17. Juni 2011

"Meinen Glauben zu verleugnen wäre ein Verbrechen"

Interview geführt von

Ein Gespräch mit Adam Young zwischen Bremen und Nashville, Tennessee. Aber wie? Der Zuckerbäcker unter den alternative Poppern gilt gemeinhin als zutiefst wortkarg und einsilbig.Entgegen aller Befürchtungen entpuppt sich der Indie-Frodo als redseliger Zeitgenosse mit festen Ansichten. Ist das neue Album ein echter Hinhörer oder sollte der selbst ernannte Eulenmann seine Owls zukünftig besser nach Athen tragen? Und warum hat Young in seinen nächtlichen Bastelstunden am Mischpult ausgerechnet den Cher-Effekt als ein Hauptmerkmal verwendet?

Gern erläutert uns der tiefgläubige Amerikaner auch seine christlichen Wurzeln. Das Management hingegen scheint weit weniger entspannt. Obwohl der Künstler sich augenscheinlich auch bei kritischen Fragestellungen ersichtlich wohl fühlt, geht man nach zwölf Minuten dazwischen.

Hi Adam, du klingst sehr entfernt. Von wo rufst du an?

Hi Ulf, wie geht es? Ich sitze hier gerade mit dem Telefon in Nashville, Tennesse.

Großartiger Ort für ein Musikgespräch. Ich hoffe, deine Schlaflosigkeit hat sich verflüchtigt, seitdem du ein umjubelter Popstar bist?

Es ist vielleicht ein wenig besser geworden, ja. Aber die Krankheit macht noch immer ihr ganz eigenes Ding. Soll ich mich da beschweren? Ist doch immerhin ein Grund dafür, dass ich überhaupt Musik mache und hier 'in the heart of country' sitze, um mit euch auf der anderen Seite der Welt zu sprechen. Mit der Insomnia ist es immer die alte Sache. Mal geht es einen guten Schritt nach vorn. Dann aber auch rasch wieder zwei Schritte rückwärts.

Was du allerdings dennoch verschlafen zu haben scheinst, ist das Servieren der eigenen Texte. Deine Lyrics sind ein solch essentieller und exponierter Zeil deiner Songs. Warum haltet ihr uns das im Booklet vor und verzichtet aufs Drucken?

(Sinnierend) Das ist eine gute Frage ... Eigentlich mag ich wirklich die Idee, dass jemand, der die CD kauft, da auch selbst richtig einsteigt. Wenn es noch nicht dort steht - ich meine im Cover - dann kann man sich doch immer einbilden, man sei überhaupt der erste, der das alles hört. Man hört doch auch intensiver zu, wenn nicht alles dort bereits steht. Jeder kann seine eigene Interpretation machen; sich selbst engagieren. Solch einen Kram denke ich mir dazu.

Das verstehe ich auch. So denken doch fast alle Künstler. Doch außerhalb der Welt der Eingeborenen Native Speaker passiert alles, was du dir wünscht eben meist unter der Voraussetzung, die Zeilen in der fremden Sprache auch zu verstehen. Da ist dein Ansatz dann doch echt kontraproduktiv für die neue Platte.

Das ist so ein Punkt. Wenn ich das jetzt in Interviews von dir und anderen aus Europa höre, wird mir das dann auch klar. Wenn ich spiele und texte, ist das ja meine eigene Sprache; mein Ausdruck. Ich habe das dann gar nicht parat, dass die englische Sprache eben doch nicht ganz so universell ist. Wir denken das hier wohl manchmal. Aber ich singe auch recht deutlich, hoffe ich. Man versteht mich ganz gut (lacht).

Überall wird betont, wie introvertiert du seist. Man merkt das im Gespräch auch ein wenig. Warum nicht die Hemmung wegsprengen und laut verkünden: 'Ich bin das lebende Anti-Lady Gaga-Konzept!'?

