laut.de-Kritik
Der guckt, wie er klingt.
Review von Philipp KauseWas soll uns dieses Cover sagen? Vielleicht, dass Maffay ein flexibler Typ ist. Wie das Institut Appinio im Jahr 2019 ermittelte, waren damals zwei Drittel der tätowierten Deutschen am Arm bebildert - beliebtester Tattoo-Ort. Unter allen Bemalten trugen hingegen nur 17 Prozent ein Tattoo auf Brust oder Bauch - die unbeliebtesten Stellen. Und Peter Maffay gehört zu beiden Fraktionen, mimt den Animalischen, den Wilden ("Nur du fühlst stets die Wildnis in mir", heißt es in "Wildnis"), den Entschlossenen, in Verbindung mit dem Album-Untertitel "Die stärksten Balladen" unterschwellig den Starken.
Des Poeten Blick drückt die typische Maffay-Skepsis aus, das Zerknirschte, was ihn in seiner Sprech- und Singstimme prägt und sich auf einen Buchstaben bringen lässt: 'R'. Der Sänger guckt drein, wie er klingt, wie ein knurrender Wachhund. Der Blick steht für "Erinnerungen". Für "Erinnerungen 3", quasi wie der dritte Band eines Fotoalbums, nur mit Musik, und ohne dass sich irgendwer an irgendwas aktiv erinnern würde, abgesehen von der Plattenfirma. Die erinnert sich, was sie schon releast und nicht weggeworfen hat, presst es neu, und wer den Sinn des Ganzen nicht gleich begreift, dem erklärt es die Produktbeschreibung auf den Bestell-Plattformen: "Ein Album, das vor allem eines kann: Erinnerungen wecken" (heißt wohl, es kann sonst nicht viel).
Alle, die wissen, wie man eine Spotify-Playlist erstellt, sind wohl an dieser Stelle raus und machen sich ihre Best Of selbst. Für die anderen läuft es so ähnlich wie in der Landwirtschaft mit dem Brachlegen von Feldern: Ein Jahr zum Wechseln der Anbaufrüchte gibt dem Boden Zeit sich zu erholen, ein Jahr ohne neues Maffay-Album gibt den Musikfans Zeit, das letzte neue angemessen zu verdauen, Abstand zu gewinnen. Dennoch enthält die Best Of schon zwei Tracks aus dem relativ jungen "So Weit" (2021), und auf diesen "stärksten Balladen" quält sogar das Duett "Königreich der Liebe ft. Stefanie Heinzmann" von Tabaluga 2022 und mischt das komplizierte Klima-Thema in den allgemeinen Berieselungsstrudel zwischen "Kannst du das verstehn" und "Der Mensch auf den du wartest".
Letztere Nummer sticht inmitten vieler verschwurbelter Lyrics durch klaren Inhalt und gute Poesie hervor, denn es ist ein Bea Reszat-Text. Reszat war mal eine Musikjournalistin im Hörfunk, die sich gegen Programmverflachung entschied und oft für Lindenberg den Stift spitzte. "Mir ist nicht wichtig, ob du schön bist, oder die Titel, die du trägst / Und mir ist ganz egal, in welchem Land du dich nachts schlafen legst (...) Und mir ist ganz egal, wer du bist, solang ich dir vertrauen kann. Setz die Segel, mach die Leinen los, da draußen warten deine Träume. Am Horizont ist Gold - siehst du es scheinen?" Und Reszat machte die Leinen im Funkhaus los, verließ die Traumjobs mit den Titeln Radiomoderatorin und Musikgestalterin, die sie bei einem der größten deutschen Sender trug, wo sie sich nachts nicht schlafen legte, weil sie nur noch nachts senden durfte, und sah am Horizont, dass sie Lieder für Maffay schreiben könnte. Er vertraute ihr, und so verfassten sie noch etliches weitere gemeinsam, sie die Worte, er die Melodien.
Er spielte "Der Mensch auf den du wartest" mit seiner Stamm-Band ein: Bertram Engel als Schlagzeuger, die Brüder Jean-Jacques und Pascal Kravetz an den Tasten, Ken Taylor am Bass, Peter Keller und Carl Carlton an den Gitarren, mehr oder weniger dieselbe Combo, mit der er bis zu "Jetzt" (2019) konstant aufnahm. Nur bei "So Weit" wich er mal ab: Es war Social Distancing-Lockdown und ein Multiinstrumentalist für alles zur Stelle (ein Holländer). Carl Carlton, by the way, veröffentlicht am selben Tag wie sein Boss ein Duett-Album mit seiner Frau, einer Musical-Sängerin. Sie covern quasi auch einige der "stärksten Balladen" (wie Cohens "Dance Me To The End Of Love" und Dylans "A Hard Rain's A-Gonna Fall"). Aber keine von Maffay. Vielleicht war ihnen gerade einfach keine in Erinnerung.
