laut.de-Kritik
Betörend und verwunschen, voller elektrisierender Melodien.
Review von Dominik KautzHell, yeah! Fans der Truppe um Charles Thompson aka Black Francis aka Frank Black dürfen sich beruhigt zurücklehnen. "Beneath The Eyrie" geht locker als das stärkste Post-Reunion-Album im Katalog der Pixies durch. In seinen besten Momenten knüpft es zum Teil sogar an vergangene Glanzzeiten an.
Aufgenommen haben die Bostoner die Scheibe gemeinsam mit Produzent Tom Dalgety im Rahmen einer dreiwöchigen Session in den Dreamland Recording Studios in einem Waldgebiet im Umland von Hurley, New York. Das unheimliche, kafkaeske "Blair Witch"-Flair des Studios, dessen Aufnahmeräume sich innerhalb der ehemaligen und umgebauten 1896 errichteten St. Johns Church befinden, trug dabei maßgeblich zur besonderen konzeptuellen Ästhetik der Platte bei.
Auf "Beneath The Eyrie" dreht sich alles um phantastische, schräge Erwachsenenmärchen über Hexen, namenlose Sonderlinge und sonstige Außenseiter. Dadurch prägt die Platte eine bittersüße, gothicartige Symbolik, die zwischen Dunkelheit, Liebe, Verlust und Einsamkeit pendelt. Der seltsam anmutende Albumtitel geht auf Drummer David Lowering zurück, der bei einer Spazierpause in einem Baum über der Kirche einen Adlerhorst (englisch "Eyrie") entdeckte.
Die erste vorab veröffentlichte Single "Graveyard Hill" deutete die vielversprechende Marschrichtung der Platte bereits an. Der Song erzählt die romantisch schauerliche Geschichte einer Hexe, die einem ihr hoffnungslos verfallen Lover mit Hilfe eines Zauberspruches langsam den Lebensodem aussaugt. "And when the moon grows smaller Donna picks out a flower / gives her a witchy power there in the witching hour", so heißt es im Text. Die unwiderstehlich treibende Basslinie von Paz Lenchantin (aus deren Feder auch der Text stammt) in Kombination mit der für die Pixies so archetypischen Laut-leise-Dynamik machen "Graveyard Hill" zu einem Rocker, der fast den 90ern entsprungen sein könnte. Vor allem live dürfte der Song aufgrund seines kickenden Refrains eine echte Bank sein.
In die gleiche Oldschool-Richtung geht das lässige und sehr catchy klingende "Long Rider". Gerade wegen seines hymnenhaften Refrains zündet der Song sofort, und man erwischt sich dabei, wie man immer wieder die Repeat-Taste drückt. Da spielt es dann auch fast keine Rolle mehr, dass es sich hierbei quasi um einen Rip-Off des "Tenement Song" vom Vorgängeralbum "Head Carrier" handelt, nur eben anno 2019 mit dem entscheidenden Quäntchen Ohrwurm.
Die treffsichere Kombination aus klassischen, zum Teil aber moderinisierten Pixies-Vibes und dem Händchen für spannungsreiche Melodien zeichnet den Großteil des Albums aus. So erzählt die poppig-süße zweite Single "Catfish Kate" von einer bizarr-blutigen Flussschlacht zwischen einer Frau und einem Katzenfisch. Hier könnte direkt Lewis Carroll Pate gestanden haben. Das balladeske "Ready For Love" lebt zu wesentlichen Teilen von seiner bezirzenden Gesangsmelodie. Seine ganze Klasse jedoch entpuppt sich in einem fast den halben Song andauernden, sinistren Solo von Saitenmagier Joey Santiago.
Das melodramatische und zum Refrain hin in einem plötzlichen fortissimo explodierende "Silver Bullet" zeigt die Pixies von ihrer sphärischen, shoegazigen Seite. Der Song erzählt die byronesque Story eines mit sich selbst im Widerstreit stehenden Mannes, der die Nacht auf der Suche nach einem Duell durchwandert. Die Seltsamkeit im akustischen Gesamtbild von "Silver Bullet" zählt zu den absoluten Höhepunkten der Platte. Wie Frank Black im Interview erläuterte, geht dieser Track auf umgeschriebene Reste der "Head Carrier"-Sessions zurück und reiht sich in dieser Hinsicht neben "Long Rider" ein.
