19. März 2021
"Der Staat hat auf ganzer Linie versagt"
Interview geführt von Dominik LippeVierzehn Jahre nach dem ersten Teil gibt der gesangsaffine Rapper Perverz mit "Mein Kopf Zerplatzt 3" wieder persönliche Einblicke in seine ramponierte Psyche.
"Was war das für ein Jahr? Ich würde sagen, es ging ziemlich bergab, aber aus viel Drama kann auch viel Gutes entstehen. Ich habe wieder zur Musik gefunden und zwar mehr als je zuvor." Mit seinem Instagram-Post blickte Perverz an Silvester auf ein durchwachsenes Jahr 2020 zurück. Nach einer längeren musikalischen Abstinenz hat er sich wieder einem Soloalbum zugewandt. Für den psychisch angeschlagenen Rapper von Hirntot Records habe sich "Mein Kopf Zerplatzt 3" als "beste Therapie" herausgestellt, die er hätte machen können. Auf der anderen Seite stehen jedoch die Auswirkungen des Coronavirus, die er durch seinen bürgerlichen Beruf als Pfleger auf einer Intensivstation aus nächster Nähe erlebt. Anfang März spricht er im Zoom-Interview über sein Album, Rammstein, Falco, Mark Forster, die deutsche Mentalität und seine Probleme mit der eigenen Inszenierung. Zunächst geht es jedoch um seinen Arbeitsalltag in Zeiten der Pandemie.
Du arbeitest auf einer Intensivstation und hast Corona "vollumfänglich an vorderster Front mitgemacht", wie du mir verraten hast. Wie hat sich die Pandemie auf deinen Arbeitsalltag ausgewirkt?
Ich habe schon im Dezember 2019 gelesen, dass wieder etwas in China los wäre. Zu der Zeit war ich in einem großen Klinikum hier in der Gegend angekommen. Ende März ist es hier aufgeschlagen. Viele schon schwer vorerkrankte Patienten sind mit positivem Test gekommen. Das hat dann oft nicht lange gedauert. Wenn man sie intubiert, also künstlich beatmet hat, sind manche schon nach einer Stunde verstorben. Es gab auch viele Leute so um die 60 herum, viele mit Vorerkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck. Wir waren alle total aufgelöst. Was ist das jetzt wirklich? Steckst du dich selbst an? Es haben sich zu der Zeit auch viele vom Personal angesteckt. Masken waren nicht immer ausreichend vorhanden. Es hat an allen Ecken und Enden gefehlt. Das war schon eine sehr anstrengende und angespannte Zeit. Und das hat sich eigentlich bis heute nicht groß verändert. Corona ist quasi immer um einen.
Als Pfleger auf einer Intensivstation hast du mit belastenden Situationen zu tun. Hast du ein Erlebnis, das dir besonders präsent ist?
Ja, du versuchst das immer abzuschütteln und auf der Arbeit zu lassen, aber ganz ehrlich: Wer sagt, dass er da abschalten kann, der lügt. Du nimmst viel mit nach Hause, vor allem jüngere Patienten oder Patienten in einem Alter bis 60 mit Schlaganfällen und Herzinfarkten. Ganz oft stehen die Familie und die Angehörigen dann nochmal am Bett oder nehmen Abschied. Gerade bei Corona haben sie manchmal Monate die Scheiße durchlebt. Ich kann mich an eine Patientin mit Corona erinnern, die sechs bis sieben Wochen beatmet wurde. Ihre Familie war jeden Tag da. Wir haben die komplette Kurve mitgenommen, aber konnten sie am Ende ohne Beatmung entlassen. Du bist acht Stunden auf Arbeit, stehst ständig mit den Leuten in Kontakt und baust irgendwie auch eine Beziehung auf. Du arbeitest nun mal nicht mit Autos.
Du hast auf Twitter geschrieben: "Corona Lockdown bis Ende März. Leckt mich." Bist du vor dem Hintergrund deines Berufs nicht für strengere Maßnahmen?
