laut.de-Kritik

Der beste Nostalgiker der Szene.

Review von

Pashanim ist ein mysteriöser Motherfucker, indem er in seinen Songs einen stinknormalen Dude gibt. Das muss man auch erst mal schaffen. Oder eher: Man muss es schaffen, die kollektive Fantasie einer Rapszene bis zum absoluten Superstarstatus zu fesseln, indem man Sechzehner über Alltäglichkeiten ohne große Hooks oder Features, dafür mit DIY-Videos kickt. "2000" ist das nächste Pashanim-Album, in dem er seinen Vorherrschafts-Status mit nichts als Charisma untermauert. Es erhebt "der Gleiche bleiben" zur essentiellen Kunstform.

Also, ja: Wieder ein Album mit diesen Beats, die Stickle genau in die magische Zone zwischen rumpeligen Untergrundtrack und Pop-Appeal setzt. Und Tracks, die sich nicht geglättet anfühlen. Vielleicht ist Pashanim so etwas wie das Antidot einer Szene, in der jeder Rapper, der fünfzehn Minuten Chart-Luft schnuppert, von den Songwriting-Camp-Zombies gebissen wird und schmalzige Balladen mit LEA-Hook kickt. Aber da ist noch etwas: Hört man dieses Album, beschleicht einen der Verdacht, dass Pashanim so etwas wie der beste deutsche Nostalgiker ist.

Und das ist komisch, oder? "2000" ist Albumtitel und Geburtsjahr, der Mann ist im Moment 23 Jahre alt. Rechnet man die Coronajahre heraus, stellt sich die Frage, wo er überhaupt die ganze Zeit zum mit dem Wagen über den Brenner zur italienischen Küste heizen untergebracht haben möchte, auf die er jetzt so sehnsuchtsvoll zurückblickt. Und das ist nicht als Dig an die Kredibiltität gemeint, sondern soll nur heißen: Alles an einem Track wie "Mittelmeer" sollte hateable sein. Ein billig von einem 2000er-Hit gerippter Beat ("Sonnenbank-Flavour"), komplettes Pandering für eine komplett Nostalgie-verseuchte Szene und dann ein Youngin, der auf eine von drei Sachen in seinem Leben zurückguckt, die er erlebt hat und sich denkt: "Wow, das muss echt bedeutungsschwanger gewesen sein".

Und doch ist "Mittelmeer" einer der geilsten Raptracks dieses Jahrzehnts. Das hat zwei Gründe, die sich über dieses ganze Album ziehen. Erstens erzählt Pasha diese Bilder ganz großartig. Er macht nicht diesen klassischen Storytellerrap, von wegen "erst war ich hier, dann passiert das, dann jenes". Er franst eher einen kleinen Ordner an Notizen aneinander, und dafür sitzt dann jedes Bild. Drei Fragezeichen beim Fahren hören, das Ciabatta bei der Esso im Sonnenaufgang nach der durchgefahrenen Nacht, dann das erste Mal das Meer sehen.

Man merkt, dass Pashanim Video-Erfahrung hat. Er wirft auf seinen Tracks das Bedürfnis nach Kohäsion aus dem Fenster und schneidet einfach starke Bilder aneinander. Diese Tracks sind kompakt und superdicht, er kann Atmosphäre gerade wie kein Zweiter. Und der andere Punkt: Es ist halt nicht irgendeine Nostalgie und irgendein 2000er-Sample. Es ist "Sonnenbank-Flavour", vertretbar der zweitbeste Bushido-Track. Er passt perfekt in diese Stimmung, verändert sich aber und man spürt, dass ihm dieses Sample etwas bedeutet.

Ansonsten hat es sich in der Zwischen-EP "Tage Vor 2000" schon angedeutet: Pasha interessiert sich weniger für die Pop- und Electro-Experimente seines Debüts "Himmel Über Berlin". Da hat er zwar zurecht gewittert, dass diese Szene gerade losgeht und viel zu bieten haben wird, aber am Ende hat er sich gegen das Crossover entschieden. Das hier ist reiner Rap und macht dann eventuell auch die potentielle Schwäche des Albums: Auf Dauer versumpfen manche Tracks ein bisschen in dieses hirnlose Aufzählen. Seltsamer Vergleich, aber: Moderner Country hatte lange Zeit ein ähnliches Problem. Die hatten auch ihren sehr klaren, nostalgischen Bildpool. Und als sie sich irgendwann dessen Effektivität zu sicher waren, kamen reihenweise Tracks, die einfach nur "Kleinstadt-Objekt 1, 2, 3" aneinandergereiht haben.

Manchmal wittert man ein klein bisschen, dass Pashanim auf dem Weg sein könnte, sich seine eigenen Klischees zu machen. Es gibt die Positivbeispiele: "2000" spricht sehr klar über seine Eltern und deren Migrationsgeschichte, wieder mit extrem präzisen Bildern. "Duty Free" macht eine coole, lässige Atmosphäre auf und er fängt es textlich mit Bars übers Vielfliegen und am Flughafen hängen auf. Aber es gibt auch Nummern wie "Moltisani" oder "1. Mai", bei denen das Gefühl bleibt, jede Line schon einmal genau von ihm gehört zu haben. Noch ist es kein Problem, weil die starken Momente überwiegen, aber irgendwann wird wohl der Punkt kommen, wo seine Kreuzberger Teenagerzeit nicht mehr sein ganzer Themenhorizont sein kann.

