8. März 2010

"Musik zerbricht tatsächlich Wände"

Interview geführt von

Ein Interview - zwei Welten. Während ich hier im beschaulich norddeutschen Flachland zwischen winterlichen Eisblöcken sitze, spricht Kobi Farhi, Sänger und Hauptsongwriter der führenden Metalband des gesamten Nahen Ostens, vom Rand der Negev Wüste zu mir. Das neue Album ist unter tatkräftiger Hilfe von Mr. Porcupine Tree Steven Wilson zu einer echten Perle geworden. Gewohnt lyrisch und mit satten Black Metal-, Death-, Prog- und Folk-Elementen gespickt, haut der engagierte Friedensaktivist den Fundamentalisten und Hasspredigern beider Lager die Keule um die Ohren.

Doch im Gespräch erwartet mich nicht der Bühnenberserker, sondern ein sanfter, sehr ausgeglichener Mann. Was also liegt näher, als das Phänomen des Orient Metal im Nahen Osten zu beleuchten?

Shalom Kobi, Gratulation zur neuen Scheibe. Ihr rockt die Wüste.

Kobi Farhi: Shalom Ulf, ja danke.

Es ist mir peinlich. Aber mein Hebräisch ist im Grunde fast nicht existent. Dennoch erinnere ich, dass 'Or' die Bedeutung 'Das Licht' innehat.

Or bedeutet 'Licht, Helligkeit'. Das stimmt.

Das heißt, du entpuppst dich damit am Ende als eine Art Aragorn des nahen Ostens. Der messianische Lichtkrieger? Sollen wir das so verstehen?

(Lacht) Um Gottes Willen! Bloß nicht. Das ist zum Glück keine Profilneurose meiner Person. Ich glaube aber daran, dass jeder ein Krieger des Lichts sein kann. Jeder, der sich – auf welche Art auch immer – für Frieden und Toleranz einsetzt. Das kannst du machen. Das kann ich machen. Das sollte jeder tun, der in der Lage ist, sein inneres Licht zu sehen. Es gibt doch keinen Unterschied zwischen dir, mir und jedem anderen auf der Welt. So meine ich das. Jeder ist Aragorn, wenn er will.

"Für junge Araber ist es gefährlich, uns zu mögen"

Wenn man ein so friedenspolitisches Album gemacht hat: Wacht man da nicht auch mal auf und denkt: "Das ist kein normales Land, keine normale Situation und meine Band ist keine normale Metal-Band. Ich will einfach nur Rockstar sein und die ganze Verantwortung los werden?"

Klar, das dachte ich öfter als du vielleicht glauben magst. Ich bin totaler Musikliebhaber. Es könnte nichts Schöneres geben, als einfach nur mal Liebeslieder über und für meine Freundin zu schreiben und die Party zu rocken. Aber das geht wenigstens in der Gegenwart noch nicht. Wir befinden uns als israelische Band doch automatisch in der Rolle eines Botschafters oder schlichtenden Vermittlers. Und das bekommt man ja auch positiv mit. Ich will damit sagen, man lernt ja immer Leute kennen, die davon berührt sind, oder mitmachen oder einfach der Gewalt abschwören. Ich weiß, wir können da nicht viel tun und nehmen uns auch nicht so wichtig. Aber der Job ist nun einmal wichtig. Wir fühlen, dass wir die guten Ansätze pushen müssen. Und eh du dich umsiehst, ist alles Teil des eigenen persönlichen Lebens ... (Pause) ... Und ja, manchmal geht es mir richtig auf die Nerven.

Dafür habt ihr inzwischen fast ein Wunder vollbracht und als Tel Aviver Judentruppe eine mittlerweile stattliche arabische Fanbase erspielt. Das ist in dieser Form bis dato sicherlich weltweit einmalig.