Die Corona-Erkrankung ist gefährlich. Für 80-Jährige ist das ganz ehrlich eine Horror-Krankheit. Aber am Ende ist es eine Lungenentzündung. Jüngere Leute sind davon seltener betroffen. Nein, ich bin nicht für weitere Lockdowns. Wenn ich mich in meinem Arbeitsumfeld mit den Leuten darüber unterhalte, sehen sie das mittlerweile auch so. Wir gehen im Moment zu große Kollateralschäden ein. Wir haben die Beschlüsse gestern wieder gehört. Da ist dann ein Satz zu den Schulen. Im Moment werden Kinder im Großen und Ganzen überhaupt nicht erwähnt. Und auch bei dieser Impfthematik muss man Leute verstehen, die nicht geimpft werden möchten. Die gibt es ja auch in der Pflege oder unter Ärzten. Ich habe mich jetzt aber sogar zweimal impfen lassen.
Du hast AstraZeneca bekommen, schätze ich mal, oder?
Nein, den guten von BioNTech. [lacht] Der Impfstoff von AstraZeneca ist sicherlich ein gut wirksames Medikament. Die Erprobung des Impfstoffes wurde ja genauso durchgeführt wie für andere Medikamente, nur viel schneller, weil viel mehr Geld investiert worden ist. Es ist ja nicht so, dass etwas Unentwickeltes auf den Markt kommt, was du nicht verspritzen kannst. Das ist Quatsch. Trotzdem muss man für sich entscheiden, ob man das macht oder nicht. Letztens hat mir ein Caféinhaber gesagt: 'Warum soll ich mich impfen lassen? Ich bin ein junger, gesunder Mensch. Ich kenne diesen Impfstoff nicht. Ich weiß nicht, was das ist. Das geht mir zu schnell.' Und diese Meinung muss man auch akzeptieren.
Wie beurteilst du den Umgang des Staates mit der Krise?
Der Staat hat auf ganzer Linie versagt. So ein reiches, noch industriestarkes Land hat im kompletten Kampf dagegen einfach auf voller Linie versagt. Das ist schon traurig. Und in Medien wird es jetzt immer noch so dargestellt, dass es einigermaßen gut verlaufen sei. Deutschland gehört zu den Ländern, in denen es am schlechtesten gelaufen ist. An erster Stelle wenn es darum geht, den Impfstoff zu besorgen.
Warum fällt es Deutschland so schwer, sich ein bisschen an anderen Ländern zu orientieren? Es gibt ja Beispiele wie Taiwan oder Neuseeland, die Wege gefunden haben.
Deutschland ist für mich manchmal ein sehr arrogantes Land. Wir sind immer ganz schnell dabei, den Leuten zu erklären, wie Demokratie und Marktwirtschaft funktionieren. Aber wir schauen uns ganz ungerne Sachen ab. Wir hätten diesen russischen Impfstoff, um wieder darauf zurückzukommen, schon längst holen können. Anscheinend funktioniert der. Warum glauben wir denen nicht? In den Medien kommt das nahezu nicht vor, weil immer noch diese Russland-Debatte herrscht.
Welche Strategie würdest du dir denn von der Regierung wünschen?
Wir hätten massiv Geld in die Hand nehmen müssen, so wie es die Amerikaner gemacht haben. Man weiß nicht, was die für eine Impfdosis bezahlt haben. Was wir im Moment verbrennen, ist mindestens genauso viel. Wir zählen uns mit zu den führenden Ländern der Welt. Die Hochnäsigkeit nach der ersten Welle, als jeder gesagt hat, Deutschland sei so gut durchgekommen – das Ergebnis sieht man jetzt. Das ist ein Marathon und kein Sprint. Manchmal verstehe ich Leute, die auf die Linie von Impfleugnern oder Corona-Kritikern schwenken. Diese Menschen sind bedroht, teilweise um ihr Leben, weil sie hören, es gebe eine tödliche Krankheit. Sie leben jetzt mit einer Bedrohung, die sie überhaupt nicht greifen können. Und wenn sie dann noch wissen, dass Aussagen aus der Politik manchmal nicht stimmen oder nicht ehrlich sind und sich dann wieder etwas verzögert, ist das eine ganz gefährliche Mischung. Das tut keinem Land gut.
In der Debatte werden die psychisch Kranken gerade wieder entdeckt. Was erlebst du da? Wie wirken sich Lockdowns auf psychisch Erkrankte aus?