Beim Ausgleichen hilft auch, dass er im Hip Hop-Kosmos ein paar ganz coole klangliche Varianzen in die Deep Cuts eingebaut hat. "TXL" klingt wie ein geiler, moderner LA-Beat, über den man 03 Greedo oder die Shoreline Mafia hören könnte. "2007 Skit (Hk Beatz)" klingt wie Kram, auf dem Bushido zu seiner "Endgegner"-Zeit gerappt hätte. Aber musikalisch das größte Highlight macht "Jede Saison" her: Das ist organischer Neunziger-RnB, so richtig funkige Lowrider-Musik instrumental und Pashanim kommt großartig dazu, wenn er darüber rappt, wie er früh zum Dealen rausgeht und danach wieder schlafen geht. Auch "Nokia 3310" probiert sich erfolgreich an RnB (wenn auch ein Jahrzehnt später vom Sound), aber die euphorische Stimmung von "Jede Saison" zeigt eine spannende neue Facette für den Kerl.

Also: Pashanim bleibt wirklich mit abgefahrener Kompetenz gleich. Wir leben in einer Szene, die wirklich bis zum Brechen Nostalgie-verpestet ist. Dass er genau damit einer der spannendsten Artists der Gegenwart geworden ist, zeigt einfach nur, wie gut er darin ist, Eindrücke und Bilder zusammenzustellen, während er gruselig treffsicher damit ist, Untergrund-Rap-Ideen zu Pop-Hits zu machen. Man kann sich zwar zurecht mit einer ganz leisen Skepsis fragen, ob damit jetzt die Kreuzberger Teenagerzeit auserzählt ist, aber im Gegensatz zu quasi jedem Anderen, der ein Quasi-Konzeptalbum über seine Jugend macht, wäre man bei Pashanim nicht einmal böse, wenn er noch eins macht.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Florenz
  3. 3. GTA
  4. 4. Mittelmeer
  5. 5. Moltisanti
  6. 6. TXL
  7. 7. 2000
  8. 8. Bis Hierhin Liefs Noch Ganz Gut
  9. 9. Duty Free
  10. 10. 2007 Skit (Hk Beatz)
  11. 11. Jede Saison
  12. 12. U1 Freestyle
  13. 13. Mai
  14. 14. Nokia 3310 - Bonus Track

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7 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 6 Monaten

    Intro und Florenz super, ansonsten bleibt bei mir bisher leider wenig in Erinnerung, weil alles in diesem Stickle-Einheitsbrei untergeht. TXL mit dem Al Majeed Beat sticht allein deshalb schon raus. Ansonsten textlich anspruchsvoller als Himmel über Berlin und auch gute Flows, aber sein Charts 1 Freestyle vor paar Tagen ist letztendlich interessanter als das halbe Album. Ich versteh einfach nicht, warum er sich bei den Beats so wenig getraut hat, die Junge CEOs 2 EP war sein künstlerischer Höhepunkt und danach müsste er doch genug Geld gemacht haben, um mal wieder was innovativeres droppen zu können.

  • Vor 6 Monaten

    "Und doch ist "Mittelmeer" einer der geilsten Raptracks dieses Jahrzehnts. Man kann es nicht einfach sagen."

    Verstehe den zweiten Satz nicht. Vielleicht "anders" statt "einfach"?

    • Vor 6 Monaten

      Aus dem Kontext heraus würde ich schließen, dass Gölz an "It's not easy to say" gedacht hat, was man korrekt als "es ist nicht einfach zu beschreiben" übersetzen würde, bedauerlicherweise ist er aber weder des Englischen noch des Deutschen so wirklich mächtig und deswegen steht das jetzt so da.

  • Vor 6 Monaten

    Album is krass gut. Wie leicht das alles wirkt. Wie damals das shindy debüt. Fast alles hat diese jugendliche Ausstrahlung. Alleine das reicht völlig für ein 4/5. Die Beats kommen auch mit dem popigen bounce und schönen details. Dieser 2007 skit is komplett krazy weil ich einen solchen beat seit 2006 nicht mehr gehört hab. Für mich ein Volltreffer, seine disco bleibt ohne ausfälle.

    9/10

  • Vor 6 Monaten

    Ist mir völlig unbegreifbar, wie viele auf diese Innovationslosigkeit hereinfallen...
    Seit Jahren der selbe Song und selbe Beat
    1/5

    • Vor 6 Monaten

      Für mich als jemand, der nur gelegentlich Hip-Hop hört, ist es ganz gefällig. Das wird in Kennerkreisen jetzt aber natürlich alles andere als eine Auszeichnung sein. ;)

  • Vor 6 Monaten

    Ist mir etwas zu viel Stickle-Brei. Intro, Florenz, Mittelmeer, Txl, 2007, Saison und Nokia stechen so heraus. Das als EP hätte mehr dichte an Qualität und Abwechslung gehabt.

    Immer wieder witzig wie Pashanim den Einfluss von Rap auch zurück gibt. Erst über Skrilla (was mein Favorit von Kodak ist) und jetzt auf einem Hasan K Beat. Er macht halt das was er will und das ist mir lieber als irgendwie die nächste Marketingidee der Majors.

    Kann im Sommer bedenkenlos gehört, stört niemanden, haut niemanden um.

    3/5

  • Vor 5 Monaten

    Endlich überzeugt mich mal wieder ein Deutschrap-Album. Tatsächlich gibt es jetzt nicht unbedingt den Ohrwurm - dadurch lässt es sich aber bedenkenlos immer wieder hören. Falls jemand anspieltipps braucht: Mittelmeer, 2000, bis hierhin liefs noch gut und Duty free. Finde ich besonders gelungen!