Ja, das ist in der Tat bizarr. Manchmal können wir es selbst kaum glauben. Da gibt es viele, die plötzlich einer Israeliband zujubeln; die sich extra Tattoos stechen lassen mit dem Bandlogo. Letzteres klingt für euch im aufgeklärten Europa sicherlich nicht so besonders bemerkenswert. Aber in einem Pulverfass voller Hass und religiösem Fanatismus beiderseits, ist es für junge Araber besonders schwer und gefährlich, so offen ihre Sympathie für das andere Team zu zeigen. Diejenigen, die den Jungen nur jene Bildung mitgeben, Israel zu hassen, wissen ja nicht oder wollen es nicht wahr haben, dass wir als Band zu den Guten gehören. Und jetzt gibt es junge Leute – meistens sehr jung – die da einfach nicht mehr mitmachen. Das zeigt nun wirklich die wahre Macht der Musik. Sie zerbricht tatsächlich Wände und reißt auch Mauern in den Köpfen beiderseits ein. Das funktioniert wirklich, wenn es auch viele bestreiten.

Selbst wenn ihr nur ein oder zwei Menschen davon abgehalten habt, Gewalt zu predigen und zu leben, wäre es ja schon ein unsichtbarer, gleichwohl unschätzbarer Erfolg.

Eben! Es geht ja auch gar nicht um den erhobenen Zeigefinger. Wer autoritäres Verhalten braucht, um friedfertig zu sein, ist sicherlich nicht unsere Zielgruppe. Wir sehen beide Lager vereint als Publikum und wollen ihnen einfach nur mal Denkanstöße geben und zeigen, wie schön alles werden könnte, wenn man einfach mal zusammenhält, statt aufeinander loszugehen. Und schon ist der Dialog da. Man spricht miteinander. Bei uns gibt es keine Randale und Prügeleien zwischen Juden und Moslems bei Gigs. Wir haben davon genug im Alltag.

Leider haben es die arabischen Metalkollegen da schwerer. Die Musikrichtung ist ja in vielen – sogar moderneren arabischen Staaten wie Syrien oder Ägypten – noch immer als unislamische Aktivität verboten. Gibt es Kontakte zu arabischem Untergrundmetal wie z.B. den Irakern Acrassicauda; bekannt aus dem Dokumentarfilm "Heavy Metal in Bagdad"?

So leicht ist das nicht. Schon rein pragmatisch betrachtet. Der Vorteil von euch Europäern ist ja – und das sollte überall eine Selbstverständlichkeit sein – dass den Reisenden die offenen Arme eurer Union empfangen. Das ist im Nahen Osten leider ganz anders. Da empfängt dich erst einmal eine Mehrheit arabischer Staaten, die sich untereinander auch nur darin einig sind, alles aus Israel kommende Scheiße zu finden und zu blockieren. Richtig normaler Grenzverkehr? Vergiss nicht, Israel ist immerhin die einzige Demokratie des Nahen Ostens. Wenigstens erzählt man uns nicht, wir wären Satanisten oder so etwas. Und andererseits: in Israel sieht man jeden Tag, wie Grenzen einfach geschlossen werden und man sich von den anderen abkapselt. Es gibt da nicht immer gute Chancen für Begegnungen.

Auch nicht mit moderner Technik?

Ok, klar, wir sprechen schon manchmal miteinander. Aber das ist dann mehr so eine Facebook-, Twitter-Sache. Es gäbe sicherlich viel mehr tolle arabische Metalbotschafter, wenn man ihnen die Möglichkeit gäbe, ihre Kunst technisch und organisatorisch nach eigenen Vorstellungen umzusetzen.

Trotz so vieler Repressalien gibt es ja immerhin das jährliche Desert Rock Festival in Dubai, wo die internationale Creme des Metal mit ganz großen Namen aufwartet. Wäre das eine Option für euch – so ihr als Israelis eine Einladung bekommt – dort zu spielen, oder siehst du das Festival als Gipfel der Heuchelei?