Ich denke, es ist der Horror. Nahezu jede psychische Erkrankung hat Angst als Symptom im Repertoire. Und ich merke, dass schon gesunde, stabile Menschen im Moment daran echt zu knabbern haben. Die hört man selten, die meckern selten. Ich sehe das auch an meiner Frau, die sehr stabil und nahezu das komplette Gegenteil von mir ist. Auch sie sagt: 'Das belastet einen. Das macht einen mürbe.' Wenn du damit ständig aufwachst und abends schlafen gehst, macht dich das fertig. Es sind viele Kliniken geschlossen worden in der Zeit. Was nicht nötig war, wird nicht behandelt. Das ist eine Katastrophe für Borderliner und Depressive. Jetzt dürfen sie nicht mal an diesen Gruppensitzungen teilnehmen. Dabei ist das eine wichtige medizinische Betreuung. Nicht jeder hat einen Partner, nicht jeder ist sozial eingebunden, nicht jeder kann mit dem Internet umgehen, sodass er sich da organisiert. Die Leute sind alleine und sie werden auch alleine gelassen. Auch daran werden Menschen versterben. Suizide wirken sich bei Katastrophen immer erst später aus.
"Rap ist sehr kräftig und kann sehr direkt sein, aber er wird nie den Zugang zu einem Menschen haben wie Gesang."
Du hast ja gesagt, du bist an der Front. Die Modelle von Christian Drosten und Melanie Brinkmann sind praktisch immer genauso eingetreten, wie sie es vorhergesagt haben. Jetzt sagen sie, in einigen Wochen sind wir mindestens wieder auf dem Stand von Weihnachten. Was machst du denn dann?
Ich hoffe zumindest, dass das so nicht eintreten wird. Es wird uns in die Hände spielen, dass es wärmer wird. Das haben wir im letzten Sommer gesehen. Und wenn es doch so kommt, ja, dann ist es so. Wir dürfen den Rest nicht vergessen. Denn wenn wir diese ganz große Gruppe vergessen, dann wird sie sich das merken. Die ist auf der einen Seite frustriert und auf der anderen Seite wütend. Und wütende Menschen sind gar nicht gut für eine Gesellschaft. Die Anspannung merkst du jetzt schon, wenn du einkaufen gehst. Die Leute sind aggressiver geworden.
Kamst du dir eigentlich verhöhnt vor, als letztes Jahr die Applauswelle in Richtung der Pflegekräfte begann?
Ich wohne in einem gemischten Stadtviertel. Da hat kein Mensch geklatscht. Die Leute haben andere Probleme. Die mussten trotzdem um 6:00 Uhr raus. Aber ich wäre wirklich zu der Zeit ausgerastet. Was soll das? Die letzten Jahre hat es keinen interessiert. Das Gesundheitssystem wurde kaputt gespart. Sie wussten, was passieren würde. Die Pflege 'jammert' schon seit 20 Jahren über die Einsparungen.
Das gilt ja für ganz viele Bereiche in Deutschland. Sascha Lobo redet sich seit etlichen Jahren den Mund fusselig, dass die Digitalisierung nicht vorankommt.
Mit der Digitalisierung sind wir wirklich am Arsch. Denn das wird in den nächsten 20 Jahren so durch die Decke gehen, dass wir das nie aufholen können. Wir begutachten jetzt noch herablassend andere europäische Staaten wie Rumänien. Da hast du auf jedem Acker Internet. Wir setzen in Deutschland alles auf die Autoindustrie und ein paar Industrieunternehmen, die gut exportieren. Aber den Rest lassen wir komplett liegen. Wir haben nichts investiert. Daran kann man die Politik messen. Und wir wissen ja, wer die letzten 20 Jahre an der Macht war.
Wer kommt denn bald an die Macht? Du kommst ja aus Nürnberg, der Stadt des möglichen kommenden Kanzlers.
König Söder, ja! [lacht] Das wird ganz spannend. Ich denke, er ist ein guter medialer Mensch. Er war früher ja selbst beim Bayerischen Rundfunk angestellt. Er weiß wie er in einer Pressekonferenz mit möglichst zerzausten Haaren da sitzt, damit auch jeder sieht, dass er nicht zum Friseur gegangen ist. Das sind ganz kleine Pointen, die er gezielt setzt. Wenn man sich aber anguckt, was Söder die letzten 15 Jahre zu welchen Themen gesagt hat, weiß man ganz genau, er richtet sich nach dem Wind. Ob man das haben will? Und was bleibt von ihm, wenn er Corona nicht mehr hat? Was bietet Söder, wenn es nicht mehr um Sicherheit geht?
