laut.de-Kritik
Leise Parts erwecken die tosenden Passagen zum Leben.
Review von Yan VogelUm eine Vorstellung vom Sound von Oathbreaker zu bekommen, stellt man sich am besten ein verwaschenes und verschlissenes Bandshirt von Black Sabbath vor, auf das Bandnamen wie Discharge und The Exploited gekrakelt sind und auf dem Patches von Darkthrone, Enslaved und Neurosis prangen.
Hardcore, Black Metal, Post Metal und Doom ergeben die Eckpfeiler des Soundgebäudes. Da immer beide Seiten der Medaille zu erwähnen sind, zählen gerade auf dem neuen Album "Rheia" A capella, Folk, Ambient oder Soundtracks à la Lynch zum Klangbild. Denn erst die Pausen und leisen Parts erwecken die tosenden Passagen zum Leben.
Caro Tenghe singt in einem permanenten Spannungsfeld zwischen Candace Kucsulain (Walls Of Jericho), Alissa White-Gluz (Arch Enemy), Natasha Khan (Bat For Lashes) und Björk. Insbesondere hebt sich die Band durch ihre markerschütternden Screams und die emotionalen Artpop-Vocals ab. Herzzerreißend und herzausreißend gleichermaßen erinnert sie an Julie Christmas, die jüngst mit Cult Of Luna in Form von "Mariner" ein Highlight ablieferte.
Das Songwriting ist sehr kontrastreich gestaltet. Langsame, minimalistische Passagen wechseln mit minutiösen, breaklastigen Riff-Gewittern. Insgesamt erinnert die atmosphärisch-dichte Konzeption der Platte an Hypno5e. Bei aller Radikalität findet der Hörer äußerst musikalische Pinselstriche im Schwarzmetall wie bei Nachtmystium. Zudem agieren die Belgier technisch erhaben wie Obscura, besitzen ein Händchen für Dynamik und Entwicklung wie Cult Of Luna und gehen unkonventionell wie Kvelertak zu Werke.
Das mit a capella-Gesang eingeleitete, mit sphärischen Gitarrenharmonien begleitete Intro mündet in "Second Son Of R.", einem Monument der Stärke dieser Band. Rasende Blast Beats, eine keifende Caro Tenghe und gekreuzte Gitarrenhälse wechseln mit tollen Pickings und Gesangspassagen. "Being Able To Feel Nothing" beginnt ähnlich furios, doch die erste Hälfte bis zum Breakdown fällt regelrecht zart aus. Ein kurzes Interlude basierend auf cleanen Gitarren und zerbrechlichen Vocals folgt, bevor der Song über den rasenden Anfang in doomiger Schwere vergeht und im grandiosen Scream-Part, indem der Songtitel repetiert wird, endet.
Es folgt die Ballade des Albums mit spärlicher Gitarren- und Piano-Begleitung. "Stay Here / Accroche-Moi" klingt anmutig und zart, überzeugt jedoch gerade aus den ruhigen Momenten heraus. "Immortals" basiert auf der lyrischen Tradition des Folk und Blues. Hier wird immer die letzte Zeile wiederholt: "You Ate My Heart Out, I Am Stone". Die Stasis jeglichen Empfindens mündet in einen unendlichen Zustand. Um so bewegender ist der Text in Musik umgesetzt. Gemeinsam mit dem vorangestellten "Needles In Your Skin" liefert das Quartett sein Meisterwerk ab.
Das Dreigestirn bestehend aus "I'm Sorry, This Is" und den kontrastreich betitelten "Where I Live" und "Where I Leave", beginnt mit Drones und Stimmengewirr, das den Hörer tief in den bevorstehenden viertelstündigen Rausch hineinzieht. In "Where I Live" singt Tenghe über Blastbeats, bevor ein Half-Time-Part den Sog gen Nirgendwo einleitet aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Der Soundtrack zur Seelenpein vollzieht eine dramatische und dynamische Wandlung von einer aufwühlenden Soundcollage zu Beginn von "Where I Leave" über einen balladesken Mittelteil hin zu doomigen Riffs und explodiert in postmetallischer Dystopie. Geisterhafte Vocal-Layer leiten "Begeerte" ein. Hier kreist das Quartett um ein simples musikalisches Motiv und spinnt dieses mit effektvollen Samples weiter.
Ein berühmter Sohn der Stadt Gent, in der die Band beheimatet ist, heißt Maurice Maeterlinck. Dessen Stück "Pelléas et Mélisande" zählt zu einem wichtigen Werk des Theaters des Symbolismus - das wiederum einen wichtigen Einfluss für Caro Tenghes Texte darstellt. Mittels Mythologie und Symbolismus beschreibt sie jedoch stets persönliche Themen und hält die Lyrics offen für Interpretationen.
Der Albumtitel "Rheia" ist eine Anlehnung an die Göttin der Fruchtbarkeit und der Mutterschaft. Tenghes Intention lautet, Wandel, Übergang und Veränderung sowie den Ausbruch aus Gewohnheiten zu beschreiben. Dies findet seine Entsprechung im Artwork, das Hände zeigt, die einen gallertartigen Überzug zerreißen. Abgerundet von einer erdigen Produktion hören wir ein Gesamtkunstwerk, das im extremen Metal in diesem Jahr seinesgleichen sucht.
6 Kommentare mit einer Antwort
Die rezi klingt aber vielversprechend. Wird mal rein gehört.
Das Album ist wirklich der Wahnsinn und wächst mit jedem Hördurchgang. Schon die Platte davor war super.
Könnte zum absoluten Referenzwerk dieser Band werden.
Erster Durchgang. Hoffentlich enttäuscht es bei so viel Vorschusslorbeeren nicht.
Das einzige, was mir nicht gefällt, sind die Black-Metal-Parts, aber davon gibt es nicht all zu viele. Dafür gibt es mehr emotionale, traurige Passagen, was ich sehr begrüße. Der Spannungsbogen ist großartig. Sehr, sehr tolles Album.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Was für ein Album - das ist Metal, wie er heutzutage sein muss. Alles sicher mal gehört, aber in dieser Kombination einfach genial. Die Sängerin ist ein Juwel.
I'm in love..