Ganz ehrlich: Ich würde Reise- und alle weiteren Kosten allzu gern mit meinem eigenen Geld bezahlen. Wenn man von solch einem tragischen Flecken in der Welt stammt, kann es nichts Größeres geben, als wenn eine Konfliktpartei bei der anderen zu Gast ist und man vor den eigenen Fans beider Lager spielt. Absoluter Traum von uns! Wir werden das noch erleben, eines Tages! Dubai ist kulturell betrachtet einfach viel offener im Vergleich zu den von dir genannten Ägypten oder Syrien.

Die israelische Metal-Szene ist ja klein, aber von hoher Qualität. Egal ob BM Geballere wie Melechesh oder die großartigen Altmeister Salem. Würdest du Salem als eine Art Prototyp bezeichnen, ohne den es Eure Musik heute so nicht gäbe?

(Lacht) Israel ist eben….ja das ist hier eben alles ein bisschen wie in einem kleinen Dorf. Jedenfalls unter Künstlern. Du weißt ja: hier kennt jeder jeden. Natürlich kennen wir Salem und ich liebe ihre sehr spezielle Musik seit langer Zeit. Aber direkter Einfluss? Eher nicht so. Eher allgemeines Vorbild. Aber z.B. morgen Abend haben wir hier in Israel ein Konzert mit Releaseparty. Und dann kommen die ganzen Kollegen von überall; Norden Süden, egal. Man trifft sich, tauscht sich aus und feiert gemeinsam; sehr familiär. Das kommt euch sicherlich merkwürdig vor. So was geht ja gar nicht in einem so großen Land wie Deutschland.

"Wegen Wilson schlag ich immer noch manchmal das Booklet auf ..."

Es war sicherlich genau die richtige Idee, Steve Wilson von Porcupine Tree als Produzenten zu wählen. Weniger Konfusion, mehr Klarheit in den Strukturen. War die Arbeit so perfekt, wie es klingt?

Oh ja, ich denke schon! Bei solch komplexer Musik wie der unsrigen ist der saubere Mix zum Ende einfach extrem wichtig. Es gibt immer so viele Schichten, die man durchdringen muss. Steven ist für so etwas natürlich perfekt. Das Tolle an ihm ist doch, dass er nicht nur ein Techniker ist, sondern vor allem Künstler und Musiker. Er versteht deshalb nicht nur die wissenschaftliche Seite, sondern er fühlt die Musik. Wir – und damit meine ich die ganze Band – sind auch wirklich große Fans von Porcupine. Es ist uns auch eine sehr große Ehre, dass er überhaupt mit uns arbeiten wollte. Er kann sich die Partner doch aussuchen. Und was er für Opeth getan hat, war ja auch großartig. Jeder will mit ihm arbeiten. Wir konnten das erst gar nicht fassen. Das ist solch ein Privileg. Er war immerhin nicht nur Producer. Er hat auf dem Album auch Keyboards gespielt. Noch immer schlage ich manchmal das Booklet auf, sehe seinen Namen und glaube, zu träumen. Haben wir das geschafft?

Dann erzähl doch bitte mal, wie es zu dem Kontakt kam und was euch den Zuschlag verschafft hat.

Steven war in Israel vor ein paar Jahren. Da hat er einige Gigs gespielt; teilweise akustisch. Da haben wir uns kennen gelernt. Ich habe ihm natürlich sofort unsere CDs in die Hand gedrückt. Dann ging alles wie von selbst. Du kannst dir denken, dass er mit seiner Prog-Vorliebe diese Mischung aus komplexem Metal und unserem Folk sehr interessant findet, weil wir Musik nicht recyclen. Genau so lief das. Keine große Story. Er wollte einfach involviert sein. Es war nur etwas unglücklich, dass wir vor drei Jahren die Zusammenarbeit vereinbarten und dann ... ja, dann lassen wir Steve leider diese drei Jahre warten, weil es das Album noch gar nicht gab. Das mussten wir erst komponieren und einspielen.