Kommen wir mal zu "Mein Kopf Zerplatzt 3". Du steigst sehr direkt in das Album ein: "Die Sonne geht auf, ich begeh' Suizid. Was mir bis jetzt gefehlt hat, war dazu die Musik." Nach dem Werther-Effekt erhöht sich die Suizidrate durch die mediale Berichterstattung zum Thema. Hattest du vorher keine Bedenken?
Doch, doch! Ich habe mir während des Schreibens schon gedacht, dass es ein ganz gefährliches Album sein kann. Ich fühle diese Dinge schon, die ich da schreibe, auch wenn sie teilweise ein bisschen überspitzt sind. Nicht mein ganzes Leben ist ein einziges Chaos, um Gottes Willen. Aber ich wollte das so explizit wie möglich erwähnen. 'Ich begeh' Suizid' ist einfach eine so brutale Zeile an sich. Da ist nicht mehr viel zu sagen. Das kann im falschen Moment für die falsche Person auch die falsche Musik sein.
Was wäre, wenn du tatsächlich mitbekommst, dass jemand das als Antrieb nutzt?
Dann habe ich eine recht schizophrene Ansicht. Auf der einen Seite ist es ein Kunststück. Auch Marilyn Mansons wird mit Amokläufen in Verbindung gebracht. Aber warum sollte es sein Problem sein, wenn Leute Amok laufen? Auf der anderen Seite wäre es eine Tragödie, die mich schon mitnehmen würde. Ich bekomme unheimlich viele, lange Nachrichten von Leuten, die das ganz intensiv fühlen. Da musst du lange auf der Psychiatrie arbeiten, um solche Storys zu hören. Die sagen wiederum, es habe ihnen geholfen. Sie sind damit dann besser klar gekommen. Manchmal muss man Sachen ganz ekelhaft brutal aussprechen. Wenn sie unter der Oberfläche brodeln und keiner fasst diese Gedanken richtig an, dann bist du isoliert. Wenn du auf einer CD hörst, dass da noch jemand an Suizid denkt und ganz offen darüber redet, dann bist du nicht mehr ganz allein. Ob das unbedingt der Ansporn dafür ist, sich umzubringen? Ich glaube, dass die Gefahr geringer ist, als bei Leuten, die sich nie damit auseinandergesetzt haben.
Die Zerrissenheit kommt auf dem Album immer wieder durch. Da heißt es etwa in "Doppelleben": "Ich bin von Gewalt besessen und hab' Angst vor meinem Schatten." Wie wirkt sich das auf deinen Alltag aus?
Ich bin in manchen Momenten ein ekelhafter Choleriker. Zum Beispiel bin ich mit meiner Frau im Auto gefahren und irgendwer schneidet sie blöd. Ich maule aus dem Fenster heraus und der mault zurück. Dann steige ich an der roten Ampel aus und will das am liebsten klären. Und ich schäme mich im Nachhinein dafür. Erstens muss das meine Frau miterleben, zweitens verhältst du dich wie der letzte primitive Affe. Ich bin sehr aggressiv, wenn ich denke, benachteiligt oder nicht gut behandelt zu werden. Wenn ich in der Öffentlichkeit bin, versuche ich meistens freundlich zu Leuten zu sein. Ich will nicht mit solchen Ellenbogen durch die Gegend laufen. Aber wenn ich etwas als persönlichen Angriff auf mich wahrnehme, raste ich aus. Und auf der anderen Seite hast du diesen Gedanken: Ich habe Angst vor meinem Schatten. Wenn du aufwachst, hast du eigentlich schon Angst und denkst: Was bist du für eine kleine Gestalt?
Du bezeichnest das Album als "persönliche Zäsur". Wie viel Mut gehört dazu, eine solche zu ziehen?
Ich habe lange Zeit Pause mit Musik gemacht. Es hatte nicht mehr so die Bedeutung für mich. Aber ich habe immer gemerkt, dass es mir im Leben gefehlt hat. dass ich nicht wirklich ausgeglichener war ohne Musik. Dann war der erste Gedanke: Das muss wie ein kleiner Abschiedsbrief oder ein Testament sein. Die Herangehensweise muss man sich mal vorstellen: OK, ich muss das jetzt schreiben, damit meine Frau noch was von mir hat. Ich war ein paarmal wegen der ganzen Drogenscheiße auf der Intensivstation. Man weiß nie, womit man da spielt. Das ist immer ein bisschen russisches Roulette. Der Gedanke bei dem Album war es, etwas hinterlassen zu wollen. Manchmal erschüttert mich das selbst. Rechnest du mit Anfang 30 mit deinem Tod? Ja, in manchen Phasen habe ich mit meinem Tod gerechnet.
