21. September 2017
"Ich hab' die Welt nicht gerettet"
Interview geführt von Dominik LippeSenkrechtstarter Nimo spricht über die Reanimation von Deutschrap, verrät seine musikalischen Vorbilder und lässt an der Situation seiner Familie zwischen iranischen Wurzeln und westlicher Sozialisation teilhaben.
Ein Mixtape reichte völlig aus: Mit "Habeebee" enterte 385idéal-Rapper Nimo im letzten Jahr direkt die Charts dreier Länder. Die Kollegen bei der "Juice" feierten ihn daraufhin neben LGoony, Chima Ede, Haiyti, Crack Ignaz, RIN und Ufo361 als "Deutschraps Zukunft". En passant errang er zudem den Titel des meistgeklickten Künstlers 2016 auf laut.de. Doch all diese Errungenschaften bilden wohl erst den Prolog einer großen zu erwartenden Karriere.
Mitte Juni erschien Nimos offizielles Debütalbum "K¡K¡" und überzeugte Anhänger wie Kritiker. Festivalauftritte und eine Solo-Tournee folgten. Nebenbei fand er die Zeit, in Marvin Games Wagen zu steigen und dem viel zu früh verstorbenen Prodigy mit einigen Versen über Mobb Deeps "Shook Ones Pt. 2" Tribut zu zollen. Eine Autofahrt Richtung Heimat nutzt der Baden-Württemberger dann auch für ein kurz angebundenes telefonisches Interview. Ein Gespräch über die Wiederbelebung des Genres Deutschrap, Understatement im Hinblick auf die öffentliche Rolle als Musiker sowie die Haltung seiner Familie zur iranischen Regierung.
Du bezeichnest dich selbst als Teil einer Deutschrap-Renaissance. In der ursprünglichen Kulturepoche ging es um die Wiederbelebung der Kunst. Lag das Genre derart am Boden, dass diese nötig war?
Auf jeden Fall! Da Deutschrap monoton war und eintönig, voraussehbar, nicht fühlbar, nicht lebendig – es war tot.
Trotz des kommerziellen Erfolgs?
Trotz des kommerziellen Erfolgs von wem? Du kannst auch mit Scheiße erfolgreich sein, oder? Das heißt nicht, dass die Scheiße dann gut ist. Natürlich gab es auch vorher schon erfolgreiche Rapper hier in Deutschland, aber sie haben scheiß Musik gemacht. Das heißt nicht, nur weil sie erfolgreich waren, dass die Musik gut ist.
Wer gehört deiner Meinung nach zu den wichtigsten Vertretern dieser Renaissance?
Azzi Memo, Soufian, Capo, teilweise auch Haftbefehl.
Obwohl der ja bereits eine Weile dabei ist.
Ja, aber trotzdem macht er diesen frischen Wind und geht da auch perfekt mit. Die neue Musikstilrichtung, den neuen Zeitgeist der Musik hat er voll getroffen. Deshalb er auch. Wenn es um den neuen Hip Hop geht, dann Azzi Memo, Soufian, Capo, Ufo361 und ich.
Gehören die Kollegen, mit denen du auf dem "Juice"-Cover warst auch dazu? RIN oder Haiyti?
Weniger. RIN ist gut, aber von Haiyti halte ich nichts.
"Ich brauche keinem etwa zu erklären"
Ein Großteil der jungen Rapper nutzt Auto-Tune. Im Gegensatz zu vielen deiner Kollegen setzt du es viel gezielter ein. Wirklich nötig hast du die Software eigentlich nicht. Kannst du den Auto-Tune-Skeptikern einmal die Vorzüge erklären?
Es gefällt mir einfach. Ich brauche keinem etwas zu erklären. Wenn ich meine Musik mache und finde, es hört sich so für mich besser an, dann mache ich das so. Ich machs nicht so oft, also kann sich keiner beschweren.
Du nennst Tupac und Notorious BIG deine musikalischen Vorbilder. Wie spiegelt sich das in deiner eigenen Musik wider?
Ich weiß es nicht. Vielleicht vom Charakter? Von Flows, von den Beatrichtungen, vom Stil? Kann ich dir nicht sagen, das musst du beurteilen.
Welche Musiker der jüngeren Geschichte haben dich beeinflusst? Sagen wir mal aus den letzten 20 Jahren.
Wie gesagt: Tupac, Biggie, 50 Cent, Snoop Dogg. 20 sind schwer zu sagen. Michael Jackson und Stevie Wonder. Ich höre sehr viel verschiedene Musik, auch alte Musik. Michael Jackson war einer der ersten, den ich gehört habe. Er ist auf jeden Fall auch mein absolutes Vorbild.
"Politik ist Schwachsinn"
Du hast einen ähnlichen Background wie MC Basstard. Dein Vater hat sich im Iran politisch engagiert, was schließlich zur Flucht deiner Familie geführt hat. Welchen Bezug hast du zum Iran?
Ich würde sehr gerne in meine Heimat einreisen. Das geht aber nicht, weil die Regierung Bastarde sind. Solange die heutige Regierung bleibt, werde ich nicht in den Iran einreisen können. Meine Familie nicht und ich auch nicht. Deshalb hat man eine Sehnsucht, aber irgendwie auch einen Hass.
Verfolgst du die politischen Entwicklungen im Iran?
Ich verfolge keine Politik. Politik ist Schwachsinn. Politik ist zwar legal, aber ich würde sie nicht machen. Auf Politik darf man sich nicht fixieren, weil sie eine Lüge ist und von der Welt ablenkt. Aber was ich dir sagen kann: Ich würde gerne mal in mein Dorf gehen. Ich würde gerne mal von den Bäumen Früchte pflücken, von denen mein Vater Früchte gepflückt hat. Ich würde gerne mal dort auf der Wiese liegen, auf der mein Vater als Kind lag. Aber der Rest interessiert mich ganz und gar nicht.
