laut.de-Kritik

Düsteres Kopfkino nahe der Perfektion.

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Deutscher Rap kann entkrampfen. 2019 erwartet niemand mehr, dass man hart ist, auch wenn der Beat nicht mehr läuft. OG Keemo etwa präsentiert sich in Interviews oder auf Twitter als entspannter, gut gelaunter Typ mit Hang zur Albernheit. Trotzdem bringt kein anderer Musiker derzeit so überzeugend den Sound von der Straße.

Ein knappes halbes Jahr nach seinem umjubelten Debütalbum, legt Keemo nun nach. Mit knapp zwölf Minuten Spieldauer ist seine "Otello"-EP immerhin ein halbes Kanye West-Album geworden. Viel wichtiger allerdings: Es ist eine gebündelte Demonstration dessen, was den Mannheimer derzeit so meilenweit aus dem Standard herausstechen lässt.

Der "junge Heisenberg" trägt "Uhren farblich passend zu den Narben an den Knöcheln" und lässt von Beginn an keinen Zweifel, dass er hier Räubermusik unters Volk bringt. Technisch anspruchsvoll legt sich Keemos Bass über den Kopfnicker-Beat von "Tanamo": "Renn in' Laden, check die Lage, steig in Wagen, teil die Ware mit dem Set".

Dass sich Keemo zum gehyptesten Straßenrapper des Landes entwickelt hat, lässt sich nicht allein auf seine dunkle Stimme und die finsteren Produktionen von Funkmaster Frank zurückführen. Wenn Keemo berichtet, hört man geschärft zu, weil der Rapper Phrasen bewusst umschifft und Altbekanntes in eine ihm eigene Sprache verpackt.

Oftmals verfängt sich harter Rap von der Straße in den eigenen Klischees. Bei Keemo wird man kaum Zeilen finden, bei denen man das Gefühl hat, sie derart schon anderswo gehört zu haben. Der Inhalt mag der gleiche sein, die Form ist einzigartig. "Der Scheiß ist Stanni, ich mach' Sport bei Polizeisirenen. Ich horte Scheine, ich raub' nicht mal mehr zum Weiterleben, sondern um in Form zu bleiben, falls ich morgen pleite gehe".

Das Bemühen Keemos um eine einzigartige und unverkennbare Sprache ist nicht hoch genug hervorzuheben. Eine gewisse Kehrseite der Medaille besteht darin, dass eigene Catchphrases wie "Trap" oder "Set" teilweise doch etwas zu offensiv in Szene gesetzt werden.

Aber das ist Meckern auf hohem Niveau und zeigt eben auch, dass man sich bei Keemo intensiv mit dem auseinandersetzt, was er sagt. Dafür schafft Keemo auf nur fünf Tracks eben auch mehr stimmige Bilder, als manch anderer Rapper auf mehreren Alben.

Die Stimmung ist atmosphärisch dicht und auf das Wesentliche verkürzt. Kein Song erreicht die drei Minuten-Marke und auch Hooks im eigentlichen Sinn wird man auf "Otello" kaum finden. Am radikalsten ist wohl der nur knapp einminütige Track "Obi-Wan". Über einen knarrenden Beat brettert OG Keemo los. Atemlos, sich immer wieder unterbrechend und immer auf der Suche nach der punktgenauen Formulierung.

Dass bei aller rauen Attitüde immer noch Platz für ein Augenzwinkern bleibt, erweckt Assoziationen zum Odd Future-Clan. Wo Kollege Schier noch Vergleiche zu A$AP Ferg zog, fühle ich mich nicht nur stimmlich deutlich an den frühen Earl Sweatshirt erinnert.

Die EP mag stark anfangen. Wie Keemo den kurzen Ausflug in seine düstere Welt beendet, ist schlicht und ergreifend bombastisch. Auf die kurze Stille nach "Obi-Wan" folgen mit den abschließenden Tracks "Schnee" und "Whitney" fünf Minuten finsteres Kopfkino nahe der Perfektion. Was sich hier an beklemmender Sogwirkung entfaltet, ist "Skalp" womöglich sogar noch überlegen.

Dunkel und unbarmherzig ist das Duo Keemo und Funkvater Frank zum Ende hin vollends zur Höchstleistung aufgelaufen. Das 'richtige' Album muss nach Haftbefehls viel zitierter Weisheit allerdings im Winter kommen. "Laufe mit der Klinge durch den Schnee. Bete, dass du diesen Winter überlebst". Ein Appetithappen also. Aber was für einer!

Trackliste

  1. 1. Otello
  2. 2. Tanamo
  3. 3. Obi-Wan
  4. 4. Schnee
  5. 5. Whitney

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