"This Is My Fate" handelt von einem nach der Zauberpflanze Alraune süchtigen Zugführer, der im "Valley Of Death" arbeitet und unterscheidet sich als stampfende, eigenwillige Country-Blues-Mischung deutlich vom Rest des Albums. Dem trägt auch Blacks Gesang zu, der hier die untersten Register seiner Stimme auslotet und dabei fast ein wenig an Tom Waits erinnert. Ein überraschend ungewöhnlicher Song, der aber erstaunlich gut funktioniert.
Nicht nur die klassischen Elemente, sondern eben auch diese erneuernden, frischen Impulse machen "Beneath The Eyrie" zu einem äußerst lebendigen Album. Dazu zählen ebenfalls die tremologetriebenen Ausflüge ins Surf Rock-Universum, die es mit "Bird Of Prey" und dem von Paz Lenchantin gesungenen "Los Surfers Muertos" gibt.
Ganz ohne Wermutstropfen kommt die Platte dann aber bei allem Lob doch nicht aus. Die folkigen, geschrammelten Ausreißer "Daniel Boone" und "Death Horizon" für Lagerfeuerabende hätte man sich getrost sparen können. Dass ausgerechnet diese letzten beschließenden Songs nicht mit dem Charme des restlichen Albums mithalten können, hinterlässt nach einem sonst sehr spannenden Hörerlebnis dann doch einen etwas faden Beigeschmack.
Mit "Beneath The Eyrie" besinnen sich die Pixies auf die Kernelemente ihrer DNA und veröffentlichen ein betörendes und verwunschenes Album voller elektrisierender Melodien, das sich dem Hörer nicht zuletzt wegen seines kopfkinotauglichen Konzepts wie ein wohler Schauer um den Nacken legt.
Dass bei der Kompositionsarbeit zugunsten eines fülligeren Raumklangs viele Songs auf der Akustikgitarre entstanden und Produzent Delgaty der Band einen glasklaren aber dennoch nicht glattgebügelten Sound verpasst hat, trägt dazu nur bei - auch wenn an dieser Stelle einige verklärte Nostalgiker sicherlich nach dem rohen Mix der älteren Platten schreien werden.
"Beneath The Eyrie" ist eine großartige Platte geworden, auf der einige Songs das Potenzial haben, sich zu zukünftigen Klassikern zu entwickeln. Das gilt vor allem für die Livesituationen, immer noch die absolute Königsklasse der Band. Death to the Pixies? Auf gar keinen Fall! Mit dieser Marschrichtung darf es gerne in die Zukunft gehen.
3 Kommentare
Noch kein Kommentar zur "wichtigsten Band aus den USA"? Na gut, wie relevant sind die USA heute musikalisch auch noch? Verstehe.
Gute Scheibe. Ist tatsächlich die beste seit langem!
Ich bin auch total begeistert, hat aber ein paar Anläufe gebraucht. Auch die hier geschmähten letzen beiden Songs finde ich klasse, Daniel Boone ist einer meiner Highlights.
Ich konnte mich nach vier Anläufen immer noch nicht mit dem Album anfreunden.
Der erste Titel ist ziemlich kraftlos und dümpelt mehr vor sich hin anstatt eine Ansage zu machen wohin die Reise geht.
Der zweite Titel (Graveyard Hill) wäre da weitaus besser geeignet als Opener.
Catfish Kate ist ein ganz netter Track, an dem man ruhig noch was feilen könnte. Danach kommt eigentlich nicht mehr viel. Silver Bullet ist noch einer der letzten Highlights der Platte, obwohl es gegen Ende leider nicht so ballert wie vom Redakteur beschrieben. Gerade beim letzten Teil des Songs vermisse ich Frank Blacks knarzige Stimme die sich die Seele aus dem Körper schreit.
Von der Produktion ganz solide, aber ich gebe dem Autor recht, das eventuell die Live Versionen der Songs vielleicht besser klingen. Ich fand Weezer's Pacific Daydream live auch deutlich besser als das Studio album.
Von mir gibt's momentan nur zwei Sterne, aber ich gebe dem Album noch mal ein paar Durchläufe.