Die Track-Abfolge der "Erinnerungen" erscheint willkürlich. Ich ordne die Lieder nach Länge und starte mit dem kürzesten: "Nessaja" stammt aus dem ersten "Tabaluga"-Musical. Maffay sah damals aus wie ein Bee Gee, ein ZDF-Mitschnitt von damals beweist aber: Das silberne Kettchen, das wir jetzt auf dem Cover erblicken, hatte er damals schon um. Da werden doch "Erinnerungen 3" wach. "Irgendwo tief in mir / Bin ich ein Kind geblieben", kitschte er in mediokrer Gesangsleistung, "Erst dann, wenn ich's nicht mehr spüren kann / Weiß ich, es ist für mich zu spät". An seinem 74. Geburtstag ist Maffay Papa einer Vierjährigen, und somit einer der wenigen Menschen, der Kinder in drei verschiedenen Generationen hat: 36, 20 und vier Jahre.
Und da "Tabaluga" bekanntlich ein Erlebnis für die ganze Familie ist, hat das Stück es bereits in die "Die Helene Fischer Show - Meine schönsten Momente" geschafft. Fischer ist ja auch eine, die immer wieder das Beste im Besten sucht, und auch aus ihren Fernsehsendungen das Beste, Schönste und Stärkste heraus pult. Als "Nessaja" das erste Mal im ZDF lief, war die Helene noch nicht geboren, und ihr Vorgänger hieß Frank Zander. Wieder so eine Erinnerung.
"Am Ende der Nacht" ist der zweitkürzeste Song, mit vier Minuten, was zeigt, dass Maffay unter starken und stärksten Balladen lange Nummern versteht. Viel hilft viel. Die B-Seite von 1992, auch zu finden auf "Freunde & Propheten", weder Schlager, Rock, Musical noch Folk, sondern einer von Maffays Pop-Songs. Den Text versteht man mitunter sehr schlecht, nicht nur weil der Interpret die Kiefer nicht auseinander bekommt, sondern auch weil die Drums sehr explosiv dazwischen knallen. Immerhin, sportlich gerät das Lied dadurch. Und es tut gut, hier von den Lyrics nicht alles zu verstehen - sowieso oft das Gleiche: Zwei Leute lernen sich kennen, und irgendwann meint Peter "komm, lass uns diesen Weg gemeinsam gehen". Mandoline und feurig gespielte Keyboard-Orgel treffen auf besagtes fruchtig gejammtes Schlagzeug. Auf die Frage "Spürssu, wie ein neuer Traum erwacht?", bricht ein Saxophon-Solo der Sorte vom Stapel, wie's jedes Lied mit Charts-Ambition damals haben musste. Eine aufschlussreiche Erinnerung.
Als Maffay sich von Tony Carey "Lange Schatten" komponieren ließ, hatte der seinen Hit "Room With A View" noch im Anmarsch, sich aber bereits mit Rainbow einen Namen gemacht. Bei dieser Ballade kam guter Keyboard-Rock heraus, dessen deutschen Text man geflissentlich überhören kann und bei dem Maffays Knödel-Gesang nicht stört.
"Weil es bei uns zu Hause in Rumänien einfach keine Klaviere gab, habe ich es leider nicht gelernt", sagt Peter Maffay im November 2022 in einem Interview mit Wunderweib.de - einem "Onlinemagazin für echte Frauen", was immer das über die Zielgruppen von "Erinnerungen 3" aussagt. Damals war das Video zu "Wann immer" bereits abgedreht: Maffay hockt dort in einer bemoosten Fabrikruine am Flügel und spielt einfach so Klavier. Um Flügel geht's auch im Text, klingt allerdings eher nach Flögöl: "Wann immer du dir die Flögöl brichst, fliege ich und nehm dich mit." Und auch im Clip zu "Auf Sand gebaut" (1985) haut der Peter in die Tasten, gelegentlich abgelenkt vom Rauchen und Billardspielen, wechselt dann aber während des Videos an die Gitarre. Übrigens noch ein Carey-Song, ein eher schwerfälliger, performt mit einer erkennbaren Spur Herzblut. Ob Tony Carey wusste, zu was für deutschen Lyrics er da die Chords komponierte? "Und der Vo'hang fehlt [Vorhang fällt], sie weint / Trrränen schneiden in die Haut." - Erinnerungswürdig!