Du hast in der Vergangenheit betont, weitgehend keinen Rap zu hören. Wieso hast du dich dann für dieses Genre entschieden?
Ich habe ganz früh damit angefangen, Musik zu machen, aber nie ein Instrument gelernt. Mit zwölf Jahren habe ich einen Kassettenrekorder gehabt, so radiomäßig in das Mikro gesprochen und dann schon versucht, eigene, von Bands wie Böhse Onkelz oder Blink 182 inspirierte Kassettencover zu malen. Ich wollte immer irgendwie Musik machen. Meine Eltern waren aber zu sehr mit sich selbst beschäftigt, haben das nicht so wahrgenommen und mich überhaupt nicht gefördert. Mit 17 Jahren kam dann die Möglichkeit, dass du ja rappen kannst. Das kann theoretisch jeder, dafür braucht es nicht viel. Ich wäre aber noch heute lieber in einer Indie-Band und könnte Gitarre oder Schlagzeug spielen.
Hat deine ursprüngliche Distanz zum Rap dafür gesorgt, dass du dich jetzt dem Gesang öffnen konntest?
Ich habe mich im Rap immer ein bisschen gefangen gefühlt: ‚OK, du bist auf einem Rap-Label, du musst auch rappen. Du bist in der Untergrund-Rap-Szene mit Frauenarzt und Orgi aktiv. Wie willst du auf "Lass Die Waffen Sprechen" singen? Wenn man sich aber manche Songs von 2005 anhört, dann war ich dem gegenüber schon immer offen. Gesang ist eine viel schönere Ausdrucksform von Gedanken. Rap ist sehr kräftig und kann sehr direkt sein, aber er wird nie den Zugang zu einem Menschen haben wie Gesang.
"Irgendwann musst du dich reflektieren oder du kannst gleich vor die Hunde gehen."
Welche Gesangsvorbilder hast du?
Das beste Gesangsvorbild ist Brian Molko von Placebo. Der kann auch nicht wirklich singen, aber hat es immer gemacht. Auch Herbert Grönemeyer kann es nicht wirklich, aber hat viele gefühlvolle, tolle Songs gemacht. Die meisten intensiven Sänger sind gar nicht die guten Sänger. Die findest du woanders. Dann musst du Opern hören. Aber die Songs, die dich lange begleiten, sind von Stimmen, zu denen du einen Zugang hast. Dann ist der Gesang zweitrangig, wenn er nicht komplett abgefuckt ist.
Bei "Zombie" habe ich den Eindruck, du versuchst Falco zu imitieren.
Jayo von unserem Vertrieb Distributionz hat schon 2012 gesagt, er sehe in mir einen kleinen Falco. Das liegt auch am bayerischen Akzent, der dem österreichischen sehr nahe kommt. Ich kann das gar nicht nachempfinden, aber für Leute aus Berlin oder NRW muss sich das wie eine ganze andere Welt anhören. Aber klar, "Out of the Dark" spielt ja eine Rolle bei mir. Unter den Bonus-Tracks, die es nur auf der CD gab, heißt ein Song "Into The Light", der unmittelbar von Falco inspiriert ist. Darin arbeite ich ein ziemlich krasses Nahtoderlebnis auf. Falco ist einfach großartig. Auf YouTube gibt es ein Video, in dem man ihn "Out of the Dark" auf dem Bass einspielen sieht. Das hat er kurz vor seinem Tod in der Karibik aufgenommen. Ich mir das bestimmt hundertmal angeguckt und das so mitgefühlt. Das ist ein Charakter, der viel gesehen, erlebt und sich mit sich selbst auseinandergesetzt hat. Das hast du in den Texten und vor allem in seinem Gefühl gehört. Falco ist Gott.
Wieso hören die Menschen hierzulande eigentlich so gerne Mark Forster und Andreas Bourani, die das alles nicht haben?