Hahaha, na ganz so extrem ist es mit mir ja hoffentlich nicht. Aber es stimmt schon. Ich bin definitiv ein schüchterner Typ. Ein recht scheuer Mensch. Ich wäre niemals in der Lage, meine Sachen so massiv extrovertiert durchzuziehen, wie sie es ganz selbstverständlich tut. So ein tolles Bild wie sie würde ich in der Öffentlichkeit auch gar nicht abgeben. Ich muss immer die Möglichkeit haben, vom sicheren Bau aus zu handeln. Die Musik darf hinausgehen und alles erobern. Ich möchte das nicht. Ich schicke die Töne lieber los, als mit ihnen zu kommen.

Dann Gratulation. Vor 40 - 50 Jahren, in den großen Singer/Songwriter-Zeiten von Dylan und co, wärst du ohne die Möglichkeit der Internetkommunikation womöglich unentdeckt geblieben?

Das ist leider ... oder zum Glück? ... vollkommen richtig. Ausschließlich das Internet hat es mir ermöglicht, als Künstler wahrgenommen zu werden. Aber das gilt nicht nur für damals. Auch jetzt in diesem Moment ist es doch so. Alles wäre schrecklich unbequem für mich. Die ganze Organisation des Produzierens, Promotens usw. ist echt nicht meine Stärke. Ganz schlimm, mir vorzustellen, ich hätte die Ochsentour durch kleine Clubs machen müssen, um live auf mich aufmerksam zu machen. Youtube ist da doch ein Segen für alle wie mich. Alles konnte ich in die Welt hinaus schicken, ohne mich nach draußen zu bewegen.

99% aller Entscheidungen kommen ausschließlich von mir

Wo liegt bei so viel Komfortabilität denn der künstlerische Fortschritt von "All Things ..."? Oder ist das Konzept bewusst unverändert geblieben?

Obwohl es chronologisch die neue Platte ist, würde ich sie insgesamt durchaus als 'älter und weiser' beschreiben. Ich denke wirklich, die CD ist ein in sich geschlossener Kreis. Du kannst ihn vom Anfang an beginnen, zu hören. Du kannst seitwärts oder am Ende einsteigen. Wenn du alle Songs gehört hast, ist die Einheit des Albums sehr stark spürbar. Ich habe auch meine Hexenküchen-Fähigkeiten poliert. Soweit es ums Arrangieren und Produzieren geht, wollte ich in der Entwicklung auch nicht stehen bleiben. Das Schwierige liegt für mich manchmal darin, nicht den Überblick zu verlieren. Es hängt am Ende natürlich alles an mir. Da hängt immer nur dieser eine Typ rum, der alles macht. Da weiß ich manchmal nicht: Bin ich zu schnell oder zu langsam? Ist das gut so? Oder besser doch anders? Aber das scheint zum Glück geklappt zu haben. Die neue Platte ist eine starke Einheit. Dann hat es wohl funktioniert.

Eine Art geschlossenes System, das die Hörer dennoch mit offenen Armen empfängt?

So könnte man das sagen. Ja, das gefällt mir.

Du hast also noch immer alles in deiner Hand - die volle Entscheidungsgewalt - und lässt dich nicht von Label und Charts gängeln?

Lass mich das nun wirklich ganz deutlich sagen. 99% aller Entscheidungen kommen ausschließlich von mir. Ich bin da ein richtiger Independent Musiker im klassischen Sinne. Natürlich hilft das Label bei Vermarktung und Vertrieb. Davon verstehe ich auch nichts. Aber jede kreative Entscheidung liegt ganz allein bei mir. Natürlich habe ich mit der Record Company auch diskutiert. Wir sprechen über alles miteinander. Die sind ja schon ein paar Tage länger als ich dabei. Aber der kreative Teil bleibt immer ganz bei mir. Meine Arbeit bleibt meine Arbeit Das macht mich auch sehr froh.

Das freut mich natürlich für dich. Aber warum fängst du mit der totalen künstlerischen Freiheut nicht ein wenig mehr an? Bei einem Lied wie "Kamikaze" gebe ich dir ja Recht. Sehr eigen. Viele Songs sind strukturell jedoch ähnlich konventionell gestrickt wie chartsgeile Industrieprodukte.

So sehe ich das gar nicht. Da steckt sehr viel von mir darin.