Siehst du – in Anbetracht deines analytischen und friedenspolitischen Ansatzes - nicht auch die Gefahr, dass eure Musik zu kopflastig wird? Wenn jetzt noch die achte Schraube im selben Track gedreht wird, kann es doch auch schnell artsy-fartsy werden und seine Sinnlichkeit verlieren, oder?

Na warte, den retourniere ich dir. Die Antwort kann ich dir natürlich nur geben, wenn ich kurz die Definition eines Künstlers aus meiner Sicht geben darf. Ich glaube, ein Künstler ist oft ganz automatisch die Reflexion seines Umfeldes, seiner Lebenssituation. Und nun schau dir mal unser Umfeld im Nahen Osten an. Diese ganze Vielfalt an Kulturen und Nationen. Das Durcheinander, die Konflikte in Politik und Religion, der Terror, die Gewalt, die Schönheit und die Liebe. Das alles, diese typische 'Heiliges Land'-Komplexität ist einfach die Plattform, auf der unsere Musik steht. Wenn man also herausfinden möchte, was denn hier wirklich los ist, sollte man ruhig unsere Musik hören. Darin hört man genau das Nebeneinander von Positiv und Negativ. Wir können gar nicht anders, als genau so zu sein. Aber hey, natürlich sage ich niemals nie, wenn es um Musik und Künste geht. Zwar würden wir uns von außen keinen Druck machen lassen, leichter zu werden; weder vom Label noch sonst wem. Wir lassen uns nicht befehlen. Andererseits kann es doch auch sein, dass wir in Zukunft mal Lust haben, etwas ganz anderes zu machen. Wer weiß das schon. Das ist Zukunft.

Dann lass uns doch mal einen Blick in die Gegenwart mit eurer hervorragenden Sängerin Shlomit Levi werfen. Die charismatische Art ihres Schlangenbeschwörer-Gesangs ist ein notwendiger Gegenpart zu den brutalen Death- und Black-Attacken. Macht Shlomit auch eigene Sachen? Die Stimme schreit doch danach.

Das finden wir auch. Sie strebt tatsächlich eine parallel laufende Solokarriere an. Innerhalb der nächsten zwei Jahre soll ein Album geschrieben werden und erscheinen. Sie ist wirklich großartig und könnte jederzeit ganz allein auf der Bühne stehen; ohne uns. Sie bringt so viele Farben und Facetten in alles, was sie singt. Das macht die jeweilige Musik – und besonders ihre eigene – so einzigartig und schillernd.

Und wer ist deine persönliche Ikone? Wer half dir, der Musiker zu werden, der du heute bist?

Oh, (lacht), ja. Du wirst lachen. Meine persönliche Musikikone seit frühester Jugend ist der wohl unkomplexeste Künstler, den man sich denken kann: Leonard Cohen. Der Mann ist als Erfinder von Melodien, Poesie und Stimmungen einfach der Größte!

Kein Metalhead? Das verstehe ich aber gut, mir geht es nicht anders. Was sind wir beide hier nur für ein zwischen Eisscholle und Wüste telefonierendes Klischee!

Echt, du magst den auch (lacht)? Hast du eins der Konzerte gesehen?

Leider nicht. Ich habe lediglich die Reviews der letzten beiden Live-DVDs gemacht. Nur Konserve!

Das ist nicht schön. Ich bin mit Freunden letztes Jahr auf drei Konzerten von ihm gewesen. Wir haben uns einfach einen Caravan gemietet und sind los. Zuerst haben wir die Show in Israel gesehen und danach fuhren wir dem Tross hinterher nach Italien und Deutschland. Das war wirklich ohne Übertreibung ein wahr gewordener Traum für mich. Solch ein brillanter Mann; nicht zynisch, aber dunkel und sehr spirituell.

Und wann kommt ihr endlich nach Deutschland?

Oh, wir werden definitiv in Wacken spielen. Andere Daten hab ich gerade nicht parat. Und du musst endlich mal wieder nach Israel kommen.

Lieber Kobi, danke für dieses Gespräch.

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