Das ist wie ein Durchschnittsrestaurant. Da kannst du essen gehen, da ist alles in Ordnung. Das stört dich nicht. Bei Musik stellt sich immer die Frage: Will ich mich mit dem Künstler überhaupt beschäftigen? Soll der überhaupt Zutritt zu meinem Leben haben? Das musst du dich bei Mark Forster nicht fragen. Das sind sehr gut aufgebaute Texte und gute Melodien, die ich im Auto hören kann. Das ist alles wunderbar, das gefällt dem Deutschen natürlich. Beim Urlaub ist es auch so. Da fährt er in ein All-Inclusive-Hotel, wo es alles an der Bar gibt. Dann gibt es für 500 Euro zwei Wochen Türkei. Und mit dem Land setzt er sich nicht auseinander. Ich will das gar nicht abwertend abhandeln, aber das ist seine Art. Aber sich intensiv mit etwas zu beschäftigen, tut der Deutsche teilweise weniger. Die Leute arbeiten relativ viel und definieren sich über die Arbeit. Wir investieren viel weniger Zeit in Gruppen, Gemeinsamkeiten und langen Essen. Das machen wir alles sehr kurz und spartanisch. Und so ist dann teilweise auch die Musik. Im Französischen hast du mit den Chansons eine eigene Liga unglaublicher Musik. Auch italienische Musik, die alte sizilianische Musik ist toll und tief. Und wir haben immer wieder diese Schlager gehabt. Das ist ordentlich hörbare Musik, aber nicht wirklich in die Tiefe gehend. Mark Forster macht nichts anderes als die alten Schlager der 70er Jahre.
Was dir eher zusagt, ist die Musik von Rammstein. Du wurdest 2008 gefragt, wo du dich in fünf Jahren siehst und hast geantwortet: "Ich hoffe auf einer CD mit Rammstein." Wie weit bist du mit deinen Plänen?
Ist nichts geworden, ne? Wie so vieles, mein Gott, ich werde schon wieder ganz depressiv. [lacht] Das ist genau das, was ich meinte. Rammstein catcht von Anfang an mit der Stimme. Vor allem auf den alten Alben kommen diese primitiven Riffs dazu. Die konnten ja auch keine Musik spielen. Und ja, damit habe ich mich gleich verbunden gefühlt. Die konnten im Großen und Ganzen nichts, aber machten das mit voller Überzeugung. Das haben sie auch nie verheimlicht. Da gibt es viel Bands wie Die Toten Hosen oder Die Ärzte, die alle am Anfang nichts konnten, aber einfach gerne Musik gemacht haben. Die Musik hat sich bei Rammstein extrem entwickelt. Die sind an sich selbst gewachsen. Auf Alben wie "Rosenrot" ist musikalisch alles mit dabei. Das sind teilweise perfekte Songs. "Rosenrot" und "Amerika" waren die beiden stärksten Dinger.
Wie gefiel dir denn "Deutschland"?
Krass, filmisch ist das Video schon mal Wahnsinn. Ich hätte aber erwartet, dass sie auf dem ganzen Album mehr auf die Thematik eingehen. Der Drive von Rammstein geht auch irgendwann verloren. Irgendwann ist man 60 Jahre alt. Und wer will mit 60 noch als harter Metaller auftreten? Ich glaube, da wäre vor allem textlich mehr gegangen. Vielleicht überschätzt man Till Lindemann teilweise einfach. Er macht auch sehr skurrile Dinge. Letztens hat sich ja Twitter über eine Äußerung von ihm aufgeregt, wonach er gerne jagen geht. Aber gut, was erwartet ihr?
Lindemann gibt ja selten Interviews. Aber so plump und toxisch wie er sich darin gibt, dürfte er gar nicht sein, wenn er diese teils sensiblen Texte schreiben sollte.
Ich bin natürlich kein Lindemann und kann mich mit ihm nicht vergleichen, aber ich merke selbst, dass viele Leute, die meine Musik hören, viel reininterpretieren in meine Texte. Erst im Nachhinein erkenne ich, dass etwas dahinter steckt. In dem Moment, in dem du schreibst, bist du nicht so reflektiert, wie es manchmal herüberkommt. Vielleicht ist Lindemann einfach nur ein ganz normaler Dude mit Ansichten, die heutzutage manche stören. Und vielleicht ist er nicht die besondere kreative Person, bei der man erwartet, dass sie auch politisch im modernen Denken mithalten kann.
Die Rapper eures Labels Hirntot Records wirken alle recht reflektiert.