Mag sein. Aber vielleicht nicht genug? Stichwort Autotune: Du hast vielleicht keine große Stimme, aber eine sehr ästhetische. Warum kleisterst du alle Vocals so dermaßen mit dem ausgelutschten und nervigen Cher-Effekt zu? Trendy, aber totale Fehleinschätzung für jemanden, dem es so wichtig ist, Gefühle zu transportieren.

Hmmm ... Ach weißt du, für mich war das einfach so eine Art Airbrushing für das Album. Das hat durchaus auch echten kosmetischen Hintergrund. Es gibt am Ende immer ein paar kleine Unebenheiten. Solche Kratzer möchte ich ausbessern. Da gibt es nun wirklich nichts Praktischeres als dieses Programm. Ich kann dir da auch nicht zustimmen. Besonders auf der neuen Platte finde ich den Effekt sehr gelungen. Er passt, wo ich ihn nutze. Und insgesamt habe ich Autotune bei der Platte auch weniger genutzt als zuletzt. Gerade durch die Tour On The Road letztes Jahr, bin ich mit meiner Stimme vertrauter und kann mit ihr besser umgehen. Deshalb habe ich das ja nur teilweise eingesetzt. Vielleicht fehlt da aber noch das rechte Selbstvertrauen. Also wartest du vielleicht auf die nächste Platte. Dann bin ich eventuell so weit, die Stimme ganz pur zu bringen. Vielleicht sollte ich mich auf das Programm auch weniger verlassen.

Gerade die starken Tracks von Owl City schreien doch eigentlich auch nach einer Unplugged-Umsetzung, oder?

Absolut. Das ist auch eine Idee, die ich schon lange im Hinterkopf habe. Das muss eines Tages einfach passieren. Das wird dann ja auch für mich sehr interessant. Alles down strippen und mal sehen, was übrig bleibt. Da werde ich sicherlich selbst auch manche Überraschung erleben. Aber im Moment ist das noch kein Thema.

"Europäischer Trance war lange Zeit mein Ding"

Du bezeichnest dich selbst als 'committed christ'. Entsprechend auch die Danksagung an Jesus in den Credits. Nichts gegen deine religiöse Überzeugung. Jedoch: Warum muss das aus der privaten Ecke so in die Öffentlichkeit gerückt werden?

Eigentlich ist das ein ganz natürlicher Teil meines Songwritings. Die religiöse Bindung fließt mit ein. Ich kann dir jetzt nicht genau sagen, wie und wo man das in den Liedern hört. Ich komme familiär auch aus einem recht spirituellen Umfeld. Da ist es für mich ganz natürlich, alles was ich tue, in dieser Art zu machen. Es ist einfach das richtige Benzin für meinen kreativen Tank.

Kein Predigertum?

Oh Gott, absolut nicht. Nein! Es ist nun ganz gewiss nicht mein Anliegen, mich hinaus zu lehnen und anderen Menschen zu predigen. Ich möchte auch niemanden missionieren. Du musst dir das anders vorstellen. Ich möchte zwar niemanden überzeugen. Aber andererseits möchte ich in der Öffentlichkeit auch nicht maskiert sein. Das wäre ich, wenn ich meine Religion verleugnete. Das wäre doch fast schon ein Verbrechen. Ich verstecke aber nichts und ich pushe auch nichts. Das ist alles ein natürlicher Teil von mir.

In den 70ern definierten Abba den Pop. Die Eighties kamen mit Bowies "Let's Dance" und Madonna. Was definiert Owl City 2011?

Ach weißt du, für mich stellt sich die Frage so nicht. Owl City ist ja gerade nicht auf der Bildfläche erschienen, um eine Message rüber zu bringen. Es geht mehr um den allgemeinen Transport positiver Gefühle und im besten Fall sogar das Hervorrufen von Inspiration. Wir sind aber keine Style-Propheten oder so was. Wichtig ist einfach, dass der jeweilige Song das Gegenteil von einem 'Tearjerker' wird.

Aber es muss doch musikalisch so etwas wie eine Identität geben. Wofür sonst deine vorhin betonte Entscheidungsgewalt?

