltet sich gewohnt hochkarätig: Neben den Queens Of The Stone Age geben sich auch Die Ärzte, Placebo, Muse, Casper, The 1975 oder Tash Sultana die Bühnenklinke in die Hand.
Beer Pong und viel Staub
Nach der mehr oder minder entspannten Anreise am Donnerstag haben sich die meisten Festivalbesucher:innen am Freitag langsam aber sicher gemütlich eingerichtet und vertreiben sich die Zeit bis zu den ersten Acts mit Beer Pong oder Flunky Ball. Eine ausgelassene und friedliche Stimmung - hieran hat sich auch im Jahr zwei nach der Coronapause nichts geändert - bestimmt den Charme des großen Festivals im Süden.
Ordentlich staubig ist es bereits zu Beginn, der fehlende Regen hat den Boden ausgedörrt, aber garantiert wird der ein oder andere Schweißtropfen in den kommenden Tagen auf dem nach Flüssigkeit lechzenden Boden landen - denn was das Wetter angeht, sollte es warm und trocken bleiben.
Die jungen Wilden
Der Nachmittag steht im Zeichen der (mehr oder weniger) jungen Wilden. Akne Kid Joe liefern mit ihrem erfrischenden Punk einen soliden Festivalopener ab, Betontod machen im Anschluss keine Gefangenen. Etwas ruhiger geht es bei Frauenschwarm James Bay und den Isländern von Kaleo zu. Ein Glück, dass die hinreißende Nina Chuba das Kontrastprogramm auf der Blue Stage liefert. Die junge Rapperin serviert musikalische Wildberry Lillets und hat ihr großes Publikum vom ersten Moment an im Griff.
Zeitgleich powern sich die Menschen, die lieber Gitarren statt Rhymes hören, bei Frank Turner aus. Der fröhliche Punkrock des ursympathischen Briten und seiner Band, die Sleeping Souls, begeistert in gewohnter Manier. Eine wahre Überraschung birgt Clueso, der mit einer fantastischen Band auftritt. Schon immer für starke Livegigs bekannt, legt der Erfurter heute nochmals eine Schippe drauf und verbreitet dermaßen gute Laune, dass das Publikum sich nur allzu gerne anstecken lässt.
Die Queens Of The Stone Age sind bereit
Während die Sonne das Gelände in ihr romantisches Abendrot taucht, macht sich ein Knaller bereit: die Queens Of The Stone Age. Und Josh Homme und Band liefern unfassbar gut ab. Bühnenpräsenz, astreiner Sound, Spielfreude, Hits - ein rundum dickes Paket. Neben Klassikern wie "No One Knows" gibt es natürlich auch Stücke vom neuen Album "In Times New Roman". Wir freuen uns extrem auf die Tour im November!
Die beste Band der Welt
The 1975 haben dem eher wenig entgegenzusetzen. In dem ganzen Rock-Feuerwerk geht ihre Performance etwas unter, was auf keinem Fall an mangelnder Begeisterung der umfangreichen Band liegt. Dann ist es aber Zeit für die beste Band der Welt: Die Ärzte aus Berlin (aus Berlin!)! Kurzweilig, humorvoll und menschlich führen Farin Urlaub und Bela B. durch ihr Programm und lassen den ein oder anderen Witz auf Kosten der schwäbischen Gastgeber fallen. So wird bei "Junge" aus der "eigenen Praxis" fix eine "Kässpätzlebude", und das muss man auch mal aushalten können! Wenn nicht gesprochen oder gefeixt wird, gibt es Hits, Hits, Hits! Von "Himmelblau" über "Wie Es geht" bis hin zu "Hurra", dem Opener "Westerland" und natürlich "Schrei nach Liebe" ist alles dabei. Das Publikum dürfte auch am Samstag noch heiser vom Mitsingen sein. Aber ist das noch Punkrock? Ich glaube schon.
Den Abschluss des Abends bestreiten Placebo, die abermals mehr auf Filler statt auf Killer setzen. Natürlich gibt es die Gassenhauer wie "Slave To The Wage" oder "Pure Morning", dennoch scheint die Band um Brian Molko ihren Zenit langsam überschritten zu haben. Doch Totgeglaubte leben bekanntlich länger.
Lädiert am Samstag
Nach einer zapfigen Nacht scheint auch am Samstag die Sonne hell und warm. In alter Manier säuft derweil das Schwesterfestival Hurricane ab - manche Dinge ändern sich nie. Aber ist wirklich alles eitel Sonnenschein in Tuttlingen respektive Neuhausen ob Eck? Sichtlich lädiert lungern viele noch auf dem Zeltplatz herum, während die Rockröhre Dylan bereits mächtig Gas gibt. Weitere Acts des Tags sind Gayle, bekannt durch ihren Hit "ABCDEFU", Deaf Havana und Ashnikko. Die Donots sind liefern ein gewohnt erstklassiges Punk-Feuerwerkmit astreiner Bühnenpräsenz und meterhohen Sprüngen von Sänger Ingo ab.