Ich glaube, die haben alle schon ziemlich viel durchgemacht. Das sind alles große, gewachsene Charaktere, die immer viel Trubel und Wirbel hatten, ob es wie bei mir im Privaten war oder bei den anderen wegen der Musik. Irgendwann musst du dich reflektieren oder du kannst gleich vor die Hunde gehen. Ich kann da ganz gut anonym meine Texte schreiben. Die Klickzahlen sind nicht hervorragend, aber es ist ein gutes Ventil geblieben. Vielleicht ist es auch gut, dass es keine große Öffentlichkeit gibt. Es gibt auch viele Lyriker, die nie zu irgendwas gekommen sind. Die haben ganz tolle Gedichte geschrieben, leben aber von nichts in einer Zwei-Zimmer-Altbauwohnung in Berlin. Ich mach Musik für eine Handvoll Fans, die das intensiv verfolgen. Die ziehen ganz viel daraus. Das lese ich alles und antworte allen. Das gibt dir viel, wenn du merkst, dass du Leben beeinflusst. Und dann ist es egal, ob du eine Maske trägst oder nicht.
Du trägst selbst auf aktuellen Pressefotos eine Sturmhaube. Hast du darüber nachgedacht, sie abzulegen?
Ja, es gab eine Zeit, in der ich zu Blokkmonsta gesagt habe: 'Ey, ich will diese Maske loswerden. Wie kommen wir herüber? Das ist doch einfach Kitsch.' Was willst du damit? Du bist immer ein abschreckendes Objekt. Sie distanziert dich von der Person, sodass du keinen besonderen Zugang bekommst. Ich wollte sie unbedingt loswerden, aber er war nicht dafür. Im Nachhinein denke ich, Gott sei Dank. Gerade wegen meines Berufs ist es eine gute Sache. Ich bin da sehr anonym unterwegs und kann das gut splitten mit der Maske. Die passt mittlerweile null zur Musik und zum Album. Auch in dem "Cloud"-Video hast du diesen Kontrast. Du hast einen tieferen, melodischen Song und dann kommt einer mit einer Tarnfarben-Sturmmaske.
Interessant, dass du sagst, es sei kitschig, eine Maske zu tragen.
Auf der einen Seite gibt dir die Maske viele Möglichkeiten, weil du anonym bist, aber sie grenzt dich auch unheimlich ein. Du nimmst den Leuten den tieferen Zugang zu dir. Bei Sido war das interessant, aber irgendwann wirkt das nicht mehr so toll. Auch bei Blokk passt es einfach. Wenn du ihn mit der Maske siehst, dann hast du den Charakter schon erfasst, weil er auch sehr persönlich in Interviews reden kann. Bei Schwartz ist es einfach nur die Sonnenbrille, aber selbst wenn du die Augen verdeckst, ist das eine riesige Maskerade. Natürlich ist das irgendwann kitschig. Angenommen ich kenne die Szene nicht und jemand zeigt mir das erste Mal ein Video, in dem einer mit Sturmmaske auftritt, dann würde ich erstmal sagen: 'Was soll das?'
Hast du eigentlich mal darüber nachgedacht, deinen Namen zu ändern?
Ja, dieser Name ist eigentlich eine Katastrophe. Der hat in der Hirntot-Phase am Anfang ganz gut funktioniert. Der ist ja inspiriert von den krassesten Namen wie King Orgasmus One, Frauenarzt und Basstard. Also musste ich mit 17 was Krasses suchen. Im Ethikunterricht sprach die Lehrerin damals von Beschneidungen in Afrika. Sie fand das 'pervers'. Da habe ich gedacht: Klasse Name. Der spiegelt ja überhaupt nicht wieder, was man musikalisch erwarten kann. Die Leute hätten zu "Zombie" oder "Cloud" einen ganz anderen Zugang, wenn darüber nicht Perverz stehen würde. Seit zehn Jahren überlege ich mir, den Namen zu ändern oder mit PVZ wenigstens abzukürzen, aber dann hast du einen doofen Buchstabensalat. Ich war zu uninspiriert, einen Switch zu tätigen. Der Name haftet an einem.
1 Kommentar
Ist schon ziemlich interessant,man fängt früh an Menschen zuzuhören die mit Maske rappen..... melancholisch, hasserfüllt...egal um was es geht,
Man verarbeitet seine eigenen Geschichten und lässt neue entstehen.
Und am Ende sieht man nach 10-15 Jahren nen Interview von den Menschen der dafür gesorgt hat,das diese zermürbenden Momente einen nicht komplett zerbrechen lassen,tja und dieser Mensch ist menschlicher als die meisten die sich als Mensch bezeichnen aber doch nur ein Abbild davon abgeben.
Find ich gut