Das gibt es doch auch. Man hört das vielleicht nicht immer sofort. Wir machen ja viel Brimborium in den Songs. Alles zischt und summt wie auf einer Wiese. Zwischen dem ganzen Spektakel mit Krach und Rauch findest du den Kern. Den kann sich dann jeder nehmen. Diese Methode des bunten Aufhellens ist vielleicht so etwas wie meine Philosophie. Ich selbst bin ja auch beeinflusst. Das will ich gar nicht verstecken. Europäischer Trance war lange Zeit mein Ding und funktioniert bei mir auch als Inspirationsquelle. Sehr Club, sehr Dance. Ich mochte daran immer das Progressive, welches im selben Moment auch einfach die ganz große Geste rüberbringt. Groß und schön!

Dann könnte man die mit deiner Aufheiterungsmission durchaus als eine Art Elektrobruder von Bands wie Maroon 5 sehen?

Oh ja. Das vielleicht sogar der beste Weg, alles zu beschreiben. Natürlich basiert meine Musik immer auf dem Genre der Elektronik. Das ist eben so. Auf dem neuen Album gibt es sogar ein paar Tupfer echten Old School Hip Hop. Richtig heavy! Aber am Ende sind wir melodisch und musikalisch schon vom selben Baum. Das passt schon gut zueinander.

Dein Ansatz ist legitim, aber vielleicht auch sedierend? Sind Künstler wie du nicht auch der Grund, weshalb große Teile der US-Gesellschaft sich selbst in den eigenen kulturellen Kokon sperren und die Welt dort draußen mehrheitlich nur noch narzistisch wahrnehmen? Tunnelblick statt Öffnung? Bist du mehr Symptom denn Künstler?

(Unruhe im Hintergund bei der Betreuerin vom Label)

Sicherlich passiert so etwas bei uns in Amerika. Diese Mentalität kommt auch zu häufig vor. Ich möchte die Leute ja auch nicht ruhig stellen. Wenn ich sage, ich hoffe, die Menschen zu inspirieren, heißt das doch nur: Habt eine gute Zeit. Es heißt nicht: Hört auf, zu denken. Und da habe ich eben diesen puristischen Drive, der dich einfach gut drauf kommen lässt. Anders kann man sich der Musik auch nicht nähern, als über die Emotion. Das ist absolut mein Ansatz. Den kann ich gar nicht ändern und will es auch nicht.

(Eine weibliche Stimme geht dazwischen: "Ok, vielleicht noch eine letzte Frage.")

Du kommst aus Minnesotta. Die Indie-Ikone Steve Albini (Big Black, Nirvana) bezeichnete 1985 diesen Staat - u.a. in "Jordan, Minnesotta" - als den bigotten, heuchlerischen und ultimativen American Nightmare. Ist da was dran?

Yeah ... Ich denke, es ist einfach meine Heimat. Es ist meine absolute Heimat. Und was Herr Albini sagt, kann ich nicht nachvollziehen. Natürlich begegnen mir auch dauernd Leute, die mich drängen wollen, nach LA oder New York zu ziehen. Das würde aber nicht funktionieren. Was sagtest du vorhin? 'Kokon'? So etwas ist die Heimat für mich. Dort kann ich ganz ich selbst sein und entspannt arbeiten. Ich brauche dieses Umfeld. Aber vielleicht ist das auch der Grund, warum ich keine Ahnung habe, was an Minnesotta so heuchlerisch sein soll. Wenn man immer mitten drin steckt, bekommt man vieles nicht so mit. Das sieht man von außen vielleicht besser. Egal, ich kann nur sagen: Ich liebe Minnesotta sehr stark!

An diesem Punkt endete die Geduld der Dame im Hintergrund. Das Interview wurde beendet, obgleich Adam Young für seine Verhältnisse richtig in Fahrt war und die Situation als nicht unangenehm empfand. Schade eigentlich.)

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Owl City

Die MySpace-Page eines Künstlers kann so aufschlussreich sein! Während die einen ihre Musik gerne in puristischem Umfeld für sich sprechen lassen, …

Noch keine Kommentare