Als wollten das Anti-Flag nicht auf sich sitzen lassen, wird auch hier gesprungen und getanzt, und als sich dann Bassist Chris Barker todesmutig ins (zugegebenermaßen wohlwollende) Publikum stürzt, herrscht mindestens Gleichstand. Die Lokalmatadore von Provinz aus Ravensburg “wo die Puzzles herkommen) treffen mit ihrem gefühlvollen Indierock mitten ins Herz der Fans und bereiten die Blue Stage für den Auftritt von Loop-Genie Tash Sultana vor, die leider durchgehend mit technischen Problemen zu kämpfen hat. Damit sei auch bewiesen, dass die Australierin alles live macht. Wer sich auf diese Show einlässt, wird mit einem wilden Mix aus Rock, Pop, D'n'B und Folk entlohnt.
Die Handtücher fliegen, die Hintern wackeln
Die drei Zuschauermagneten heißen gleichwohl Peter Fox, Billy Talent und Kraftklub: Vor den Bühnen ist es rappelvoll, Menschen so weit das Auge reicht. Bei Peter Fox ist dann auch auf der Bühne mächtig was los, Tänzer:innen, Fans, die Band - fast schon ein eigner Club auf dem Southside. Die Show gerät entsprechend energiegeladen und on point. Alte Hits aus der Stadtaffen-Zeit fügen sich in die neuen Hits der "Zukunft Pink"-Ära ein, die Handtücher fliegen und die Hintern wackeln. Was für ein Ritt!
Billy Talent ereilt derweil das gleiche Schicksal wie Tash Sultana, auch hier gibt es technische Probleme, die den Konzertbeginn um knapp 20 Minuten verzögern. Die Band lässt sich den Ärger im Vorfeld aber nicht anmerken und spielt professionell und tadellos wie immer ihre Show. Ob "Surprise, Surprise", "Fallen Leaves" oder "Red Flag" - kein Wunsch bleibt offen. Mit den Kanadiern macht man einfach nichts falsch. Ebensowenig wie mit Kraftklub, die mit neuer Show und relativ neuen Songs die Massen begeistern. Das Wetter wird am Sonntag noch wärmer und auch die Nacht ist lau. Ob der dritte Festivaltag diesen fulminanten Samstag toppen kann?
Es wird noch heißer
Noch heißer als die Vortage präsentiert sich der Abreisetag in diesem Jahr. Aufbruchsstimmung liegt in der Luft, und der Zeltplatz lichtet sich. Während sich neue Bekanntschaften dramatisch in den Armen liegen und sich schwören, auf "jeden Fall in Kontakt" zu bleiben, kämpfen die Bands der Stunde um die Aufmerksamkeit der verbliebenen Festivalbesucher:innen. Lange lässt sich das Southside schon beim Early-Afternoon-Act Zebrahead nicht bitten und crowdsurft, was das Zeug hält.
Auch der Musiker-Familienclan Madsen hat das Publikum im Griff, und die Lumineers sind sowieso ein Selbstläufer. Funeral For A Friend scheinen Soundprobleme zu haben, denn Sänger Matthew liegt tonal oft ganz schön daneben. Das machen die Briten aber mit ihrer charmanten Art schnell wett. Bei Chvrches und Lola Marsh sind es die leisen Töne, die ganz laut daherkommen, beide Auftritte sind wunderbar sphärisch und eine gelungene Abwechslung im Line Up.
Casper, Marteria und Muse
Rap gibt es auch, denn Casper und Marteria sind in da house und spielen tatsächlich auch unabhängig voneinander ihren Collabo-Track "Adrenalin". Im direkten Vergleich gewinnt Marteria, der die unterhaltsamere Show liefert. Die Fans können sich offenbar nicht entscheiden, denn bei beiden Shows sind die Bühnen rappelvoll. Den krönenden Festivalabschluss liefern Muse, die Universal-Waffe der Musik. Eine bombastische Show, Hit auf Hit, Soundfeuerwerk. Superlative reichen gerade aus, um diese Band zu beschreiben. Wenn Matthew Bellarmy "Supermassive Black Hole" anstimmt, die Band das treibende Riff spielt, elektrisiert das die Zuschauer:innen bis in die allerletzte Reihe. Das ist R'n'R, das ist "Starlight", darum "Plug In, Baby"!
Die schönsten Festivalbecher weit und breit
Der Vorverkauf für das Southside 2024, das vom 21. bis 23. Juni 2024 stattfindt, startet morgen. Warum man dieses charmante Festival unbedingt besuchen sollte? Die Stimmung ist fantastisch, friedlich und fröhlich. Die Gastro ist lecker, und es gibt die allerschönsten Festivalbecher weit und breit mit allen Wappentieren der Festivaljahre. Den Veranstalter:innen liegt auch etwas an der Sicherheit der Besucher:innen, was nicht zuletzt durch das überaus präsente Safe Space-Angebot 'Panama' deutlich wird. Nachhaltigkeit ist ebenfalls ein Punkt, der auf dem Southside ernst genommen wird. Es gibt einen regelmäßigen Busshuttle nach Tuttlingen, der im Ticket inbegriffen ist, und alle Heimschläfer:innen, die mit den Öffis anreisen, sicher zum und vom Gelände bringt. Der Merch ist superschnell und erschwinglich. Und das Wetter ist meistens gut. Genug Argumente also für das Southside - und die Vielfalt an Künstler:innen macht das Festival im Süden zu einem der Top Drei des Landes.
Text und Fotos: Désirée Pezzetta.
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