Woran liegt es genau, dass du nicht einreisen darfst? Immer noch am damaligen Engagement deines Vaters im Iran?
Wenn du mit politischem Background flüchtest und dann wieder in den Iran einreist, musst du sozusagen auf die Knie gehen und Schwanz lutschen. Ich sage es dir, wie es ist: Ich und mein Vater sind weder Leute, die auf die Knie gehen, noch Leute, die Schwanz lutschen. Ich kann einreisen, aber im Voraus werden die mir Probleme machen. Die werden mich entweder ins Gefängnis sperren oder mich zum Wehrdienst schicken. Ich werde nichts von beidem machen. Ich werde diesem Land nicht dienen.
Obwohl du in Deutschland geboren wurdest, vererbt sich praktisch das Problem deiner Familie mit der iranischen Regierung auf dich?
Ja, auf jeden Fall. Mal schauen, wie lange. Du weißt ja nicht, wie lange die Regierung so bleibt. Inshallah, tritt die Regierung vielleicht irgendwann ab. Aber ich werde nicht dorthin gehen, bevor diese Männer nicht weg sind. Weil es kein freies Iran ist, und ich gehe nicht in meine Heimat, wenn ich nicht frei bin. Denn ich bin in einem Land groß geworden, wo man frei sein darf. Ich habe Freiheit kennengelernt. Ich gehe nicht dorthin und lasse mich unterdrücken. Auf keinen Fall. Sie würden mich zum Wehrdienst zwingen, meinen Vater rufen und ihn umbringen. Das kann keiner hier nachvollziehen. Es kann auch keiner glauben. Aber es ist so. Genauso wie keiner glauben kann, dass jeden Freitag dort am Kran Leute erhängt und Frauen gesteinigt werden. Dass Leute mit einer politischen Meinung einfach in den Knast kommen. Alleine, weil ich Rapper bin, darf ich nicht gehen. Ein Rapper bekommt fünf Jahre Haft, nur weil er rappt. Und wenn du jetzt noch über politische Themen rappst und gegen die Regierung bist, kannst du dir selber vorstellen, was passiert. Iran ist auf jeden Fall ein heißes Pflaster.
Du hast die Freiheit angesprochen und hast auch eine ernsthafte Sicht auf die Dinge. Ist das der Grund, weshalb du auf dem Album bemängelst, dass zum Teil westlich erzogene Rapper in ihren Texten mit al-Qaida sympathisieren?
Ja, das fuckt mich total ab. Die Leute haben keine Ahnung, wovon sie reden. Mit dem, was sie rappen, machen sie den Islam oder uns schlecht. Wir haben ohnehin schon so viele Probleme wegen unserer Herkunft. Leute, die eigentlich ihr ganzes Leben lang mit Käsebrot aufgewachsen sind, rappen auf einmal irgendwas von al-Qaida und Taliban-Kämpfern. Darum geht es einfach. Du bist nicht so, du wurdest anders erzogen, deine Mutter heißt Gisela, dein Vater heißt Günther – warum rappst du auf einmal von al-Qaida? Auch, wenn dein Vater nicht Günther heißt und deine Mutter auch nicht Gisela. Wir alle werden hier europäisch erzogen. Auch, wenn du zu Hause noch kulturell erzogen wirst. Auf der Straße bist du mit deinen Homies auf europäischer Basis unterwegs. Da braucht mir keiner auf al-Qaida zu machen.
Du bist trotz deines Hintergrunds demnach auch westlich erzogen worden?
Wir wurden alle westlich erzogen. Wie willst du in diesem Land nicht westlich groß werden? Du gehst zur Schule. In der Schule sind die Einflüsse. Zu Hause in deinen vier Wänden können deine Eltern dich nach ihrer Kultur erziehen. Aber ansonsten geht das doch nicht. Das ist auch der Grund, weshalb Leute die Kultur hier verlieren.
Aber das ist doch jetzt ein Widerspruch: Du hast die westliche Prägung gerade noch gelobt. Wenn du sagst, die Leute verlieren ihre Kultur, dann ist das etwas Negatives.
Du flüchtest aus deinem Land, weil du vom Krieg weg willst. Dann kommst du nach Deutschland und lebst in Frieden. Dir geht es darum, dass deine Kinder in Frieden leben. Dann lebst du in Freiheit und erziehst deine Kinder zu Hause so, wie du selber groß geworden bist. Aber an erster Stelle willst du, dass sie in Freiheit leben. Nur mit der Zeit verschwindet das.
Es gehört ja zum Qualitätssiegel deines Labels 385idéal, dass die Texte nicht auf maximale Provokation aus sind. Inwiefern reden dir Celo & Abdi und dein Management in die Musik rein?
Das war bisher nicht der Fall. Natürlich hat keiner Interesse an der großen Provokation. Es gibt andere Beispiele, aber unser Label ist dafür bekannt, dass es keinen Krieg gibt.
Du vermittelst auf "K¡K¡" einen recht bescheidenen Eindruck. Anders als viele deiner Kollegen betonst du nicht in übertriebener Art die Bedeutung von Statussymbolen oder stellst dich als Erfinder des Genres dar. Woher kommt diese Bescheidenheit?
Ich bin ein Brudi. Ich bin einer, der in der Hood lebt. Ich bin einer, der in der Hood bleibt. Es gehört sich nicht, dass man etwas Größeres spielt, als man ist. Ich mache nur Musik. Darauf, dass ich Musik mache, bekomme ich gute Resonanz. Ich hab' die Welt nicht gerettet, ich habe keinen Krieg verhindert, ich mach' nur Musik.
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