"Schwarze Linien" klingt textlich und musikalisch anfangs anders als viele Maffay-Lieder, in der ersten Strophe wie ein Unplugged. Bis die intensive Zuhör-Stimmung durch den üblichen Kleister-Sound kaputt geht. Im Unterschied zu den Moralapostel-Stücken, die sonst alles besser wissen, wirkt dieser Text so, als entstehe die Geschichte beim Singen. Mitgeschrieben hat Leon Taylor, Sohn des Bassisten, den das deutsche TV-Publikum definitiv nicht zum ESC schicken wollte, wo Lena statt Leon den Vorzug bekam. Leon arbeitete nach dieser Abwahl für Maffay und hebt in diesem Song das Niveau.
"Verlier sie nicht" ist eine Gebrauchsanweisung zum Umgang mit einer Partnerin. Maffay trägt das tief transponierte Lied mit Grabesstimme vor. Die Instrumentierung ist hässlichster 08/15-Pseudoakustik-Pop-Rock mit einem unangenehmen Touch 'wir-probieren-mal-Alternative-Riffs'. Je länger die Songs werden, desto mehr tauchen die Allerwelts-Arrangements zu äußerst trivialen Songzeilen wie "Wir Menschen brauchen täglich Brot" wieder auf, obwohl sie - zugegeben - in dieser Balladen-Sammlung mal gar nicht den Hauptanteil stellen. "Kannst du das verstehn" ist alles in allem trotzdem eine flüssige Nummer und knüpft eher an Rock-Songwriter wie Stoppok an.
"Die Ruhe vor dem Sturm" schläfert in Leslie Mandokis Softrock-Instrumentiering mit einer monotonen Melodieführung und einem zähen Text ein, "was heute zählt ist nur der Augenblick (...) Ich sehe klar und spürrre Zuväsicht (...) Ein Blick nach vorn [unverständliches Genuschel] was er versprrrricht / bin tief entspannt und doch berrreit." Welche Drogen man wohl nehmen muss, um hier als Publikum non-stop mit zu klatschen?
"Zwei in einem Boot" ist ein ganz alter Synth-Schlager mit penetrant lautem Schlagzeug und Schunkel-Akkordeon über Wind, Mond, Sterne, und die Flut, die das Boot "begrrrräänzt". "Ich seh dich" (1989) ist ebenfalls ein Song mit penetrant lautem Schlagzeug, auf Synth-Flächen, ebenfalls über den Mond, und mangels Boot mit dem Vorschlag "wir wollten über Wasser gehen." - Das Schuld- und Sühne-Stück gräbt mit markigen Bildern tief im Moralinsauren: "Du lehrtest uns das Aufrechtstehen / Und hast dabei unsren Bund verletzt (...) Wirfst immer noch den ersten Stein / Hast meinen Namen oft missbraucht / Deine Hände in mein Blut getaucht (...) Du kriechst unter meinen Rock / und schlägst dabei deinen Bruder tot." - Die seltsame Abhandlung vermischt ein Zwiegespräch mit Gott über Jesus mit irgend welchen anderen Monologen und Dialogen, was im Ergebnis teils wie eines dieser schlecht geführten öffentlich-rechtlichen "Sommerinterviews" anmutet: "Doch ich seh' dich / Seh' dich dann / Und ich frag dich warum / Und dann sag mir, sag mir dann / Denn ich frag dich / Warum, sag warum."
Maffay sagte letztes Jahr in der Sendung "Kölner Treff", er lese keine Reviews. Im gleichen Interview bekundete er, wie wahnsinnig wichtig es sei, ehrliches Feedback zu bekommen, da nur ungeschönte Kritik ihn weiter bringe. Here you go.
2 Kommentare mit 7 Antworten
er kam in unsere stadt und hatte große pläne, der rumäne
Oh nee, ne?
Nun trag ich seine Warze als Trophäe.
Wird 'n Hit.
Ist schon einer: https://www.youtube.com/watch?v=VyVE-he0M_g
Oh, ok.
Er ist Deutscher, Siebenbürgen eben.
@Druffie1979: So sieht es nämlich aus. Es ist lohnenswert, sich mit der tragischen Geschichte unserer Brüder und Schwestern in Rumänien zu beschäftigen. Wer einmal in Rosenau, Kronstadt oder Hermannstadt war, kann es erahnen, welchen Glanz diese Orte früher ausgestrahlt haben mögen. Hier sei auch Hans Bergel empfohlen, in dessen Werk diese Geschichte lebhaft geschildert wird.
ICH WAR SECHZEHN ...
Ich fand den ja immer echt (unfreiwillig) witzig aber mit 70 Jahren nochmal Vater zu werden, ist dann nicht mehr so lustig, sondern eher eine ziemliche Arschlochaktion. Was die Platte angeht:
da die Platte die "stärksten Balladen" heißt, müsste sie eigentlich leer sein, das verträumte Albumcover eines auf dem Topf sitzenden Mannes würde genügen.